Hans-Georg Noack - Rolltreppe abwärts

Es gibt 27 Antworten in diesem Thema, welches 10.816 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Valentine: Krass fand ich ja, wie in unserer 7. Klasse die Lehrerin zuerst den Anfang aus "Hau ab du Flasche" von Ann Ladiges vorgelesen hat und sagte, "wer möchte, kann sich dieses spannede Buch bei mir abholen". Das Thema, das darin behandelt wird, ist Alkoholismus bei Jugendlichen, mal wieder mit erhobenen Zeigefinger, aber dafür die Symptomatik korrekt beschrieben. Das ist ja auch ein ernstes Thema. Mecklneburg-Vorpoimmern hat die höchste Rate an Alkoholtoten im Bundesdurchschnitt. Soweit ich weiß, hat sich niemand das Buch abgeholt, als die Lehrerin daraus vorgelesen hat.
    Drei Jahre später in der 10. Klasse lasen wir das Buch vollständig, aber nur, um danach eine Rezension zu verfassen. Kein Anschneiden des Themas, keine Aufklärung über Alkoholismus im Unterricht, dafür aber das Schreiben einer Rezension. Ganz toll, wirklich. :rollen: :rollen:

  • @Lykanthrophin
    Diesen "Klassiker" durfte ich auch lesen.... Mir ging es zum Teil ähnlich wie Weratundrina. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon ganz andere Lesevorlieben, das hat meinen Eindruck bestimmt noch verstärkt.


  • Valentine: Krass fand ich ja, wie in unserer 7. Klasse die Lehrerin zuerst den Anfang aus "Hau ab du Flasche" von Ann Ladiges vorgelesen hat und sagte, "wer möchte, kann sich dieses spannede Buch bei mir abholen".
    (...)
    Drei Jahre später in der 10. Klasse lasen wir das Buch vollständig, aber nur, um danach eine Rezension zu verfassen. Kein Anschneiden des Themas, keine Aufklärung über Alkoholismus im Unterricht, dafür aber das Schreiben einer Rezension. Ganz toll, wirklich. :rollen: :rollen:


    In meiner Schulzeit war es umgekehrt. Mit ca. 13 Jahren fing fast die ganze Klasse an zu rauchen, eine Klassenkameradin trainierte sich das regelrecht trotz Übelkeit etc. 14 Tage lang nach der Schule an. Das gleiche mit Alkohol (teils direkt nach der Schule, auf Partys wohl in rauen Mengen; ich war nicht dabei, aber es gab wohl schon Filmrisse etc.).
    Dann kam eine Klassenfahrt, auf der es die Raucher nicht ohne Zigarette aushielten, also erlaubte es die Lehrerin, die selbst Raucherin war.


    Danach bekamen wir massiv Unterricht gegen das Rauchen und Trinken, Drogenberatung, Schockfilme, Thematisierung im Bio- und Deutschunterricht. Und was passierte?
    Das Mädl, das sich das Rauchen antrainiert hatte, lief danach mit dem Spruch rum "nur die Besten sterben jung" und irgendetwas Richtung "Lungenkrebs, willkommen".
    Es brachte rein gar nichts (außer mir, mich schockierte die ganze Sache, besonders die Berichte von Filmrissen, so, dass ich bis heute nicht rauche und es maximal auf eine Flasche Sekt im Jahr bringe :zwinker: ).
    In der 9. Klasse war es dann so schlimm, dass mindestens eine Klassenkameradin ihre Minischnapsflaschen mitbringen und spätestens in der zweiten großen Pause leeren "musste". Da war es dann schon nicht mehr cool, nur noch Sucht.


    Also wie man's macht, macht man's falsch. Verbote reizen. Laissez-faire macht aus dem Verbotenen Alltag. Prävention kam zu spät oder führte zu trotzigem "Jetzt-erst-recht"-Rauchen und Trinken. Einige probierten dann auch noch andere Substanzen, teils direkt im Unterricht, wohl ohne dass Lehrer es merkten oder merken wollten.


    Wer mit so einem Verhalten entweder dazugehören oder seine Eltern provozieren will oder sich von anderen Schülern abgrenzen möchte, den erreicht mMn nicht wirklicht etwas. Meine Eltern rauchten und tranken regelmäßig Alkohol. Schon früh wurde das thematisiert und immer wurde gesagt, wir dürften das auch, unter der Bedingung, dass wir es offen zuerst zu Hause ausprobierten. Als Kind (so ab 8-10) gab es immer mal wieder das Angebot, auch einen Schluck Bier oder Sekt zu probieren, wenn die Eltern abends mal ein Glas tranken, und uns schmeckte das nicht.
    Meine Eltern hörten dann auf zu rauchen, nachdem mein Bruder die Raucherprävention in seiner Schule serviert bekommen hatte und ihnen lange Vorträge über ihre Gesundheit hielt (O-Ton: Mama, ich habe Angst um Dein Leben!).


    Als er 18 war, sah ich ihn wohl mal auf einem Fest in der Stadt mit einer Bierdose in der Hand und das hat mich wohl so stark schockiert, dass meine Mutter heute immer noch erzählt, wie ich ihr aufgelöst davon erzählte. Weil in meiner Klasse dieses frühe Trinken und Rauchen, mit allen Schockgeschichten der Mitschüler, mich extrem abgeschreckt bzw. schockiert hatte. Insbesondere dann auch die frühe Abhängigkeit. In der Oberstufe war bspw. ein Junge, der Angst hatte, eine Klausur nicht zu schaffen, weil er es nicht 4 Stunden ohne Zigarette schaffen würde. Und tatsächlich beende er die Klausur als erster und stürzte zum Rauchen raus.


    Heute denke ich, dass meine Eltern es richtig gemacht haben, es gab kein Tabu, das zum Widerspruch reizte und es wurde kein Geheimnis aus Alkohol oder Zigaretten gemacht. Das führte auch zu großer Gelassenheit gegenüber dem, was für andere verbotene Verführung war.


    Bei mir kam noch hinzu, dass ich später im weiteren Familienumkreis eine echte Alkoholikerin hatte, die im fortgeschrittenen Alter pro Tag mehrere Flaschen leerte (Wein, Bier, Schnaps, Whiskey, Cognac - alles durcheinander) und mir mal ihren Tagesablauf - an einem Montag - schilderte, der durch Flaschen strukturiert wurde. Es begann mit einer Flasche Sekt zum Aufstehen und endete mit einer Falsche Wein für die Bettschwere und einer Flasche Wein zum Einschlafen und dazwischen kamen noch ein paar andere Getränke - jeweils falschenweise. Sie erzählte das so, wie andere ihren normalen Tagesablauf beschreiben würden. Einmal kam ich in ihre Küche und die gesamte Arbeitsfläche stand voll von verschiedenen Alkoholika (s.o.).


    So etwas schreckt dann schon sehr stark ab. Die Frau hatte auch Aussetzer, riss mal im Suff die Gardine runter, lief mit einem Hammer herum und haute eine Beule in die Tür, hinter der sich ihr Ehemann verschanzt hatte, wusste aber am Folgetage nichts mehr davon. Ich dachte anfangs, das sei eine Übertreibung des Ehemanns gewesen, der uns das erzählte, aber dann sah ich mal die Beule in der Tür. Er sagte auch, dass sie abends schreiend durch die Wohnung gelaufen sei, die Gardinen runtergerissen hatte, die Gardinen morgens wieder hingen und sie sich angeblich an nichts erinnern konnte. Einmal fiel sie abends um und wir mussten sie ins Schlafzimmer bekommen - sie wog über 100 kg. Der Ehemann trank auch, aber bei weitem nicht so exzessiv wie sie. Er kam uns aber auch mal mittags so stark torkelnd entgegen, dass unsere Eltern uns ins Café in die Stadt schickten, weil sie erst mal die Lage sondieren wollten (es bestand die Gefahr, dass er sich etwas brechen könnte, weil er fast über seine Teppiche gestolpert wäre und die Frage stand im Raum, ob man ihn gegen seinen Willen ins Krankenhaus fahren müsse). Bei ihm waren es aber wohl "nur" ca. 3 bis 4 Flaschen Bier am Tag.


    So etwas prägt wie gesagt viel intensiver als es irgendein Lehrervortrag könnte. Saufpartys, die meine Klassenkameraden so faszinierten, konnten mich danach nicht mehr locken. :rollen:



    LG von
    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.

  • Mein 13 Jähriger hatte in der "Suchtpräventionswoche" eine Entzugsklinik besucht. Es hat die Klasse null beeindruckt. Die Raucher rauchen immer noch. Getrunken und bekifft wird wohl auch. Er macht da gar nicht mit.
    Im Endeffekt ist es alles eine Typsache. Ich glaube weder Eltern noch Lehrer haben da wirklich Einfluss drauf. Den hat nur die Peergroup. Da muss man einfach Glück haben welcher sich das Kind dann anschließt.

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Seh ich auch so. Vor allem dann in der Teenager Zeit sucht man sich die Vorbilder dann schon selbst. Ich hatte z.B nie Freunde die groß geraucht hätten oder sonstige Drogen zu sich genommen haben. Ich denke schon das mich das stark beeinflusst hat. Wobei ich vermute das auch die Abgrenzung zu meinen Geschwistern ein Punkt war. Die haben es beide ziemlich krachen lassen.
    Und gerade solche Bücher, die einem dann noch vom Lehrer vorgesetzt werden, das nehmen die meisten doch eh nicht für voll. Im Unterricht wird dann vielleicht noch das geplappert, was der Lehrer hören möchte (wenns gut läuft) oder gleich klar gemacht, was für ein Schwachsinn das doch ist.

  • @Holden: Doch, "Hau ab du Flasche" fand ein Mitschüler sehr spanned, im Gegensatz im Hesse, Schiller und Co., welches wir auch noch im Unterricht behandelt hatten. Es scheint teilweise also doch zu wirken.


    @Peergroup: Ich war mit Leuten zusammen, die weder geraucht noch viel getrunken hatten, außer vielleicht mal am Wochenende. Es kommt also auch darauf an, wen man sich sucht.

  • Wen man sucht, wer einen findet.
    Wie man in eine Peergroup gerät mag unterschiedlich sein, aber Tatsache ist, dass die am meisten prägt.

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Meine Meinung

    Der Zeigefinger ist bei "Rolltreppe abwärts" schon sehr hoch gehoben. Der Autor zeigt immer wieder Möglichkeiten, wo es für Jochen hätte anders laufen können, wenn die Umstände besser gewesen wären.


    Deshalb habe ich den Eindruck gewonnen, dass Jochen gar nicht anders konnte. Er wurde von allen, die ihm hätten helfen können, im Stich gelassen und rutschte in ein System ab, aus dem es kein Entkommen gab.


    Diese Schwarz-Weiß-Malerei hat mich dieses Mal gestört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei so einer Schullektüre viel Stoff für Diskussionen geben kann.

    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.