Connie Willis - Blackout

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 1.630 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Eins vorweg: mit der Einordnung unter "Science fiction" bin ich nicht so recht glücklich. Connie Willis schreibt natürlich eine Art SF, aber das, was ich an ihren Büchern so liebe (und der Grund, warum ich sie auch der SF eher abgeneigten Lesern allerwärmstens ans Herz legen möchte), hat mit SF so gar nichts zu tun. Allerdings läuft "Doomsday Book", was ja eine ähnliche Ausgangssituation hat wie "Blackout", hier auch unter SF, also habe ich es schweren Herzens dort einsortiert.


    Oxford, 2060. James Dunworthy, den Willis-Leser schon aus "Doomsday Book" kennen, leitet immer noch die Abteilung Zeitreisen an der historischen Fakultät, die Historiker zu Forschungszwecken unter streng kontrollierten Bedingungen in die Vergangenheit schickt. Allerdings gibt es dort zur Zeit ziemlichen Ärger, weil kurzfristig die Zeitreisepläne diverser Forscher über den Haufen geschmissen wurden und somit sämtliche akribischen Vorbereitungen für den Trip in die Vergangenheit für die Katz' waren. Auch Michael Davies und sein Projekt "Helden in Aktion beobachten" hat es erwischt. Statt als amerikanischer Reporter getarnt den Angriff auf Pearl Harbor mitzuerleben, schickt man ihn Knall auf Fall nach Dover, um die Evakuierung englischer Truppen aus Dünkirchen aus sicherer Entfernung zu sehen.


    Bei Polly Churchill geht zunächst alles seinen normalen Gang, sie reist planmäßig ins London des "Blitzkriegs", sucht sich Arbeit in einem Kaufhaus und meidet brav die Orte, die von deutschen Bomben zerstört wurden, wie ihr der stets vorsichtige Dunworthy aufgetragen hat.


    Merope Ward ist bereits in der Vergangenheit unterwegs und betreut, ebenfalls im Jahre 1940, unter dem Namen Eileen O'Reilly in einem englischen Landhaus eine wilde Horde aus London evakuierter Kinder, die ihr das Leben nicht immer leicht machen. Besonders die grässlichen Hodbins, ein auf üble Weise einfallsreiches Geschwisterpaar, lassen sie sehnsüchtig auf das Ende dieses Einsatzes warten. Und sie hofft, dass Dunworthy sie nach ihrer Rückkehr doch endlich den heißersehnten Abstecher zum Tag des Kriegsendes in London machen lassen wird, auf den sie so scharf ist.


    Doch es gibt unvorhergesehene Komplikationen, und bald müssen alle drei feststellen, dass es womöglich nicht so einfach sein wird wie geplant, in die Gegenwart zurückzukehren ...


    Connie Willis versteht es wie kein anderer Autor, dem doch recht ausgelutschten Thema Zeitreisen immer wieder Neues abzugewinnen. Diesmal entführt sie ihre drei sympathischen Hauptfiguren und uns Leser ins England des 2. Weltkriegs, und nicht nur Michael, Polly und Merope-Eileen sind mittendrin statt nur dabei. Die Bombennächte, die Rationierung, der Fliegeralarm, die Verdunklung (blackout), die beklemmende Atmosphäre in den Luftschutzkellern und die Ängste und Unsicherheiten werden unglaublich lebendig - genauso wie der Kampfgeist der Menschen, besonders der Londoner, die sich von Hitler und seinen Bomben nicht unterkriegen lassen wollen und einen ganz erstaunlichen Überlebenswillen, Einfallsreichtum und natürlich auch eine ganz große Portion britischen Humor an den Tag legen.


    Willis hat großartig recherchiert und flicht Fakten sowie Anekdoten von interviewten Zeitzeugen in die Handlung ein, so dass aus den ganz unterschiedlichen Erfahrungen von Michael, Polly und Merope ein lebhaftes Panorama Englands in den Kriegsjahren entsteht. Spannend, dramatisch, oft tragisch oder brutal, aber dann auch wieder pfiffige, witzige Szenen, einige davon geradezu brüllend komisch.


