02 - Seite 71 bis Ende

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  • Zu Beginn des Abschnitts ein kurzer, lichter Moment bei Alma, während draußen der Nebel wabert. Der Nebel ist ein großartiges Bild für das, was in Almas Geist vorgeht, dicht, undurchdringlich, verwirrend, desorientierend. Und ihre schlichte, fast unschuldig wirkende Erkenntnis, dass sie manchmal Probleme hat, sich zu erinnern, hat mich mehr getroffen als viele überdramatische Szenen es könnten.


    Kassette 4510, in der Küchenschublade, hat gar nichts mit den Fossilien zu tun, sondern es scheint diejenige zu sein, die Alma am glücklichsten macht, die zentrale schöne Erinnerung in ihrem Leben, an der sich alles, was danach kam, messen lassen muss, und es scheint wirklich keine besonders gute Ehe gewesen zu sein (wenn auch keine außergewöhnlich schlechte).


    Kaum hatte ich daran gedacht, wird Temba wirklich sehr krank. Ich hatte große Angst, dass Pheko auch noch sein kleiner Sohn wegstirbt, doch der Einfall, bei Mrs. Alma Antibiotika zu holen, war gut, sicherlich viel besser, als in einer aussichtslosen Schlange zu warten und am Ende wohl gar nur Unzureichendes zu bekommen.


    Und letztendlich ist die Begegnung mit den beiden auch ein Wendepunkt für Luvo, der nach Rogers Tod durch Almas Pistole (ich wusste schon, dass was passieren würde, als Alma die Pistole aus der Schachtel geholt hat!) frei ist und beschließt, den kümmerlichen Rest Leben, der ihm noch bleibt, nicht als Handlanger eines anderen Kriminellen zu vergeuden, sondern Harolds Werk zu vollenden.


    Beachtlich, mit wie viel Zähigkeit und Durchhaltevermögen er trotz aller Widrigkeiten die Suche nach dem Gorgonops anpackt und dabei die Wüste so systematisch durchsucht, wie Alma ihre Erinnerungen zu sortieren versucht hat. Und er ist trotz des Missbrauchs durch Roger (nichts anderes ist die unfreiwillige Implantation der Ports und die Ausnutzung von Luvo als "Medium") nicht verbittert. Dass er den Löwenanteil des Geldes, das ihm das Fossil einbringt, Pheko und Temba zukommen lässt, und sich selbst nur so viel nimmt, dass er den Rest seines Lebens angenehm verbringen kann, fand ich ganz wunderbar von ihm. Vielleicht wollte er Temba die Chance auf ein gutes Leben geben, die er selbst nie hatte.


    Und Alma? Sie spielt, außer in den Erinnerungen, am Ende kaum noch eine Rolle und versinkt komplett im Nebel der Demenz, im Heim ... und interagiert vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben positiv mit einer Farbigen. So ganz bin ich noch nicht durchgestiegen, was uns das Schlusskapitel sagen soll.


    Eine Frage, die sich mir noch stellt: was machen denn Erinnerungshändler wie dieser Cabbage mit den Kassetten? Eine nach der anderen einem Erinnerungszapfer zeigen, um daraus eventuell Kapital zu schlagen? Sehr effizient ist das ja nicht ...


    Unterm Strich bin ich froh, dass es die Leserunde gab, denn von mir aus hätte ich selbst mit Doerr als Autor nicht zu dem Buch gegriffen, das ich als sehr intensive, ungewöhnliche Lektüre empfunden habe. Inhaltlich war es teils harter Tobak, sprachlich ein großer Genuss.


    (Übrigens, das einzige, was mich in dem Buch gestört hat, war die Schreibweise "kaki". Die Farbe heißt "khaki", da mag die neue Rechtschreibung fordern, was sie will, Kaki ist eine Frucht!)

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • In ihrem einzigen klaren Moment denkt sie auch nicht an Phekos Zukunft, sondern erinnert sich an die Knarre ihres Mannes und bringt diese an sich und lauert Roger auf. Das finde ich schon bezeichnend.


    Ich fand das eigentlich nur logisch. Pheko ist ihr Bediensteter, nicht mehr und nicht weniger. Emotional hängt sie nicht an ihm, sie braucht ihn, weil sie alleine nicht zurechtkommt. Sie hat zu ihm nicht die Bindung, wie Harold sie offenbar hatte.


