Veronica Frenzel - In eurem Schatten beginnt mein Tag

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    Titel: In eurem Schatten beginnt mein Tag: Wie die Nazi-Vergangenheit meiner Familie mich bis heute rassistisch prägt

    Autorin: Veronica Frenzel


    Allgemein:

    320 S.; Goldmann Verlag, 2022


    Zur Autorin: Frenzel ist freie Radio und Print Journalistin u.a. für Deutschlandradio, ARD-Sender, SZ-Magazin

    Sie hat für ihre Texte schon mehrfach Auszeichnungen erhalten.


    Zitat von Amazon

    Inhalt:

    Schon als Kind ahnte Veronica Frenzel, dass in ihrer Familiengeschichte etwas Bedrohliches liegt. Sie schnappte es nebenbei auf, reimte es sich aus Gesprächsfetzen zusammen. Doch nie hat jemand offen über das gesprochen, was ihre Großeltern in der NS-Zeit getan hatten. Als sie sich ausgerechnet in einem Antirassismus-Workshop bei rassistischen Gedanken ertappt, fällt sie aus allen Wolken. Wie kann das sein? Stets hatte sie sich als eine Verbündete von Schwarzen Menschen und People of Color gesehen, sich immer bemüht, allen gegenüber offen zu sein. Woher kommen diese Gedanken und wie wird sie diese los? Veronica Frenzel recherchiert, spricht mit ihren Verwandten, Psycholog*innen und NS-Opfern, seziert ihre Familienbiografie, ihre Gedanken und Gefühle, ihre weiße deutsche Identität. Schonungslos legt die Journalistin offen, wie sie das NS-Gedankengut ihrer Großeltern und die deutsche Geschichte überhaupt geprägt haben, wie Rassismus und andere Formen der Diskriminierung bis heute in ihr und in unserer Gesellschaft wirken, warum sie Freund*innen, Familie, Umwelt und sich selbst ständig abwertet – und wie sie allmählich einen kritischen Umgang mit alldem findet.


    Meine Meinung :

    Ich finde es geht viel stärker um die Autorin und ihre Befindlichkeiten, als um ihren Großvater und seine Geschichte. Zu Mal sie diese auch in merkwürdig unpassender Romanform mit eingebunden hat. Vielleicht auch, weil sie dann doch ein Distanz-Element gebraucht hat um darüber schreiben zu können?


    Ich weiß tatsächlich nicht so ganz, was ich von dem Buch halte... oder nicht halte. Einerseits hat es mir tatsächlich Denkanstöße gegeben und ich finde, das die Autorin sehr gut bestimmte Zusammenhänge zwischen Kolonialismus, kolonialem Denken und Antisemitismus in Deutschland erklären kann. Und auch, wie dieses Denken nach wie vor tief in unserer Gesellschaft verwurzelt ist und warum. Woran wir das erkennen können, aber auch, warum es uns so schwer fällt uns damit wirklich auseinander zu setzen.


    Auf der anderen Seite geht es eben sehr viel um das schlechte Gewissen der Autorin, das war manchmal ehrlicherweise richtig nervtötend. Dazu muss man wissen, das Veronica Frenzel jemand ist, mit dem ich mich eigentlich identifizieren kann. Sie denkt und schreibt über vieles, das ich ähnlich sehe und man kann gut und gerne von uns beiden behaupten das wir ganz schön woke daher kommen^^ und ist vieles in der Hinsicht ähnlich wichtig.

    Momentan beschäftig mich das Thema NS Zeit in der eigenen Familie auch sehr, weil ich auch immer stärker darüber nachdenke, was eigentlich mit den Familienmitgliedern ist, die ich selbst nicht mehr kannte, die aber weit stärker als meine Großeltern (die Ende 1945 in den frühen 20ern ) diese Zeit aktiv miterlebt haben (im Sinne von, sie waren wären der 30er Jahre schon Erwachsen). Nach dem ich diese Woche "Deutsches Haus" gesehen hatte, und das Buch sowieso in meinem Radar aufgetaucht war, habe ich also spontan meine Lesepläne über den Haufen geworfen und dieses Buch gelesen.


    Ich habe mich dann schon auch dabei erwischt, das ich Ansprüche an die Autorin gestellt haben, wie sie gefälligst mit dem Thema umgehen soll. Das ist ein Punkt den die Autorin auch selbst reflektiert und auch akzeptieren lernt, das sie selbst zu Große Ansprüche an ihre Umgebung stellt - und das teilweise auch überheblich ist, weil sie selbst damit von ihrem eigenen Umgang ablenkt.

    Aber ich fand das die Autorin in ihrem Buch eben all zu oft um sich selbst kreist und eher jammert, das sie ja so arm dran ist und nicht schafft, irgendwie so damit umzugehen, das sie etwas verändert.

