Nathaniel Philbrick - Dämonen der See

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  • Nathaniel Philbrick
    Dämonen der See

    Die dramatische Expedition zur Erschließung des Pazifiks und der Antarktis 1838 – 1842
    (Sea of Glory, 2003)


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    Nathaniel Philbrick (*1956) ist Direktor des Egan Institute of Maritime Studies und Mitglied der Nantucket Historical Association. Er ist leidenschaftlicher Segler und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern auf Nantucket. Für sein erstes Buch Im Herzen der See erhielt er den National Book Award.


    Inhalt
    Im Jahr 1838 startet in Norfolk/USA unter amerikanischer Flagge ein Verband aus sechs Segelschiffen zu einer Reise um die Erde. Auf dem Plan stehen Südamerika, die Antarktis, viele Inseln im Pazifik, Australien und noch einige andere Ziele, an denen Vermessungen vorgenommen sowie Proben von Tier- und Pflanzenarten gesammelt werden sollen. Unter Charles Wilkes, dem unerfahrenen Leiter der Expedition, kommt es immer wieder zu Eskalationen in der Mannschaft.


    Das Buch hat zwei Schwerpunkte, zum einen die Expedition selbst, zum anderen die Person des Charles Wilkes. Auf der Reise wurden viele neue Gegenden entdeckt, die vorher noch völlig unbekannt oder noch nicht genauer erforscht waren. Die Karten, die anhand der Vermessungen erstellt wurden, waren für lange Zeit gültig, und die vielen Artefakte und Gegenstände, die gesammelt wurden, füllten später ein ganzes Museum. Die Mannschaften der sechs Schiffe mussten viele Entbehrungen in Kauf nehmen, nicht zuletzt, weil sich Charles Wilkes als Führungsperson häufig als ungeeignet erwies. Seine Impulsivität ließ ihn immer wieder zu überzogenen Strafmaßnahmen greifen, die oft an Unmenschlichkeit grenzten und bei Offizieren und Mannschaft auf ein höchst negatives Echo stieß. Sein Ehrgeiz und übersteigertes Selbstwertgefühl führten ihn jedoch zu ausgezeichneten naturwissenschaftlichen Ergebnissen, die lange Zeit Bestand hatten.


    Die meiste Zeit erzählt Philbrick sehr neutral und sachlich, fast im Sachbuchstil, nur hin und wieder wird er ein wenig trivial. Recherchiert hat er sehr gründlich und seine Quellen gleich auf 20 Seiten aufgelistet. Mehrere Karten über die einzelnen angesteuerten Gebiete ermöglichen einen guten Überblick. Eigentlich eine runde Sache zu einem spannenden Thema, und doch sprang der Funke nicht oder nur sehr zögernd über. Philbrick behandelt nicht nur die Expedition, sondern auch Vorbereitungen und Auswirkungen in jeglicher Beziehung und verliert sich dabei immer wieder in umfangreiche Randerzählungen, die zwar wesentlich für die Handlung sind, in ihrer Ausführlichkeit aber auf die Dauer ermüdend waren. Auch die Darstellung der Figuren ließ zu wünschen übrig. Obwohl sie sehr genau beschrieben wurden, blieben fast alle zu distanziert. Ein bisschen weniger Sachbuchcharakter hätte der Geschichte, so wie Philbrick sie erzählte, gut getan.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • 1838 bricht eine Handvoll Schiffe zur "Exploring Expedition" auf, die im Namen der US-Regierung so nahe wie möglich Richtung Antarktis vordringen und dann die Südsee erkunden soll. Neben dem großen Ziel, so weit nach Süden zu gelangen wie noch niemand zuvor, stehen auch Vermessungsarbeiten und naturkundliche Forschung auf dem Plan der Forscher.


    Das Kommando über das Geschwader liegt in den Händen des ehrgeizigen jungen Marineleutnants Charles Wilkes, der hochfliegende Pläne hat und bitter enttäuscht ist, nicht noch vor der Abfahrt zum Kapitän befördert worden zu sein.


    Widriges Wetter, launische See und ungemütliche Begegnungen mit den Einheimischen auf den Südseeinseln stellen die Mannschaft immer wieder auf harte Proben, aber das destruktivste Element der ganzen Expedition befindet sich an Bord der "Vincennes". Wilkes' grenzenloses Machtstreben bricht sich immer stärker Bahn, je länger die Reise andauert. Er überwirft sich mit vielen seiner Offiziere, behandelt die Seeleute wie Dreck, schlägt noch den fundiertesten Rat seiner Untergebenen in den Wind und gefährdet mit seiner Arroganz ein ums andere Mal die Besatzung durch tollkühne oder schlichtweg dumme Manöver.


    Von der "Ex. Ex.", wie sie seinerzeit gerne genannt wurde, hatte ich vor diesem Buch noch nie gehört, war aber schnell gefesselt von dem irrwitzigen Unterfangen, mit ein paar Segelschiffen ohne besondere Ausstattung die Antarktis zu erreichen. Philbrick stützt sich auf zahlreiche historischen Quellen und zitiert insbesondere häufig aus den Aufzeichnungen des jungen Offiziers William Reynolds, dessen große Bewunderung für Charles Wilkes ziemlich schnell in blanke Abscheu umschlug, als er den Charakter des Expeditionsleiters durchschaut hatte.


    Die absolute Untauglichkeit von Wilkes als Führungsperson, seine völlig verdrehte Selbstwahrnehmung und das unerbittliche Regiment, das er an Bord führte, stellen dann auch einen wesentlichen Bestandteil des Buches dar. Diese anfangs interessante Charakterstudie liest sich über weite Strecken schon fast wie ein Roman, aber in der zweiten Hälfte des Buches läuft es sich als Thema doch ein wenig tot. Vor allem den Part, wie er nach der Rückkehr zur Rechenschaft gezogen wurde, fand ich (wider Erwarten) ziemlich langweilig.


    Ansonsten thematisiert Philbrick sehr häufig Nautisches in minutiösem Detail, was für Landratten, die keine Experten in historischer Takelage sind, manchmal ein bisschen zu viel Information mit sich bringt, wobei die Situationen an sich, gerade bei extremen Wetterumständen, schon spannend sein können.


    Der Aspekt der Forschung kommt allerdings, abgesehen von Wilkes' heißgeliebten Pendelexperimenten, für die er schon mal kistenweise Ausrüstung nebst Standuhr auf den Gipfel des Mauna Loa schleppen lässt, recht kurz. Über die Arbeit der Geologen, Botaniker und anderen Spezialisten erfährt man eher wenig abgesehen von ein paar heutzutage barbarisch anmutenden Methoden, die fremdartige Tierwelt zu erforschen, und den größtenteils ziemlich chauvinistischen Umgang mit den Einheimischen vor Ort (wobei ich bei letzterem die Gegenstimmen interessant fand, ein paar für die Zeit recht aufgeklärte Denker waren wohl auch an Bord).


    Die gebundene Ausgabe enthält drei Bildteile mit Porträts und Szenen der Reise sowie einen umfangreichen Anhang mit Erläuterungen, Literaturverzeichnis und hilfreichem Nautik-Glossar.


    Alles in allem fällt mein Urteil etwas zwiespältig aus, vor allem wegen des wirklich zähen letzten Drittels.


    3ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen