Anna Seghers - Das Siebte Kreuz

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 17.938 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von hilde.

  • Ich habe unter der Suche sehr häufig den Titel gefunden, aber keinen eigenen Thread, offenbar liegt das Buch auf mehreren Stapeln ungelesen rum. Ich bin erst im zweiten Kapitel, möchte aber trotzdem meine Eindrücke schon hier hinterlassen, vieleicht fühlt sich ja jemand angesprochen auch zur Lektüre zu greifen :winken:


    Kapitel 1:
    Ein Rückblick auf die bevorstehende Geschichte leitet das Buch ein, ohne dass man als Leser schon viel davon verstehen würde.


    Aus dem KZ Westhofen fliehen 7 Häftlinge. Einer davon ist Georg Heisler, den man auf der Flucht begleitet. Trotz der sofort eingeleiteten großen Suchaktion gelingt es ihm, sich ins Nachbardorf zu retten und sich zu verstecken. Nach dem Diebstahl von einer Jacke (in der er auch noch Geld findet) und Schuhen, kann er dank einer Mitfahrgelegenheit Richtung Mainz kommen. Sein eigentliches Ziel ist aber seine Geliebte in Frankfurt.


    Dazwischen denkt er an seine Vergangenheit zurück, zu der auch Franz Marnet gehört. Diesem begegnet der Leser ebenfalls. Das Verhältnis der beiden Bekannten wurde nachhaltig gestört, als Georg Franz seine Freundin Elli ausspannte und diese schwängerte. Die Ehe war jedoch nicht wirklich von Bestand.


    Eindruck:
    Dass diese beiden Handlungsstränge sich bald verknüpfen werden, ist offensichtlich. Der Einstieg in das Buch war etwas schwerfällig, aber so nach 15-20 Seiten fand ich es eigentlich sehr ansprechend geschrieben und auch interessant.
    Die Tatsache, dass mir die Örtlichkeiten bekannt sind, war mit ein Grund nach Jahren dann doch endlich mal zu Anna Seghers zu greifen und sind für mich auch so ein wenig das Salz in der Suppe.
    Ich bin gespannt, ob das hochgelobte Werk halten kann, was man von ihm erwartet.


  • Ich bin gespannt, ob das hochgelobte Werk halten kann, was man von ihm erwartet.


    Das denke ich schon. Ich kenne niemanden, den dieses Buch kaltlässt. Es geht um Menschlichkeit und Zivilcourage in einer Zeit, als es kaum möglich war, diese Werte zu leben.
    Anna Seghers wird ja bekanntermaßen dem sozialistischen Realismus zugeordnet und war Vorsitzende der Schriftsteller-Vereinigung in der DDR. "Das siebte Kreuz" entstand aber zu einer Zeit, als Anna Seghers noch nicht durch den Sozialismus vereinnahmt war und hat aus meiner Sicht wenig mit sozialistischem Realismus zu tun. Für mich ein großartiges Stück deutsche Literatur.


    LG
    hilde

    Ich bin ein trockener Workaholic. (Vince Ebert)

  • Sozialistische Gesinnung kann ich derzeit noch nicht erkennen. Aber ich bin auch noch am Anfang.


    2. Kapitel:
    Georg gelingt es nach einer Nacht im Mainzer Dom bei einem Arzt seine Wunden behandeln zu lassen, bevor er sich auf den Weg rheinabwärts macht. Durch einen Tausch kommt er zu neuen Kleider, das Gefühl von Angst und die Furcht vor dem Erkanntwerden lähmen ihn jedoch fast.
    Parallel dazu versucht Franz seine alte Liebe Elli wiederzufinden, was ihm auch gelingt. Er ahnt jedoch nicht, dass deren Vater bereits vorgeladen und befragt wurde und sie unter Beobachtung steht.


    Eindruck:
    Die Personen werden klarer, ihre Ängste und Sorgen treten deutlicher hervor. Dass die Handlung in schweren Zeiten spielt, in denen einerseits keiner seinem Nachbarn/Kollegen/Bekannten trauen kann, andererseits aber verlässliche Hilfe wichtiger denn je ist, rückt immer mehr ins Zentrum.

  • Kapitel 3:
    Georg schafft es bis Frankfurt unentdeckt. Seine Geliebte Leni will ihn nicht mehr kennen, er steht nun vor der Frage, wer ihm noch helfen kann. Bei Elli wird fälschlicherweise Kübler für Georg gehalten, verhaltet, verprügelt und nach Westhofen gebracht. Der Druck bei SA und Polizei steigt, die Flüchtigen sollen binnen Wochenfrist gefangen und an Bäumen quasi kreuzartig aufgehängt werden.


    Eindruck:
    Der individuelle Druck im represssiven System wird immer deutlicher. Verrat um sich selbst zu schützen, schwere Gewissensfragen plagen die Personen. Wenige mutige widersetzen sich dem System und fühlen sich quasi tot - einerseits befreiend, andererseits menschenverachtend.

  • Das war eine der Schullektüren, die mich wirklich beeindruckt hat. Eigentlich sollte ich das mal wieder lesen - danke fürs Erinnern, miss.mesmerized. Bin gespannt auf Deine weiteren Eindrücke.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Kapitel 4 und 5:
    Georg trifft auf der Flucht auf einen weiteren Flüchtling, der ihn überreden möchte, sich auch zu stellen. Nach vielen Misserfolgen kommt Georg bei Paul unter, der zunächst nichts von seiner Flucht weiß, sich dann aber als guter Freund erweist und ihn versteckt. Am Ende stellt sich die Situation in Westhofen klar: an den Kreuzen sind 4 Flüchtlinge aufgehängt, zwei sind tot, nur Georg ist noch nicht gefasst, das siebte Kreuz ist noch frei - noch drei Tage bis die Wochenfrist verstrichen ist.


    Im früheren Umfeld der Flüchtlinge stellen sich alle die Frage, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Wer würde helfen, wer hat etwas zu fürchten, kann das Gewissen einen Verrat oder unterlassene Hilfe verkraften?


    Mein Eindruck:
    Ich denke die Hauptthematik des Buches ist inzwischen eindringlich klar: ist man sich selbst am nächsten, wenn es um Leben und Tod geht? Wie opferbereit ist man, um Freunden zu helfen - wie stark sind die Familienbande? Glücklicherweise muss sich bei uns niemand diese Frage stellen, wenn man die Nachrichten bspw. aus Syrien jedoch verfolgt, ist die Thematik auch 70 Jahre nach der Veröffentlichung des Romans tagesaktuell wie eh und je.


    Valentine:
    Das Buch wird wohl heute wirklich in vielen Schulen gelesen. Ich glaub zu meiner Zeit waren viele Lehrer etwas müde, was die Thematik Nationalsozialismus angeht, entsprechend habe ich keine Werke mit diesem Bezug lesen müssen.

  • Kapitel 6 und 7:
    Die letzten beiden Kapitel sind bestimmt von Georgs Flucht und seinen Helfern. Funktionieren alte Verbindungen noch und lassen sie sich reaktivieren? Wird die Flucht trotz Großaufgebot von SS,SA und Polizei gelingen? Sollte es möglich sein im System eine Lücke zu finden und zu entwischen?


    Mein Eindruck:
    Das Buch wurde immer fesselnder. Die geschickt miteinander verwobenen Handlungsstränge, von denen nie ganz klar war, wie sie weitergehen und ob sie Georg zum Verhängnis werden könnten, bauten nebenbei eine gehörige Spannung auf. Einerseits also eine recht unterhaltsame Geschichte einer Flucht, bei der man mit dem Protagonisten zittert und hofft. Andererseits die intensive Darstellung der Gewissensfragen der Personen, die lebensentscheidenden Wende- und Bekenntnispunkte lassen den Roman intensiv nachwirken.


    Dass Anna Seghers in der DDR verherrlicht wurde lässt sich für mich nur durch das Milieu und den hohen Realismusgrad des Werks erklären. Die Möglichkeit der Unterwanderung eines restriktiven Systems spricht eigentlich eher gegen die Rezeption in sozialistich-kommunistischen Ländern.


  • Dass Anna Seghers in der DDR verherrlicht wurde lässt sich für mich nur durch das Milieu und den hohen Realismusgrad des Werks erklären. Die Möglichkeit der Unterwanderung eines restriktiven Systems spricht eigentlich eher gegen die Rezeption in sozialistich-kommunistischen Ländern.


    Die Auseinandersetzung und die Abgrenzung vom Nationalsozialismus war zur Zeit der Staatsgründung in der DDR ein wichtiges Thema. Gerade Kommunisten wurden unter dem NS-Regime verfolgt. Die Arbeiterbewegung spielt in anderen Werken von Anna Seghers eine zentralere Rolle als im Siebten Kreuz, ein Vergleich lohnt sich zum Beispiel mit "Die Toten bleiben jung".

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