Diskussionsrunde: Donal Ryan - Die Sache mit dem Dezember

Es gibt 43 Antworten in diesem Thema, welches 8.101 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Delena.

  • Hier könnt ihr ab 29. Mai über das Buch Donal Ryan - Die Sache mit dem Dezember diskutieren.


    Es gibt keine Abschnittseinteilung, da bis zu diesem Zeitpunkt alle das Buch komplett gelesen haben sollten.


    Viel Spaß!

    LG, Dani


    **kein Forums-Support per PN - bei Fragen/Problemen bitte im Hilfebereich melden**

  • Hallo, noch keiner hier? :winken: Dann mache ich mal den Anfang und skizziere kurz ein paar Gedanken, die ich später gern noch vertiefen kann.


    Auf jeden Fall gehört das Buch zu den bessern, die ich in diesem Jahr gelesen habe - zwar nicht direkt zu den Highlights, aber zu den sehr guten. Die Schilderung der Geschehnisse aus der Sicht des nicht ganz so intelligenten Johnsey fand ich absolut gelungen und nachvollziehbar. So oder ähnlich mag die Welt für so jemanden aussehen.


    Die ganze Zeit verfolgt man als Leser gespannt, wie die Geschehnisse sich auf die Katastrophe zubewegen, mit einem unguten Gefühl, aber bis zum Schluss mit der Hoffnung, es möge noch eine Wendung zum Guten geben. Jemand möge sich Johnseys annehmen und ihm die richtigen Ratschläge geben. Doch leider geschieht das nicht, und das Ende ist ein Schock, obwohl man es kommen sah... :sauer:


    Von Anfang an stellte sich mir als Leser die Frage, ob die irische Gesellschaft wirklich so eiskalt ist? Johnsey erfährt außer von seinen Eltern nicht viel Freundlichkeit im Leben. In der Schule das Mobbing, dann wird er zusammengeschlagen, in den Zeitungen aufgrund von Unterstellungen öffentlich schlechtgemacht, und selbst seine Freunde sind nicht wirklich auf seiner Seite - weder alte noch neue. Müßte sich nicht um so jemand geistig minderbemittelten irgendwer kümmern? Gibt es dafür in Irland keine Ämter, Beratungsstellen, Betreuungsstellen der Kirche etc. was auch immer?? Johnsey wird schwer verletzt und die Polizei ermittelt nicht, lässt die Täter ungestraft, angeblich gibt es keine Beweise? Das kann ja wohl auch nicht sein.


    Johnseys Freunde David und Siobhan wollen ihm auch nicht wirklich helfen, sein Leben zu meistern. Vielleicht können sie es aber auch nicht. Eigentlich sehe ich hier die alten Freunde seiner Eltern (das Ehepaar Unthank) in der Pflicht, aber die denken wohl nur an sich selbst?


    Völlig unverständlich ist mir auch, warum Johnseys Eltern nicht vorgesorgt haben. Sein Vater bedenkt, wo er die Wiesen mähen kann, ohne brütende Tiere zu stören, aber er trifft angesichts seines nahenden Todes keine Vorsorge, wer sich nach seinem Ableben um seinen unselbständigen Sohn kümmern soll? Bzw. auch die Mutter tut nichts dergleichen? Das finde ich fast ein bißchen an den Haaren herbeigezogen. Hat man einen Bauernhof und einen einzigen Sohn, dann sorgt man doch dafür, dass dieser die entsprechende Ausbildung bekommt oder wenn er dazu nicht fähig ist, wie Johnsey, was die Eltern ja wohl wussten, dann trifft man anderweitig Vorsorge. Dass dies nicht geschah, war die Vorbedingung für die Katastrophe, in der das Buch endet.

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Ich habe das Buch am Montag beendet und hatte also schon ein paar Tage Zeit, um die Geschichte sacken zu lassen.


    Um es gleich vorweg zu nehmen: mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich würde es auf jeden Fall auch zu den besseren, wenn nicht sogar besten in dem bisherigen Lesejahr zählen. Ich habe lange nicht mit einer Hauptfigur so gelitten und wollte aber auch lange nicht mehr eine Hauptfigur so gerne schütteln...

    Die Aufteilung des Buches ist denkbar einfach chronologisch nach den Monaten eines Jahres. Zu Beginn jedes Kapitels wird kurz berichtet, was in den Jahren im jeweiligen Jahr auf dem Hof zu tun war, dann geht die Erzählung über zu den aktuellen Ereignissen. Verbunden mit den Rückblicken in Johnsey´s Kindheit und Jugend gibt es das ein ziemlich gutes Bild von seinem bisherigem Leben.


    Diese Frage, die mich fast das ganze Buch hindurch beschäftigt hat, ist, ob Johnsey denn wirklich geistig behindert ist oder einfach nur extrem langsam und einfach gestrickt? Er war ja wohl auf einer normalen Schule und hat auch eine Arbeit, wenn es auch eher eine einfache Hilfsarbeitertätigkeit ist. Also mündig und geschäftstüchtig ist er anscheinend, sonst hätte er doch nach dem Tod seiner Mutter einen Vormund bekommen. Was vielleicht auch nicht das Schlechteste gewesen wäre, denn ein bisschen fachlicher Rat und Tat hätte vielleicht verhindern können, dass die Geschichte so endet.
    Denn natürlich hat er auf das Recht, das Land, das er von seinen Eltern geerbt hat, nicht zu verkaufen. Bewirtschaften kann er es alleine aber auch nicht...
    Und seine Freunde Nuschel-Dave und Siobhan sind da auch keine wirklichen Hilfen, die beiden sind sicher nett, aber in solchen rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen nicht bewandert. Ich hätte ja auch gedacht, dass die Unthanks Johnsey ein bisschen tatkräftiger unterstützen und beraten, was aber nicht der Fall war.


    Apropos Siobhan, was wollte die jetzt wirklich von Johnsey? Fand sie es irgendwie lustig, zur Abwechslung mal mit einem schüchternen Typen zu tun zu haben, der ihr zuhört, aber nichts von ihr verlangt? Wirklich verliebt oder an ihm als Mann interessiert war sie ja nicht. Nuschel-Dave vermutete ja, sie hätte es auf Johnsey´s Geld abgesehen, aber sie war ja cuh im Krankenhaus schon nett zu ihm, ohne von seinem angeblichen Reichtum zu wissen.


    Ich stelle fest, dass es gar nicht einfach ist, alle Eindrücke eines ganzen Buches hier so zusammenzufassen. Nur eine Episode möchte ich auf jeden Fall noch erwähnen, da sie mich so tief berührt und fast zum Weinen gebracht hat, und das ist die Erinnerung an Johnsey´s ersten (Fast)Disco-Besuch. Wie gemein und grausam Jugendliche doch sein können :sauer:! Und seine Mutter kauft extra noch einen schicken Pullover, damit ihr Sohn mit den anderen Teenagern mithalten kann.

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen


  • Völlig unverständlich ist mir auch, warum Johnseys Eltern nicht vorgesorgt haben. Sein Vater bedenkt, wo er die Wiesen mähen kann, ohne brütende Tiere zu stören, aber er trifft angesichts seines nahenden Todes keine Vorsorge, wer sich nach seinem Ableben um seinen unselbständigen Sohn kümmern soll? Bzw. auch die Mutter tut nichts dergleichen? Das finde ich fast ein bißchen an den Haaren herbeigezogen. Hat man einen Bauernhof und einen einzigen Sohn, dann sorgt man doch dafür, dass dieser die entsprechende Ausbildung bekommt oder wenn er dazu nicht fähig ist, wie Johnsey, was die Eltern ja wohl wussten, dann trifft man anderweitig Vorsorge. Dass dies nicht geschah, war die Vorbedingung für die Katastrophe, in der das Buch endet.


    Darüber habe ich mir beim Lesen auch Gedanken gemacht. Vielleicht wollten seine Eltern einfach nicht wahrhaben, dass ihr Sohn eigentlich alleine nicht überlebensfähig ist? Die Mutter war ja nach dem Tod des Vaters selbst nicht mehr wirklich "da" und hat an Johnsey´s Zukunft wohl keinen Gedanken mehr verschwendet. Ich habe insgesamt das Gefühl, dass die Eltern Johnsey zwar sehr geliebt haben, ihn aber vielleicht zu sehr von der Realität ferngehalten haben.
    Wenn es wenigstens einen Anwalt oder Bankberater des Vertrauens gegeben hätte. So wurschteln die Unthanks und Johnsey´s Tanten ein bisschen rum und lassen ihn dann im Endeffekt sitzen, ohne dass er weiß, was er machen soll.

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  • Eins noch: Johnsey´s Gedanken zu seinen Mitmenschen und dem Lauf der Welt fand ich oft sehr treffend und philosophisch. Richtig dumm kommt er da nicht rüber. Er sieht die Dinge klar und einfach, ohne Ironie oder Verstellung. Wie ein Kind irgendwie.

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  • Die Aufteilung in Monate als Kapitel, die jeweils mit einer Aussage, wodurch dieser Monat bislang geprägt war gefiel mir sehr gut.


    Am Anfang musste ich das Buch nach ein paar Seiten immer mal wieder zur Seite legen und durchatmen. Der Stil, das Tempo mit dem Johnseys Gedanken auf den Leser abgefeuert werden, machte mich regelrecht atemlos.