    Ihr Buch bleibt ein Versuch. Das ist auch ok, aber ich gebe auch zu, das ich gleichzeitig finde, das sie sich eigentlich vor allem mit sich selbst auseinander gesetzt hat und sich dem Thema Familie irgendwie entzogen hat. Es hat mich ehrlich gesagt wenig interessiert, das sie offensichtlich Drogen dazu benutzt um sich aus ihrer Realität zu flüchten und sich dem klischeehaften Berliner Nachtleben hingibt. Mehr als einmal schoss mir in den Kopf: Armes Weißes Mädchen...


    Trotzdem finde ich es auch verständlich, das ihre Erfahrungen ein Anfang sind und kein Endpunkt. Es ist aus heutiger Sicht immer schwerer sich der Frage zu stellen, wie haben meine Großeltern, meine andren Familienmitglieder die ich nicht kennen gelernt habe, in der NS Zeit gelebt. Wovon profitieren wir noch heute? Haben wir unseren Wohlstand der Tatsache zu verdanken, das wir sowohl in der Kolonialzeit als auch in der NS Zeit Menschen ermordet und ausgebeutet haben? (Funfact: Ja. )

    Wie gehe ich als Weiße Deutsche mit der Tatsache um, das wir eine Erinnerungskultur haben, die so tut als ob sie Erinnerungskultur ist, aber dann nur bestimmten Holocaust-Überlebenden eine laute Stimme zugesteht. Die auch nicht darüber sprechen möchte, wie man eine neue Erinnerungskultur gestalten könnte.

    Vielleicht bin ich auch deshalb mit dem Buch nicht wirklich zufrieden, weil ich für mich keine Antwort gefunden habe, obwohl ich gar nicht so richtig weiß, welche Antworten ich finden wollte.

    Das Buch hat mich auf der anderen Seite definitiv dazu ermutigt, doch genauer nach Antworten zu suchen und auch zu überlegen, wie ich sie für mich noch finden kann (es gibt z.B. so gut wie keine Dokumente, ich muss bei einer Recherche daher tatsächlich so gut wie bei Null anfangen um noch irgendetwas zu erfahren. Z.B. über Urgroßeltern, oder Großonkel etc.).

    Also ja, ich habe für mich Dinge mit genommen. Anderes hat mich gestört. Ich bin insgesamt froh, das Buch gelesen zu haben, weil ich denke, irgendwo muss man halt anfangen.

  • Wie gehe ich als Weiße Deutsche mit der Tatsache um, das wir eine Erinnerungskultur haben, die so tut als ob sie Erinnerungskultur ist, aber dann nur bestimmten Holocaust-Überlebenden eine laute Stimme zugesteht.

    Kannst Du das noch ein bisschen genauer ausführen, wer aus Deiner Sicht da heute fehlt? Es stimmt sicherlich, dass hauptsächlich die jüdischen NS-Opfer im Fokus stehen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine

    Tatsächlich geht es mir dahingehend darum, das auch unter jüdischen Überlebenden diskutiert wird, das eben oftmals nur gewollt ist, wer eine versöhnliche Stimme erhebt und eben nicht thematisiert wird/wurde, das es auch andre Stimmen dazu gibt. Es geht also nicht darum das andre Gruppen weniger vorkommen, sondern eher was Deutschland genehm war/ist und was nicht.

  • Versöhnlich zu sein kann man da wirklich nicht erwarten. Ich fand daher auch die Reaktion des Friseurs in "Deutsches Haus" gut und authentisch.


    Und Du hast Recht, man hört wenig anderes.

    Früherer Nutzername "Alexa" :)

  • HoldenCaulfield

    Ich wünsche Dir viel Erfolg bei Deinen Recherchen. Ich bin gegen eine Mauer gelaufen, keiner wollte mit mir über diese Zeit reden.


    Antisemitismus gibt es in meiner Familie mütterlicherseits auf jeden Fall. Da hört man auch heute noch gelegentlich, dass "die Juden sich ja wohl irgend was haben zuschulden kommen lassen, sonst wären sie nicht überall so verhasst". Es hilft auch absolut gar nichts, dagegen zu argumentieren und historisch zu erklären. Sie war übrigens auch der Meinung, beim Judentum handele es sich um eine Nationalität/"Rasse", ihr war nicht bekannt, dass es sich um eine Religion handelt. In meiner Gegenwart fällt so etwas nicht mehr, aber die Meinungen ändern sich nicht.


    Meine Uroma war wohl eine treue Anhängerin des Führers. Hat auch nach Kriegsende immer extrem rechts gewählt. Das habe ich von meiner Mutter erfahren (die zu den Parteitreffen als Kind mit genommen wurde), ich kenne sie nur als unauffällige alte Frau, die starb, als ich 15 war.


    Meine Großeltern väterlicherseits waren Vertriebene.


    Meine Oma war im Bund Deutscher Mädel, behauptet aber, die Ideologie nicht geteilt zu haben. Ehrlich gesagt nehme ich es ihr nicht ab, auch wenn sie noch ein Kind war. Sie ist stark von der Uroma geprägt, der Vater blieb im Krieg. Wer so aufwächst hat es wohl schwer, eine Gegenposition einzunehmen.


    Mich hätte eben schon das "Warum" interessiert, aber vermutlich ist die Antwort recht einfach, wenn man betrachtet, aus welcher Lage heraus Hitler erstarkte. Die spannendste Frage ist ja aber eigentlich, wie wir denn selbst gehandelt hätten. Die ehrliche Antwort wird auch hier sein, dass die meisten von uns mit gelaufen wären.

    Früherer Nutzername "Alexa" :)

  • Danke für die Erklärung, HoldenCaulfield , jetzt kann ich mir besser vorstellen, was Du meinst.


    Ich bewundere alle, die nach all dem einen versöhnlichen Ton anschlagen, aber ich kann es auch niemandem verdenken, der das nicht fertigbringt.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Im Buch von "Ronen Steinke: Terror gegen Juden: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt" wird das ganz gut erklärt. Also warum unsre Erinnerungskultur, problematisch ist.

    Ich hab das Buch auch mal im Forum rezensiert.

  • Anhand meiner Familiengeschichte (väterlicherseits) ist mir heute etwas klarer, woher der Antisemitismus meines Vaters herrührte (obgleich er die Nazis überhaupt nicht mochte, spät eingezogen wurde, sich nicht entziehen konnte, aber auch keinen H-Gruß entrichtete, wie mir berichtet wurde): Er war aus "gutbürgerlichem" Elternhaus; Vater "Königlicher Obersteiger" (Grube) und in dieser Familie vermute ich eher Antisemitismus, den er evtl. mit der Muttermilch aufgesogen haben mag als in der mütterlichen Linie (Vater Landwirt, meine Mutter geb. 1930) - sagte mir sehr deutlich, dass "Hitler sie um ihre Jugend gebracht hat" - und wählte immer eine andere Partei als mein Vater (er konservativ - sie SPD - worüber ER sich immer aufregte, aber nichts dran ändern konnte ^^ )

    Mein Vater war Monarchist; eher als Demokrat (die Sozis hasste er, von den Kommunisten ganz zu schweigen) - 1912 geboren, war er Halbwüchsiger in der Weimarer Republik. Über diese bin ich in Politologie mündlich in die Prüfung gegangen.... und bei der Auseinandersetzung mit derselben ist mir auch einiges klar geworden.

    Antisemitismus gab es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland - die Nationalsozialisten haben dann den Boden bereitet für all die Greueltaten.

    HIER fing die Ausgrenzung bereits an!

    Eingeschränkte Erwerbsmöglichkeiten

    Mindestens genauso verhängnisvoll erweist sich, dass Juden in der seit dem 9. und 10. Jahrhundert entstehenden christlichen Ständegesellschaft in eine Außenseiterrolle gedrängt werden, die ihre soziale Integration verhindert. Als Nichtchristen dürfen sie kein Land erwerben, können sich also nur in Städten niederlassen. Auch hier sind ihre Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt. Ein Handwerk kann nur ausüben, wer Mitglied einer Zunft ist. Diese jedoch sind durchweg christliche Bruderschaften. Juden haben demzufolge keinen Zugang. Was ihnen bleibt, sind von Christen geächtete Berufe wie Trödelhandel, Pfandleihe oder Kreditvergabe. Da es Christen bis ins 15. Jahrhundert nach kirchlichem Recht verboten ist, Geld gegen Zinsen zu verleihen, werden Juden als Bankiers sehr erfolgreich. Was ihnen allerdings häufig auch die Missgunst ihrer christlichen Zeitgenossen einbringt.


    (aus: Historischer Überblick - Gebraucht und verfolgt - Juden im Mittelalter, MDR)


    Ehrlich gesagt sehe ich auch Zusammenhänge zwischen dem furchtbaren aktuellen Konflikt in Nahost und der deutschen Vergangenheit, in der viele Juden gezwungen waren, Zuflucht in Palästina zu finden....

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

    Einmal editiert, zuletzt von Sagota ()

  • Um meine letzte Äußerung nicht im luftleeren Raum stehen zu lassen, habe ich dieses (Zitat, wiki, Palästina) gerade gefunden, das sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang:


    „In diesem Teil der Welt (Europa) gibt es 6.000.000 Menschen […] für die die Welt geteilt ist in Orte, an denen sie nicht leben können, und Orte, die sie nicht betreten können.“ Die 1938 einberufene Konferenz von Évian, die das durch die nationalsozialistischer Unterdrückung ausgelöste Flüchtlingsproblem lösen sollte, endete weitgehend ergebnislos, da sich außer der Dominikanischen Republik alle Teilnehmerstaaten weigerten, mehr jüdische Flüchtlinge aufzunehmen.

    (Kritik von Chaim Weizmann zur durch die Briten eingeschränkten Einwanderung)

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)