J. M. G. Le Clézio - Bretonisches Lied

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    Der Nobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clézio erinnert sich in "Bretonisches Lied" an die Urlaube seiner Kindheit in der Nachkriegszeit, die die Familie häufig in der Bretagne verbracht hat. Das Örtchen Combrit war damals noch kaum vom Tourismus berührt und eher bäuerlich-ländlich geprägt, die Kinder spielten am Strand oder auf der Straße, die Highlights waren Feste im Dorf oder im großen Garten eines nahegelegenen Herrenhauses. Er erzählt liebevoll und ein wenig nostalgisch von dieser Zeit, es ist ihm aber wichtig, nichts zu verklären. Er zieht auch immer wieder kritisch den Vergleich zur heutigen boomenden Tourismusbranche.


    Dabei geht er nicht chronologisch oder mit einem durchgehenden Erzählfaden zu Werke, sondern springt vielmehr thematisch hin und her, betrachtet die Gezeiten und die Meerestiere, die Spiele der Kinder und die kulinarischen Genüsse, die Traditionen in der Gegend und die Menschen, die in den Erinnerungen immer wieder auftauchen. Mit wenigen Worten lässt er Bilder im Kopf entstehen und entführt seine Leser:innen zumindest in ihrer Phantasie in das schöne, urwüchsige Land am Meer, Ar-Mor, wie es auf bretonisch heißt.


    Thematisch gegensätzlich ist der zweite im Buch enthaltene Text, "Das Kind und der Krieg", in dem er von seinen ersten Lebensjahren während des zweiten Weltkriegs berichtet. Le Clézio wurde 1940 in Nizza geboren, später verbarg sich die Familie in einem kleinen Bergdorf im Hinterland vor den Nazi-Kollaborateuren, weil der Großvater Engländer und somit persona non grata im Vichy-Frankreich war. Davon sind die Erinnerungen an seine frühe Kindheit geprägt: ein Bombeneinschlag vor dem Haus der Großeltern, die drangvolle Enge in der viel zu kleinen Wohnung in Roquebillière, die man kaum jemals verlassen durfte, die vage Vorstellung von dem in Afrika stationierten Vater, den der Junge noch nie gesehen hatte, der Hunger, der Mangel an fast allem. Ein bedrückendes und sehr eindrucksvolles Plädoyer gegen den Krieg und seine furchtbaren Auswirkungen.


    Dass im Buch zunächst die sorglosen Urlaubserinnerungen stehen und danach erst die Kriegsjahre thematisiert werden, liest sich fast so, als handele es sich um zwei verschiedene Menschen, zwei verschiedene Leben, auch wenn die Nachwehen des Krieges in der Bretagne der späten 40er und frühen 50er Jahre noch deutlich spürbar sind. Von der traumatischen Kriegszeit ist beim Erzähler selbst in den Urlaubskapiteln wenig zu merken - hier war ich mir nicht sicher, ob das die Resilienz eines Kindes ist oder er sich da bewusst auf die Unbeschwertheit konzentriert.


    So oder so habe ich beide Teile des Buches in ihrer Unterschiedlichkeit sehr gerne gelesen und mich gefreut, dass es auch Nobelpreisträger gibt, deren Bücher bei mir einen Nerv treffen. Oft genug war das ja schon anders.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe mal eben über sein Leben recherchiert; äußerst interessant und auch bewundernswert, finde ich! Ich wusste gar nicht, dass er den Nobelpreis für Literatur 2008 bekam... Danke für diese tolle Renzension, liebe Valentine

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)