    Mein Hauptgedanke, der fast immer im Hinterkopf blieb, war "wie 'blöd' ist Johnsey eigentlich ?" und zwar nicht als rhetorische, sondern als analytische (psychologische?, medizinische?) Frage. Er selbst hält sich ja für einen ziemlichen Idioten und manche Äußerungen von ihm bzw. sein Nicht-Verstehen bestimmter Begriffe passen dazu, andererseits blitzt immer wieder Wissen auf, was deutlich über das "Idioten-Niveau" hinausgeht. Einen normalen Schulabschluss hat er ja wohl ebenfalls. Ist sein einziges Problem nur seine Unsicherheit, dass er lieber schweigt als etwas falsches zu sagen und im Großen und Ganzen "zu gut für diese Welt" ist? Andererseits zeigt gerade das Ende ein absolutes Unverständnis der realen Welt. Eine Folge dieser Grundfragestellung ist auch, inwiefern seine Eltern schuld sind, stand er wirklich im Schatten seines Vaters und wurde dadurch unterdrückt und "verweichlicht" oder haben sie ihr Bestes getan?


    Wenn es wenigstens einen Anwalt oder Bankberater des Vertrauens gegeben hätte.


    Ja, Johnsey hat ja sogar selber die Idee, dass Steuerberater die richtigen Ansprechpartner sind, jetzt müsste er nur noch wirklich einen haben. :rollen:


    zu Siobahn:
    keine Ahnung, was sie von ihm wollte. Ich weiss noch nicht mal, ob sie nett ist oder doch nicht. Der Tonfall, in dem sie über die Arbeit und Co. schimpft, klingt für mich total negativ, keifend und gemein. Natürlich schimpft man mal über die Idioten auf der Arbeit oder die blöde Familie, aber ihre Wortwahl empfand ich als extrem gehässig. Ich glaube irgendwie nicht, dass sie echte Sympathie für Johnsey empfindet.


  • Mein Hauptgedanke, der fast immer im Hinterkopf blieb, war "wie 'blöd' ist Johnsey eigentlich ?" und zwar nicht als rhetorische, sondern als analytische (psychologische?, medizinische?) Frage.


    Zu Johnseys geistigem Zustand:


    Auch mir ist aufgefallen, dass hier einiges nicht zusammenpasste. Einerseits kommt er in der Schule nicht gut mit und ist völlig lebensunpraktisch, und andererseits diese genauen, fast philosophioschen Betrachtungen seiner Mitmenschen. Ich denke, wir dürfen hier nicht vergessen, dass Johnsey eine literarische Figur ist und der Autor ihn machen kann, wie er will. Sicher gibt es auch einen literaturwissenschaftlichen Begriff für diese Art Figur, die den einfachen, kindlichen Blick auf die Welt repräsentiert. Ob jemand in Wirklichkeit so sein kann, weiß ich nicht. Ich erlebe es eher so, dass Leute, die nicht besonders intelligent sind, doch sehr gut im Alltagsleben zurechtkommen können.
    Die für mich wesentliche hervorstechende Eigenschaft Johnseys ist seine Gutmütigkeit. Die macht ihn sympathisch.


    Siobhan:


    Anfangs wirkte sie sehr nett und wirklich an Johnsey interessiert. Seine oben erwähnte Gutmütigkeit könnte ja schon etwas sein, was ihn für Frauen interessant macht. Allerdings hatte ich später den Eindruck, je mehr sich ihre Beziehung entwickelte bzw. eine Entwicklung vermissen ließ, dass sie doch entweder hinter seinem Geld her war oder einfach jemanden brauchte, bei dem sie einen Gegenpol zu ihrer Familie finden und immer mal ihre Probleme abladen konnte, aber auf eine eher oberflächliche Weise. Einerseits fand ich es schade, dass der Autor aus der Beziehung Siobhan-Johnsey nicht mehr gemacht hat. Andererseits soll das Buch ja keine Liebesgeschichte sein.


    Eltern:



    Vielleicht wollten seine Eltern einfach nicht wahrhaben, dass ihr Sohn eigentlich alleine nicht überlebensfähig ist? Die Mutter war ja nach dem Tod des Vaters selbst nicht mehr wirklich "da" und hat an Johnsey´s Zukunft wohl keinen Gedanken mehr verschwendet. Ich habe insgesamt das Gefühl, dass die Eltern Johnsey zwar sehr geliebt haben, ihn aber vielleicht zu sehr von der Realität ferngehalten haben.


    Das ist alles richtig und ich habe es auch so aufgefasst, aber trotzdem verstehe ich es nicht. Man sieht als Eltern seine Kinder gern mal in einem etwas zu rosigen Licht und versucht alles Schlechte von ihnen fernzuhalten, aber wenn es Ernst wird? Dringt da nicht doch irgendwann die Realität durch? Ja, die Mutter war völlig fertig, aber trotzdem verstehe ich es nicht. Das ist doch DIE ureigenste Elternsorge. Ich habe selber eine jugendliche Tochter und meine Hauptsorge im Moment ist, ihr ein Studium/eine Ausbildung zu ermöglichen, von der sie sich später ernähren kann, damit es ihr auch später noch gut geht. Darüber denke ich mindestens einmal täglich nach. Und der Vater war doch sonst sehr vorausschauend und die Mutter auch ziemlich auf Draht, wie ihre genialen spitzen Bemerkungen in den ersten Kapiteln, als sie noch lebte, zeigen.


    Die Szene mit der Disco und dem Pullover hat mich übrigens auch sehr bewegt. Hier versucht übrigens auch Johnsey, seine Eltern vor der Realität zu bewahren, indem er den Pullover verschwinden lässt und kein Wort darüber verliert, wie der Abend wirklich abgelaufen ist.

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

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  • Noch eine etwas spezielle Frage. Manchmal versteht Johnsey doch Worte nicht ganz richtig, die er nicht kennt. So wie Back-Terrier statt Bakterien. :breitgrins: Allerdings frage ich mich die ganze Zeit, was wohl ein Brautschuhschwein sein mag (S. 29) Habt ihr das verstanden?


    Gut gefallen haben wir auch die irischen oder gälischen Wort-Einsprengsel, die viel zur Atmosphäre des Buches beitragen, wie mar dhea, peata, Bangharda. Allerdings musste ich die immer erst nachschlagen. Hier wäre eine Erklärung am Ende des Buches hilfreich gewesen. Mar dhea finde ich einen sehr praktischen Ausdruck, das könnte ich fast in meinen Wortschatz übernehmen. Würde nur leider niemand verstehen. :breitgrins:

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  • Noch eine etwas spezielle Frage. Manchmal versteht Johnsey doch Worte nicht ganz richtig, die er nicht kennt. So wie Back-Terrier statt Bakterien. :breitgrins: Allerdings frage ich mich die ganze Zeit, was wohl ein Brautschuhschwein sein mag (S. 29) Habt ihr das verstanden?


    Ich denke, das hat Johnsey schon richtig verstanden, das ist ein Sparschwein für die Brautschuhe. Ich kenne es, dass man seine Brautschuhe mit Pfennigen (als es sie noch gab) bezahlt, die man natürlich vorher (in einem Sparschwein) gesammelt hat - ich vermute mal, in Irland ist es ähnlich.


    mar dhea mag ich auch. :breitgrins: (und ja, ein Glossar wäre nett gewesen)


  • Zu Johnseys geistigem Zustand:


    Auch mir ist aufgefallen, dass hier einiges nicht zusammenpasste. Einerseits kommt er in der Schule nicht gut mit und ist völlig lebensunpraktisch, und andererseits diese genauen, fast philosophioschen Betrachtungen seiner Mitmenschen. [...]
    Die für mich wesentliche hervorstechende Eigenschaft Johnseys ist seine Gutmütigkeit. Die macht ihn sympathisch.


    Ja, sympathisch ist er eindeutig. Und / Aber er durchschaut ja durchaus, wenn andere Menschen (sein Chef z.B.) ihn ausnutzen, aber es interessiert ihn im Normalfall nicht. Er macht sein Ding, er macht es ordentlich und wie einzelne andere das sehen, tangiert ihn nicht, solange er konform zu "macht man so" handelt. Es gehört sich, arbeiten zugehen, also geht er arbeiten, auch wenn sein Chef ihn ausnutzt und er es nicht nötig hätte. Hier wird sein Krankenhausaufenthalt zum Wendepunkt. In gewisser Weise ist die Zeit mit Siobhan und Dave dann seine Teenager-Zeit, in der er über die Stränge schlägt.

  • Ein tolles Buch, das mich bestens unterhalten, aber auch sehr bewegt hat – das an vielen Stellen auch sehr philosophisch ist und zum Nachdenken anregt.


    Ryan hat als Rahmenhandlung für seinen Roman ein sehr interessanten Phänomen der irischen Wirtschaft (die gigantische Investitionswelle inklusive Bauboom an aberwitzigen Standorten) noch deutlich vor Platzen der irischen Immobilienblase im Jahr 2008 ausgewählt.
    Mit den beschriebenen, beängstigenden Entwicklungen in diesem vermeintlich so idyllischen irischen Dorf gibt er schockierende Einblicke in die sich zunehmend hochschaukelnden Befindlichkeiten in dieser zuvor eher unbefleckten intakten Dorfgemeinschaft. Hinterlist, Lügen, pure Geld-Gier ja sogar Gewalt regieren auf einmal die Stimmung im Dorf und aller Hass focussiert sich plötzlich auf diesen jungen „geistig behinderten“ Mann, dessen Land für die versprochene Erschließung benötigt wird.
    Die beschriebene Goldgräberstimmung und der Wandel der Stimmung im Dorf sind wirklich grandios eingefangen und wirken sehr authentisch!
    Für Geld und Reichtum vergessen sie alle gerne mal Moral, Glauben und ihre Ideale - sicherlich kein typisch irisches Problem. :zwinker:
    Welch eine Ironie, dass der vermeintliche Geldsegen später für die meisten in einer finanziellen Katastrophe geendet ist und die meisten sich gehörig verspekuliert haben.


    Welch ein herrliches Konstrukt, dass ausgerechnet der Dorftrottel mit seinen Grundstücken die Fäden in der Hand hält und noch gar nicht ahnt, welche Macht er über alle hat. :breitgrins:
    Kurzzeitig habe ich mich wahnsinnig für ihn, den Underdog, gefreut – aber leider nimmt die Geschichte ja dann doch eine sehr unerfreuliche und traurige Wendung.


    Johney als Charakter hat mir sehr gut gefallen, er wirkt so authentisch und bodenständig.
    Ryan versteht es hervorragend, uns anhand eines Jahres im seinem Leben quasi im Wandel der Jahreszeiten immer mehr an diesen so eigenwilligen Menschen heranzuführen.
    Grandios erzählt sind die Rückblicke auf sein so unspektakuläres Leben und seine haarscharfen Analysen zu den sich im Hintergrund abspielenden, zunehmend eskalierenden Ereignissen in diesem Dorf. Die Einblicke in seine Gedankenwelt, seine Beobachtungen und Rückschlüsse auf das Leben, die Menschen und die traditionelle, ländlich geprägte Lebensweise in diesem irischen Ort sind hervorragend und äußerst treffend geschildert, so dass ich mich immer besser in Johnsey hineinversetzen konnte und das Gefühl hatte ihn wirklich kennen zu lernen.


    Auch ich habe mich allerdings immer häufiger gefragt, wie „beschränkt“ John wirklich ist, denn seine Gedanken, Empfindungen sind zwar bisweilen naiv, herzzerreißend unschuldig und manchmal auch ungeordnet (wie ja mehrfach betont wird), aber so wie sie geschildert werden eben doch unglaublich treffend, messerscharf und geradezu brillant auf den Punkt gebracht.
    In dem Zusammenhang fand ich etwas zu platt ihn von „Hahnleiter“, „Backterrier“, Puh-Pillen etc. reden zu lassen, wenn er ohne Probleme Begriffe wie Konsortium, Retina … versteht und verwendet. :zwinker:


    Fest steht, dass er eine sehr instabile Persönlichkeit hat, ungebildet und wenig geübt im sozialen Umgang ist und er sich extrem von anderen herumschubsen lässt. Wobei dies sicherlich schon durch den Umgang durch seine Eltern geprägt ist, die ihn als kleines Papa-Söhnchen ja schon regelrecht in die Außenseiter-Rolle „der arme Junge ist nicht für diese böse Welt geschaffen“ und muss behütet werden, gedrängt haben.
    Ich habe mich manchmal schon gefragt, ob er sich einfach dümmer gestellt hat als er ist?
    Er hat sich hinter der so dominanten Vaterfigur einfach nicht entwickeln können, hat es nicht gelernt zu reden und sich auszudrücken, was ja nicht unbedingt heißt, dass er geistig minderbemittelt ist.


    Schrecklich zu lesen, wie er permanent gemobbt, später tyranisiert, in diesem Coop ausgebeutet und sogar krankenhausreif geprügelt wurde und das ganze Dorf irgendwie zugesehen hat und nie etwas dagegen unternommen hat.
    Mir hat er so unendlich leid getan, dass er stets alles über sich hat ergehen lassen, fast so als hätte er es nicht anders verdient!


    Sein Krankenhausaufenthalt bringt für ihn eine unglaubliche Wende in sein Leben, in dem er zwei Menschen kennenlernt, die für ihn plötzlich der einzige Halt in seinem trostlosen Leben werden und die er als Freunde ansieht.
    Ehrlich gesagt, habe ich ja die ganze Zeit schon darauf gewartet, dass auch die beiden sich mit einer Bemerkung outen und nur an seinem Geld interessiert sind.
    Doch erstaunlicherweise kommt bis zum Ende hin nichts in der Art.
    So bleibt die Frage offen, was wieso sie wirklich die Nähe zu ihm gesucht haben und sich derart sein Leben gedrängt haben.
    Aber die Beziehung/Freundschaft zu ihnen lässt, Johnsey unglaublich reifen und es ist so wohltuend wie er diese ganzen Hinterwäldler durchschaut, nicht nachgibt und ihnen die Stirn bietet.


    Gefragt habe ich mich allerdings auch, ob er eigentlich eine bewusste Entscheidung getroffen hat, jegliche Angebote zu verkaufen auszuschlagen? War es aus Hinterlist, aus Nostalgiegründen oder ganz einfach aus seinem Mangel an Antrieb und Unterstützung?
    Wie habt ihr das empfunden?

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  • Gut gefallen haben wir auch die irischen oder gälischen Wort-Einsprengsel, die viel zur Atmosphäre des Buches beitragen, wie mar dhea, peata, Bangharda. Allerdings musste ich die immer erst nachschlagen. Hier wäre eine Erklärung am Ende des Buches hilfreich gewesen.


    Ja das hat mir auch gut gefallen und ich kann mir denken, dass im Original noch viel stärker der irische Einschlag in der Wortwahl zum tragen kommt.
    Schade fand ich auch, dass der Übersetzer nicht ein kleines Glossar für diese Begriffe beigefügt hat, um uns ein bisschen Arbeit zu ersparen - naja, es lässt sich ja alles googlen. :zwinker:



    Ich denke, das hat Johnsey schon richtig verstanden, das ist ein Sparschwein für die Brautschuhe. Ich kenne es, dass man seine Brautschuhe mit Pfennigen (als es sie noch gab) bezahlt, die man natürlich vorher (in einem Sparschwein) gesammelt hat - ich vermute mal, in Irland ist es ähnlich.


    Ich habe mich auch ein wenig darüber gewundert, dass ausgerechnet Johnsey diesen Begriff kannte.


    Scheinbar gibt es diese altmodische Tradition auch noch in Irland...
    Am Wert der Brautschuhe soll der Bräutigam ja angeblich erkennen können, wie fleißig und sparsam seine Zukünftige ist. :breitgrins:


  • Die ganze Zeit verfolgt man als Leser gespannt, wie die Geschehnisse sich auf die Katastrophe zubewegen, mit einem unguten Gefühl, aber bis zum Schluss mit der Hoffnung, es möge noch eine Wendung zum Guten geben. Jemand möge sich Johnseys annehmen und ihm die richtigen Ratschläge geben. Doch leider geschieht das nicht, und das Ende ist ein Schock, obwohl man es kommen sah... :sauer:


    Darauf hatte ich auch lange Zeit gehofft - doch letztlich scheinen die Freunde und Verwandtschaft doch alle eher vom raffgierigen Schlag zu sein ...

    Zitat

    Eigentlich sehe ich hier die alten Freunde seiner Eltern (das Ehepaar Unthank) in der Pflicht, aber die denken wohl nur an sich selbst?


    Schon bevor deutlich wird, was Johnsey da geerbt hat, habe ich mich über die plötzliche Freundlichkeit einiger Leute gewundert – schleimige Nettigkeiten, die nicht dem Vollwaisen und alten Familienbanden galten, sondern schon konkret auf das Ziel ausgerichtet waren. Oder haben sie sich alle von der Aufbruchstimmung mitreißen lassen?
    Aber immerhin schämen sie sich, als sie sich verplappert haben und ihre Falschheit aufgedeckt wird.


    Zitat

    Von Anfang an stellte sich mir als Leser die Frage, ob die irische Gesellschaft wirklich so eiskalt ist?


    Ich bin mir eigentlich sicher, dass dies nicht nur ein typisches Phänomen für Irland ist, sondern sich auch in jedem deutschen Dorf abspielen könnte.

    Zitat

    Johnsey wird schwer verletzt und die Polizei ermittelt nicht, lässt die Täter ungestraft, angeblich gibt es keine Beweise? Das kann ja wohl auch nicht sein.


    Dies hat mich auch sehr empört, aber passt doch gut ins Bild dieser verlogenen Dorfgemeinschaft.
    Man will die Polizei sicher dort nicht rumschnüffeln haben und peinliche Fragen stellen lassen.
    Schließlich hat keiner all die Jahre etwas unternommen und offiziell auch nie etwas mitbekommen... das Ganze könnte schließlich noch ihr ganzes schönes Bauvorhaben beschmutzen.
    Gut denkbar, dass von oberer Stelle hier jemand eingeschritten ist und alles schnell unter den Teppich gekehrt hat.


    Zitat

    Völlig unverständlich ist mir auch, warum Johnseys Eltern nicht vorgesorgt haben. Sein Vater bedenkt, wo er die Wiesen mähen kann, ohne brütende Tiere zu stören, aber er trifft angesichts seines nahenden Todes keine Vorsorge, wer sich nach seinem Ableben um seinen unselbständigen Sohn kümmern soll? Bzw. auch die Mutter tut nichts dergleichen?


    Zitat

    Und der Vater war doch sonst sehr vorausschauend und die Mutter auch ziemlich auf Draht, wie ihre genialen spitzen Bemerkungen in den ersten Kapiteln, als sie noch lebte, zeigen.


    Dieser Aspekt hat mich auch sehr gewundert und ist in meinen Augen etwas unglaubwürdig.
    Die Eltern haben ihren Sohn doch geliebt, wollten nur sein Bestes und dann denken sie nicht an seine Zukunft?
    Außerdem haben sie ihn doch für recht lebensuntüchtig gehalten und ihm nie etwas zugetraut - wie konnten sie dann keine Vorsorge treffen? Das verstehe ich wirklich nicht.
    Zumal der Vater ja keinen plötzlichen Herzinfarkt erlitten hat, sondern noch Zeit hatte, sich um alles zu kümmern.
    Scheinbar ist Johnsey ja einiges in Sachen Finanzen erklärt worden, aber es muss doch für sie klar gewesen sein, dass dies nicht ausreichen würde.
    Noch unverständlicher ist für mich übrigens, dass der Vater ja scheinbar maßgeblich in die Pläne und der Ausweisung dieses Erweiterungsgebiets involviert war und hätte ahnen können, dass sein Sohn später einen kompetenten Berater brauchen würde.

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  • Ich habe mir dieses Interview mit dem Autor mal angeschaut, und soweit ich es verstanden habe, hat Johnsey Vorbilder aus dem Dorf, in dem der Autor aufgewachsen ist; Menschen, die sehr still und einsam sind und "...not really properly equipped to deal with the world, the hardness and coolness...".
    Das klingt für mich jetzt nicht so, als wäre die Figur Johnsey tatsächlich als behindert oder geistig minderbemittelt angelegt gewesen. Sondern eher so in Richtung Eigenbrötler, der mit der Welt, so wie sie jetzt ist, nichts anfangen kann.



    Allerdings frage ich mich die ganze Zeit, was wohl ein Brautschuhschwein sein mag (S. 29) Habt ihr das verstanden?


    Den Brauch, Pfennige (oder jetzt eben Cent) für die Brautschuhe zu sammeln, gibt es bei uns auch. Wenn ich zu viel Kleingeld im Geldbeutel habe, bringe ich das immer einer Kollegin, die hat inzwischen schon das dritte Einmachglas voll :smile:.



    Gefragt habe ich mich allerdings auch, ob er eigentlich eine bewusste Entscheidung getroffen hat, jegliche Angebote zu verkaufen auszuschlagen? War es aus Hinterlist, aus Nostalgiegründen oder ganz einfach aus seinem Mangel an Antrieb und Unterstützung?
    Wie habt ihr das empfunden?


    Ich denke nicht, dass Johnsey aus Hinterlist oder mit irgendeiner bösen Absicht handelt. Es ist das Land, das seine Eltern bewirtschaftet hat und das sein Vater von seinen Vorfahren schon vererbt bekommen hat. Da hängen Erinnerungen dran, da kennt er alles, und das will er nicht hergeben.
    Und dann geht es schon los, dass er in der Zeitung als raffgierig dargestellt und unter Druck gesetzt wird. Und da er sich mit Worten nicht verteidigen kann, weiß er sich irgendwann nicht mehr anders zu helfen, als zur Waffe zu greifen.
    Vielleicht hätte ein normales, ausführliches Gespräch, in dem ihm die Situation und die Zusammenhänge erklärt werden, zu einem Einlenken von ihm geführt?

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  • Noch unverständlicher ist für mich übrigens, dass der Vater ja scheinbar maßgeblich in die Pläne und der Ausweisung dieses Erweiterungsgebiets involviert war und hätte ahnen können, dass sein Sohn später einen kompetenten Berater brauchen würde.


    Das hatte ich für eine Lüge des Nachbarn gehalten, um Johnsey zum Verkauf zu überreden. Johnseys Vater hat seine Arbeit und sein Land wohl sehr geliebt, deswegen glaube ich nicht, dass er wirklich zugestimmt hätte, dort ein Kino und Geschäfte zu errichten.

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  • So nun bin ich auch endlich soweit, dass ich mitdiskutieren kann.


    Ich kann nur sagen, dass „Die Sache mit dem Dezember“ ein ganz besonderes Buch war. Hat euch Johnsey auch ein wenig an Forrest Gump erinnert?


    Es wird ja nie genau gesagt was Johnsey eigentlich hat, dass seine Umgebung und auch er selbst sich als Hirni ansieht. Könnte es sein, dass er Trisomie 21 oder so hatte? Das würde dann ja auch seine stabile Figur erklären.


    Gut gefallen hat mir zudem der Mix aus Rückblenden aus seinem alten Leben und dem jetzigen.


    Der Tod seiner Eltern hat mich tief berührt und seine Überforderung mit dem Leben konnte man mehr als nur nachvollziehen.


    Wie schätzt ihr Dave und Siobhan ein? Sind sie echte Freunde? Bei Siobhan habe ich so meine Zweifel, war sie vielleicht doch nur hinter dem Geld her?


    Was sagt ihr eigentlich zu dem Ende? Ich bin damit ein wenig unglücklich, da man ja nun echt in jede Richtung deuten kann. War Dave wirklich tot durch den Autounfall oder nicht? Was passiert mit Johnsey? Schießt er auf die Leute oder schießt die Polizei auf ihn?


    Richtig gut ausgearbeitet fand ich hier die Rolle der Presse. Ein Mal etwas in Umlauf gebracht, glauben die Menschen daran, egal ob es wahr ist oder nicht. Und als Betroffener kann man sich nicht dagegen wehren.


    Bei dem Buch sind mir übrigens wieder viele tolle Sätze aufgefallen. Werde die Tage mal eine Übersicht davon hier posten. :smile:

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)


  • Apropos Siobhan, was wollte die jetzt wirklich von Johnsey? Fand sie es irgendwie lustig, zur Abwechslung mal mit einem schüchternen Typen zu tun zu haben, der ihr zuhört, aber nichts von ihr verlangt? Wirklich verliebt oder an ihm als Mann interessiert war sie ja nicht. Nuschel-Dave vermutete ja, sie hätte es auf Johnsey´s Geld abgesehen, aber sie war ja cuh im Krankenhaus schon nett zu ihm, ohne von seinem angeblichen Reichtum zu wissen.


    Für mein Empfinden war sie an dem großen Geld von Johnsey interessiert, denn warum sollte sich sonst eine hübsche Krankenschwester für ihn interessieren? Sie hat sich doch auch für einen neuen Job beworben, wo sie ein altes Ehepaar pflegen wollte und wenn ich mich richtig erinnere, dann hat sie da auch gehofft, dass die sterben und sie mal was erbt.

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)


  • Das hatte ich für eine Lüge des Nachbarn gehalten, um Johnsey zum Verkauf zu überreden. Johnseys Vater hat seine Arbeit und sein Land wohl sehr geliebt, deswegen glaube ich nicht, dass er wirklich zugestimmt hätte, dort ein Kino und Geschäfte zu errichten.


    Für mich war das eine ganz klare Lüge, um Johnsey zum Kauf zu bewegen. So nach dem Motto: Na wenn das mein Dad gewollt hat, dann kann das nur richtig sein. Aber irgendwie scheint er die Nummer ja durchschaut zu haben, weshalb ich auch nicht sicher bin wie schlau oder nicht schlau Johnsey ist... :rollen:

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Hallo :winken:
    Auch ich habe das Buch am Freitag beendet, musste es aber noch etwas "sacken lassen".


    Das Buch hat mich ziemlich bewegt. Ich habe noch in keinem Buch so mit jemandem mitgelitten wie mit Johnsey.
    Schlimm, wie die Umwelt ihn drangsaliert. Angefangen mit den Jugendlichen, die bei seinem ersten Disco-Besuch seinen Pullover zerstören und er sich dann logischerweise zurückzieht und keinem davon erzählt. Trotzdem hat er, hatte ich zumindest den Eindruck, anfangs immer noch an das Gute im Menschen geglaubt.


    Seine Eltern scheinen ihn sehr, möglicherweise zu sehr, behütet zu haben und haben nicht versucht, ihn aus seiner Unselbständigkeit herauszuführen. Für die täglichen Arbeiten auf dem Hof war er geeignet, mehr hat man ihm vermutlich nicht zugetraut.


    Dann dieser furchtbare Überfall. Dass man die Täter nicht bestraft hat, finde ich unglaublich. Hat Johnsey der Polizei nicht gesagt, wer die Täter waren? Beweise hätte es doch durch die schlimmen Verletzungen auf der Kleidung der Täter geben müssen.


    Und dann die Rolle der Unthanks, da bin ich wirklich hin- und hergerissen. Sie scheinen Johnsey wirklich zu mögen und sich um ihn zu sorgen. Ich glaube nicht, dass sie Johnsey bewusst in die eine oder anderen Richtung drängen wollten, sie sind da irgendwie hineingeraten.


    Nuschel-Dave hat denke ich einen Freund gesucht. Er tat mir leid, als Siobhan ihn so bloßstellt, als bekannt wird, dass er seine Freundin nur ausgedacht hat.
    Wenn Johnsey nicht vermutet hätte, dass Nuschel-Dave bei dem Unfall ums Leben gekommen wäre und Johnsey daraufhin Siobhan nicht weggeschickt hätte, würde das Gewehr noch auf dem Dachboden liegen.


    Ein tragisches Ende für eine tragische Figur. Ich habe mit so einem Ende des Romans gerechnet, hätte mir aber ein anderes gewünscht.

    Das sind keine Stirnfalten. Das ist ein Sixpack vom Denken.


  • Auch ich habe mich allerdings immer häufiger gefragt, wie „beschränkt“ John wirklich ist, denn seine Gedanken, Empfindungen sind zwar bisweilen naiv, herzzerreißend unschuldig und manchmal auch ungeordnet (wie ja mehrfach betont wird), aber so wie sie geschildert werden eben doch unglaublich treffend, messerscharf und geradezu brillant auf den Punkt gebracht.


    Über seinen Geisteszustand habe ich auch viel gegrübelt und bin da auch nicht sicher, Wie du schon sagst, er wirkt einfältig, hat aber teilweise Überlegungen, die den Kern der Sache scharf erfassen.


    Für mein Empfinden war sie an dem großen Geld von Johnsey interessiert, denn warum sollte sich sonst eine hübsche Krankenschwester für ihn interessieren? Sie hat sich doch auch für einen neuen Job beworben, wo sie ein altes Ehepaar pflegen wollte und wenn ich mich richtig erinnere, dann hat sie da auch gehofft, dass die sterben und sie mal was erbt.


    Hm, Siobhan war mir durchweg nicht sympathisch. Ob es Geldgier war, ich denke eigentlich nicht, es sei denn, sie hatte kurz nach dem Überfall schon von den Hintergründen der Grundstückskäufe und der Rolle von Johnsey erfahren. Mit den Kollegen im Krankenhaus ist sie nicht gut zurechtgekommen, denn sie war auf der Suche nach einem neuen Job und sie hat ständig davon geredet wie schlimm die Arbeit wäre. Ich bin mir nicht sicher, welche Pläne sie verfolgte oder ob sie überhaupt welche hatte.

    Das sind keine Stirnfalten. Das ist ein Sixpack vom Denken.

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