Adam Johnson - Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

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  • Das Buch wandert auf meiner Wunschliste nun noch mal nach oben. Das gehört ja zudem in die Weltliteratur hinein.


    Gruß, Thomas


  • Das gehört ja zudem in die Weltliteratur hinein.


    Da kann ich Klassikfreund nur zustimmen, ich würde das Buch auch in Zeitgenössisches aus aller Welt verschieben. :winken:


    Meine Meinung
    Ich hatte das Buch für den SLW angemeldet und war mir vor dem Lesen ehrlich gesagt nicht so sicher, ob ich es wohl wirklich schaffen würde. Die Dicke, das Wort "Pulitzer-Preisträger" in meinem Hinterkopf, das Thema ... all das flößte mir gehörigen Respekt ein. Völlig unbegründet, zumindest was die ersten zwei Punkte anbelangt. Dank des angenehm zu lesenden Schreibstils (nicht so schrecklich hochgestochen, aber auch nicht platt) lässt sich das Buch gut lesen und die Seiten fliegen nur so vorbei.


    Was das Thema anbelangt ist das Buch natürlich kein Zuckerschlecken. Es geht um ein Leben in Nordkorea und auch wenn dieses Land versucht, sich von der Außenwelt abzuschotten, so reichen die Informationen darüber doch aus um sich denken zu können, dass ein Leben dort nicht unbedingt zu den lustigsten Erfahrungen zählt. Der Autor schildert ein Leben geprägt von Kontrolle, Angst und Fremdbestimmung. Eigene Entscheidungen werden kaum zugelassen, jede Kleinigkeit wird vom Staat vorgegeben. Auch wenn man nichts falsch gemacht hat, kann man plötzlich verschwinden ... Sicherheit ist ein Fremdwort, egal in welcher Gesellschaftsschicht man sich befindet.


    Wir erleben diese Geschichte zusammen mit Jun Do, ein Waise, der eigentlich gar kein Waise ist. Er erlebt so ziemlich alles mit, was man in diesem Land so erleben kann. Und obwohl auch der erste Teil einiges vom Leser abverlangt, fand ich doch den zweiten Teil noch heftiger. Dank des Schreibstils bewahrt man zwar eine gewisse Distanz zu Jun Do (man erfährt z.B. fast nichts über seine Gedanken), aber manchmal ist man näher dran als einem lieb ist.


    Das soll übrigens nicht heißen, dass man den Personen nicht nahe kommen würde. Ich kann nicht genau beschreiben, wie der Autor das macht, aber obwohl man wenig über Jun Do selbst erfährt und somit ein leichter Schleier um ihm liegt, so ist man ihm doch nah. Als würde man durch Nebel wandern, ihn aber fest an der Hand halten. So kann man in manchen Situationen ein wenig Abstand wahren, wenn man es möchte.


    Insgesamt ein lohnenswertes Buch, das zwar hier und da Längen aufweist, aber als Gesamtwerk auf jeden Fall seine Zeit wert ist.
    4ratten


    Übrigens: Der Autor war zu Recherchezwecken sogar selbst in Nordkorea. Zitat Adam Johnson:

    Zitat

    »Ehrlich gesagt hatte ich das Gefühl, Nordkoreas tatsächliche Schwärze noch etwas verharmlosen zu müssen.«

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Adam Johnson


    Das geraubte Leben des Waisen Jun Do


    The Orphan Master´s Son

    Im ersten Teil des Buches geht es um Jun Do, den Waisenjungen, der kein Waisenjunge ist und ganz sicher keiner sein will. Denn Waisen gehören in der nordkoreanischen Gesellschaft zur untersten Schicht. Er schaut gelegentlich zurück auf seine schwierige Kindheit, seine merkwürdige Ausbildung im Dienste des Staates, seine schrecklichen Einsätze bei Entführungen, seine jetzige Arbeit als Abhöragent. Ein Auslandseinsatz ändert für Jun Do vieles.


    Im zweiten Teil geht es um das, was Kommander Ga in einem der großen Straflager Nordkoreas zustößt und was danach seine Familie blüht.



    Das Buch ist nicht typisch für meine normale Lektüre, es fällt eindeutig aus dem Schema. Mit Nordkorea habe ich mich nie beschäftigt, kenne nur die Nachrichtenschlagzeilen. Und so fand ich die Verhältnisse, die im Buch geschildert werden, als ziemlich drastisch. Man hofft die ganze Zeit, dass der Autor vielleicht etwas übertreibt, dass es so krass doch hoffentlich nicht sein kann.


    Nichts für zarte Besaitete!



    Zitat

    Es gibt Menschen, die in dein Leben kommen und dich alles kosten.


    Knappe 4ratten



    Mondy,


    das hier hast du sehr treffend formuliert:


    Das soll übrigens nicht heißen, dass man den Personen nicht nahe kommen würde. Ich kann nicht genau beschreiben, wie der Autor das macht, aber obwohl man wenig über Jun Do selbst erfährt und somit ein leichter Schleier um ihm liegt, so ist man ihm doch nah.


    Man bekommt von Jun Do immer nur bröckchenweise Informationen. Es dauert recht lange, bis man sich überhaupt ein wenig ein Bild über ihn machen kann. Eigentlich geht das erst am Schluss so halbwegs.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • 5ratten


    Ich habe, glaube ich, noch nie ein Buch gelesen bei dem ich so oft darüber nachdachte: Was hat der Autor jetzt erfunden und was ist realistisch? Schon mal vorweg: Für die Menschen in Nordkorea hoffe ich, dass der fiktionale Teil deutlich überwiegt.
    Johnsons Roman, der den Pulitzerpreis erhalten hat, erzählt das Leben des Jungen Jun Do, der in einem Waisenhaus in Nordkorea aufwächst. Es ist ein überaus karges und hartes Leben, geprägt von Wilkür, immer (über)bewacht durch den Geliebten Führer Kim Jong Il. Die Menschen leben in ständiger Not und Angst, ein falsches Wort kann einen ins Arbeitslager bringen. Das Einzige was zählt, ist der absolute Glaube und die Hingabe an den nordkoreanischen Staat und seinen Geliebten Führer. Wer davon abweicht, zählt als Verräter. Doch Jun Do beginnt plötzlich andere Dinge zu entdecken, die für ihn von Bedeutung sind: Freundschaft, Vertrauen, Liebe.
    Was dieses Buch so eindringlich macht, ist die detaillierte Beschreibung des Lebens in Nordkorea. Menschen werden nicht als eigenständige Subjekte angesehen, sondern sind nichts anderes als Objekte, mit denen der Geliebte Führer verfahren kann wie er möchte. Männer bekommen Frauen als Gattinnen zugewiesen, stirbt der Mann, bekommt sie einen Ersatzehemann. Liegen Gefangene im Sterben, wird ihnen zuvor noch ihr Blut für Blutkonserven abgezapft. Braucht man Leute für Ernteeinsätze, werden sie auf den Straßen 'gefangengenommen', auf LKWs verfrachtet und zum Arbeitsort gebracht. Nach ein, zwei Tagen sind sie wieder daheim. Denunzierte werden so lange gefoltert bis sie gestehen und landen dann im Arbeitslager oder werden durch Elektroschockeinsätze ihrer Vergangenheit beraubt. Schöne junge Frauen vom Land werden in die Stadt verschleppt, wo sie als Hostess arbeiten müssen oder einen Ehemann zugewiesen werden. Undundund - es gibt so viele solcher Beispiele und ständig spukte mir die Frage im Kopf herum: Ist das alles tatsächlich möglich? Auch wenn ich weiss, dass der Autor für dieses Buch sehr viel recherchierte (unter anderem auch vor Ort), kann ich mir noch immer nicht vorstellen, dass solch ein Ort tatsächlich existiert, an dem derartige Dinge möglich sind.
    Und doch lässt einen die Lektüre nicht trostlos zurück: Jun Do findet nicht nur Menschen die ihm zur Seite stehen und helfen, er entdeckt Vertrauen - und die Liebe. Und nicht nur er: Auch Andere befallen Zweifel ob der Richtigkeit ihres Handelns, ihres ganzen Lebens. Und ziehen ihre Konsequenzen daraus.
    Ein Buch, das ich nicht so schnell vergessen werde!

    Je mehr sich unsere Bekanntschaft mit guten Büchern vergrößert, desto geringer wird der Kreis von Menschen, an deren Umgang wir Geschmack finden.    Ludwig Feuerbach (1804 - 1872)

  • Jun Do ist gar nicht wirklich Waise, aber da sein Vater das Waisenhaus leitete, ist das auch seine Heimatadresse und er gilt als solcher. Waisenleben sind in Nordkorea noch weniger wert als andere Leben und so hat es Jun Do nicht leicht. Doch mit Gewitztheit und glücklichen Zufällen macht er fast so etwas wie eine Karriere, erfährt große Geheimnisse und kommt sogar in (legalen) Kontakt mit den USA. Doch das heißt noch lange nicht, dass sein Leben sicher ist, in Nordkorea droht jedem der tiefe Fall ins Lager, den Folterkeller oder den direkten Tod.


    Adam Johnson hat für dieses Buch den Pulitzerpreis bekommen. Es ist auch prinzipiell nicht schlecht geschrieben, mir war das Buch mit seiner burlesken Art aber einfach nur unsympathisch. Der Autor sagt selbst in einem Interview „Wir wissen erst dann wirklich, wie man einen Roman schreibt, der in Nordkorea spielt, wenn nordkoreanische Autoren endlich selbst ihre Geschichten erzählen dürfen.“ Hier bin ich aber der Meinung, dass ein lustiger Roman über die Schrecken des nordkoreanischen Systems auch nur von Betroffenen bzw. Angehörigen verfasst werden sollte und nicht irgendjemandem, der einen überwachten Besuch gemacht und ein paar Interviews geführt hat.


    2ratten:marypipeshalbeprivatmaus: