Adam Hochschild - Schatten über dem Kongo

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    Untertitel: "Die Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen"


    Ich lese die schwedische Übersetzung unter dem Titel "Kung Leopolds vålnad" (=König Leopolds Geist).


    Klappentext:
    Geiselnahme, Vergewaltigung, Mißhandlung und Mord waren die Instrumente, die Leopolds Statthalter einsetzten, um den kongolesischen Ureinwohnern die geforderten Quoten an Kautschuk und Elfenbein abzupressen. Wer Widerstand leistete, wurde umgebracht oder verstümmelt. Als die Kampagnen der Menschenrechtsbewegung um Edmund Morel den König 1908 zur Aufgabe seiner Kolonie gezwungen hatten, war die Bevölkerungszahl des Kongo um etwa zehn Millionen Menschen gesunken. Adam Hochschild geht den Spuren dieser Schreckensherrschaft nach. Er erzählt von den Abenteurern, die das riesige und nahezu undurchdringliche Gebiet um den Kongo-Strom erforschten, von politischen Ränkespielen und von der Entschlossenheit, mit der Männer wie Morel ohne Rücksicht auf ihre berufliche Karriere und allen Repressalien zum Trotz den Kampf gegen Leopolds Terrorsystem aufnahmen.



    Ich muss gestehen, bis vor 12 Jahren, als dieses Buch im schwedischen Följetong ausgiebig besprochen wurde, hatte ich noch nie von der Existenz einer belgischen Kolonie im Kongo gehört, geschweige denn davon, dass diese sich im Privatbesitz des belgischen Königs befand und dieser das Land unter dem Mäntelchen der Philantrophie noch brutaler ausbeutete als das in anderen Kolonien geschah.


    Aber damit befinde ich mich in guter Gesellschaft. Der Autor Hochschild, ein an afrikanischer Geschichte interessierter Journalist, der den Kongo auch schon bereist hatte, beschreibt im Vorwort, wie er zufällig durch eine Fußnote in einem Buch von Mark Twain von den belgischen Gräueltaten und den Millionen Opfern sowie der internationalen Kampagne zur Beendigung derselben erfuhr. Gerade mal 100 Jahre her und total in Vergessenheit geraten! Er begann also, dieser Geschichte nachzuforschen und das Ergebnis ist das vorliegende Buch.


    Abgesehen von dem Kartendebakel in der schwedischen Ausgabe gefällt mir das Buch bisher gut. Es beginnt mit einem kurzen Überblick über die portugiesische Entdeckung der Mündung des Kongoflusses und der Geschichte des Königreiches Kongo, das sehr schnell zu einem Zentrum des Sklavenhandels wird.


    Dann werden zwei zentrale Figuren für die Entsteheung des Freistaates Kongo, wie die Kolonie genannt wurde, vorgestellt. Zum einen ist das König Leopold II, dem sein Minikönigreich zu klein ist, und der schon als Kronprinz auf der Suche nach einer Kolonie ist. Aber Asien, die Karibik und Südamerika sind schon "vergeben". Erst als es Stanley gelingt, Afrika von Ost nach West zu durchqueren und dabei das Kongobecken entdeckt, findet Leopold eine passende Gegend, die durch das riesige Flusssystem ein geeignetes Verkehrsnetz aufweist, das für leichten Transport des vermutet reichhaltigen "Ertrages" sorgt, und für die zudem niemand anders Interesse anmeldet.


    Die zweite wichtige Gestalt ist Henry Morton Stanley - der von "Mr. Livingstone, I presume" - unehelich geborener Waliser, der als angeblicher Amerikaner ein abenteuerliches Leben als Entdecker führt und sich dabei sehr geschickt vermarktet. Nach seiner Afrikadurchquerung nimmt Leopold Kontakt zu ihm auf und beauftragt ihn - an dieser Stelle befinde ich mich gerade -, eine Straße entlang des nicht befahrbaren Unterlaufs des Kongo zu erstellen und weiter flussauf Stützpunkte am Fluss zu errichten.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hochinteressant, wie es König Leopold gelingt, unter dem Mäntelchen der Philantropie und mit jeder Menge falscher Versprechungen Sand in die Augen der anderen europäischen und us-amerikanischen Herrscher sowie des belgischen Parlamentes zu streuen und sich so nahezu unbemerkt ein riesiges Gebiet Zentralafrikas unter den Nagel zu reißen. Dass er dabei nicht nur seine Mitbewerber um Kolonien in Afrika sondern auch und vor allem die Afrikaner selbst betrügt, versteht sich von selbst. Dorfhäuptlingen und Königen werden für sie völlig unverständliche Dokumente vorgelegt, in denen sie mit einem Kreuzchen nicht nur ihr Land sondern auch ihre Arbeitskraft und die aller kommenden Generationen für einen Apfel und ein Ei (bzw. für ein paar Stoffstücke) verkaufen. Noch dazu verpflichten sie sich, nur mit der Belgischen Handelsgesellschaft König Leopolds selbst Handel zu treiben. Dieser Passus in den Verträgen wurde den Europäern und Amerikanern vorenthalten, als ihnen ein Vertrag als Beispiel vorgelegt wurde. Statt dessen versprach Leopold, aus dem Kongo eine Freihandelszone zu machen, in der jeder unbesteuert Handel treiben konnte. Das gefiel den anderen Kolonialmächten natürlich und sie gaben ihr Einverständnis dazu, dass der Kongo Leopolds Privatbesitz wurde.


    In Wirklichkeit sah alles natürlich anders aus. Leopold, der viel Geld in die Erschließung des Kongos investiert hatte, versuchte, aus ihm herauszuquetschen, was nur möglich war. Dabei war die "Force publique", im Prinzip seine Privatarmee, sehr behilflich. Mit überlegener Waffengewalt und geschickter Ausnutzung der alten Rivalitäten der vielen verschiedenen Völker des Kongogebietes gelang es der Armee, die immer wieder ausbrechenden Revolten zu zerschlagen.


    Die Einheimischen wurden ohne oder geringste Bezahlung zu Fronarbeiten herangezogen, vor allem wurden sie bei völlig unzureichender Ernährung als Lastenträger missbraucht, Frauen wurden (natürlich) zu sexuellen Diensten gezwungen, der sogenannte "Handel" war ein Witz - sie konnten froh sein, wenn sie überhaupt etwas für ihre Waren - vor allem Elfenbein war sehr begehrt - bekamen. Jeder Widerstand wurde brutal bestraft, Auspeitschungen mit der "chicotte", einer Peitsche aus Nilpferdhaut, waren an der Tagesordnung, für geringste "Vergehen" wurden den "Übeltätern" Hals- oder Fußeisen angelegt.


    Dies alles wurde völlig offen betrieben. Besucher des Kongo, die es durchaus gab bemerkten es durchaus, waren teilweise auch entsetzt, hielten es aber trotzdem für normal und notwendig. Eine Ausnahme bildete George Washington Williams, ein Schwarzamerikaner, der als Erster auch die Einheimischen selbst über ihre Erlebnisse mit der Kolonialmacht befragte und nach seinem Aufenthalt einen entsetzten offenen Brief an Leopold schickte, in dem er die Gräueltaten beschrieb. Dieser Brief erregte zwar Aufsehen, aber nach dem Tod Williams' kurz darauf geriet er wieder in Vergessenheit.


    In meinem aktuellen Kapitel lässt Hochschild weitere Stimmen zu Wort kommen. Da sind einmal die Kolonialbeamten und Armeeoffiziere selbst, die in Briefen und Tagebüchern beschreiben, wie entsetzt sie anfangs über die Behandlung waren, der sie die Einheimischen unterziehen "mussten", und wie schnell sie sich daran gewöhnten. Da half es unter anderem auch, dass sie Afrikaner nicht als vollwertige Menschen angesehen wurden, die nur ein kleines bisschen über den Tieren standen. Ebenso ist es einfacher eine Auspeitschung nur zu befehlen als sie selbst auszuführen.


    Immer wieder kommt Hochschild auf die Quellenlage zu sprechen. Leider fehlen die afrikanischen Stimmen, es gibt keine Eindrücke von ihnen aus erster Hand. "Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben" gilt umso mehr, wenn die Verlierer keine Schriftsprache besitzen. So ist Hochschild auf die Aufzeichnungen anderer angewiesen; außer den Kolonialangestellten selbst und den Kongoreisenden existiert noch eine dritte Zeugengruppe, nämlich die Missionare. Gerade las ich einen Bericht eines schwedischen Missionars, der den Aufstand eines afrikanischen Volkes, bei dem ein besonders berüchtigter Staatsbeamter getötet wurde, verteidigte. "Wie man in den wald hineinruft, so schallt es heraus", war seine Ansicht. So schlecht, wie die Rommel die Afrikaner behandelte, sei es nur zu verständlich, dass sie sich wehrten, meinte der Missionar und führte noch einige Beispiele der Missetaten Rommels auf.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hatte ich schon erwähnt, dass Leopold sich streng gegen die afrikanisch-arabischen Sklavenhändler an der afrikanischen Ostküste ausspricht und aktiv gegen die Sklaverei vorgeht? Drum begegnet man in "seinem" Kongo auch nur in Ketten gelegten Freiwilligen! (So die offiziell angewandte Benennung.)
    Dass er einen der berüchtigsten Sklavenhändler (Tippu Tip) zum Gouverneur über eine der Kongoprovinzen macht, passt gut ins Bild.

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()