    Die Zeitreisegeschichte kommt darüber auch nicht zu kurz. Immer stärker zerbrechen sich unsere drei Reisenden den Kopf darüber, ob ihre Handlungen nicht doch Einfluss auf den Verlauf der Geschichte haben und die Zeit aus den Fugen bringen können, auch wenn ihnen die Wissenschaftler stets versichert haben, dass das nicht passieren kann. (Übrigens treffen wir in Oxford noch einen alten Bekannten: Colin Templer, der lollilutschende, altkluge Zwölfjährige aus "Doomsday Book" ist zwar ein paar Jahre älter geworden, aber noch mindestens genauso hartnäckig, wenn es darum geht, Mr. Dunworthy zu bequatschen, ihn durchs "Netz" in die Vergagenheit zu schicken.)


    Ein temporeiches, cleveres, witziges, gefühlvolles und ganz einfach großartiges Buch. Am besten gleich den 2. Band, "All Clear", bereithalten, um das Warten aufs Weiterlesen zu vermeiden!


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Der Luftkrieg um England ist eines der Lieblingsthemen von Connie Willis, besonders in Verbindung mit Zeitreisen. „Blackout“ verbindet diese Themen mal wieder, dabei ist es zumindest chronologisch eine Fortsetzung von „Doomsday Book“, auch wenn die Verbindung bis auf ein paar Nebenfiguren (Mr. Dunworthy) eher dünn ist. Man muss es also nicht vorher lesen (aber lesen sollte man es, sonst verpasst man eine hervorragende Geschichte).


    In „Blackout“ sind gleich 3 HistorikerInnen aus dem 21. Jahrhundert zu Beginn des 2. Weltkriegs in England unterwegs. Eileen (alias Metrope) erforscht die Kinderlandverschickung als Dienstmädchen in einem Herrenhaus auf dem Land. Polly will das Verhalten der Londoner in Schutzbunkern zu Beginn der deutschen Luftangriffe erforschen und nimmt dazu eine Rolle als Verkäuferin an und Michael spielt einen Reporter, er forscht zu Helden, in diesem Fall, den Rettern der britischen Armee in Dünkirchen. Doch Eileen kann nicht zur richtigen Rückkehrzeit zu ihrem Tor ins 21. Jahrhundert gelangen und versucht dann sich zu Polly und ihrem Tor in London durchzuschlagen. Michael wird selbst zum Helden und verletzt und auch ihm scheint der Rückweg versperrt. Und plötzlich sind die HistorikerInnen keine Beobachter mehr, sondern mittendrin.


    Und die tägliche Angst mit der all die Menschen in London leben – „sehe ich meine Freunde wieder“ wird auch zu ihrer Angst, als sie fürchten, nicht zurückkehren zu können. Was, wenn sie doch – entgegen aller Forscheraussagen – die Vergangenheit so sehr verändern konnte, dass sie selbst oder die Möglichkeit der Zeitreise in der Zukunft nicht mehr existieren?


    In den Szenen, die tatsächlich in der Zukunft spielen und auch wenn die Zeitreisenden unter sich sind, dominiert wieder die typisch Willissche Hektik. Man rennt von hier nach dort, plant, plant um und lernt doch nicht, dass man nicht alles im Leben voraussehen kann. Willis gelingt es hervorragend, diese wachsende Unsicherheit darzustellen, die die Hauptfiguren verzweifeln lässt und dabei doch deutlich zu machen, dass es eigentlich keine andere Angst vor der Zukunft ist, als die, die jeder von uns unterbewusst mit sich herumträgt. Dass niemand seine eigene Zukunft kennt und diese stets unsicher ist, ist die Lektion, die es hier zu lernen gibt.


    Man sollte den zweiten Band, „All Clear“ am besten bereits bereit liegen haben, denn dieser fügt sich nahtlos an und man will unbedingt wissen, welches Schicksal die drei denn nun erleiden werden


    Bei der Benotung lasse ich mir noch etwas Luft nach oben, um für die zweite Hälfte gewappnet zu sein: 4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Jaaa, es gefällt Dir! :klatschen:


    Hach, am liebsten würde ich es gleich noch mal lesen.



    auch wenn die Verbindung bis auf ein paar Nebenfiguren (Mr. Dunworthy) eher dünn ist.


    Colin nicht zu vergessen (auch wenn er den Dauerlutschern entwachsen ist ;) ).

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()