R.M. Rilke - Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 5.073 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von HoldenCaulfield.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (EA 1910)



    Die Entstehung des Romans ist auf persönliche Erfahrungen zurückzuführen, die Rilke während eines Parisaufenthaltes 1902/03 gemacht hatte und welche er in den Aufzeichnungen zu verarbeiten suchte. Diese Arbeit erfuhr im Laufe der Jahre jedoch immer wieder Unterbrechungen und so ist es nicht verwunderlich, dass außer den Erlebnissen in Paris noch andere Abschnitte seines Lebens (seiner Interessen, seiner Ansichten) den Inhalt nachhaltig beeinflusst haben.


    Der Roman setzt sich aus 71 Fragmenten zusammen, welche die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen des jungen dänischen Dichters Malte Laurids Brigge darstellen. Im Groben lassen sich diese in drei Abschnitte aufteilen: Maltes Erfahrungen in Paris, Kindheitserinnerungen und Reflektionen über historische Persönlichkeiten. -- Die Eindrücke aus Paris sind von beklemmenden Darstellungen des Alltags dominiert, der von Gestank, Armut, Krankheit, Tod, aber auch (technischen) Veränderungen und zunehmender Anonymität geprägt ist. Der zweite Teil berichtet von Maltes Erinnerungen an seine Kindheit auf dänischen Schlössern, der Erfahrung mit dem Übernatürlichen und der komplizierten Beziehung zu seiner Familie. Und die historischen Abschnitte des Romans reflektieren über bedeutende Persönlichkeiten, über Könige, Heilige und provenzalische Dichterinnen.


    Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge sind ein reiches Sammelsurium von Eindrücken, Erinnerungen, Gedanken, Ängsten und Reflektionen. Es ist die authentische und bewegende Darstellung eines Lebens, dessen Handlungen und Gedanken von dem fehlenden Familienzusammenhalt einer Kindheit und dem Gefühl der gesellschaftlichen Entfremdung in seinem Erwachsenendasein geprägt sind. Es ist die Geschichte einer (unbewussten) Suche nach Stabilität und Sicherheit, nach etwas, worauf der junge Protagonist in seinem bisherigen Leben verzichten musste. Wir erkennen in Malte einen Entwurzelten, einen Einsamen, einen Suchenden, jemanden, der seinen Weg, sein Ziel noch nicht erkannt hat. -- Derjenige, der sich auf Maltes (oft wirre und verwirrende) Gedanken- und Gefühlswelt einlässt, wird schließlich mit einer beeindruckend intensiven und tiefgründigen Lektüre über den langen und schwierigen Weg einer Selbstfindung belohnt.



    5ratten

  • Deine Rezi macht richtig Lust auf das Buch! Ich habe es von meinen Eltern geschenkt bekommen, weil sie es doppelt hatten, sonst wäre es vermutlich eher nicht auf meinem SuB gelandet. Aber jetzt rückt es ein ganzes Stück nach oben!
    Vielen Dank für die schöne Rezi :klatschen:

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Rilke erzählt keine Handlung im herkömmlichen Sinn, sondern sein Malte reflektiert und schreibt Eindrücke nieder. Zwischendurch erfahren wir Details aus Maltes Vergangenheit. Beim Lesen hatte ich den Eindruck, dass der Erzähler gar nichts macht, was irgendwie von Bedeutung wäre. Der Roman ist zwar schwer zugänglich, nicht nur wegen der verschiedenen Erzählebenen und des gewollt fragmentarischen Charakters. Will man ihn besser verstehen, muss man sich wohl mit dem Paris um die Wende zum 20. Jahrhundert und mit dem dänischen Landadel beschäftigen. Aber ihn zu lesen ist äußerst lohnenswert, auch wenn man nicht in seine Tiefenschichten hinein will.


    Grüße, mohan :winken:

  • Will man ihn besser verstehen, muss man sich wohl mit dem Paris um die Wende zum 20. Jahrhundert und mit dem dänischen Landadel beschäftigen.


    Muss man? Ich behaupte nicht, den Malte verstanden zu haben, aber ... Vom dänischen Landadel wusste ich bis eben nicht mal, dass er existierte .... :winken: :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Muss man? Ich behaupte nicht, den Malte verstanden zu haben, aber ... Vom dänischen Landadel wusste ich bis eben nicht mal, dass er existierte .... :winken: :breitgrins:


    Hallo sandhofer,


    ob man muss, weiß ich nicht. Im deutschen Sprachunterricht habe ich irgendwann in den vier Jahren Modalpartikel kennen gelernt und ihre Bedeutung in Gesprächen. Bisher hatte ich keinen Anlass, an der Kompetenz der Sprachlehrer zu zweifeln. Was natürlich nicht viel heißt... :smile:


    Vielleicht verstehe ich dich nicht, aber vermutlich liegen wir mit: „muss…wohl“ - nicht: „muss“! - gar nicht so weit auseinander. Man kann Malte lesen und irgendwas darin irgendwie verstehen oder einfach nur Freude oder Ärger beim Lesen empfinden. Man kann sich an der sehr schönen Sprache Rilkes erfreuen oder sie antiquiert finden. Man kann sich mit dem Roman beschäftigen, sicher in verschiedenen Intensitäten und Qualitäten.


    Schließlich: Ich behaupte nicht nur nicht, den Malte verstanden zu haben. Ich bin sogar sicher, ihn nicht verstanden zu haben. Aber der dänische Landadel kommt im Buch vor (wo wohl... :zwinker: ), weshalb du vielleicht doch von ihm gehört haben könntest.


    Grüße, mohan :winken:


    Edit: Eins meiner größten Probleme mit der deutschen Sprache ist noch das Verstehen von Subtext. Sollte ich bei deinem Posting daran gescheitert sein, tut es mir leid. Aber ich arbeite daran. :smile:

    Einmal editiert, zuletzt von mohan ()

  • Aber der dänische Landadel kommt im Buch vor (wo wohl... :zwinker: ), weshalb du vielleicht doch von ihm gehört haben könntest.


    Ich weiss, dass Rilke - einer meiner absoluten Lieblinge, was Lyrik und Sprache betrifft - über einen dänischen Landadligen geschrieben hat. Aber das heisst nicht, dass der dänische Landadel wirklich existieren muss. Und dass man was darüber wissen muss, um das Buch zu verstehen. Dass man überhaupt etwas wissen und verstehen muss, um das Buch schon rein wegen seiner Sprache zu mögen. Aber da sind wir uns offenbar einig. :zwinker: :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • Ich weiss, dass Rilke - einer meiner absoluten Lieblinge, was Lyrik und Sprache betrifft - über einen dänischen Landadligen geschrieben hat. Aber das heisst nicht, dass der dänische Landadel wirklich existieren muss.


    realiter auch :winken:

  • Ich lese dieses wunderbare Buch momentan und bin hin und weg. Es liest sich wie ein einzig langes wunderschönes Gedicht. Ich könnte fast weinen so schön finde ich es.


    Meine momentane Lieblingsstelle:


    Zitat

    Ich sitze und lese einen Dichter. Es sind viele Leute im Saal, aber man spürt sie nicht. Sie sind in den Büchern. Manchmal bewegen sie sich in den Blättern, wie Menschen, die schlafen und sich umwenden zwischen zwei Träumen. Ach, wie gut ist es doch, unter lesenden Menschen zu sein.Warum sind sie nicht immer so? [...]


    Desweiteren sind die Beobachtungen die bisher gemacht wurden, so treffend. Das ist zum Teil fast schon erschreckend. Diese Verbindung aus der Sprache und dem Stil, den ganzen versteckten Bildern die psychologischen Beobachtungen gleichen, das ist einfach Wahnsinn!


    Ich lese mit wahrer Verzückung ;) weiter. :lesen:

  • Hier meine abschließende Meinung:


    Im Grunde ist meinen obigen Überlegungen kaum etwas hinzu zu fügen. Ich bin noch ganz hin und weg von meiner Lektüre. Schon lange habe ich keine so schöne Prosa mehr gelesen. Es gibt Sätze in diesem Roman die fast schon weh tun, so wunderbar sind sie geschrieben. Und dabei wirkt alles auch so lebendig. Man hat die Erinnerungen Maltes richtig vor Augen. Vor allem dann wenn er hinter die Fasade blickt und die Menschen Messerscharf aufs Korn nimmt. Er durchschaut sie und nimmt ihnen ihre Masken weg. Es gibt hier Vergleiche die erschreckend passend sind und die auch heute ihre Gültigkeit meiner Meinung nach nicht verloren haben. Andererseits wird dem Leser auch schnell bewusst das Malte eine innere Unruhe ergriffen hat, er scheint einen Anker zu suchen an dem er sich festhalten kann, manchmal hat man den Eindruck das er bei dieser Suche auch ein wenig verloren geht.


    Ich empfinde die Lektüre des Romans als sehr bereichernd und weiß schon jetzt das ich Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge nicht zum letzten Mal in der Hand gehalten habe!


    5ratten

  • Holden, deine Rezi bewegt mich dazu, das Buch erneut in die Hand zu nehmen. Ich konnte seinerzeit kaum etwas mit ihm anfangen. Das mag aber daran liegen, dass ich es in einem Umfeld mit äußerer Unruhe gelesen habe, evtl. hatte ich auch nicht die eigene innere Ruhe.


    Schöne Grüße,
    Thomas

  • @klassikfreund
    Ja man braucht schon etwas ruhe, vor allem weil es ja doch auch anspruchsvoll zu lesen ist. Wobei ich hab vieles im Zug gelesen, aber das ging bei mir wohl auch deshalb so gut, weil ich mich im Zug sehr entspannen kann und daher auch die Konzentration besser ist. :)

  • Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge ist mein absolutes Lieblingsbuch seit Schulzeiten. Wir haben ihn in der 13 gelesen, ich habe Halbmast geflaggt, als ich im Abitur die Themen sah und wusste: Der Brigge war das Streichthema. Es wäre mein Thema gewesen.
    Seither habe ich ihn alle 1 - 2 Jahre einmal gelesen und genossen. Aber man braucht wirklich Zeit und Ruhe für ihn.