Anthony McCarten - Englischer Harem

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    Inhalt:


    Tracy arbeite im Supermarkt an der Kasse, träumt dabei aber lieber von Lord Byron, Lawrence von Arabien und Prinzessin Leia als auf stehlende Kunden zu achten.


    Als sie eine neue Stelle als Kellnerin in einem persischen Restaurant annimmt, kann sie nicht ahnen was daraus alles entstehen wird. Hier kommt es zu einem Mix aus Kulturen, Sprachen und Religionen, welche zu guter letzt dazu führen, dass sie die dritte Ehefrau des muslimischen Restaurantbesitzers wird.

    Meine Meinung:


    Schon seit Tagen überlege ich, wie man dieses Buch beschreiben könnte ohne zuviel zu verraten. Aber doch genug, um den ersten Eindruck eines „Frauenbuches“ zu widerlegen. Denn das ist dieses Buch ganz sicher nicht. Ein Freund vermutete nach einer Beschreibung des Buches, dass es um den „Zickenkrieg“ zwischen den Ehefrauen gehen würde. Aber so oberflächlich ist es eben nicht.


    Immer wieder treffen hier unterschiedliche Welten aufeinander. Der Islam auf das Christentum. Die Arbeiterklasse auf die wohlhabende Familie. Die konservativen persischen Eltern auf den aufgeschlossenen ausgewanderten Sohn. Der Vater Besitzer einer Schlachterei, der Sohn Vegetarier. Eine Familie der etwas anderen Art auf einen Staat der nichts außerhalb der Norm verstehen oder akzeptieren will. Die Jugend auf das Alter. Der Verlust eines geliebten Menschen auf das Finden des einen wahren Partners. Über alle Konventionen hinweg. Und die Akzeptanz all dessen sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft.


    Es werden so viele Themen angesprochen, dass schnell eines davon zu kurz kommen könnte. Aber McCarten schafft es ein gelungenes Gleichgewicht herzustellen. Jedes dieser Themen wird ernst genommen und keines nebensächlich abgetan. Selbst an sich dramatische Szenen gleiten niemals ins kitschige ab. Es ist von Anfang bis Ende spannend, weil es immer wieder neues zu entdecken gibt.


    Schon das Buch „Superhero“ gefiel mir unglaublich gut, mit diesem Buch hat McCarten mich davon überzeugt, dass das kein Zufallstreffer war.


    Man braucht etwas Zeit für seine Bücher und sollte nicht erwarten, dass sie nur unterhalten. Dafür enthalten sie zuviel Ernst. Aber sie lassen einen auch nicht traurig zurück, sie sind wie das Leben, eine Mischung aus Spaß aus Traurigkeit, wie die Realität eben.


    5ratten

  • Das Buch ist wundervoll und so aktuell. Oft konnte man sich an die eigene Nase fassen und musste über seine eigenen Vorurteile nachdenken. Aber niemals wird mit dem Zeigefinger gezeigt.
    McCarten erzählt und das kann er sehr gut.
    Schon als ich den Klappentext gelesen hatte, haben sich bei mir Bilder im Kopf aufgebaut die, ich muss es zugeben, nicht immer positiv waren.
    McCarten schafft das unglaubliche (und das hatte ich nicht erwartet), dass man einfach alle Figuren verstehen kann. Die Eltern, die sich fragen womit sie so was verdient haben, die Tochter die sich plötzlich im Märchen von "1001 Nacht" wiederfindet, die anderen Frauen (wir als Leser erfahren ja auch etwas über die Hintergründe) und dann Sam......
    McCarten hat mit diesem älteren, dickleibigen "Araber" der natürlich Perser :zwinker: ist eine wundervolle, liebenswürdige Figur erschaffen.
    Das Buch unterhält, schockiert, macht einen traurig und bringt einem zum schmunzeln.
    Es ist hoffnungsvoll hat aber kein Friede-Freude-Eierkuchen Happy End.
    Einfach ein großartiges Buch welches ich nur jedem wärmstens empfehlen kann, vielleicht sucht ja jemand noch ein Buch zum verschenken zu Weihnachten :zwinker:.


    5ratten :tipp:

  • Tracy Pringle ist 20, wohnt noch bei ihren Eltern in einer trostlosen Hochhaussiedlung in England und sitzt an der Supermarktkasse, wo sie hoffnungslos unterfordert ist und sich die Zeit damit versüßt, in ihrer Phantasie die Kundschaft in Berühmtheiten zu verwandeln. Eines Tages kosten ihre Träumereien sie den Job, und sie muss sich nach etwas anderem umsehen. Dabei stößt sie auf ein Schild im Fenster eines persischen Restaurants, und trotz anfänglicher Skepsis lädt der Besitzer sie zum Probearbeiten ein - und ist begeistert von Tracys fotografischem Gedächtnis.


    Sam, eigentlich Saaman, ist vor Jahren aus dem Iran nach England gekommen und hat zum Leidwesen seines Vaters, eines Metzgers, das vegetarische Restaurant eröffnet, in dem Tracy nun arbeitet. Sie ist fasziniert von ihm und von seinen Lebensumständen: er lebt mit zwei Frauen und vier Kindern zusammen!


    Irgendwann kann sich Tracy Sams Ausstrahlung nicht mehr entziehen und schockiert ihre Familie mit der Einwilligung, Sams dritte Frau zu werden, zumal sie sich auch mit den anderen beiden Damen bestens versteht. Doch die Außenwelt hat Bedenken, allen voran das Jugendamt, das seelischen Schaden für die Kinder befürchtet ...


    Ein originelles Thema, die aus fremden Kulturkreisen "eingewanderte" Polygamie, wird hier in einer ganz speziellen Ausprägung geschildert, ein eigenartiges, für Außenstehende schwer nachvollziehbares Arrangement zwischen Sam, den drei Frauen und den Kindern, das bei den zuständigen Behörden Besorgnis und bei Ausländerfeinden, darunter Tracys Exfreund, Hass und Abscheu erregt, was zu einer dramatischen Zuspitzung der Situation führt.


    Leider muss ich sagen, dass ich mir von dem Buch zumindest in emotionaler Hinsicht mehr erwartet hätte. Tracys Gefühle blieben mir die ganze Zeit über fremd, und die Art, wie sich ihre Beziehung zu Sam entwickelt, wirkt ziemlich konstruiert, als beschlösse sie eines Tages einfach, sich nun auch in ihn zu verlieben, weil sie ihn und seine beiden Frauen mag. Hier fehlt es an Glaubwürdigkeit und Authentizität, die dem Autor durchaus gelingen kann, etwa bei der Beschreibung des öden, maroden Hochhauses, in dem Tracy lebt. Auch die Rassisten waren mir zu klischeehaft und platt dargestellt.


    Gute Ansätze und ein ganz ordentlich gelungener Schluss, aber große Schwächen in der Figurenzeichnung.


    3ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Also ich muss sagen, mir hat das Buch überraschend gut gefallen.


    Vor allen Dingen die erste Hälfte fand ich sehr amüsant. Der etwas überspitzte Humor hier, passte sehr schön in die Geschichte und brauchte mich mehrere Male wirklich zum Schmunzeln. Der Schreibstil hat sein übriges dazu beigetragen.


    Ja, und auf der einen Seite hat es mich schon gefesselt, aber auf eine eher seltsamere Art. Ich habe nicht wirklich mit den Figuren gefiebert, ich glaube, mir gefiel einfach der Schreibstil so sehr, dass ich immer wieder gerne in dem Buch gelesen habe.
    Wie Valentine habe ich die Figuren nicht immer verstanden, die Gefühle und die Taten. Also die Beweggründe der Personen. Allerdings habe ich es nicht als konstruiert empfunden. Was Sam und Tracy aneinander gefunden habe, habe ich mehr gefühlt. Vielleicht hat der Autor das auch mit Absicht so gemacht, um die Toleranz bei dem Leser zu testen?
    Gefallen haben mir die Denkansätze. Über die Phantasie der Menschen, die oft von der Realität entfernt war oder auch die Nächstenliebe und die Beweggründe des Nettseins gegenüber anderen Menschen. Ja, ich habe viel nachgedacht während des Lesens - nicht über die Geschichte, sondern über Moral und Liebe und Glück und helfen.
    Die erste Hälfte hat mich amüsiert, die zweite zum Nachdenken gebracht und diese Mischung fand ich persönlich sehr schön.


    4ratten

  • Zunächst hast du da sicherlich recht, aber wenn du das Buch gelesen hast, verstehst du den Titel und wirst merken, dass er nahezu perfekt ist. ;)

  • Anthony McCarten ist ein wunderbarer Roman über das Zusammenprallen von Orient und Okzident gelungen.
    Tracy, eine junge Tagträumerin, verliert ihren Job im Supermarkt. Mit Hartnäckigkeit und Verstand gelingt es ihr die Arbeit als Kellnerin in einem persischen Restaurant zu erhalten. Mit dieser Stelle öffnet sich für Tracy, wie auf für den Leser, die Tür zu einer anderen Welt, einer orientalischen Welt mit all ihrer Exotik und Fremdheit.
    Tracy ist aber mehr als nur verträumt, sie ist hingerissen, aber auch ernsthaft interessiert, an der persischen Welt aus welcher ihr Vorgesetzter, Sam, nun stammt.
    Ihre Entscheidung, die dritte Ehefrau dieses muslimischen Restaurantbesitzers, im "gesitteten" England, zu werden stößt auf mehr als nur auf Unverständnis, Tracys Entscheidung bringt ein ganzes westliches Weltbild zum Wanken. Es öffnen sich Tür und Tor für Vorurteile und schmutzige, bis neidische, Phantasien über orgiastische Bettgeschichten. Warum sonst heiratet ein Mann schließlich drei attraktive Frauen?
    Besonders gut tut es dem Roman in England zu spielen, so verkommt er nicht zu einer Geschichte aus 1001 Nacht, sondern bleibt für europäische Leser in bekannten Gefilden und somit real. Er spielt mit unseren Ängsten und Vorurteilen dem Unbekannten gegenüber.
    Dies tut er aber nicht nur einseitig und aus westlicher Sicht, wird er doch besonders originell, als als Sams Eltern aus dem Iran nach England kommen und gemeinsam mit Tracys Eltern gegen diese dritte Heirat wettern.


    Eine wunderbare, unterhaltsam und intelligent erzählte Geschichte, die genügend Diskussionsstoff liefert. Glücklicherweise ohne den Zeigefinger zu erheben.


    5ratten

  • Papyrus du hast ja schon ne Rezi geschrieben und dann noch eine so gute- toll. :winken:

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Oh Gott, ein weiteres Buch, welches ich nun unbedingt lesen muss... :smile:

    Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

  • Anthony McCartens Bücher gefielen mir bislang immer.
    So auch "Englischer Harem"


    Zur Handlung wurde ja schon einiges geschrieben.


    Im Mittelpunkt steht Tracy, sie landet zufällig in Sams Restaurant und lernt seine Welt kennen und ist nicht nur von ihm, sondern auch von seinen beiden Frauen fasziniert.
    Sie stürzt sich regelrecht in dieses neue Leben, das sie gewählt hat und sucht überall nach Informationen.
    die eigene Tochter erscheint ihnen auf einmal fremd und nur langsam können sie sich überwinden, sich mit dem neuen Leben ihres Kindes zumindest auseinanderzusetzen.


    Der Kreis um Tracy und Sam wird ständig erweitert. Zunächst sind es nur die beiden, die sich kennenlernen, ineinander verlieben. Dann sind da die beiden anderen Ehefrauen, die Tracy mit in die Familie aufnehmen. Für Tracys Eltern ist es zunächst ein Schock, die eigene Tochter erscheint ihnen auf einmal fremd und nur langsam können sie sich überwinden, sich mit dem neuen Leben ihres Kindes zumindest auseinanderzusetzen. Tracys alte Umgebung, allen voran ihr Ex-Freund, hat ebenso mit Vorurteilen zu kämpfen und reagiert mit Hass. Und schließlich kommen die Behörden ins Spiel, die wegen der Kinder der zweiten Frau eingeschaltet wurden.
    Je größer dieser Kreis wird, desto größer wird auch die Belastung für die Familie, für die drei Frauen und natürlich für die Neuverheirateten.


    Der Autor erzählt ausführlich, aber ich hatte auf keiner Seite das Gefühl, dass es zu viel und zu lang ist. Es gibt sehr tragische, teils auch brutale und traurige Momente, aber dann auch wieder sehr lustige Stellen.


    Ich habe "Englischer Harem" sehr gerne gelesen. Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, sie ist zugleich unterhaltsam und regt zum Nachdenken an, es gibt einige überraschende Momente und diese Mischung hat mich von Anfang bis Ende begeistert.



    5ratten

  • Auf den ersten Blick klingt die Geschichte ungewöhnlich. Man könnte meinen, dass Tracy sich blindlings in ihr neues Leben stürzt, aber so ist es nicht, denn sie sieht tiefer und versteht Sams Motive für sein Handeln. Auf Außenstehende mag Sam oberflächlich wirken, aber er hat ein tiefverwurzeltes Pflichtbewusstsein und kümmert sich um die Menschen, die ihm wichtig sind. Tracys Eltern können das nicht sehen, weil es Sam nicht wichtig ist, seine Motive zu erklären und das führt immer wieder zu Missverständnissen, die nicht geklärt werden können. So werden Entscheidungen getroffen, die das Leben aller Betroffenen für immer verändern.


    Trotz des Umfangs ist das Buch zu keiner Zeit langatmig, allerdings hat mich der Verlauf der Geschichte in der Mitte an ein paar Stellen nicht ganz überzeugen können. Das Ende hat die losen Stränge dann wieder zusammengeführt.

    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.