Harald Gilbers - Hungerwinter

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    REZENSION – Die Hauptstadt Berlin, aufgeteilt in vier Besatzungszonen, liegt in Trümmern, zerbombte Wohnungen sind nur notdürftig hergerichtet. Die Einwohner versuchen, ihr bescheidenes Leben neu einzurichten. Vorkriegsganoven wandeln sich zu zwielichtigen Geschäftsleuten, einst überzeugte Nazis zu unbescholtenen Bürgern. Im November 1947 fällt der erste Schnee, Lebensmittel sind knapp. Es ist der „Hungerwinter“, den der Historiker und Schriftsteller Harald Gilbers (51) im gleichnamigen fünften Band seiner faszinierenden, bereits in acht Sprachen übersetzten und mit internationalen Preisen ausgezeichneten Krimireihe um den jüdischen Kriminalkommissar Richard Oppenheimer in vielen Fakten und Facetten ungemein eindrücklich beschreibt.

    Ausgehend von einem als Notwehr nur dürftig getarnten Mord, den der von den Nazis einst entlassene und erst kürzlich wieder als Kommissar in den Polizeidienst zurückgekehrte Oppenheimer mit seinem Assistenten Wenzel recht schnell aufdecken können, entwickelt Gilbers eine zeitgeschichtliche Dokumentation jenes zweiten Nachkriegsjahres, die nicht nur für die damalige Situation in Berlin gilt, ähnelte sie doch auch jener in anderen deutschen Großstädten. In realistischen, in ihrer Kleinteiligkeit filmreif inszenierten Bildern erfahren wir viel über die alltägliche Lebenssituation der Berliner bis hin zu der wegen Lebensmittelknappheit geschmacklich fragwürdigen Ersatznahrung. Die allgemeine Lage ist völlig unübersichtlich, die Besatzungsmächte arbeiten unkoordiniert, der Beginn des Kalten Krieges zwischen den drei Westalliierten, vor allem den Amerikanern, und den Sowjets zeichnet sich schon deutlich ab. Kommissar Oppenheimer weiß nicht mehr, wem er vertrauen darf. Nicht nur, dass er in seiner Dienststelle mit dem „Kleenen Hans“ einen vormaligen Kleinkriminellen unerwartet als Polizeianwärter wieder trifft, sondern auch Nazi-Verbrecher haben mit gefälschtem Lebenslauf bei der Kripo eine neue, unverdächtige Identität gefunden. Nicht einmal den engsten Mitarbeitern kann man trauen. Sogar sein langjähriger Kollege Billhardt, der während eigener Ermittlungen in einem Mordfall plötzlich verschwindet, scheint bei seinem kurzen Kriegseinsatz an der Ostfront schuldig geworden zu sein.

    Obwohl „Hungerwinter“ bereits der fünfte Band der im Jahr 1944 beginnenden Oppenheimer-Reihe ist, kann man ihn auch dann unbesorgt lesen, wenn man die vier Vorgängerbände nicht kennt. Die Handlung eines jeden Bandes ist in sich abgeschlossen, die handelnden Personen ausreichend charakterisiert, um sie lebendig werden zu lassen. Zentrales Thema in „Hungerwinter“ ist der strategische Aufbau der so genannten „Rattenlinien“ im Nachkriegsdeutschland, über die einerseits der argentinische Präsident Perón, andererseits auch der Vatikan hohe Nazi-Funktionäre und Kriegsverbrecher mit Hilfe deutscher Schleuser nach Übersee schaffen. Wir erfahren Interessantes über die politischen Hintergründe und die Motivation der Verantwortlichen und Strippenzieher. Gleichzeitig lesen wir über die Anfänge der Organisation Gehlen, die gerade mit Hilfe erfahrener Nazis und geduldet von den Amerikanern als neuer deutscher Geheimdienst aufgebaut wird.

    Dem Historiker Gilbers gelingt es in seinem Roman hervorragend, uns die geschichtlichen Hintergründe in ihren wichtigsten Einzelheiten umfassend zu vermitteln. Der Bestseller-Autor Gilbers schafft es, diese Fakten passgenau in eine derart spannende Krimihandlung einzuflechten, dass man „Hungerwinter“ gar nicht mehr aus der Hand legen mag.

  • Muss ich mir auch definitiv auf die Merkliste setzen!

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Meine Meinung:

    Für mich ist die gesamte Oppenheimer- Reihe eine der besten, die es thematisch in dem Genres gibt. Harald Gilbers fängt vor allem auch die Mentalität der Gesellschaft während und in den späteren Bänden dann unmittelbar nach der NS-Zeit und dem Krieg ein.

    Der Buchtitel Hungerwinter erscheint etwas irreführend, da es in der Handlung eigentlich weniger um die Hungersnot geht, es ist eher ein Begriff, der im nachhinein für den Winter im Jahr 1947 benutzt wurde. Aber im Roman selbst geht es um ganz andere Fragen. Der Hunger ist eher ein Nebenschauplatz. Der Fokus liegt auf einem Mordfall, der mich ehrlicherweise nicht so richtig überzeugen konnte. Die Hintergründe und der Tat floßen mir zu konstruiert ein. Ich hatte das Gefühl, Gilbers wollte so unbedingt etwas über die Anfänge des Bundesnachrichtendienstes schreiben, das er aus den Augen verloren hat, dass das Ganze auch noch schlüssig sein sollte. So eine Agentenkiste... das passte für mich einfach nicht so richtig.

    Auch wenn ich gut fand, das da eine Person wieder auftauchte, bei dem ich mich schon länger gefragt hatte, was er wohl nach 1945 so machen würde...

    Die in der ersten Rezi oben, bereits erwähnte "Rattenlinie" hätte für mich als Thema schon genügt. Ich denke für mich hätte das Ganze dadurch besser funktioniert, wenn Gilbers den damals noch nicht gegründeten, BND ins Spiel gebracht hätte. Endweder oder, sag ich mal^^ Für die weitere Reihe, hat "Hungerwinter" aber durchaus ein paar interessante Weichen gestellt, da sich vor allem in Oppenheimers Umfeld, einiges ändert. Insgesamt für mich nicht der stärkster Band der Reihe, aber auch kein schlechter^^


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus: