Hallo, Bettina!
Zitat von "Bettina"Ich erwarte zwar, dass Autoren recherchieren (egal ob Neuzeit-Roman oder historischer Roman), aber letztlich widersprechen sich doch auch Historiker. Keiner weiss letztlich wirklich, wie es gewesen ist - Zeitreisen gibt es halt nicht.
Es sind eigentlich weniger die Historiker, die einander widersprechen -- die krassesten Widersprüche findest du zwischen "Sachliteratur" und Fachliteratur, da Sachbuchautoren und Wissenschaftsjournalisten Dinge sehr verkürzt darstellen bzw. aus Gründen, die ihnen selbst anzulasten sind, den tatsächlichen Forschungsstand zugunsten uralter, wissenschaftliche längst überholter Vorurteile entstellen und unberücksichtigt lassen. Ein typisches Beispiel ist die "Sachliteratur" im Bereich Frauengeschichte, Medizingeschichte und "Hexen"; in diesen Bereichen wird seit Jahrzehnten hanebücherner Blödsinn als historische Wahrheit verkauft.
Das Problem liegt nicht darin, ob ein Text fiction oder non-fiction ist, sondern im Anspruch, den ein Autor an sich selbst hegt, und im Geschäftsgebaren der Verlage.
ZitatDa aber keiner (s.o.) wirklich etwas weiss, muss man als Autor glauben, dass die Angaben einer Recherchequellen glaubhaft, schlüssig oder richtig sind.
Was wirklich strittige Punkte angeht wird sich ein Autor hoffentlich für die Meinung entscheiden, die ihm als die plausibelste erscheint.
Wissen kann man zumindest über die Kriterien der eigenen Entscheidung erlangen. Denn wenn das auch noch "relativ" ist, dann sollten wir auf historische Forschung -- nein, eigentlich auf jede Art von Forschung mangels Erkenntnisgewinn verzichten, da reine Geldverschwendung.
ZitatBei aller Recherchepflicht: Aber irgendwann muss der Roman ja auch geschrieben werden. Nach 2 Jahren Recherche oder nach 7 Jahren Recherche?
Mir ist aufgefallen, daß gerade bei Romanen, die völligen Schmarrn als "historische Wirklichkeit" verkaufen, auf eine besonders lange und intensive Recherche hingewiesen wird. D.h. je schlechter der Hintergrund recherchiert war, je mehr hanebüchenes Zeug vermittelt wurde, desto lauter wurde auf Seriosität und Authentizität insbesondere hinsichtlich der Recherchedauer gepocht.
ZitatIn einem Roman kann man keinen Historikerstreit aufbereiten, sondern muss sich für eine Sichtweise entscheiden.
Es gibt etliche Autoren, die können das.
(Ich rede nicht von mir!)
ZitatFür mich als Leser muss der Roman schlüssig sein mit dem, was ich aus anderen Quellen über eine bestimmte Epoche erfahre, z.B. TV, Zeitschriften, andere Bücher oder Zeitungen. Denn ich kann mich nicht selbst in Sekundärliteratur vertiefen.
Genau das ist der Hund begraben! Solange die Massenmedien tumb das Bild des schmutzigen, frauenfeindlichen, hexenverbrennenden, notgeilen Mittelalters verbreiten, solange wird dieser Müll auch belletristisch verwurstet werden. Weil genau das für bare Münze genomen wir -- obwohl es keineswegs der historischen Realität entspricht.
Liebe Grüße,
Iris