    Und dass Alma Roger, den Eindringling, die Bedrohung, erschießt, hat mich nicht gewundert, schließlich ist da ein Fremder in ihrem Haus, der sicherlich nichts Gutes im Schilde führt. Und eine Waffe in der Schublade zu haben, um sie in einem eben solchen Fall einzusetzen, ist bei allem, was ich über Kapstadt weiß, sicherlich nicht ungewöhnlich.


    Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass Almas Versinken in Bedeutungs- und Erinnerungslosigkeit als gerechte Strafe dargestellt wurde, ich habe es einfach als Tatsachenschilderung hingenommen und als resigniertes Eingeständnis, dass man gegen Demenz leider machtlos ist.


    Das Happy End für Pheko und Temba mag dick aufgetragen sein, hat mich aber dennoch für die beiden gefreut, weil sie endlich aus diesem grässlichen Slum wegziehen können und die Zukunftsaussichten nicht mehr so düster sind. Ein bisschen gewundert hat mich zwar auch, dass das alles so reibungslos ging mit der Auszahlung des Schecks und so weiter, aber es ist eben kein hyperrealistisches Buch, sondern dreht sich eher um die Ideen, die hinter der Handlung stecken, als um völlig logische Abläufe.


    Das hatte ich insgeheim auch gehofft.


    Ich glaube, das wäre mir wiederum zu kitschig gewesen. Ihn verbindet ja nichts mit den beiden außer vielleicht einer gewissen Sympathie und dem Wunsch, auch so einen Vater gehabt zu haben. So ein übriggebliebenes und "überflüssiges" Kind zu sein stelle ich mir schlimm vor.

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  • Ich habe das Buch gestern Abend noch fertiggelesen.


    Für meinen Geschmack fügt sich am Ende alles zu leicht und die "Guten" bekommen ihr Happy End. Das ist vielleicht auch der Kürze des Textes geschuldet, dass es keine "Abweichungen vom Pfad" gibt, sondern alles so geradlinig passiert. Das ist auch eines meiner Probleme mit diesem Buch. Es ist zu kurz, um eine Geschichte wirklich ausführlich zu erzählen und ein Stück weit in die Tiefe zu gehen. Es ist mir aber auch zu lang für eine reine Kurzgeschichte. Als Teil einer Sammlung hätte ich das vielleicht anders empfunden.


    Roger und Luvo finden zufällig die Kassette 4510 in der Küche, die ja aber noch keinen Hinweis auf den Fossilienfund gibt. Wie Luvo aus dieser schönen Erinnerung von Alma kombiniert, dass das Foto von Harold eine gewisse Bedeutung hat und sich dahinter die gesuchte Erinnerung versteckt, ist mir aber nicht ganz klar. Hätte man das nicht gesehen, wenn hinter dem Foto diese Kassette klebt? Das Foto hat dadurch ja automatisch einen gewissen Abstand zur Wand, den die anderen Dokumente nicht haben.


    Alma erschießt praktischerweise Roger, so dass Luvo alleine losziehen kann und die Fossilien suchen. Lustig fand ich die Episode mit den finnischen Urlauberinnen, die ihm helfen, den Gorgonops in die Stadt zurückzubringen. Ich fand es auch schön von Luvo, dass er nur einen kleinen Teil des Geldes behält. Andererseits hat er ja niemanden und weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. Für Pheko und seinen Sohn habe ich mich natürlich auch gefreut, aber wie oben schon gesagt, das läuft mir alles etwas zu glatt.


    Am Ende bin ich etwas zwiegespalten, die Geschichte war gut erzählt und die Idee mit dem Aufzeichnen der Erinnerungen fand ich auch gelungen, aber vermutlich wird mir diese Novelle nicht lange im Gedächtnis bleiben, weil sie mich einfach nicht besonders berührt oder beschäftigt hat.

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  • Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass Almas Versinken in Bedeutungs- und Erinnerungslosigkeit als gerechte Strafe dargestellt wurde, ich habe es einfach als Tatsachenschilderung hingenommen und als resigniertes Eingeständnis, dass man gegen Demenz leider machtlos ist.


    Genau so sehe ich es auch. Almas Schicksal steht ja schon zu Beginn des Buches fest. Dass die ganze teure Behandlung nicht wirklich helfen kann und ihre Krankheit immer weiter von ihr Besitz ergreift, sind der logische Lauf der Dinge. Eine Bestrafung habe ich darin auch nicht gesehen und würde ich auch nicht sehen wollen. Jeder von uns macht Fehler, hat gute und schlechte Seiten, eine Krankheit oder ein Schicksalsschlag sind aber doch nie eine Strafe dafür.

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  • Habt ihr euch eigentlich auch gefragt, was "Die Schatzinsel" im Buch uns sagen soll/will? Das Buch wird ja mehrfach erwähnt und scheint eine ganz besondere Bedeutung für Alma zu haben. Soll es eine Analogie sein zu Rogers und Luvos Schatzsuche?


    In "Die Schatzinsel" wird am Ende ja niemand glücklich, trotz dem Schatz und dem Reichtum, deshalb hätte ich hier eigentlich auch damit gerechnet, dass niemand durch den Fund des Gorgonops ein besseres Leben bekommt. Luvo blickt dem sicheren Tod ins Auge, kann sich aber noch einen schönen Lebensabend machen und Pheko und sein Sohn haben es ja auch ganz gut getroffen.


    Vielleicht habe ich da aber auch ein bisschen zu viel erwartet und Parallelen gesucht, weil ich "Die Schatzinsel" erst vor kurzem gelesen habe.

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  • Das Foto hat dadurch ja automatisch einen gewissen Abstand zur Wand, den die anderen Dokumente nicht haben.


    Das hat mich nicht gestört - Fotos biegen sich ja gerne mal ein bisschen in der Mitte durch, und auch Zettel an der Pinnwand hängen nicht immer ganz gerade runter.



    Habt ihr euch eigentlich auch gefragt, was "Die Schatzinsel" im Buch uns sagen soll/will? Das Buch wird ja mehrfach erwähnt und scheint eine ganz besondere Bedeutung für Alma zu haben. Soll es eine Analogie sein zu Rogers und Luvos Schatzsuche?


    Das ist eine gute Frage, ob die Schatzinsel mit Absicht gewählt wurde oder ob es nur einfach irgendein Klassiker sein sollte, der Alma schon lange durchs Leben begleitet. Die Parallele mit der Schatzsuche ist natürlich da, allerdings liegt meine Lektüre schon zu lange zurück, als dass ich da weitere Vergleiche ziehen könnte.

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  • Das ist auch eines meiner Probleme mit diesem Buch. Es ist zu kurz, um eine Geschichte wirklich ausführlich zu erzählen und ein Stück weit in die Tiefe zu gehen. Es ist mir aber auch zu lang für eine reine Kurzgeschichte. Als Teil einer Sammlung hätte ich das vielleicht anders empfunden.


    Mir ging es so mit den Figuren. Ich finde, man erfährt zu wenig über sie: Ich könnte jetzt nicht einmal sagen, ob Roger und Luvo Schwarze oder Weiße sind. Auch Pheko und Temba bleiben für mich völlig konturlos.
    Das, was Doerr schafft hinsichtlich der Natur und der Umgebung, nämlich die eindrücklichen Bilder, die er vor dem inneren Auge gekonnt entstehen lässt, schafft er leider nicht bei den Figuren.


    Noch etwas zur Textsorte: Eine Novelle ist das im deutschen Literaturverständnis nicht, da die Erzählung weder einsträngig ist noch ein echtes Dingsymbol besitzt, an dem sich ein Konflikt / eine dramatische Handlung entfaltet. Die beste Novelle, die ich je gelesen habe, ist "Bahnwärter Thiel" von Gerhart Hauptmann. Auch dort finden sich unglaublich schöne Naturbeschreibungen plus ebenso eindrückliche Figurenbeschreibungen!



    Roger und Luvo finden zufällig die Kassette 4510 in der Küche, die ja aber noch keinen Hinweis auf den Fossilienfund gibt. Wie Luvo aus dieser schönen Erinnerung von Alma kombiniert, dass das Foto von Harold eine gewisse Bedeutung hat und sich dahinter die gesuchte Erinnerung versteckt, ist mir aber nicht ganz klar. Hätte man das nicht gesehen, wenn hinter dem Foto diese Kassette klebt? Das Foto hat dadurch ja automatisch einen gewissen Abstand zur Wand, den die anderen Dokumente nicht haben.


    Das hat mich auch gestört. Und vor allem fand ich unlogisch, dass dort ausgerechnet die Erinnerung mit dem Fossilienfund dahinter war und nicht die schönste Erinnerung, aus der ja auch das Photo entspringt, also Kassette 4510.


  • Noch etwas zur Textsorte: Eine Novelle ist das im deutschen Literaturverständnis nicht, da die Erzählung weder einsträngig ist noch ein echtes Dingsymbol besitzt, an dem sich ein Konflikt / eine dramatische Handlung entfaltet. Die beste Novelle, die ich je gelesen habe, ist "Bahnwärter Thiel" von Gerhart Hauptmann. Auch dort finden sich unglaublich schöne Naturbeschreibungen plus ebenso eindrückliche Figurenbeschreibungen!


    Danke dass du das hier nochmal erwähnst. Ich wollte die ganze Zeit schon nachschauen, wie eine Novelle genau definiert ist, weil ich das aus der Schule auch noch anders in Erinnerung hatte.

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  • Tja, Roger hatte wohl nicht damit gerechnet, dass Alma noch mal einen klaren Moment haben würde. Dummerweise nutzt sie ihn, um den Einbrecher zu erschießen. Und das ausgerechnet, wo er fast am Ziel war. Dumm gelaufen, Roger!


    Kassette 4510 beinhaltet also wohl Almas schönste Erinnerung. Eigentlich logisch, dass es nicht die mit dem Fossilienfund ist. Denn wer tut sich das schon an, immer und immer wieder den Todes des eigenen Mannes zu durchleben?


    Luvo hat mich dann etwas enttäuscht, weil er die Info einfach so an Roger weitergegeben hat, als er hinter dem Foto von Harold die gesuchte Kassette fand. Hier hätte ich mir etwas mehr Widerstand von ihm erhofft.


    Dass Luvo dann tatsächlich das Unwahrscheinliche schafft und den Gorgonops findet, hat mich ehrlich gesagt, sehr überrascht. Kurz schien es, als müsse er aufgeben, aber dann kam ihm die Idee mit Harolds Stock, und so war es dann auch tatsächlich. Das ging mir dann doch alles etwas zu einfach.


    Die Begegnung mit den drei lustigen Finninnen, die sich seiner angenommen haben, hat mir aber gut gefallen. Dass Chefe Carpenter so ehrlich ist und den Scheck an Pheko schickt, hätte ich auch nicht unbedingt erwartet. Ich finde es aber toll von Luvo, dass er Pheko und seinen Sohn mit Reichtum bedacht hat. Zumal ich mich schon gefragt habe, warum Temba Luvo einfach so seinen Namen und seine Adresse sagt.


    Luvo kann nun wenigstens die restlichen Monate seines Lebens recht angenehm verbringen, Pheko und Temba müssen sich nicht um die Zukunft sorgen, und Alma vegetiert eigentlich nur noch vor sich hin. Viel ist ihr nicht mehr an Erinnerung geblieben - auf mich wirkt sie nicht mehr sehr lebendig.


  • Luvo verkauft einige Kassetten von Alma mit deren Erinnerungen. Wie kann das sein? Wer hat denn Interesse an fremden Erinnerungen?


    Ist das Happy End für Pheko und Temba nicht zu klebrig süß? Auch das Schicksal von Alma: Hat das nicht zu sehr den Beigeschmack von "Jeder bekommt, was er verdient"?


    Unter anderem in diesen Punkten hätte ich mir gern mehr realistisches Leben gewünscht.


    Dass mit den Erinnerungen Handel getrieben wird, wurde ja im 1. Abschnitt schon erwähnt. Wer daran Interesse haben soll, kann ich ehrlich gesagt auch nicht nachvollziehen. Wenn es Erinnerungen an ein besonderes öffentliches Ereignis sind, dann ja, aber alltägliche private Erinnerungen wären für mich absolut uninteressant.


    Das Happy End für Pheko und Temba finde ich nicht zu süß. Zu süß wäre es gewesen, wenn sie nun in Saus und Braus leben würden. Aber sie gönnen sich ja nur mal ein kleines Vergnügen.




    Alma ist in ihrem Heim weder glücklich noch unglücklich. Irgendwie erschien sie mir leer - so ohne ihre Erinnerungen und ohne ihre Kassetten.


    "leer" beschreibt ihren Zustand ganz gut, finde ich.




    Ich habe versucht, das erste Buch von Doerr aufzutreiben. Aber das ist nicht mehr nachzubestellen oder kostet über 60 Euro als Gebrauchtes. Ich hoffe jetzt sehr, dass der Verlag sich ein Herz nimmt und "Winklers Traum vom Meer" wieder auflegt. Das würde ich jetzt wahnsinnig gerne auch lesen. Vielleicht sollte man mal im Verlag nachfragen. :smile:


    Gebunden gibt es das schon für 55 € :breitgrins:


    Oder als E-Book für 10 €




    Stimmt, Pheko hätte es merken müssen. Aber das Buch soll, glaub ich, gar nicht realistisch sein. Ist ja kein Krimi oder so etwas. Für mich war das nicht wichtig. Schließlich ist ja schon das Erinnerungen-speichern nichts Reales. Ich habe mich mehr auf das konzentriert, was zwischen den Zeilen stand. Wie gesagt, alles subjektiv. :zwinker:


    Mich hat das schon auch etwas gestört, dass ich die Handlungen der Personen nicht hundertprozentig nachvollziehen konnte, dass sie mir unwahrscheinlich erschienen.


