Ann-Marie MacDonald - Wohin die Krähen fliegen/The Way the Crow Flies

Es gibt 13 Antworten in diesem Thema, welches 4.059 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Doris.

  • Der grobe Plot ist relativ schnell erzählt. 1962 zieht die achtjährige Madeleine, Tochter eines kanadischen Berufssoldaten, mit ihrer Familie auf den Militärstützpunkt Centralia in der kanadischen Pampa. Das Umziehen ist sie gewohnt, sie findet auch schnell neue Freundinnen, genau wie ihre Eltern rasch einen Freundeskreis aufbauen.


    Die Kubakrise stürzt alle in Angst und Schrecken, doch mit dem Einlenken der Russen ist diese Gefahr gebannt. Doch im darauffolgenden Sommer sorgt etwas ganz anderes in Centralia für Trauer, Angst und Aufruhr - eine Mitschülerin von Madeleine wird tot auf einer Waldlichtung aufgefunden.


    Nach diesem Vorfall ist in Centralia nichts mehr wie früher. Viele ziehen weg, eines Tages auch Madeleine und ihre Familie. Doch der Tod des Mädchens lässt sie ihr ganzes Leben nicht mehr los.


    Das Buch ist jedoch kein Thriller. Auf 700 Seiten entfaltet sich manchmal fast quälend langsam ein Porträt des Lebens auf einem Militärstützpunkt im Kalten Krieg, die Geschichte von Madeleines Familie, aber auch der ganzen "Dorfgemeinschaft", die nach dem mysteriösen Todesfall unter Ängsten, Verdächtigungen und Vorwürfen auseinanderbricht.


    Es ist keine leichte Kost, dieser Blick in die Gedankenwelt der kleinen Madeleine mit ihrem Imitationstalent (später wird sie als Komikerin daraus Kapital schlagen), die versuchen muss, Dinge zu verarbeiten, für die sie eigentlich noch zu klein ist. Das ganz Alltägliche (Familienleben, Streitereien, Ärger in der Schule) geht beim Erzählen Hand in Hand mit dem Weltgeschehen - und mit den Vorfällen in Centralia, die die Ermordung des kleinen Mädchens nach sich zieht.


    Mehr kann man schlecht verraten, ohne zu spoilern, was das Rezensieren natürlich erschwert. Wie schreckliche Ereignisse hier unsentimental und unpathetisch geschildert werden, im fast beiläufigen Ton eines Kindes, erinnert ein wenig an John Irving, doch das Buch driftet nicht wie bei ihm üblich ins Skurrile ab, sondern bleibt sehr realitätsnah.


    Im zweiten Teil, wenn Madeleine erwachsen ist und aus über 20 Jahren Abstand auf das Geschehene zurückblickt, fand ich die Erzählweise zunächst ein wenig anstrengend, weil so viele lose Fäden aus der Vergangenheit hier endlich verknüpft wurden (manchmal dauerte es mir ein klein wenig zu lang), doch insgesamt hat mich das Buch gleichzeitig in seinen Bann gezogen und geschockt.


    Ein außergewöhnliches Buch (auch wenn mir das Kind Madeleine authentischer und sympathischer schien als die Erwachsene).


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


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    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • ich habe es vor einiger zeit gelesen und fand es sehr gut, auch wenn ich das ende oder besser die art und weise wie es geschrieben war, nicht so sehr mochte. es war so aprupt und hat vom schreibstil nicht so ganz zum rest gepasst - weiss jetzt nicht wie es in der dt. uebersetzung ist, war zumindest im original so. aber die loesung am ende war schon interessant und recht unerwartet.


    habe es eigentlich auch nur gelesen, da ich vorher "fall on your knees" von der autoren gelesen hatte und es sehr gut fand.

    "Ganze Literaturen wären nicht, riegelten die Maedchen ihre Türen auf" Kurt Tucholsky

  • Ich habe auch das englische Original gelesen (ebenfalls weil ich den Erstling der Autorin gut fand).


    Die Auflösung kam für mich relativ überraschend, aber es war schon ein bisschen abrupt. Mich hätte noch interessiert, ob Madeleine die Wahrheit erfahren hat oder ob es einfach nur so erzählt wurde, wie es tatsächlich ablief, ohne dass sie wusste, was Sache war...

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    Leonard Cohen





  • mmmhhhh - kann ich jetzt nicht so aus dem hut sagen, ist schon eine weile her, dass ich es gelesen habe und zur zeit hat es die schwiegermama.

    "Ganze Literaturen wären nicht, riegelten die Maedchen ihre Türen auf" Kurt Tucholsky

  • Hallo!


    Ich bin durch diesen Thread auf dieses Buch gestossen. Es hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen, weil die Autorin den Leser als stillen Beobachter am Leben Madeleines und ihrer Familie teilnehmen lässt. Anfangs erscheint alles wie die perfekte Welt, doch schon vor dem Verbrechen zeigen sich die ersten Risse in der scheinbar heilen Fassade. Madeleine sieht die Dinge mit den unvoreingenommenen Augen eines Kindes und genau das hat mich manchmal schaudern lassen. Als der Mord dann geschehen ist zeigt sich, dass vieles in Centralia dem Druck des Verbrechens nicht standhält und die Dinge beginnen auseinander zu brechen. Die erwachsene Madeleine ist das Produkt der Ereignisse ihrer Kindheit, nicht nur des Mordes sondern auch aller Dinge, die sie nicht verarbeiten konnte.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Originaltitel: The way the crow flies


    Madeleine und ihr älterer Bruder Mike ziehen mit ihrem Canadian Air Force Vater und der akadischen Mutter alle paar Jahre um. Es ist die Zeit des kalten Krieges, Anfang der 1960er Jahre, Madeleine ist acht, als sie nach Centralia kommen, einem Ausbildungsstützpunkt im kanadischen Gebiet der großen Seen. Es wirkt idyllisch, doch die Zeit in Centralia wird ihr weiteres Leben am stärksten (und schrecklichsten) beeinflussen.


    Zwischendurch mochte ich gar nicht weiterlesen, zu fürchterlich fand ich Madeleines Erlebnisse – hier haben mir die vorigen Rezensionen sehr geholfen, die einen Zeitsprung von 20 Jahren versprachen – es würde also nicht endlos so weitergehen, während ich vor lauter Hilflosigkeit das Buch immer wieder nur weglegen wollte. Das war mein vorherrschendes Gefühl beim Lesen: Hilflosigkeit. Man sieht alles Schreckliche und auch die an sich nicht ganz so schrecklichen Handlungen und Geschehnisse, bei denen man als Leser aber durchaus erkennt, welche unerwünschten Folgen das irgendwann haben wird und kann einfach nichts tun. Ich habe mir nur bei wenigen Büchern so sehr gewünscht eingreifen zu können, jemanden zu schütteln, der gerade nicht sieht, welchen Fehler er macht oder jemanden einfach nur in den Arm zu nehmen, der es dringend braucht, aber nicht offen zeigen kann.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    *und jetzt gehe ich das andere veröffentlichte Buch der Autorin besorgen und ihr nächste Woche erscheinendes Neues auf den Wunschzettel setzen*

  • Oh, es gibt was Neues von ihr? Klasse!


    Das andere Buch habe ich auch, ich komme bloß gerade nicht drauf, wie es heißt.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Viereinhalb Ratten, das lese ich gerne. Dieses Buch ist erst vor ein paar Wochen bei mir eingezogen und wandert auf dem SUB nach oben.


  • Aber Doris, haben wir dich jemals enttäuscht? :zwinker:


    Na ja, es gab schon mal Bücher, die mir nicht gefallen haben, während alle anderen es gut fanden. Ich erinnere mich da an eins, in dem es um Mathematik ging, das war wirklich nichts für mich. Aber die meisten sind schon gut, da gab es kaum Enttäuschungen. Das Buch, das ich derzeit lese, auch ein Tipp aus dem Forum, entspricht absolut meinen Erwartungen.



    :breitgrins:


    Ich bin jedenfalls gespannt auf Deine Rezi!


    Ich auch! :breitgrins:


  • Ich bin jedenfalls gespannt auf Deine Rezi!


    Jetzt habe ich das Buch endlich gelesen. Meine deutsche Ausgabe hat über 1000 Seiten, es war also klar, dass sich die Handlung langsam entwickeln würde. Die ersten etwa 200 Seiten erfordern aber doch einiges an Geduld, denn es zeichnet sich lange nicht ab, wohin der Weg führt. Und dann, ohne dass man es richtig wahrnimmt, ist man mittendrin, weil die wesentlichen Ereignisse unbemerkt schon ihren Anfang genommen haben. Dieses Schema wird auch nach dem Zeitsprung beibehalten, wobei ich hier noch größere Schwierigkeiten hatte, in die Handlung hineinzukommen und mich an die erwachsene Protagonistin zu gewöhnen.


    Beim Inhalt ging es mir so, wie illy weiter oben schrieb - das vorherrschende Gefühl war eine Mischung aus Fassunglosigkeit und Hilflosigkeit. Man sieht als Leser, was passiert, und kann nicht glauben, dass niemand etwas bemerkt und eingreift. Solche Situationen gab es mehrere. Sie passieren so beiläufig, dass es kaum auffällt und haben doch weitreichende Folgen für die Betroffenen.


    Die Charaktere waren äußerst vielschichtig. Ann-Marie MacDonald greift tief in den Kleinstadtpott und entwickelt sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die alle aus dem wahren Leben stammen könnten. Bei der Intensität, die manchen von ihnen ausstrahlen, ist es schwer, als Leser unberührt zu bleiben. Auch eine Neutralität ihnen gegenüber zu bewahren, ist fast unmöglich. Manche von ihnen treffen Entscheidungen, aus Gründen, die ihnen zum Teil gar nicht bewusst sind, und erkennen dabei nicht, dass sie damit schwerwiegende Folgen für andere hervorrufen. Man möchte sie deshalb also nicht gleich verteufeln, trotzdem stellt sich beim Lesen schnell eine gewisse Aversion ihnen gegenüber ein. Das ist nicht so negativ wie es klingt, es sorgt vielmehr für Spannung.


    Die langgezogenen Anfangsphasen störten mich ziemlich, daher gibt es Abzüge. Davon abgesehen ist das Buch eine echte Empfehlung.


    4ratten

  • Die langgezogenen Anfangsphasen störten mich ziemlich, daher gibt es Abzüge. Davon abgesehen ist das Buch eine echte Empfehlung.


    4ratten


    Wie gesagt: haben wir dich jemals enttäuscht? :zwinker:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Na ja, zwei oder drei Bücher waren doch nicht so ganz meins. Das lag aber meistens an persönlichen Abneigungen wie z. B. bei diesem Buch, in dem es um Mathematik ging und von dem ich innerhalb kürzester Zeit sogar den Titel erfolgreich verdrängt habe.