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"Sie weiß nicht, was sie tut“, dachte ich, „sie ist nicht mehr dieselbe -- wir alle sind nicht mehr dieselben.“ Der -- fiktionale -- achtjährige Philip Roth muss mit ansehen, wie sich sein Umfeld dramatisch verändert. 1940 war seine Familie noch eine gewöhnliche, glückliche jüdische Familie in einem Amerika, das Juden ein freies Leben und Integration ermöglichte. Doch dann nominieren die Republikaner einen Helden der Luftfahrt, den faschismusfreundlichen Charles Lindbergh. Den Wahlkampf gegen Demokrat Franklin D. Roosevelt gewinnt er durch eine Kampagne, die heftige Kontroversen unter den Juden auslöst: Der Frieden und angeblich ebenso die Demokratie sollen bewahrt werden, indem sich Amerika für eine isolationistische Haltung gegenüber Nazi-Deutschland ausspricht.
Schon bald stellt sich heraus, dass Lindbergh andere Zukunftspläne schmiedet. Seine Begeisterung für Hitlers Machtpolitik wird jedoch nicht nur den amerikanischen Juden, sondern ebenso ihm selbst zum Verhängnis. Rückblickend beschreibt Philip aus der Perspektive eines Kindes, wie das geregelte Leben der Juden zerbricht, wie das beklemmende Gefühl der Schutzlosigkeit sie dazu zwingt Dinge zu tun, die ihnen einst zuwider gewesen wären.
Meine Meinung
Bei diesem Buch fällt es mir schwer, eine eindeutige Beurteilung abzugeben.
Über die ersten 100 Seiten habe ich mich gequält, dann habe ich Feuer gefangen und es wurde eine sehr interessante, fesselnde Geschichte. Die letzten 100 Seiten (das Buch hat insgesamt ca. 400) waren sehr langatmig, bestanden eigentlich aus einer Aneinanderreihung von Leuten, Organisationen, Nachrichtenmeldungen, etc.
Angesprochen hat mich natürlich die zu Grunde liegende Idee. "Was wäre wenn ...", ein einzelnes Rad der Geschichte anders als im Geschichtebuch läuft ... was sind die Konsequenzen, wie würde die Welt aussehen.
Brillant gelungen ist die Verwebung von historischen Fakten und Fiktivem. Wie auch das Nachwort erklärt, sind sämtliche im Buch genannten Personen authentisch, in ihrer Rolle, in ihrer Haltung, in ihrem Auftreten. Diese Personen haben im Buch einen anderen „Mitspieler“, nämlich Charles Lindbergh, seinerseits (auch historisch) eine antisemitische, nazifreundliche Haltung. Mit dem "Wahlkampfthema", Amerika vor dem 2. Weltkrieg verschonen zu wollen, gewinnt er die Wahl gegen F.D.Rooseveldt.
Ebenso brillant die Figur des 8-jährigen Philip Roth (das Buch trägt starke autobiografische Züge), mit all seinen Ängsten, seinen Befürchtungen und seiner Verwirrung. Philip ist schlichtweg überfordert mit der Situation. Seine Eltern wollen das Kind natürlich verschonen, er bekommt dann doch einiges mit und kann mit all den Eindrücken nicht fertig werden. Er sieht wie langsam aber sicher seine heile Familien- und Umwelt aus den Fugen gerät, fühlt sich selber irgendwie schuldig, will verhindern und helfen und fühlt im Grunde wie ausgeliefert und machtlos er ist und dass es auch kein Entrinnen gibt.
Sehr gut beschrieben ist auch die Systematik der Propagandamaschinerie. Subtil und verdeckt, aber sukzessive werden „Meinungen“ gebildet, die Juden assimiliert, durch (beruflich bedingte) Versetzungen übers Land verteilt. Durch die gezielte Propaganda gewinnt die Regierung auch die Zustimmung vieler Juden. Die ganz wenigen, die das System durchschauen bzw. ihm kritisch gegenüberstehen, werden aus dem Verkehr gezogen (z.B. der Journalist Walter Winchell).
Diese ganze Thematik, diese Schilderungen entgleisen allerdings meiner Meinung nach ab Mitte des Buches. Roth verzettelt sich hier in Namen von Leuten, Namen von Organisationen, irgendwelche Kindheitserinnerungen und das Buch verliert leider sehr dadurch. Ebenso das abrupte, einfallslose Ende von Charles Lindbergs Gegenwart hat mich doch einigermaßen erstaunt und passt eigentlich nicht zum Buch.
Am Roman angeschlossen ist ein sehr ausführliches Nachwort, mit sämtlichen Lebensläufen der im Buch genannten Personen bzw. auch den politischen Zuständen der damaligen Zeit. Ein Stück Zeitdokument, aus der Sicht Amerikas.
Philip Roth (Quelle: wikipedia)
geboren 19. März 1933 in Newark, New Jersey) wuchs in einer jüdischen Familie auf. Seine Großeltern emigrierten aus Osteuropa.
Er besuchte die jüdische Weequahic High School und studierte 1950-51 an der Rutgers University. Er war dann an verschiedenen Universitäten als Dozent tätig (Chicago, Iowa, Princeton, Pennsylvania, New York)
Roths Ehe mit Margaret Martinson hielt von 1959-63, 1968 starb Martinson bei einem Autounfall. (Biographische Details aus dieser von Anfang an unglücklichen Ehe flossen später in den Roman Mein Leben als Mann ein.) Von 1975 an lebte er mit Claire Bloom, einer britischen Schauspielerin, die vor allem durch ihre Rolle in Charlie Chaplin's "Limelight" bekannt wurde. 1990 heirateten Roth und Bloom, aber schon 1994 wurde diese Ehe geschieden.
Er lebt auf einer Farm in Connecticut.
Werke (auszugsweise)
1959 Goodbye Columbus (dt. Goodbye, Columbus)
1962 Letting Go (dt. Anderer Leute Sorgen, 1965)
1967 When She Was Good (dt. Lucy Nelson oder Die Moral)
1969 Portnoys Complaint(dt. Portnoys Beschwerden)
1974 My Life As a Man (dt. Mein Leben als Mann, 1990)
1977 The Professor of Desire (dt. Professor der Begierde)
1983 The Anatomy Lesson (dt. Die Anatomiestunde)
1991 Patrimony (dt. Mein Leben als Sohn)
1995 Sabbath's Theater (dt. 1996)
Die amerikanische Trilogie:
1997 American Pastoral (dt. Amerikanisches Idyll)
1998 I Married a Communist (dt. Mein Mann der Kommunist)
2000 The Humain Stain (dt. Der menschliche Makel)
2001 The Dying Animal (dt. Das sterbende Tier)
2001 Shop Talk (Gespräche mit Schriftstellern)
2004 The Plot Against America : A Novel (dt. Verschwörung gegen Amerika)
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