    Die Sache mit den Erinnerungen, also das Abzapfen und Speichern ist ganz klar eine unrealistische Sache. Hier erwarte ich nicht, dass das wie im echten Leben ist. Allerdings hätte ich mir mehr Erklärungen dazu gewünscht, wie das funktionieren soll.


    Aber alles andere ist doch aus der realen Welt entnommen, dann sollte es für mich auch so ablaufen wie in der realen Welt.




    Als Luvo Tembo vom Dach fast vor die Füsse fällt, denkt er, Luvo fällt vom Himmel und dann erscheint es durch den Sonnenschein, dass ihn ein Lichtschein umgibt. Als ob ein Engel vom Himmel fällt. Und dann sorgt Luvo noch für den Geldsegen, also schon irgendwie wie ein Engel. Naja vielleicht etwas kitschig, aber ich fand die Szene trotzdem gut.


    Stimmt! Das fand ich auch etwas kitschig, aber es hat mich nicht weiter gestört.


  • Mir tut Alma leid. Rogers hat es herausgefordert. Wer in Südafrika in das Haus eines Weißen einbricht muss damit rechnen erschossen zu werden. Dort ist es üblich eine Waffe zu haben und sich damit auch zu wehren.


    Mit dieser Aussage kann ich nicht konform gehen.
    Dann könnte man ja auch sagen, Frauen in lockerer Kleidung fordern es auch heraus und sind selbst schuld ...




    Unterm Strich bin ich froh, dass es die Leserunde gab, denn von mir aus hätte ich selbst mit Doerr als Autor nicht zu dem Buch gegriffen, das ich als sehr intensive, ungewöhnliche Lektüre empfunden habe. Inhaltlich war es teils harter Tobak, sprachlich ein großer Genuss.


    (Übrigens, das einzige, was mich in dem Buch gestört hat, war die Schreibweise "kaki". Die Farbe heißt "khaki", da mag die neue Rechtschreibung fordern, was sie will, Kaki ist eine Frucht!)


    Ohne Leserunde hätte ich wohl auch nicht zu diesem Buch gegriffen, schon allein weil es mir für die paar Seiten zu teuer gewesen wäre.
    Kaki ist mir zwar aufgefallen, aber wenn man das jetzt nun mal so schreibt, dann ist das halt so :breitgrins:




    Am Ende bin ich etwas zwiegespalten, die Geschichte war gut erzählt und die Idee mit dem Aufzeichnen der Erinnerungen fand ich auch gelungen, aber vermutlich wird mir diese Novelle nicht lange im Gedächtnis bleiben, weil sie mich einfach nicht besonders berührt oder beschäftigt hat.


    Geht mir ähnlich. Um mir lange im Gedächtnis zu bleiben und mich nachhaltig zu beeindrucken, war es nicht intensiv genug, weil zu kurz.




    Noch etwas zur Textsorte: Eine Novelle ist das im deutschen Literaturverständnis nicht, da die Erzählung weder einsträngig ist noch ein echtes Dingsymbol besitzt, an dem sich ein Konflikt / eine dramatische Handlung entfaltet.


    Könnte man nicht den Gorgonops als Dingsymbol sehen?


  • Mit dieser Aussage kann ich nicht konform gehen.
    Dann könnte man ja auch sagen, Frauen in lockerer Kleidung fordern es auch heraus und sind selbst schuld ...


    So ganz passt der Vergleich nicht, denn Frauen, die sich freizügiger kleiden, tun das, weil es ihnen so gefällt, mit höchstens dem Hintergedanken, Männer zu beeindrucken. Ein Einbrecher hingegen begeht bewusst eine Straftat. (Das rechtfertig natürlich nicht, ihn gleich umzubringen, würde aber vor Gericht, gerade in Ländern, wo Waffenbesitz üblich ist, schätzungsweise in eine ähnliche Kategorie fallen wie Notwehr.)


    Zitat

    Geht mir ähnlich. Um mir lange im Gedächtnis zu bleiben und mich nachhaltig zu beeindrucken, war es nicht intensiv genug, weil zu kurz.


    Ich fand es gerade aufgrund der Kürze und Dichte ziemlich intensiv, und auch die angerissenen Themen werden mir sicher noch das eine oder andere Mal durch den Kopf gehen. Alleine schon die entsetzlichen Zustände in Khayelitsha.

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    Leonard Cohen





  • Ich gehöre auch zur Fraktion derer, denen das Ende zu glatt und harmonisch war. Mir hat es zwar gefallen, aber irgendwie fühlte sich das auch schräg und ein wenig unglaubwürdig an. Vor allem, Anthony Doerr hatte ja zuvor schon so eine Stimmung der Melancholie und Beklemmung aufgebaut. Das mündet dann sogar noch in eine regelrecht bedrohliche Stimmung.


    Ich hatte zum Beispiel ganz schön Angst, dass Alma nicht Roger, sondern Pheko und/oder Tembo erschießt. Das war, denke ich, auch so angelegt. Alma hat einen klaren Moment, fühlt sich selbst bedroht, erinnert sich an die Waffe. Gleichzeitig wird Tembo krank und Pheko steht sich vor der Ambulanz die Beine in den Bauch; plötzlich erinnert er sich an die Antibiotika in Almas Bad. Wieder sehr stark das Motiv der Erinnerungen, das die Menschen hier leitet. Ich war mir fast sicher, dass es dann so läuft, dass Alma Pheko erschießt. Da war ich zugegebenerweise sehr erleichtert, als es Roger getroffen hat und nicht Pheko.


    Luvos Rolle bei der Geschichte: echt irre. Das ist für mich die interessanteste und tragischste Figur von allen. Er wird immer nur benutzt, aber als Roger tot ist, fängt er an, eigene Entscheidungen zu treffen; auf der Basis seines rudimentären Gehirns und Almas Erinnerungen, die für ihn übermächtig sein müssen, da er ja sonst nichts hat, an das er sich erinnern kann. Ich finde es auch bezeichnend, dass Alma zu der Zeit, als sie noch nicht krank war, nie an den Wanderstab gedacht hat. Er war ihr einfach nicht wichtig oder sogar verhasst, ein Symbol für Harolds Leidenschaft, die sie so gar nicht teilen konnte. Sie hat den Wanderstab verdrängt, sonst hätte sie vielleicht längst den Gorgonops gefunden. Luvo dagegen analysiert, was er sieht, und nach einiger Zeit spuckt sein Gehirn aus, was der Schlüssel zum Fund ist. Das finde ich genial gemacht vom Autor.


    Dass es dann für Luvo so einfach läuft mit dem Bergen und Verkaufen des Fossils, dass er einen Teil Geldes Pheko und Tembo zugute kommen lässt, das ist natürlich nach der ganzen düsteren Atmosphäre eine Überraschung. Die Entwicklung passt nicht ganz dazu, wie Anthony Doerr seine Geschichte anfangs angelegt hat, aber vielleicht wollte er ja gerade das: seine LeserInnen überraschen und der Story eine positive Wendung geben. Dass sich das am Ende dann etwas weichgespült anfühlt, hat er wohl in Kauf genommen.


    Mir hat es jedenfalls gut gefallen und ich hab auch im zweiten Teil den ausgefeilten Schreibstil genossen.

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel


  • Ich hatte zum Beispiel ganz schön Angst, dass Alma nicht Roger, sondern Pheko und/oder Tembo erschießt. Das war, denke ich, auch so angelegt. Alma hat einen klaren Moment, fühlt sich selbst bedroht, erinnert sich an die Waffe. Gleichzeitig wird Tembo krank und Pheko steht sich vor der Ambulanz die Beine in den Bauch; plötzlich erinnert er sich an die Antibiotika in Almas Bad. Wieder sehr stark das Motiv der Erinnerungen, das die Menschen hier leitet. Ich war mir fast sicher, dass es dann so läuft, dass Alma Pheko erschießt. Da war ich zugegebenerweise sehr erleichtert, als es Roger getroffen hat und nicht Pheko.


    Huh, daran hatte ich beim Lesen ehrlich gesagt gar nicht gedacht, aber mich schüttelt's jetzt nachträglich bei dem Gedanken, dass sie auch Pheko oder Temba hätte erwischen können :entsetzt:


    Zitat

    Ich finde es auch bezeichnend, dass Alma zu der Zeit, als sie noch nicht krank war, nie an den Wanderstab gedacht hat. Er war ihr einfach nicht wichtig oder sogar verhasst, ein Symbol für Harolds Leidenschaft, die sie so gar nicht teilen konnte. Sie hat den Wanderstab verdrängt, sonst hätte sie vielleicht längst den Gorgonops gefunden.


    Ich glaube, sie hatte nie ein Interesse daran, das Fossil zu finden. Sie hatte ja einen regelrechten Hass auf Harolds Leidenschaft und ist nur widerwillig mitgereist.

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    Leonard Cohen





  • Huh, daran hatte ich beim Lesen ehrlich gesagt gar nicht gedacht, aber mich schüttelt's jetzt nachträglich bei dem Gedanken, dass sie auch Pheko oder Temba hätte erwischen können :entsetzt:


    Mir kam die Szene so vor, als ob Alma einen ganz klaren Moment hatte und Theko auf jeden Fall erkannt hätte. Dass sie ihn möglicherweise trifft, war mir nicht in den Sinn gekommen.

    Das sind keine Stirnfalten. Das ist ein Sixpack vom Denken.


  • Rogers muss sie nicht anders ruhig stellen als mit Eiern. Wie auch immer er auf die Idee gekommen ist. Aber ich traue ihm zu, dass er auch rabiat geworden wäre, wenn sie sich ihm widersetzt hätte. Auf jeden Fall hat er Alma jede Nacht Angst eingejagt - auch wenn sie das ständig wieder vergisst. Und einmal hat sie sich halt gewehrt. Verdient. Diesen Begriff finde ich einfach nicht passend. Verdient ein Mörder die Todesstrafe? Ich finde nicht. Also "verdient" keiner den Tod bei mir.


    Klebrig süß ist bei mir etwas anderes. Aber so was ist ja immer subjektives Empfinden. Ich empfand es wohltuend, angenehm unkitschig, wie eine schöne sanfte Melodie. :smile:


    Ich gebe Dir Recht. Roger ist eine Bedrohung für Alma und weil sie sie immer wieder vergisst, empfindet sie sie auch immer wieder anders. Roger hätte das auch kapieren müssen, dass Alma aufgrund ihrer Demenz unberechenbar und damit eine Bedrohung für ihn ist - in welcher Form auch immer. Mit dem Schuss hat natürlich keiner gerechnet, aber auf der anderen Seite musste man - also sowohl die Figuren im Buch als auch wir als Leser - bei Alma wirklich mit allem rechnen.


    Ich fand es auch überhaupt nicht klebrig süss. Auf seine Weise schloss sich hier für Pheko und seinen Sohn ein Kreis. Ein verspäteter Gruß von Harold, der seinen Stock an die richtige Stelle gesetzt hatte....


  • Ich hatte zum Beispiel ganz schön Angst, dass Alma nicht Roger, sondern Pheko und/oder Tembo erschießt. Das war, denke ich, auch so angelegt. Alma hat einen klaren Moment, fühlt sich selbst bedroht, erinnert sich an die Waffe. Gleichzeitig wird Tembo krank und Pheko steht sich vor der Ambulanz die Beine in den Bauch; plötzlich erinnert er sich an die Antibiotika in Almas Bad. Wieder sehr stark das Motiv der Erinnerungen, das die Menschen hier leitet. Ich war mir fast sicher, dass es dann so läuft, dass Alma Pheko erschießt. Da war ich zugegebenerweise sehr erleichtert, als es Roger getroffen hat und nicht Pheko.


    Ja, genau, das hatte ich auch befürchtet und mich dann gefreut, als es nicht dazu kam.


    Luvos Rolle bei der Geschichte: echt irre. Das ist für mich die interessanteste und tragischste Figur von allen. Er wird immer nur benutzt, aber als Roger tot ist, fängt er an, eigene Entscheidungen zu treffen; auf der Basis seines rudimentären Gehirns und Almas Erinnerungen, die für ihn übermächtig sein müssen, da er ja sonst nichts hat, an das er sich erinnern kann. Ich finde es auch bezeichnend, dass Alma zu der Zeit, als sie noch nicht krank war, nie an den Wanderstab gedacht hat. Er war ihr einfach nicht wichtig oder sogar verhasst, ein Symbol für Harolds Leidenschaft, die sie so gar nicht teilen konnte. Sie hat den Wanderstab verdrängt, sonst hätte sie vielleicht längst den Gorgonops gefunden. Luvo dagegen analysiert, was er sieht, und nach einiger Zeit spuckt sein Gehirn aus, was der Schlüssel zum Fund ist. Das finde ich genial gemacht vom Autor.


    Ich fand Lupo sehr klug. Und er war das Schicksal innerhalb der Geschichte, die Gerechtigkeit. So sehe ich das. Einer, der am Ende die Dinge in die rechten Bahnen geleitet hat. Irgendwie hatte das Ende fast was Biblisches für mich - das hört sich jetzt so groß an, aber so habe ich das gar nicht empfunden. Eher einfach wie ein Gleichnis.

  • Nochmal zu Alma: für sie fand ich das Ende passend - weder als Bestrafung noch als sonst etwas Düsteres. Bei ihr nimmt die Demenz ihren Lauf und hat sich immer mehr verstärkt. Deswegen kann sie so etwas wie Atmosphäre und Lebensqualität nicht mehr beurteilen. Aber sie ist in einem Heim, in dem man - den Umständen entsprechend - freundlich mit ihr umgeht und singt. Ich denke, das ist keine schlechte Entwicklung, zumal sie von Pheko besucht wird.


    Und ich denke mal, dass man darauf mit dem Stock erstmal kommen muss. Wie gesagt, ich fand das ziemlich schlau von Luvo und ich könnte mir vorstellen, dass er nicht die Idee gehabt hätte, wenn er nicht vor Ort gewesen wäre. Und ich denke mir, dass Alma a) desinteressiert, b) aufgrund ihres Alters nicht mehr sonderlich mobil und c) angesichts der inzwischen sehr fortgeschrittenen Demenz entweder bereits erkrankt oder nicht mehr lange gesund war. Mehrere Faktoren, die bedingen, dass sie sich da nicht mehr eingebracht hat. Wobei ich glaube, sie hatte überhaupt keinen Sinn für diese Fossilien, sie hätte da möglicherweise auch nicht mehr so recht dran gedacht, wenn sie weiter gesund geblieben wäre, sondern es eher ausgeblendet. Denn es war immer eine Art Konkurrenz für sie - Harold hat sich um die Fossilien gekümmert, wenn seine Aufmerksamkeit eigentlich ihr gelten sollte. Aus ihrer Sicht, versteht sich.


  • Als Luvo Tembo vom Dach fast vor die Füsse fällt, denkt er, Luvo fällt vom Himmel und dann erscheint es durch den Sonnenschein, dass ihn ein Lichtschein umgibt. Als ob ein Engel vom Himmel fällt. Und dann sorgt Luvo noch für den Geldsegen, also schon irgendwie wie ein Engel. Naja vielleicht etwas kitschig, aber ich fand die Szene trotzdem gut.


    Das passt - so finde ich - gut in diesen Gedanken des Gleichnisses, der mir durch den Kopf ging


    Luvo kann durch die 30.000 Rand die letzten 6 Monate, die ihm noch bleiben, geniessen. Als es ihm in der Wüste so schlecht ging, dachte ich kurz, dass er die
    Suche nicht beenden kann. Die Vorstellung, dass da 3 angetrunkene Finninnen durch die Wüste fahren, dann ihm helfen und den sauschweren Kopf einladen fand ich schon ziemlich skurril.


    Ja, skurril ist der passende Ausdruck. Wobei Luvo ja - wenn ich mir erlauben darf, das so zu formulieren und es ist definitiv nicht flapsig gemeint - aus einem sehr skurrilen Grund sterben wird. Da ist das eine sehr angemessene Begegnung.


  • Ich hatte zum Beispiel ganz schön Angst, dass Alma nicht Roger, sondern Pheko und/oder Tembo erschießt. Das war, denke ich, auch so angelegt. Alma hat einen klaren Moment, fühlt sich selbst bedroht, erinnert sich an die Waffe. Gleichzeitig wird Tembo krank und Pheko steht sich vor der Ambulanz die Beine in den Bauch; plötzlich erinnert er sich an die Antibiotika in Almas Bad. Wieder sehr stark das Motiv der Erinnerungen, das die Menschen hier leitet. Ich war mir fast sicher, dass es dann so läuft, dass Alma Pheko erschießt. Da war ich zugegebenerweise sehr erleichtert, als es Roger getroffen hat und nicht Pheko.


    Oh ja, ich habe auch eine Zeit lang fest damit gerechnet, dass Pheko vor die Pistole läuft. Aber natürlich war auch ich dann froh, dass es doch nicht so kam.



    Ich glaube, sie hatte nie ein Interesse daran, das Fossil zu finden. Sie hatte ja einen regelrechten Hass auf Harolds Leidenschaft und ist nur widerwillig mitgereist.


    Ich glaube auch nicht, dass Alma einen Gedanken daran verschwendet hat, den Gorgonops zu suchen. Dieses unleidige Kapitel war mit Harolds Tod endlich erledigt.