Imogen Hermes Gowar - Die letzte Reise der Meerjungfrau

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    Originaltitel: The Mermaid and Mrs. Hancock


    London, ausgehendes 18. Jahrhundert. Der redliche Kaufmann Jonah Hancock ist ziemlich entsetzt als sein Kapitän ohne Schiff und Ladung zurückkehrt, dafür aber mit einer Meerjungfrauenleiche. Er lässt sich darauf ein, sie auszustellen, zunächst in einem Kaffeehaus, dann als Attraktion in einem Edelbordell. Eine extra zu diesem Anlass dort angestellte freie Mitarbeiterin ist die andere Hauptfigur, Angelica Neal ist nach einigen Jahren leider ohne einen sie versorgenden Gentleman und sieht sich von Armut und Abstieg bedroht. Wenn Hancock ihr eine lebende Meerjungfrau bringt, dann wird sie ihn erhöre, so lockt sie den Witwer, der ein wenig unter der Fuchtel seiner Schwester steht. Die beiden Hauptfiguren in ihrer Konstellation haben mich an das Karmesinrote Blütenblatt erinnert, meine Erinnerung ist aber zu vage, um meine Assoziation mit Details untermauern zu können.


    Ich hatte das Buch über "Phantastik Bestenliste" kennengelernt, die ersten phantastischen Elemente tauchen allerdings erst weit nach der Hälfte auf. Eine tote Meerjungfrau, als Kuriosität ausgestellt, ist für mich nicht phantastisch, sondern normaler Bestandteil früherer "unwissenschaftlicherer" Zeiten. Es ist aber nun einmal auch nicht einfach nur ein historischer Roman, da steckt schon mehr dahinter. Abgesehen von den etwas anderen Erwartungen, die ich an das Buch hatte, gefielen mir auch die Figuren nicht, die Personen sind mir zu einfach gestrickt. Nicht von der schriftstellerischen Leistung der Autorin her, sie wirken schon real, sind aber eher simplen Geistes und manchmal naiver als ich es ertragen kann. Die generelle Darstellung der Zeit und der Gesellschaft hingegen gefiel mir gut und so bekommt das Buch doch noch ein leicht positives Urteil, ich kann mir durchaus vorstellen, mehr von der Autorin zu lesen.


    4ratten

  • Jonah Hancock war bisher ein braver und biederer Kaufmann, der früh Frau und Kind verloren hat und beiden immer noch nachtrauert. Doch dann bringt einer seiner Handelskapitäne von einer Überseereise einen spektakulären Fund mit: den Kadaver einer (angeblich?) echten Meerjungfrau. Genau die Art von Monstrosität, mit der man im London des ausgehenden 18. Jahrhunderts Aufsehen erregen und Geld machen kann.


    Die Meerjungfrau schlägt tatsächlich ein wie eine Bombe, Hancock verdient ordentlich am Eintrittsgeld, und es dauert nicht lange, bis Mrs. Chappell, Inhaberin eines stadtbekannten Edelbordells, eine Chance wittert. Sie kommt mit Hancock überein, die Kuriosität leihen zu dürfen, und inszeniert um die Meerjungfrau herum ein erotisch angehauchtes Spektakel.


    Währenddessen ist Angelica Neal, einst das Aushängeschild von Mrs. Chappells Etablissement, froh, dass der Freier, für den sie drei Jahre lang die Edelkurtisane gespielt hat, verstorben ist und sie nun wieder die Freiheit hat, sich mit jüngeren und schöneren Männern einzulassen ... bis sie einen jungen Mann kennenlernt, der ebenfalls Exklusivität von ihr verlangt. Es dauert nicht lange, bis sie davon ziemlich gelangweilt ist und neue Aufregung in ihrem Leben sucht. Wie etwa eine echte Meerjungfrau. Wenn Hancock einmal eine solche aufgetrieben hat, wird er es doch sicher ein zweites Mal tun, denkt sie und setzt damit eine Kette unvorhergesehener Ereignisse in Gang.


    Der Titel klingt hübsch poetisch und lässt an schöne Frauen mit wallendem Haar und Fischschwanz denken. Doch Jonah Hancocks Meerjungfrau ist eine verschrumpelte affenartige Leiche - das war die erste Enttäuschung für mich in diesem Buch, denn ich hatte mir eine lebendige Nixe erhofft, die mit den Menschen interagiert.


    Doch das wäre zu verschmerzen gewesen, wenn mir bloß nicht die Charaktere so egal gewesen wären (abgesehen von Hancocks pfiffiger Nichte, die ihm den Haushalt führt). Ich konnte weder zu Jonah Hancock eine Beziehung aufbauen noch zu Angelica, die mir über weite Strecken wie eine Kreuzung aus verhätscheltem Kind und berechnendem Luxusweibchen vorkam. Warum sie plötzlich Hancock betört, der zuvor immer ziemlich immun gegen ihre Reize gewirkt hatte, hat sich mir genauso wenig erschlossen wie ihr plötzlicher Wunsch nach einer eigenen Meerjungfrau.


    Generell wirkte vieles in der Handlung vor allem in der zweiten Buchhälfte sprunghaft und eher schwer nachvollziehbar. Auch die Dialoge fand ich oft recht hölzern, das mag aber ein stückweit an der Übersetzung gelegen haben.


    Insgesamt ist der Roman nicht uninteressant und liest sich schnell, aber der Funke ist nicht wirklich übergesprungen, und das Ende fand ich ziemlich doof. Obwohl das historische London zwischen Handelskontoren und Kurtisanenboudoirs eine tolle Ausgangssituation bietet, kam bei mir auch nicht viel Atmosphäre an.


    3ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen