Trigger Warnung: Sexuelle Gewalt und Kinderschändung
Das hier ist ein Buch über die geschädigte Entwicklung von Kindern aus psychologischer Sicht. Keine leichte Kost! Also weiterlesen auf eigene Gefahr, würde ich sagen.
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Alice Miller -- Das Drama des begabten Kindes (und die Suche nach dem wahren Selbst)
Meine Therapeutin hatte vor ein paar Wochen das Thema Narzissmus angesprochen, was mich sehr erschreckte, da ich mit dem typischen Bild eines Narzissten eigentlich nichts gemeinsam hatte. Ganz bestimmt sehe ich mich nicht als besser als die anderen Menschen und will das auch gar nicht sein. Im Gegenteil, ich will einfach nur "normal" sein und nicht auffallen.
Anscheinend gibt es mehr zum Thema Narzissmus, als das was den meisten Menschen einfällt. Es gibt eine Kehrseite, die die Leute erfasst, die genau das Gegenteil eines klassischen Narzissten darstellen. Anstatt einer stark ausgeprägten Persönlichkeit haben diese eine zu schwach ausgeprägte Persönlichkeit. Das war wohl, weswegen sie es ansprach und mir empfahl Literatur zum Thema zu besorgen, da sie weiß, dass ich auch vorher Bücher las zu Themen aus der Therapie.
Eines der Bücher war dann "Das Drama des begabten Kindes" von Alice Miller. Der Titel ist vielleicht etwas irreführend, weil es nicht unbedingt um ein begabtes Kind im Sinne von besonders klug oder geschickt geht. Es werden eher Kinder gemeint, die sich während des Aufwachsens so sehr an die Normen und Erwartungen der Eltern und anderer Erwachsenen anpassten, dass sie quasi ihr eigenes Selbst verlieren bzw. gar nicht erst entwickeln konnten.
Ein Kind zum Beispiel dessen Mutter emotional instabil ist und ständig Hilfe vom eigenen Kind benötigt, wird zwangsweise eher selber eine Mutterrolle einnehmen und gar nicht ihre eigene Kindheit dazu gebrauchen können, um sich selbst zu entwickeln in dem es den Dingen nachgeht, für die es sich interessiert.
Das Buch beschreibt auch Kinder, die sexuelle Misshandlung durch Menschen erlitten haben, denen sie eigentlich vertrauen müsste und von denen es als kleines Kind eben auch noch abhängig ist. Solche Kinder passen sich meistens an nach dem Sinne 'auch wenn es mir nicht gefällt, meine Eltern wissen was besser ist und ich brauche sie'.
Nicht alle Fälle müssen so extrem sein und selbst bei Eltern, die ihre Kinder lieben und alles richtig machen wollen können bestimmte Dinge eine Persönlichkeitsanpassung in Folge ziehen.
Ein Kind könnte lernen, dass es nur anerkannt wird, wenn es gute Noten in der Schule bekommt, weil es den Eltern schwer fällt dem Kind Nähe und Liebe zu bieten oder (bewusst oder unbdewusst) abwertend gegenüber den Dingen reagieren, die das Kind interessiert und gerne macht. Somit tauscht es quasi die eigene Persönlichkeit mit dem Schulerfolg aus und identifiziert sich nur noch daran, nicht mehr mit den eigenen Interessen, da es lernt, dass diese keinen Wert haben.
Es sind auf jeden Fall interessante Themen und werden von der Autorin, die selber natürlich Psychologin ist, recht gut erklärt. Sie benutzt auch bekannte Persönlichkeiten, die sich öffentlich über ihre Kindheit und die Probleme in dieser ausgedrückt haben, als Beispiel. So schreibt sie zum Beispiel über Hermann Hesse und seine Beziehung zu seinen Eltern.
Allerdings würde ich dieses Buch eher als eine Sammlung von Essays aus der Sicht einer psychologischen Therapeutin beschreiben als ein sauber durchstrukturiertes Fachbuch. Ich fand es ein wenig unangenehm, dass die Prosa nicht so deutlich und klar war, wie in einem Sachbuch, aber auch nicht so bunt und persönlich wie in einer typischen Essay Sammlung. Irgendwie ist es genau der Mitte davon gelandet und beinhaltete außerdem etliche, ewig lange Schachtelsätze.
Besonders interessant - und das ist auch ein Grund, weswegen mir das Buch wohl besonders in Erinnerung bleiben wird - waren die Momente, in denen Miller über Therapeuten-Patienten Beziehungen spricht. Darüber, wie sich die Kindheit eines Therapeuten darauf auswirken kann, wie sie mit ihren Patienten umgehen, sei es bewusst oder unbewusst. Diese psychologischen Blicke hinter die Kulissen waren was ziemlich besonderes für mich. Selten werden Therapeuten selbst analysiert. Ich denke, das hat man wohl auch der persönlichen Eigenschaft von Essays zu verdanken.
Wer sich für Psychologie interessiert - besonders die (negativen) Auswirkungen von Dingen aus der Kindheit auf die erwachsene Person - der hat hiermit wohl einen sehr soliden Einstieg. Das Buch wird wohl nicht ohne Grund seit fast 40 Jahren immer wieder neu gedruckt.
Meine Kindheit war bei weitem nicht so drastisch, wie die krassen Beispiele, die ich genannt habe, aber ich habe mich definitiv bestätigt gefühlt in meinen Vermutungen zu meiner Kindheit und ihren Auswirkungen auf meine heutige Persönlichkeit.
3,5/5