Gao Xingjian - Auf dem Meer
Zum Autor: Gao Xingjian wurde am 04.01.1940 in Ostchina geboren. Er studierte französische Literatur, wurde aber während der Kulturrevolution zur "Umerziehung" aufs Land gezwungen. Ab 1980 erschienen seine ersten Schriften; das Theaterstück "Die Busstation" brachte ihm den Durchbruch, aber auch das Verbot. Nach einem Stipendium im Berlin 1985/1986 verließ er 1987 China endgültig und lebt seither in Paris. Nach seinem Austritt aus der Partei (nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens) wurden seine Werke in China endgültig verboten. Im Jahr 2000 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Inhalt: Das Büchlein enthält vier Kurzgeschichten. In "Fünfundzwanzig Jahre" wird das Wiedersehen eines ehemaligen Dissidenten mit seiner Freundin aus Studienzeiten, von der er durch nicht näher beschriebene Eingriffe "von oben" getrennt wurde, beschrieben. "Auf dem Meer" erzählt von einem linientreuen Angestellten, der bei einem Betriebsurlaub durch einen unabhängigeren Arbeitskollegen neue Einsichten gewinnt. "Der Krampf" handelt von einem Schwimmer, der vom Untergehen bedroht ist. In "Mutter" träumt ein Sohn von seinen verstorbenen Eltern.
Meine Meinung: Ich lese sonst recht selten Kurzgeschichten, aber diese haben mir sehr gut gefallen. Zwischen den Zeilen verbirgt sich hier vieles; am besten hat mir das in der ersten Erzählung gefallen: es wird nicht beschrieben, was der Ex-Dissident eigentlich getan hat, um den Unmut der Obrigkeit auf sich zu ziehen, auch nicht, was er durch die "Umerziehung" erleiden musste und warum und wie seine damalige Freundin mit hineingezogen wurde. Seine enttäuschten Träume, sein Sich-Einrichten mit der Realität werden ganz leicht angedeutet. Diese Erzählweise lässt viel Raum für eigene Gedanken.
"Auf dem Meer" fand ich auch sehr schön, da hier mit einer scheinbar belanglosen Episode das Leben in einer Diktatur allgemein und die (zumindest gedankliche) Befreiung eines Einzelnen im Besonderen so ganz nebenbei geschildert wird. Den "Krampf" habe ich ehrlich gesagt nicht ganz verstanden; es scheint mir, als ob der Schluss - das Mädchen mit der Krücke - eine Pointe verbunden ist, ich kann sie aber leider nicht nachvollziehen. Trotzdem hat mich auch diese Geschichte gefesselt durch die eindrücklichen Formulierungen, mit denen die Todesangst des Schwimmers geschildert wird. Und schließlich der undankbare Sohn in "Mutter" - eine typische Geschichte von "unser Kind soll es einmal besser haben", wobei das Kind dies überhaupt nicht zu schätzen weiß.
Im Klappentext werden die Erzählungen als "Sinnbilder einer bedrängten Realität" beschrieben; das passt m.E. sehr gut. Gao Xingjian schreibt nicht direkt über die Diktatur, aber die politische Situation in China scheint in seinen Texten durch. Direkte Kritik äußert er nicht, aber der Stil macht nachdenklich.
Fazit: Ich hatte mir das dünne Büchlein als Einstieg ausgesucht, bin aber sicher, dass ich noch mehr von diesem Autor lesen möchte. Sehr empfehlenswert!
Kaufen* bei
Amazon
Bücher.de
Buch24.de
* Werbe/Affiliate-Links