Tracy Chevalier - Zwei bemerkenswerte Frauen/Remarkable Creatures

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    Tracy Chevalier - Zwei bemerkenswerte Frauen
    Originaltitel Remarkable Creatures
    aus dem Englischen übersetzt von Anne Rademacher
    Knaus Verlag
    ISBN 978-3813503685
    ISBN 3813503682
    Historischer Roman
    Deutsche Erstausgabe 2010
    Hardcover mit Schutzumschlag, 368 Seiten
    [D] 19,99 €



    Zur Autorin


    Die heute in London lebende, 1962 in den USA/Washington, DC., geborene und aufgewachsene Tracy Chevalier war das jüngste von drei Kindern. Sie studierte Anglistik in Ohio und – nach ihrem Umzug Anfang der 1980er-Jahre nach England - kreatives Schreiben. Kurz vor der Geburt ihres Sohnes im Jahr 1998 vollendete sie ihren Roman bisher erfolgreichsten Roman – Das Mädchen mit dem Perlenohrring. Das Schreiben ist mittlerweile eine Vollzeitbeschäftigung für sie und zahlt sich auch aus. So gewann Das Mädchen mit dem Perlenohrring nicht nur den Barnes und Noble Award – es wurde über 4 Millionen Mal weltweit verkauft und 2003 mit Scarlett Johansson und Colin Firth in den Hauptrollen verfilmt. Auch die anderen Bücher der Autorin eroberten kurz nach Erscheinen die Bestsellerlisten Englands.


    Zum Buch


    Das Erste, was mir an dem Buch auffiel, war das Umschlagmotiv. Es zeigt neben einem Küstenabschnitt mit zwei Frauen einen goldfarbenen Ammoniten. Dieser ist etwas herausgearbeitet, was man beim Darüberstreichen fühlt.


    Auch in Zwei bemerkenswerte Frauen vermischt Chevalier einmal mehr Fiktives mit historisch belegten Personen und Tatsachen. Dafür bedient sie sich – wie man ihrer Anmerkung im Buch entnehmen kann - der beiden von der Fachwelt lange totgeschwiegenen, aber dennoch belegten Frauen Mary Anning und Elizabeth Philpot, die sehr erfolgreich im Bereich der Fossilienforschung tätig waren.


    Der Roman spielt im England des 19. Jahrhunderts und umfasst einen mehrjährigen Zeitraum. Elizabeth zieht zusammen mit ihren ebenfalls ledigen Schwestern aus finanziellen Gründen in den kleinen südenglischen Küstenort Lyme Regis. Ihr Leben verändert sich dadurch drastisch. Doch nachdem sie es zunächst eher als Strafe betrachtet, aufs Land abgeschoben zu werden, muss sie bald feststellen, dass der Umzug auch gewisse Vorteile bietet. So lebt sie beispielsweise wesentlich freier als im sittenstrengen London. Und einen Zeitvertreib hat sie auch bald gefunden, denn die Küste ist durchsetzt von Fossilien, die teils nach und nach durch die Flut freigespült werden, teils ausgegraben werden müssen. Hierbei begegnet sie Mary, die in Lyme Regis geboren und aufgewachsen ist und dort mit ihrer Familie in ärmlichen Verhältnissen lebt. Ein Zubrot verdienen sie sich durch den Verkauf von Fossilien. Entgegen aller Konventionen und trotz des Altersunterschiedes freunden sich Mary und Elizabeth an, verbringen viel gemeinsame Zeit, machen spektakuläre Entdeckungen. Und verlieben sich in den gleichen Mann, was fatale Folgen nach sich zieht und die Freundschaft schweren Prüfungen unterwirft.


    Meine Meinung


    Auch in diesem Roman ist es Chevalier gelungen, ein so lebensnahes Bild ihrer Charaktere zu zeichnen, dass man mit ihnen fühlt, fiebert und leidet. Nicht nur der beiden Haupt-, sondern auch sämtlicher Nebenfiguren. Atmosphärisch dicht gewebt, öffnet jede Szene einen klaren Blicken auf die verstaubten Konventionen, die Missstände, aber auch auf die dünkelhafte Ignoranz und die Verschlossenheit der männlich-dominierten (naturwissenschaftlichen) Welt jener Zeit. Daneben gibt es noch die kindliche Neugier mit der Elizabeth an die Fossiliensuche herangeht oder die abgeklärte, geduldige, großzügige und immer wieder begeisterungsfähige Mary, die nicht nur ihr dabei hilft. Die Autorin lässt einmal sie, dann wieder Elizabeth zu Wort kommen. Auch dadurch werden die gesellschaftlichen Unterschiede deutlich. Elizabeth, etwas exzentrisch, die sich gewählt und sprachgewandt auszudrücken vermag. Mary, deren einfaches Gemüt sich ebenso wie ihre mangelhafte Bildung in ihrer Sprache und bisweilen auch in ihrem Tun niederschlägt. Der Kampf um die Anerkennung ihrer Leistung ist hart, scheint manchmal vergeblich bis unmöglich zu sein. Die sanften und dennoch eindringlichen Worte, mit denen Chevalier ihr Schicksal und den Verrat an ihr beschrieben hat, wecken den Kampfgeist. Nicht nur von Elizabeth, fast möchte man selbst mit zur Tat schreiten, um zu helfen.


    Ein kleines Manko der Geschichte ist, dass die Beschreibung von Ausgrabungsszenen relativ häufig vorkommt. Das wirkt etwas störend, obwohl es natürlich rein von der Fossilienthematik her passt. Die ist zwar eindeutig die Passion beider Hauptfiguren, aber für mein Dafürhalten trotz aller Fundbeschreibungen auf vielen Seiten nur ein Nebenhandlungsstrang. Was mich viel mehr angesprochen hat, war die Emanzipierung, die die beiden Frauen durchlaufen. Und das alles in einer Zeit, in der das bis dahin geltende Weltbild aufgrund fossiler Funde ins Wanken geriet – was die Männer zwar (hin und wieder unter empörten Aufschreien der Kirche) machen durften, bei Frauen jedoch als skandalös und untragbar empfunden wurde.


    Die ebenfalls enthaltene Liebesgeschichte ist eher angedeutet, dennoch berührt sie. Ebenso die Eifersüchteleien, die in diesem Zusammenhang entstehen. Dass die Frauen ihre Freundschaft über dieses Zerwürfnis hinaus in gewisser Weise retten können, wird ebenso nachvollziehbar beschrieben, wie alles andere. Chevalier bedient sich nicht falscher Dramatik, dafür aber einer gut strukturieren und greifbaren Dynamik, die den Roman trotz aller Versteinerungen lebendig lesenswert macht.


    Fazit 4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Ein wunderschönes, unaufgeregt erzähltes Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft und das Behaupten zweier starker Frauen in einer verknöcherten, männlich-dominierten Gesellschaft, dem ich 4,5 von 5 Punkten geben möchte.


    Copyright © 2011 by Antje Jürgens (AJ)

    Man sagt, dass die Welt ohne Fantasie ein trostloser Ort wäre.<br />Doch was wäre die Fantasie ohne Worte? Sie sind die Flügel, auf denen Fantasien in die ganze Welt gelangen können.

  • Ich hab das Buch in der englischen Ausgabe gelesen und heute beendet und mir hat es auch sehr gut gefallen.
    Ich fand es nicht nur schön, dass abwechselnd aus der Sicht der beiden Protagonistinnen erzählt wurde, sondern auch, wie gut der Stil die jeweilige Person kennzeichnete.
    Außerdem waren nicht nur die Leben eben dieser beiden Frauen für mich beim Lesen greifbar, sondern auch die vieler anderer Charaktere, die Schwestern von Elizabeth, die Familie von Mary.


    Das war mein erstes Buch von Tracy Chevalier, aber da ich so begeistert bin, werde ich gleich mal nach anderen Werken schauen und sie auf meine Wunschliste setzen.
    "Remarkable Creatures" jedenfalls wird mir sicher noch lange in Erinnerung bleiben. Ich kann es nur weiter empfehlen!

  • Ich habe das Buch heute beendet und erkläre es hiermit zu einem meiner Lieblingsbücher. Deswegen lasse ich mich auch jetzt schon zu einer kurzen Meinung hinreißen, eine ausführliche Rezension gibt es dann vielleicht noch später, wenn mein Kopf nicht so vollgestopft mit Unikram ist. :zwinker:


    Wie gesagt, ich schließe mich meinen Vorrednerinnen an, denn ich war und bin wirklich begeistert von der Geschichte und der Art, wie Tracy Chevalier sie erzählt. Obwohl ich momentan eigentlich kaum Zeit zum Lesen habe, habe ich das Buch innerhalb weniger Tage ausgelesen.
    Im Gegensatz zu Ati haben mich übrigens die vielen "Ausgrabungsszenen" keineswegs gestört, denn gerade das, also die Leidenschaft der zwei Frauen für Fossilien, hat mich erst auf das Buch aufmerksam gemacht. Ich selbst interessiere mich seit meiner Kindheit für Paläontologie und wäre den beiden liebend gerne jeden Tag an den Strand gefolgt... :herz:
    Und natürlich berührt mich diese Geschichte ganz besonders, weil sie zum Großteil auf Tatsachen beruht. Für mich war es einerseits sehr aufwühlend, wieder einmal vor Augen geführt zu bekommen, wie wenig eine Frau damals galt, andererseits hat es mich sehr beeindruckt, wie Mary und Elizabeth damit umgegangen sind und am Ende doch mehr oder weniger ihren Frieden gefunden haben.
    Amüsant fand ich auch die diversen Hinweise auf Jane Austen, weil mir die ganze Zeit durch den Kopf ging, dass dieser Roman einem von Jane Austen doch in gewisser Weise ähnelt. :breitgrins:


    Nachdem ich das Buch nun beendet habe, kann ich mich selbst nicht verstehen, wie es so lange in meinem Regal einstauben konnte... Das wird nicht das Letzte sein, was ich von Tracy Chevalier gelesen habe! 5ratten :tipp:

    :kaffee:

  • Remarkable Creatures – Frauen oder Saurier?


    Als ich (nach Beenden des Buchs) den Originaltitel gelesen habe, habe ich mich gefragt, wer denn mit den „Remarkable Creatures“ wohl gemeint sein wird – die Saurier oder die Frauen, die sich für sie interessieren. Denn neben den Fossilien spielen zwei Frauen die Hauptrolle, die nicht der zeitgemäßen Normalität ihres Geschlechts entsprechen, sondern eigene (wissenschaftliche!) Interessen pflegen, denken und diese Gedanken sogar laut äußern.


    Da ist zum einen Elizabeth Philpot, eine von 3 unverheirateten Londoner Schwestern der besseren Gesellschaft, die im Küstenörtchen Lyme Regis landen, weil das Familieneinkommen nicht für ein standesgemäßes Leben in London reicht. Bei einem Strandspaziergang findet sie ihr erstes Fossil und ist diesem Gebiet sofort hoffnungslos verfallen. Unbestrittene beste Fossilienfinderin des Ortes ist aber ein junges Mädchen, Mary Anning. Für sie ist es aber nicht nur Leidenschaft, sondern Beruf, ihre Familie finanziert sich durch den Verkauf der Kuriositäten, „Kuris“ genannt an Touristen und Sammler. Tracy Chevalier schildert aus abwechselnder Perspektive das Leben der beiden Frauen, die durch ihre gemeinsame Faszination für Fossilien zusammenfinden und sich trotz zwischendurch auftretender Diskrepanzen unterstützen. Doch ihr Geschlecht und in Annings Fall auch ihre gesellschaftliche Stellung verhindern, dass ihre Leistungen in der wissenschaftlichen Welt wahrgenommen werden und der Kampf um Anerkennung ist ein verlorener Kampf. Mehr als eine Fußnote („gefunden von“) wird Mary Anning zu Lebzeiten nicht bekommen, obwohl ihre Funde und ihre sorgfältiger Reinigung und Präparation dieser Funde die Grundlage für die wissenschaftlichen Arbeiten vieler früher Paläontologen sind.


    Chevalier konnte nicht widerstehen, die populärste Zeitgenossin ihrer Romanfiguren, Miss Jane Austen, immer mal wieder zu erwähnen – das wirkte auf mich immer ganz amüsant und half mir zusätzlich, die Romanhandlung in die damalige Gesellschaftsordnung einzusortieren. Ansonsten finde ich Fossilien nach diesem Roman ein Stückchen interessanter und würde Lyme Regis tatsächlich auf die Route einer potentiellen Englandreise setzen - aufgrund der eindrucksvollen Steilklippen und um Mary Anning endlich die Referenz zu erweisen, die sie verdient gehabt hätte.


    4ratten

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    Als Elizabeth Philpot gemeinsam mit ihren Schwestern ins verschlafene Küstenstädtchen Lyme Regis zieht, weil der Bruder heiratet und das Elternhaus aufgibt, fällt es ihr zunächst nicht leicht, sich dort einzugewöhnen, weil es so ganz anders ist als die lebhafte Großstadt London. Der jüngsten Schwester Margaret geht es ähnlich, die Bälle und Vergnügungen liebt und Lyme ziemlich öde findet, während die stille Louise sich dem Gärtnern hingibt und das ruhige Kleinstadtleben gar nicht so übel findet.


    Schon kurz nach der Ankunft begegnet Elizabeth einem Mädchen namens Mary Anning, das vor der Schreinerei ihres Vaters kleine Fossilienfunde an Touristen verkauft. Die Annings sind einfache Leute, Mary kann noch nicht einmal lesen und schreiben und wirkt auf Elizabeth zunächst unangenehm vorlaut, aber bald merkt sie, dass die Belemniten und Ammoniten und all die anderen kleinen Fundstücke für Mary nicht bloß ein Mittel zum Gelderwerb sind. Genau wie Elizabeth ist sie leidenschaftlich interessiert an Geologie, Gesteinsschichten und Fossilien und hat ein untrügliches Auge für besondere Funde, selbst an Stellen, wo die meisten Menschen kein zweites Mal hinschauen würden, und nach und nach entsteht eine tiefe Freundschaft zwischen Mary und Elizabeth, die häufig gemeinsam an der Steilküste rund um Lyme auf die Suche nach neuen Fundstücken gehen.


    Eines Tages ist eine echte Sensation dabei: ein versteinerter Schädel, der zunächst an ein Krokodil denken lässt, doch sowohl Mary als auch Elizabeth sind sich bald sicher, dass es sich um etwas anderes handeln muss, ein Tier, das es heute in England gar nicht mehr gibt! Doch obwohl es bereits Forscher gibt, die das Aussterben von Arten für möglich halten, grenzt diese Annahme für die breite Bevölkerung geradezu an Blasphemie, denn wie kann es sein, dass etwas, das Gott geschaffen hat, nicht mehr auf Erden wandelt?


    Nach dem aufsehenerregenden Fund tauchen diverse (natürlich männliche) Forscher auf, die ihrerseits auf die Suche gehen, und die wenigsten sind bereit, Ehre zu geben, wem Ehre gebührt, so dass Mary und Elizabeth nicht nur um die Akzeptanz ihrer Theorien, sondern auch noch um die Anerkennung ihres großen Beitrages zur Naturwissenschaft kämpfen müssen.


    Die gerne mal etwas spröde Elizabeth, aus gutem Hause stammend, und das ungeschliffene Dorfmädchen aus prekären Verhältnissen, das kein Blatt vor den Mund nimmt, sind ein ziemlich ungleiches Paar, zumal sie auch altersmäßig einige Jahre trennen. Die gemeinsame Fossilien-Leidenschaft eint die beiden recht schnell, es gibt aber auch immer wieder Reibung und Missverständnisse zwischen den so verschiedenen Freundinnen. Die meisten Menschen in der Stadt halten die zwei für etwas seltsam, weil sie einer so unweiblichen Tätigkeit nachgehen, sich unter Klippenabbrüchen in Gefahr begeben, ihre Fossilien aus dem Gestein hämmern und sich dabei regelmäßig von oben bis unten dreckig machen.


    Tracy Chevalier erzählt die hochinteressante, auf Tatsachen basierende Geschichte der beiden Frauen sehr fesselnd, mit viel Einfühlungsvermögen in die nicht ganz einfachen Charaktere und vielen interessanten Details zur damaligen Forschung. Sie versteht es ganz wunderbar, ihren beiden Erzählerinnen charakteristische Stimmen zu verleihen und erzählt im Wechsel aus Elizabeths und aus Marys Perspektive. Auch ein Nachwort mit Erläuterungen zum historischen Hintergrund und der Einordnung von Fakt und Fiktion fehlt nicht, und es gibt weiterführende Literaturhinweise, falls man die Thematik noch ein wenig vertiefen möchte.


    Etwas schade finde ich, dass der Titel im Deutschen zu "Zwei bemerkenswerte Frauen" geändert wurde. "Bemerkenswerte Geschöpfe" hätte ich viel schöner gefunden aufgrund der Mehrdeutigkeit, denn hier sind ja nicht nur die Frauen bemerkenswert, sondern auch die versteinerten Geschöpfe, die sie finden. Aber so oder so ist das Buch ein sehr schönes Denkmal für die wahrlich bemerkenswerte Mary Anning und ihre Freundin und Unterstützerin Elizabeth Philpot.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen