2 - Im Schatten junger Mädchenblüte

Es gibt 57 Antworten in diesem Thema, welches 10.974 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von knödelchen.

  • Den ersten Teil habe ich vorhin beendet, bin also auf Seite 308. :smile:


    Wir erfahren, dass Marcel bereits im Bordell war. Das hat mich nun überrascht! Ich habe ihn bisher immer als zu schüchtern und eigentlich auch zu jung eingeschätzt.


    Außerdem hat er sich mit Gilberte überworfen, er besucht sie nicht mehr, er besucht nur noch Odette, um den Abschied sozusagen "in Maßen" vonstatten gehen zu lassen. Es war nämlichs Marcels eigene Entscheidung, die Beziehung zu Gilberte abkühlen zu lassen. Es muss irgendetwas vorgefallen sein, aber ich weiß wirklich nicht, was es war. Habe ich es überlesen? :gruebel: Ich habe schon das Proust Lexikon konsultiert, aber keinen entscheidenden Hinweis bekommen. Weißt du Näheres, Thomas? Oder hat einfach nur Marcels Erkenntnis, dass Gilberte ihn nicht liebt, ihn zu dieser Entscheidung bewegt?


    Ratlose Grüße,
    Ophelia

  • Meines Erachtens hast du nichts überlesen. Ich habe, da ich ja den ersten Teil des zweiten Bandes nicht nachgehört habe, dass auch nicht mehr im Detail in Erinnerung. Aber meines Erachtens ist es so, dass Gilberte eine Schwärmerei für ihn war. So wie man in der Schule für ein anderes Mädchen schwärmt, es aber dann doch nie anspricht. Und irgendwann wendet man sich neuen Dingen zu. Nicht weil man über dieses Mädchen hinweg ist, wahrscheinlich liebe ich gewisse Mädchen wie Marcel bis heute :zwinker:, aber das Leben geht einfach weiter.


    Gruß, Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Dann bin ich beruhigt, dass ich wohl doch nichts überlesen habe. Ich hatte auch zwischendurch den Eindruck, dass er einige Seiten an Gilberte entdeckt hat, die ihm nicht gefielen. Möglicherweise war es auch ihre scheinbare Gleichgültigkeit ihm gegenüber (ich denke an das mehrfach erwähnte Achselzucken Gilbertes, wenn Marcel zu Besuch kam und sie dann doch nicht woanders hingehen konnte). Dass er sie dann mit einem anderen Mann gesehen hat, gab ihm dann wohl den Rest.


  • Dann bin ich beruhigt, dass ich wohl doch nichts überlesen habe. Ich hatte auch zwischendurch den Eindruck, dass er einige Seiten an Gilberte entdeckt hat, die ihm nicht gefielen. Möglicherweise war es auch ihre scheinbare Gleichgültigkeit ihm gegenüber (ich denke an das mehrfach erwähnte Achselzucken Gilbertes, wenn Marcel zu Besuch kam und sie dann doch nicht woanders hingehen konnte). Dass er sie dann mit einem anderen Mann gesehen hat, gab ihm dann wohl den Rest.


    Ach ja, Marcel ist ungeheuer eifersüchtig. Das werden wir im Laufe der Recherche noch merken.


    Gruß, Thomas


  • Es muss irgendetwas vorgefallen sein, aber ich weiß wirklich nicht, was es war. Habe ich es überlesen?


    Nein, da war nichts Konkretes. Die Entfremdung tritt schleichend ein. Andere Interessen werden vorgeschützt oder sind tatsächlich wichtiger. Marcels Entschluss, Gilberte durch seine verstärkte Abwesenheit im Hause Swann wieder freudiger auf seine Besuche einzustimmen, ist letztlich kontraproduktiv. Wir dürfen nicht vergessen, dass die beiden noch halbe Jugendliche sind und sich auch schnell für andere Dinge begeistern können.



    Wir erfahren, dass Marcel bereits im Bordell war. Das hat mich nun überrascht! Ich habe ihn bisher immer als zu schüchtern und eigentlich auch zu jung eingeschätzt.


    Zu jung habe ich ihn auch eingeschätzt, aber das liegt daran, dass er von seinen Eltern noch so bemuttert und bevormundet wird. Da kommen bestimmt auch Prousts eigene Erfahrung mit seiner Mutter zum Tragen. In dieser Hinsicht kann man viele Gemeinsamkeiten zu dem Jungen im Buch entdecken. Bezüglich seiner sexuellen Erfahrungen macht er die Bemerkung, dass er "...viele Jahre zuvor mit einer meiner kleinen Kusinen zum ersten Mal die Freuden der Liebe kennengelernt hatte... (Seite 218). Da muss also noch früher etwas gewesen sein. Über Details schweigt er sich allerdings aus.


    Ich muss gestehen, dass es mich bisweilen etwas nervt, nicht zu wissen, wie alt er ist. Es ist nur schwer zu beurteilen, ob er bei bestimmten Handlungen als frühreif oder Spätentwickelter einzustufen ist.


    Gut gefallen hat mir auf den letzten Seiten seine Bekanntschaft mit dem von ihm verehrten Schriftsteller Bergotte. Während er zu Beginn noch von dessen Äußerem enttäuscht ist, entwickelt sich im Gespräch doch eine beiderseitige Sympathie, die zumindest für Marcel sehr fruchtbar sein könnte.


    Jetzt fange ich auch schon an, ihn Marcel zu nennen :smile:


  • Bezüglich seiner sexuellen Erfahrungen macht er die Bemerkung, dass er "...viele Jahre zuvor mit einer meiner kleinen Kusinen zum ersten Mal die Freuden der Liebe kennengelernt hatte... (Seite 218). Da muss also noch früher etwas gewesen sein. Über Details schweigt er sich allerdings aus.


    Stimmt, das wollte ich auch noch erwähnen, habe es aber vergessen. Zumindest scheint er kein Kind von Traurigkeit zu sein. Wie alt mag er wohl sein? Vielleicht 16,17? :gruebel:

  • Ich bin inzwischen zu CD 8 (von 14) vorgedrungen und befinde mich somit in der Mitte des zweiten Teils des zweiten Bandes. Dort findet man einer der schönsten Stellen dieses Bandes. Marcel begegnet auf einem Promenadensparziergang einer Schar junger Mädchen und später im Hotel sinniert er darüber nach wie er diese denn kennenlernen könnte, um eines der Mädchen "als Geliebte" (Zitat) zu gewinnen. Eine wunderbar lange Passage.


    Gruß, Thomas

  • Wie alt mag er wohl sein? Vielleicht 16,17? :gruebel:


    Das würde ich auch vermuten. Alt genug auf jeden Fall, dass er selbst ohne Gilberte bei Gesellschaften der Swanns dabei sein kann, ohne fehl am Platz zu erscheinen.


    Ich bin derzeit auf Seite 280, und auf den letzten Seiten fand solch eine Gesellschaft bei Madame Swann statt. Proust beweist hier ein gutes Auge für Details und seine Gabe, diese ausdrucksvoll zu beschreiben. Da strömen so viele Eindrücke auf mich ein, dass ich mit dem Kopfkino kaum nachkomme. Aber es macht Spaß!

  • Das Alter des Erzählers interessiert mich persönlich nicht sonderlich, hat mich eigentlich nie interessiert. Proust überlässt das dem Leser, also stelle dir einen 20jährigen "unerfahrenen" Mann vor. Hat man sich bei der Lektüre 1919 ein anderes Alter vorgestellt als heute? Das würde ich durchaus spannend finden.


    Gruß, Thomas


  • Das Alter des Erzählers interessiert mich persönlich nicht sonderlich, hat mich eigentlich nie interessiert.


    Das Alter interessiert mich schon, weil ich mir dann ein besseres Bild der einzelnen Figuren machen kann. Aber hier ist es schwer einzuschätzen. Einerseits hat Marcel schon Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, bewegt sich auf Gesellschaften von Familien, mit denen seine Eltern keinen Kontakt haben, andererseits wird er noch richtig bevormundet - siehe das Theater-Verbot - und lässt es sich auch gefallen. Das kann alles zwischen 13 und 18 Jahren sein. Du weißt ja selbst, dass schon wenige Jahre bei Kindern (und Jugendlichen) Welten an Erfahrung ausmachen.



    Proust überlässt das dem Leser, also stelle dir einen 20jährigen "unerfahrenen" Mann vor. Hat man sich bei der Lektüre 1919 ein anderes Alter vorgestellt als heute? Das würde ich durchaus spannend finden.


    Vielleicht nicht gerade ein anderes Alter, aber einen anderen Wissensstand. "Unerfahren" wird heute ganz anders definiert als vor guten 100 Jahren. Selbst unerfahrene Kinder haben in unserer Zeit bereits weitreichende theoretische Kenntnisse, die sie sich selbst aneignen können, ohne abwarten zu müssen, bis Papa sie auf die Seite nimmt und ihnen erklärt, wie die Welt funktioniert.


    Ein wesentlicher Faktor ist auch die Gesellschaftsschicht. Kinder aus bäuerlichen Familien haben mit 15 Jahren ganz andere Erfahrungen als Marcel in diesem Alter.


  • Das Alter interessiert mich schon, weil ich mir dann ein besseres Bild der einzelnen Figuren machen kann. Aber hier ist es schwer einzuschätzen


    Es wäre wirklich interessant zu wissen, wie alt Marcel ist. Ich hatte ihn viel jünger und gänzlich unerfahren eingeschätzt und gedacht, sein Gerangel mit Gilberte sei sein erstes erotisches Erlebnis - und dann lese ich von seinen Bordellbesuchen und seinen Erfahrungen mit seinen Cousinen. Und wie Doris schon erwähnt hat, lässt er sich von seinen Eltern Theaterbesuche und Urlaubsreisen verbieten, bewegt sich aber relativ selbstverständlich auf Odettes Empfängen.
    Er muss also schon mindestens 17 oder 18 Jahre alt sein.



    Außerdem hat er sich mit Gilberte überworfen, er besucht sie nicht mehr, er besucht nur noch Odette, um den Abschied sozusagen "in Maßen" vonstatten gehen zu lassen. Es war nämlichs Marcels eigene Entscheidung, die Beziehung zu Gilberte abkühlen zu lassen. Es muss irgendetwas vorgefallen sein


    Ich hätte seinen Entschluß, Gilberte nicht mehr zu sehen und so zu tun, als läge ihm nichts mehr an ihr, als Versuch interpretiert, durch eben seine Abwesenheit ihr Interesse an ihm wieder zu wecken. Man kann ja auch heutzutage in allen möglichen Ratgebern und (Frauen)zeitschriften :zwinker: lesen, dass es einer eingeschlafenen Liebe neues Feuer geben sollte, wenn man sich auch mal rar macht und nicht immer zur Verfügung steht. In Marcels Fall scheint dies nur leider nicht den gewünschten Erfolg zu haben...

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

  • Guten Abend, liebe Mitleser! :winken:



    Das Klopfen von Marcel gegen die Wand gehört zu den ganz großen Szenen der Recherche.


    Auch nicht schlecht:
    - Das Milchmädchen am Bahnhof
    - Die "Aquariumsszene"


    Das Klopfen und das Milchmädchen habe ich mitterweile hinter mir. Gerade die Klopfszene zeigt einmal mehr Marcels Kindlichkeit und Verspieltheit. Eigentlich sollte er aus dem Alter schon längst heraus sein, so an seiner Großmutter zu hängen (immerhin hat er sich schon in Bordellen herumgetrieben^^), ich finde diese Seite an ihm aber dennoch angenehm und kann mich oft darin wiederfinden. Erwachsen werden wir doch noch schnell genug, und Marcel verzögert diesen Moment, in dem man in die "unbarmherzige" Erwachsenenwelt gestoßen wird, durch seine kindlichen Spielereien.


    Dank Kranksein und Betthüten habe ich heute ein gutes Stück geschafft und bin auf Seite 600 angelangt.


    Marcel reist mit seiner Großmutter und Francoise nach Balbec an die Küste, um sich zu erholen. Mir gefällt dieser Teil des Buches bisher am besten. Die Schilderungen der Landschaft und der Begebenheiten in Hotel und Umgebung finde ich sehr erfrischend und amüsant. Marcel lernt dort Robert Saint-Loup kennen und freundet sich mit ihm an. Ein verzärtelter, aber sympathischer junger Mann.


    Der Erzähler bzw. Proust besitzt eine unheimlich gute Beobachtungsgabe. Die Art, wie er anhand von Gesten, Mimiken und Handlungen den Charakter eines Menschen plastisch und authentisch darstellt und analysiert, fasziniert mich immer wieder.


    Eine der großen Szenen in diesem Buch ist für mich der Augenblick, in dem Marcel fünf (?) junge Mädchen in Balbec spazieren gehen sieht und sie miteinander reden hört. Sehr schön. :smile:

  • Eine der großen Szenen in diesem Buch ist für mich der Augenblick, in dem Marcel fünf (?) junge Mädchen in Balbec spazieren gehen sieht und sie miteinander reden hört. Sehr schön. :smile:


    Die Schar junger Mädchen ist wohl die wichtigste Szene im Buch. Mehr als 1 CD wird immer wieder über diese erste Begegnung sinniert. Sie gehört auch zu den schönsten Szenen der gesamten Recherche.


    Gruß, Thomas


  • Dank Kranksein und Betthüten habe ich heute ein gutes Stück geschafft und bin auf Seite 600 angelangt.


    Das hatte ich schon befürchtet, als ich von deiner Krankmeldung las :zwinker:. Ich bin am Wochenende leider kaum zum Lesen gekommen, schon gar nicht zu Proust, weil bei uns familiäre Unternehmungen im Mittelpunkt standen. Da habe ich keine Ruhe für anspruchsvolle Lektüre. Derzeit bin ich auf Seite 342. Schön, dass ihr auf die Schlüsselszenen hinweist, dann weiß ich gleich, wann etwas Bedeutsames geschieht.


    Im Lauf der Woche werde ich hoffentlich wieder ausführlicher.


    Gute Besserung noch, Ophelia!


  • Schön, dass ihr auf die Schlüsselszenen hinweist, dann weiß ich gleich, wann etwas Bedeutsames geschieht.


    Ach, Schlüsselszenen sind das nicht alles. Das sind einfach Szenen, die unglaublich gut geschrieben sind, das merkst du auch ohne Hinweis.


    Gruß, Thomas


  • Gute Besserung noch, Ophelia!


    Danke! :smile:



    Keine Bange, die Szenen kann man nicht überlesen. Ab und an habe ich bei Proust Phasen, wo ich zwar lese, aber mir dennoch gar nicht merke, um was es gerade geht, weil es vielleicht langweilig ist. Ich muss zugeben, ab und an langweilt mich Prousts Abschweifen. Aber es gelingt ihm immer wieder, mich zurückzuholen, eben durch besagte Szenen. Die stechen richtig hervor.

  • Na, wenn einer Szene eine ganze CD gegönnt wird, ist das für mich eine Schlüsselszene. Es muss ja nicht immer auf ernsthafte Weise bedeutsam sein, sondern kann auch einfach nur sehr schön und dadurch von Bedeutung sein.


    Mit dem gelegentlichen übermäßigen Abschweifen kämpfe ich auch, aber dann lege ich einfach eine Lesepause ein, danach ist es um Aufmerksamkeit und Geduld wieder besser bestellt.

  • Mit dem gelegentlichen übermäßigen Abschweifen kämpfe ich auch, aber dann lege ich einfach eine Lesepause ein, danach ist es um Aufmerksamkeit und Geduld wieder besser bestellt.


    Geben wir es hier zu: Proust kann auch ziemlich langweilig sein. Aber bei ihm kann man das aushalten. Wenn man erst einmal alle 4000 Seiten gelesen hat, dann gehören diese Passagen ebenso dazu und es sind diejenigen, die man beim zweiten, dritten Hören (ich habe einige Teile schon mehrfach gehört) zu ergründen versucht. Nicht immer erfolgreich. Manche bleiben langweilig.

  • Ich habe gerade eine kleine Szene gehört, in der Marcel sich mit dem Maler Elstir trifft und ihm über seinen enttäuschenden Besuch der Kirche von Balbec erzählt. So wie er im Theater enttäuscht war, ist er hier nun wieder enttäuscht. Elstir kann dies gar nicht verstehen, in einem ergreifenden Monolog zeigt er ihm die Schönheit dieser Kirche auf und erläutert, dass selbst italienische Meister sie als Vorbild verwendet haben.


    Kunst kann also nicht immer oberflächlich verstanden werden. Man braucht Hintergründe, muss sich auch die Details ansehen. Dann kann sich Geschmack herausbilden.


    Gruß, Thomas

  • Die Szene mit den jungen Mädchen entwickelt sich zum Ende hin als doch gar nicht mal so unwichtig. Ich verrate hier aber nichts, denn ich habe das Buch gestern beendet. :smile: