Tara Westover - Educated / Befreit: Wie Bildung mir die Welt erschloss

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 488 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    (Ich habe das Buch im Original gelesen)


    Tara wächst in einer Endzeit-Mormonen-Familie auf. Während aber die meisten anderen Familien der Gemeinde nur ein gottesfürchtiges Leben führen, und darum beten, am Tag des Weltuntergangs vorbereitet zu sein, werden in Taras Familie Benzin, Lebensmittel und irgendwann auch Waffen gehortet.


    Eigentlich empfinde ich den Lebensstil der Mormonen als prinzipiell altmodisch, frauenfeindlich und nicht mit meinen persönlichen Grundsätzen vereinbar. Im Vergleich mit Taras Familie wirken die meisten von ihnen aber vollkommen normal und modern und erscheinen als erstrebenswerte Alternative - schließlich gehen die Kinder zur Schule und bei Erkrankungen oder Verletzungen auch mal zum Arzt. In Taras Familie wird alles als Gott gegeben angenommen und die „Gesellschaft“ ist der gefährliche Feind. Tara selber braucht lange, bis sie wirklich bis ins Innerste überzeugt ist, dass ihr Vater ein paranoider Prepper ist, auch wenn sie die Anzeichen eigentlich schon eher identifizieren kann. Aber die eingebläute Loyalität zur Familie behält lange die Oberhand und meiner Meinung nach ist außer Glück und Fleiß auch ihre Intelligenz „schuld“, dass sie entsprechend gefördert wird und tatsächlich die Möglichkeit hat in der „normalen Welt“ zu bestehen. Die Geschwister, die sich keine College-Ausbildung erkämpft haben, sind gezwungen, sich dem Familienoberhaupt auf Gedeih und Verderb unterzuordnen.


    Es war ein heftiges Buch, eine erdrückend harte Kindheit und Jugend, voller Gewalt und Vernachlässigung, die von mir dabei sogar stärker empfunden wurde als von Tara selbst zu diesem Zeitpunkt, weil so viel davon für sie normal war.


    Spaß gemacht hat „Educated“ nicht, aber lesenswert war es definitiv.


    4ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

  • Als Tara in einem abgelegenen Ort in Idaho geboren wird, machen sich ihre Eltern nicht die Mühe, ihre Geburt bei den Behörden anzumelden. Sie leben quasi autark auf ihrem großen Anwesen, betreiben einen Schrottplatz und bereiten sich auf das Ende der Zeiten vor, das laut ihrer Religion nicht mehr lange auf sich warten lassen kann. Dem Staat steht vor allem der Vater äußerst skeptisch gegenüber, weswegen die Kinder zu Hause unterrichtet und sogar auch in Eigenregie medizinisch versorgt werden, weil man weder den Schulen noch Ärzten und Krankenhäusern traut, die der Vater allesamt für den verlängerten Arm der Regierung hält. Selbst schwerwiegende Verletzungen werden lediglich mit Homöopathie und Handauflegen behandelt und ansonsten der Ausgang des Ganzen in Gottes Hand gelegt.


    Das ist für Tara lange Zeit genauso normal wie die strengen Kleidungsvorschriften, die harte körperliche Arbeit, die ihr und ihren Geschwistern schon früh abverlangt wird und die verbale und physische Gewalt, die in der Familie an der Tagesordnung ist, sei es durch den Vater oder durch einen ihrer Brüder. Die restlichen Familienmitglieder unternehmen nichts gegen diese Misshandlungen, wer sich dagegen wehren möchte, steht alleine auf weiter Flur.


    Mit sechzehn ist Tara klar, dass sie dort weg muss. Sie möchte aufs College gehen, studieren, Neues lernen, doch bei ihrer Familie stößt sie weitestgehend auf Unverständnis. Mit viel Glück besteht sie trotz ihres mangelnden Schulwissens die notwendigen Prüfungen und beginnt eine Collegelaufbahn, was alles andere als einfach für sie ist, weil ihr so viele Voraussetzungen fehlen und sie vieles nicht weiß, was für alle anderen selbstverständlich ist. Ständig ist sie von Zweifel geplagt, ob sie es überhaupt schaffen kann und ob sie den Mut aufbringen wird, sich völlig von ihrer Familie zu lösen, falls das notwendig würde.


    Mit obskuren religiösen Riten und rückständigen Moralvorstellungen hatte ich zu Beginn des Buches gerechnet, nicht aber mit derartigen seelischen und körperlichen Gewaltexzessen, wie sie Tara Westover hier schildert. Das Wort des Vaters ist Gesetz, egal wie idiotisch es ist. Das fand ich mit am schlimmsten im Buch, dass diesem Mann nicht nur völlig egal zu sein scheint, welche Spuren sein Verhalten bei seinen Kindern hinterlässt, sondern auch, dass er sich bei der häufig gefährlichen Arbeit mit Schrottmetall und Gefahrstoffen keinen Deut darum schert, dass er sich und andere in höchste Lebensgefahr bringt.


    Umso bewundernswerter, dass Tara es am Ende fertiggebracht hat, sich aus diesem furchtbar einengenden und kleingeistigen Umfeld zu befreien, ihren eigenen Weg zu gehen und darüber dieses schonungslose und gleichzeitig reflektiert wirkende Buch über ihre Erfahrungen zu schreiben. Vieles beschreibt sie fast schon nüchtern und sachlich, aber die Geschehnisse sprechen für sich und das Buch wirkt so, wie sie es nach eigener Aussage gemeint hat - nicht in erster Linie als Anklage, sondern als Erfahrungsbericht, der anderen Mut machen soll, die in ähnlich ausweglos scheinenden Situationen stecken. Es klingt im Rückblick sogar ein ganz klein wenig Verständnis für diejenigen durch, die in den alten Mustern und Rollen gefangen bleiben und nicht die Kraft aufbringen, sich daraus zu lösen, zumal damit ja auch das komplette bisherige Lebensumfeld verlorengehen würde.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Sehr schöner Lesebericht Valentine , den ich so voll unterschreiben kann. Ich hab das ja auch vor nichtsolanger Zeit gelesen und fand es ziemlich brutal - aber durchaus differenziert dargestellt.

    Bezeichnend, dass ja gleich 2 (?) von Taras Brüdern ebenfalls eine "akademische" Karriere eingeschlagen haben - Mangel an Intelligenz gibt es in dieser Familie also durchaus nicht.

  • Ich freue mich immer, wenn es Menschen aus solchen Verhältnissen heraus, aus eigener Kraft schaffen, ihr Wünsche durchzusetzten. Und sich gegen die Umstände wehren können. Ich stelle es mir sehr schwer vor, gegen die Familie den Wunsch nach Bildung und Wissen zu haben und zu erfüllen.

    Danke für den Buchtip.

  • Ich hab das ja auch vor nichtsolanger Zeit gelesen und fand es ziemlich brutal - aber durchaus differenziert dargestellt.

    Die Brutalität hat mich ziemlich überrascht, das war teilweise echt schwer zu ertragen beim Lesen. Und Hut ab vor der Autorin, dass sie es geschafft hat, diese furchtbaren Verhältnisse so differenziert zu schildern.

    Bezeichnend, dass ja gleich 2 (?) von Taras Brüdern ebenfalls eine "akademische" Karriere eingeschlagen haben - Mangel an Intelligenz gibt es in dieser Familie also durchaus nicht.

    Das stimmt, und

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen