Was ist interessant an "Klassikern"?

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  • Und warum? Ich finde diese Änderung doch völlig legitim. So oft, wie ich meine Beiträge editiere, gäb's 'ne Menge zu fixen... :rollen:


    Das ist nicht der Punkt. Egophagus' Posting ist noch im Ausgangszustand. Und dort heißt es nach einer Aufzählung von ausschließlich männlichen Europäern, unter ihren Werken fände sich das Beste, was Menschen je geschrieben haben. Natürlich waren sie alle Menschen (will ich jedenfalls hoffen), aber nicht alle Menschen sind männliche Europäer :zwinker:



    Abgesehen davon ist die Änderung doch auch inhaltlich in Ordnung: Bis vor kurzem (historisch gesehen) waren die Europäer ohnehin die einzigen, die literarische Werke verfasst haben...


    Damit ignorierst Du mindestens den gesamten (ost-)asiatischen Sprachraum mit einer sehr langen und alten Schriftkultur sowie den etwas kürzeren, aber gleichfalls langen der arabischen Literatur. Klassischer Fall von Eurozentrismus?


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Okay okay. War 'n Schnellschuss. Darf ich meinen Beitrag editieren...? :rollen: :breitgrins:


    Ich hab' nur nicht verstanden, wieso explizit auf solch' eine Änderung hingewiesen werden muss. Ich finde den Satz immer noch nicht verkehrt, auch wenn er eine persönliche Meinungsäußerung sein mag.


  • Ich hab' nur nicht verstanden, wieso explizit auf solch' eine Änderung hingewiesen werden muss. Ich finde den Satz immer noch nicht verkehrt, auch wenn er eine persönliche Meinungsäußerung sein mag.


    Ich verstehe das eher so, daß lichtrausch eine derartige Korrektur in Egophagus' Posting würde vorgenommen sehen wollen. Und das kann ich, wie ich oben versucht habe deutlich zu machen, auch nachvollziehen. Die Liste ist sicher nicht falsch, aber sie ist, wenn man sie auf Menschheit als Ganzes bezieht (was Egophagus' Formulierung m. E. schon impliziert), einfach entschieden zu einseitig gestrickt – sowohl unter geographischen als auch unter zeitlichen und ein paar weiteren Gesichtspunkten.

  • Ich hab' Dir grade 'ne PM geschickt. Ich war hier mächtig auf dem Holzweg (peinlich)... :redface:


    Jetzt dämmert's mir erst. Ich dachte, lichtrausch hätte eine Ursprungsfassung von Egophagus ("Europäer") für die Ewigkeit festgehalten ("fixed"), bevor Egophagus das in "Menschen" geändert hat. Aaaber: lichtrausch hat diese Äußerung ja für sich in "Europäer" repariert (auch "fixed"), so dass es sich für ihn richtig anhört.


    Ähem, ich sollte nächstes Mal erst denken, bevor ich poste... :redface: :rollen:

  • Na ja, hmhm. Also diese Korrektur gefällt mir nicht. Jetzt lese ich sinngemäß: Eine Auswahl der Werke einiger der besten Autoren der westlichen Welt sind nicht Teil der Meisterwerke der Menschheit, sondern bloß Teil der Meisterwerke Europas. Das ist natürlich Blödsinn. So eine Aufzählung kann niemals richtig oder gar vollständig sein. Ich glaube, darum schloss ich mit "usw.". Es fehlen gewiss Konfuzius, Laotse, die unbekannten Autoren der Veden, Tausendundeine Nacht und viele andere mehr, darum haben sich die Genies auf dieser Seite der Erde um die Literatur jedoch nicht weniger verdient gemacht. :winken:


  • Na ja, hmhm. Also diese Korrektur gefällt mir nicht. Jetzt lese ich sinngemäß: Eine Auswahl der Werke einiger der besten Autoren der westlichen Welt sind nicht Teil der Meisterwerke der Menschheit, sondern bloß Teil der Meisterwerke Europas.


    Doch, natürlich sind sie Teil der Meisterwerke der Menschheit, aber sie sind eben nur ein Teil. Hätte Deine Auswahl von vornherein



    Konfuzius, Laotse, die unbekannten Autoren der Veden, Tausendundeine Nacht und viele andere mehr


    enthalten, dann wäre die Formulierung mit den „Menschen“ auch völlig in Ordnung gegangen. Durch die Beschränkung auf einen spezifischen Ausschnitt hast Du Deine eigene Aussage etwas diskreditiert. Man konnte sie nämlich so interpretieren, als bestünde die Menschheit aus den männlichen Europäern. Daß Du das nicht gemeint hast, habe ich auch einfach mal geglaubt und gehofft :winken:

  • Große Meisterwerke! Denk an das Gilgamesch Epos oder TausendundeineNacht!
    Die Klassiker des Orients haben etwas magisches! Sie fesseln. Höchste Erzählkunst! Ich kenne leider noch zu wenig und arbeite mich langsam vor, denn eines ist sicher: es sind "langsame" Bücher! Man braucht Ruhe und sie strahlen Ruhe aus, obwohl sie teilweise sehr brutal sind. Man liebt die Charaktere, selbst den bösesten Wicht! Es ist oft so geschrieben, dass man den Zimt aus dem Buch riecht...

  • Also, ich vermisse in der Aufzählung natürlich auch Frauen. Seid bitte ein bisschen politisch korrekter :elch:

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Das war ja immer meine Befürchtung. Hier schlägt das Herz für Minderheiten! Mir fällt ehrlich keine Frau ein, die im Geiste neben die großen Herren gestellt, nicht wirklich hübsch anzusehen, aber genauso nicht Fehl am Platze wirkte. Und ich bemühe mich aufrichtig: Jane Austen, Mary W. Shelley, die Brontë-Schwestern, später Simone de Beauvoir, Sylvia Plath, Hanna Arendt (?), Ingeborg Bachmann. -- Nein, tut mir leid. Ich passe.

  • Ich denk das schwierige ist auch das es früher nicht sehr viele Frauen geschrieben haben denen von der Männerwelt Beachtung geschenkt wurde und die demnach auch nie veröffentlicht wurden bzw. denen von der Männerwelt auch nicht besonders viel Respekt gezeugt wurde. Wenn man heute die Listen anschaut tauchen schon allein deshalb auch viel weniger Frauen darin auf.


  • Das war ja immer meine Befürchtung. Hier schlägt das Herz für Minderheiten! Mir fällt ehrlich keine Frau ein, die im Geiste neben die großen Herren gestellt, nicht wirklich hübsch anzusehen, aber genauso nicht Fehl am Platze wirkte. Und ich bemühe mich aufrichtig: Jane Austen, Mary W. Shelley, die Brontë-Schwestern, später Simone de Beauvoir, Sylvia Plath, Hanna Arendt (?), Ingeborg Bachmann. -- Nein, tut mir leid. Ich passe.


    Ergänze die Liste noch um Virginia Woolf und Sappho (ahja, und Homer war ja auch eine Frau :zwinker:). Fehl am Platze? Finde ich nicht. Aber diese Diskussion gab es hier im Forum schon:klick


  • 1) Warum wird sich so verhalten über die Klassiker geäußert?
    Homer, Boccaccio, Cervantes, Shakespeare, Goethe, Schiller, Stendhal, Balzac, Wilde, Mann, Musil, Kafka usw.; ihre Werke sind nicht bloß kulturhistorische Dokumente und Wegbereiter neuerer Literatur. Ich weiß schon, es klingt nach hohlem Pathos (aber wie will man es anders formulieren?): unter diesen Werken findet sich das Beste, was Menschen je geschrieben haben. Muss man noch eigens anführen, dass die Lektüre der großen Romantiker Frankreichs interessant sein kann, wenn man sich für die Französische Revolution interessiert? Der zeitgeschichtliche Rahmen dieser Werke ist unabdingbar, aber er macht gewiss nicht ihren eigentlichen Wert aus. Was ist also interessant an Klassikern? Knapp gesagt: Ihre Gültigkeit. Neben dieser Gültigkeit lassen sich ganz individuelle Merkmale festmachen. Als Beispiel Heines und Tucholskys glänzender Humor, Balzacs und Musils genaue Menschenkenntnis, Dostojewskis und Kafkas faszinierende Dunkelheit. Wer nun die Gültigkeit, das heißt, die innere Wahrheit, gewisser Werke gar nicht sieht, dem sei es zugestanden, sich besser mit Anne Rice zu gruseln oder mit Walter Moers zu amüsieren. Denn viele Leser unserer Tage bemerken den feinen Witz Goethes nicht und lachen umso herzlicher über Helge Schneider, vergleichbar mit einem Gaumen, der sich zu sehr an Aromastoffe und Geschmacksverstärker gewöhnt hat, und darum nicht mehr auf dieses Zuviel der Currywurst mit Gewürzketchup verzichten kann oder möchte. Jeder, wie er mag!


    Ich finde diese Darstellung, bei aller Zustimmung im Einzelnen, grundsätzlich nicht sehr hilfreich. Mir ist das zu sehr vom Autor her gedacht. Im Grunde sagst du, es gibt großartige Autoren, die eine grundsätzliche Wahrheit und Qualität haben, die sieht man - oder man gehört eben zu den geistigen Fast-Food-Konsumenten und sieht sie nicht. Erst diese Darstellung führt überhaupt zu dem weiteren von dir angesprochenen Problem, dass Leute, die wen auch immer weder mögen noch verstehen, ihn dennoch lesen und ihn klug (oder auch nicht) im Munde führen - sie wollen eben keine geistigen Fast-Food-Konsumenten sein.
    Was ist denn mit den Leuten, die Kafka eben nicht faszinierend, sondern einfach nur dunkel finden? Das sind ja nicht automatisch alles Kandidaten für Anne Rice. Ich sehe "die Klassiker" ganz ungern auf diesem sehr hohen Sockel, der sie sakrosankt und mit einer esoterischen "Wahrheit" ausgestattet erscheinen lässt, die sie m.E. gar nicht haben. Ich muss Kafka, Shakespeare oder Goethe nicht der Kritik entrücken, das haben sie gar nicht nötig, denn sie halten der Kritik ja stand. Und dennoch liegt es im Einzelfall nicht immer am Leser, wenn er sie nicht mag. Es gibt eine Reihe von Klassikern, die ich für maßlos überschätzt halte (und das Gegenteil). Über "die Klassiker" zu reden, wie über eine homogene Gruppe, das halte ich, wie eingangs erwähnt, für völlig unmöglich. Und ergo kann ich sie weder in Bausch und Bogen glorifizieren noch verdammen.

    Einmal editiert, zuletzt von Steerpike ()

  • Danke für die sorgfältige Antwort, Steerpike.


    Jetzt habe ich bloß auf Grund dieser von mir getroffenen Auswahl dreifach Kritik erfahren: Es fehlen nichteuropäische Autoren, es fehlen Frauen, und, von Deiner Seite, ich würde die genannten Autoren resp. ihre Werke glorifizieren, dergestalt, dass jeder Kafka für seine Dunkelheit lieben muss, eben weil er Kafka ist. Nein, das will ich so nicht verstanden haben wollen. Homer, Boccaccio, Cervantes, Shakespeare, Goethe, Schiller, Stendhal, Balzac, Wilde, Mann, Musil, Kafka nennen wir klassische Autoren, das ist unstreitbar. Man kennt sie auf der ganzen Welt und - wichtiger - man kennt sie noch immer. Wir arbeiten in diesem Forum selbst mit den beiden Begriffen "Weltliteratur" und "Klassiker", man wird hier demnach kaum eine Rezension über ein Buch von Tom Clancy oder Stephen King lesen. Diese Gruppe existiert; der Thread verlangt sie. Sie mit dem Kommentar von sich zu weisen, es sei unmöglich über sie zu sprechen, halte ich für grundsätzlich nicht sehr hilfreich. Auch ich sehe zwar maßlos über- wie unterschätzte Klassiker, aber das ändert für mich überhaupt nichts an der Legitimität dieses Sammelbegriffs.



    Im Grunde sagst du, es gibt großartige Autoren, die eine grundsätzliche Wahrheit und Qualität haben, die sieht man - oder man gehört eben zu den geistigen Fast-Food-Konsumenten und sieht sie nicht. Erst diese Darstellung führt überhaupt zu dem weiteren von dir angesprochenen Problem, dass Leute, die wen auch immer weder mögen noch verstehen, ihn dennoch lesen und ihn klug (oder auch nicht) im Munde führen - sie wollen eben keine geistigen Fast-Food-Konsumenten sein.


    Was die Leute nicht sein wollen, aber tatsächlich sind, ist völlig irrelevant. Wenn es mir an Interesse, Zeit, Geduld, Konzentration oder intellektueller Kapazität mangelt, die Kritiken von Kant zu lesen, so lasse ich es. Diese Selbstehrlichkeit muss noch jeder Leser mitbringen, denke ich, und ich sehe nicht, wie mein unschuldiger Absatz zur Schlechtigkeit des Einzelnen führt. Jeder ist selbst verantwortlich. Ich kann Freunde und Bekannte nur immer wieder dazu ermutigen, den ein oder anderen Klassiker in die Hand zu nehmen. Wenn es nicht klappt: gut. Wenn es klappt: umso besser. Was ist nun aber mit Kafka? Ist jemand zwangsläufig ein Fall für Anne Rice - es ist übrigens völlig in Ordnung, Anne Rice zu lesen -, wenn er mit Kafka nichts anfangen kann? Nein. Aber hier eine waghalsige Behauptung: Wer mit keinem der von mir aufgezählten Autoren etwas anzufangen weiß, kann zunächst getrost nach den Bestsellern unserer Tage greifen und dem Unternehmen vielleicht in vier oder fünf Jahren eine zweite Chance geben.



    Ich sehe "die Klassiker" ganz ungern auf diesem sehr hohen Sockel, der sie sakrosankt und mit einer esoterischen "Wahrheit" ausgestattet erscheinen lässt, die sie m.E. gar nicht haben.


    Nein, wir sprechen hier nicht von einer esoterischen Wahrheit, und ich frage mich mit einiger Besorgnis, warum das Wort Wahrheit von Dir mit Anführungszeichen versehen wird. Das wirkt so nihilistisch. Jedenfalls kann durchaus von einer den Klassikern innewohnenden Wahrheit die Rede sein, eine Wahrheit, die man freilich nicht allein in klassischen Werken findet, doch auffallend oft in klassischen Werken. Mit Max Frisch gesagt: "Manchmal scheint mir auch, daß jedes Buch, so es sich nicht befasst mit der Verhinderung des Krieges, mit der Schaffung einer besseren Gesellschaft und so weiter, sinnlos ist, müßig, unverantwortlich, langweilig, nicht wert, daß man es liest, unstatthaft. Es ist nicht Zeit für Ichgeschichten. Und doch vollzieht sich das menschliche Leben oder verfehlt sich am einzelnen Ich, nirgends sonst." Die klassischen Werke (nicht alle!, nicht nur von Europäern! und wahrscheinlich auch von Frauen!) stecken also vielleicht nur voller grandioser Ichgeschichten, deren Schicksale viele Menschen teilen oder nachvollziehen können. Das ist ihre Wahrheit, ihre Gültigkeit und ein wichtiger Grund ihrer Langlebigkeit.


  • Diese Gruppe existiert; der Thread verlangt sie. Sie mit dem Kommentar von sich zu weisen, es sei unmöglich über sie zu sprechen, halte ich für grundsätzlich nicht sehr hilfreich. Auch ich sehe zwar maßlos über- wie unterschätzte Klassiker, aber das ändert für mich überhaupt nichts an der Legitimität dieses Sammelbegriffs.


    Das verstehe ich nicht. Wieso muss ich über "die Klassiker" sprechen? Wieso kann ich nicht über einzelne Texte und Autoren sprechen? Ob der Begriff "legitim" ist, ist dabei eine völlig andere Frage. Hilfreich ist er nicht, wenn man unter ihn einfach alles subsumiert, das ... ja, was eigentlich?



    Nein, wir sprechen hier nicht von einer esoterischen Wahrheit, und ich frage mich mit einiger Besorgnis, warum das Wort Wahrheit von Dir mit Anführungszeichen versehen wird. Das wirkt so nihilistisch. Jedenfalls kann durchaus von einer den Klassikern innewohnenden Wahrheit die Rede sein, eine Wahrheit, die man freilich nicht allein in klassischen Werken findet, doch auffallend oft in klassischen Werken. Mit Max Frisch gesagt: "Manchmal scheint mir auch, daß jedes Buch, so es sich nicht befasst mit der Verhinderung des Krieges, mit der Schaffung einer besseren Gesellschaft und so weiter, sinnlos ist, müßig, unverantwortlich, langweilig, nicht wert, daß man es liest, unstatthaft. Es ist nicht Zeit für Ichgeschichten. Und doch vollzieht sich das menschliche Leben oder verfehlt sich am einzelnen Ich, nirgends sonst." Die klassischen Werke (nicht alle!, nicht nur von Europäern! und wahrscheinlich auch von Frauen!) stecken also vielleicht nur voller grandioser Ichgeschichten, deren Schicksale viele Menschen teilen oder nachvollziehen können. Das ist ihre Wahrheit, ihre Gültigkeit und ein wichtiger Grund ihrer Langlebigkeit.


    Ich weiß nicht, was an Anführungszeichen um einen metaphysischen Begriff wie "Wahrheit" nihilistisch sein soll, aber sei's drum. Ichgeschichten, die viele Menschen teilen oder nachvollziehen können, mögen sich bei den Klassikern finden - aber sicherlich nicht nur da. Wenn du Millionen von 14jährigen Mädchen (und viele andere, aber ich will das Ganze nicht unnötig verkomplizieren) fragst, werden sie solche Geschichten wahrscheinlich auch bei Stephenie Meyer finden. Macht das "Biss zum Morgengrauen" zu einem Klassiker"?


    Beste Grüße, Steerpike.

    Einmal editiert, zuletzt von Steerpike ()


  • Das verstehe ich nicht. Wieso muss ich über "die Klassiker" sprechen? Wieso kann ich nicht über einzelne Texte und Autoren sprechen?


    Selbstverständlich musst Du nicht über die Klassiker sprechen. Ich möchte Dir aber an dieser Stelle das Thema der laufenden Diskussion vor Augen führen, aufgepasst:


    Was ist interessant an "Klassikern"?


    Du siehst, hier ist gar nicht die Frage nach einzelnen Autoren oder Werken. Weshalb also beteiliigst Du Dich an einem Gespräch über die Klassiker als Gruppe, in der Überzeugung, es sei gar kein Gespräch über die Klassiker als Gruppe möglich? Willst Du womöglich Menschen wie mich warnen, die ein Gespräch über speziell dieses Thema schätzen, und nicht wissen, dass das reine Zeitverschwendung ist?



    Ichgeschichten, die viele Menschen teilen oder nachvollziehen können, mögen sich bei den Klassikern finden - aber sicherlich nicht nur da. Wenn du Millionen von 14jährigen Mädchen (und viele andere, aber ich will das Ganze nicht unnötig verkomplizieren) fragst, werden sie solche Geschichten wahrscheinlich auch bei Stephenie Meyer finden. Macht das "Biss zum Morgengrauen" zu einem Klassiker"?


    Du hättest das Ganze meines Erachtens notwendig so komplex darstellen müssen, wie es seine Natur verlangt; so einfach, wie es uns jetzt vorliegt, ist es kaum zweckdienlich. Ich nehme an, wir sind uns einig, dass Bis(s) zum Morgengrauen kein Klassiker ist. Stephenie Meyer wird ziemlich sicher nicht die nächste Generation der 14Jährigen erreichen. Du stellst Dich dumm, und darum ist es auch dieses Beispiel. Hier zwei Grunde dafür.


    Erstens: Soundsoviele 14jährige Mädchen - Hunderte, Tausende, Millionen; egal - bilden eine Gruppe, deren Meinung ich misstraue. Du hast hier zwecks Vereinfachung die Leserschaft konkretisiert. Plötzlich ist nicht mehr bloß von Menschen, sondern von weiblichen Jugendlichen unserer Tage die Rede. Die Leserschaft der Klassiker ist freilich ungleich größer, vielfältiger und sozusagen langlebiger. Das Lesepublikum für Harry Porter ist vom Aussterben bedroht.


    Zweitens: Auch einer einzigen 14Jährigen müsste ich misstrauen, denn welchen Wert hat die Literaturbegeisterung eines Menschen, der kaum Vergleichsmöglichkeiten in der Literatur hat? 14jährige Mädchen (und erwachsene Frauen) finden sich in den schaurig-kitschigen Romanzen Stephenie Meyers wieder; ihre 8jährigen Brüder (oder Söhne) lesen Superman-Comics und wünschten, sie könnten fliegen. Das sind nicht Ichgeschichten mit einer inneren Wahrheit, das ist Literatur für bestimmte Zielgruppen, überladen mit stilistischen Effekten und allzu oft ausgestattet mit allem nur erdenklichen Pomp und Kitsch; wohlgefällig, großzügig und unterhaltsam erfüllt sie die an sie gerichteten Erwartungen. Von den echten Schätzen der Literatur wissen diese Leser nichts.


    Ich verstehe noch immer diese spitzfindige Zurückhaltung nicht. Ja, wir müssen den Klassikern kritisch gegenübertreten. Jede Generation wird unweigerlich prüfen, ob ihr etwa Goethe noch irgendwas zu sagen hat. Aber ich kann doch wohl guten Gewissens behaupten, unter den Klassikern (und jeder hat hierbei eine konkrete Vorstellung, die ihren Zweck in meinem Sinne nicht verfehlt) fänden sich die unterhaltsamsten, interessantesten, kauzigsten, schönsten, menschlichsten Werke, die ich je gelesen habe. So völlig einfach, nüchtern und aufrichtig formuliert; das macht ihren Wert für mich aus. Mit Verlaub gefragt, wozu denn jetzt noch all die biedere Wortklauberei und Political Correctness? Welchem Richter gilt eure Sorge?

  • Ich weiß überhaupt nicht, warum du so uncharmant wirst. Wenn eine Frage gestellt wird, ist es ein vollkommen gewöhnlicher Vorgang zu überlegen, wie sinnvoll die Fragestellung ist. Du hast keine Probleme mit Verallgemeinerungen, ich habe sie. Du kannst daher von einer „Gültigkeit der Klassiker“ sprechen, ich kann das nicht, weil ich gar nicht wüsste, was ich selbst damit meinen würde. Du wolltest in deinem ursprünglichen Posting wissen, warum sich so verhalten über „die Klassiker“ geäußert werde; das war ein Teil meiner Antwort. Wenn du keine Antworten auf Fragen lesen willst, warum stellst du sie dann?


    Differenzierung kannst du gern als „biedere Wortklauberei“ abtun, ich für meinen Teil halte Differenzierung für notwendig und meistens sehr hilfreich, weil man sich durch sie viel eher den Kernen diskutierter Probleme nähert als durch das Werfen mit großen Worten wie „Wahrheit“. Aber auch das kannst du gern halten, wie du willst, es ist nur eine Antwort auf deine Frage.


    In deinen Aussagen sind so viele Details, die ich für problematisch halte, es gäbe wirklich Raum zur Diskussion, aber die musst du dann auch zulassen. Ich glaube etwa nicht, dass jede Generation prüft, ob ihnen ein beliebiger Klassiker noch etwas zu sagen hat, schon gar nicht unweigerlich. Ich bezweifle sogar, dass die „Aktualität“ der Klassiker unbedingt ihren Reiz ausmacht. Bei manchen mag es so sein, aber sicherlich nicht bei allen. Es gibt so vieles, was aus (literatur)historischer Sicht interessant ist, mich aber selbst nicht mehr angeht (das ist aber auch nicht meine Erwartung bei der Lektüre). Ich glaube außerdem, dass viele große Klassiker nur für eine sehr kleine und noch viel homogenere Gruppe, als es 14jährige Mädchen je sein könnten, interessant sind. Der Punkt ist, und das machst du ja nun sehr klar, dass du dem Urteil dieser Gruppe traust, während du den Millionen 14jähriger (und sie sind ja bei weitem nicht die einzigen, die Stephenie Meyer lesen, das weißt du sicher auch, und in diese Richtung müssen wir nicht weiter diskutieren) misstraust.


    Ich bin der letzte, der nicht fordert, dass man sich vor einem Urteil bitte eingehend mit einem Text befasst, dass man bitte auch in Erwägung zieht, dass man selbst das Problem sein könnte, wenn ein Verständnis nicht zustande kommt. Doch ich ziehe auch die Möglichkeit in Betracht, dass ein großer „Klassiker“ wohlbegründet und wohlüberlegt durchfallen kann. Und weil das so ist, kann ich „den Klassikern“ in toto keine „Gültigkeit“ unterstellen. Wenn wir uns darauf einigen können, ist ja alles gut. :winken:

    Einmal editiert, zuletzt von Steerpike ()

  • Hallo Egophagus,


    ich bin auch Deiner Meinung, dass Bücher wie "Bis(s) zum Morgengrauen" und "Harry Potter" keine Klassiker in der Zukunft werden (ich rede ab 70 Jahren), aber momentan sind sie es und es wird noch ein paar Jahre so weitergehen, bis eine nächste Sozialhilfeempfängerin (-er) (weil das ist ja "immer so") die glorreiche "Idee" hat.
    Aber, ich bin irgendwie froh (obwohl ich diese Bücher nie im Leben mögen werde), dass es diese Bücher gibt, denn die haben soviele, unzählige Leser in ihren Bann gezogen und in die Buchhandlungen gelockt. Ist doch schön, wenn sich jemand freut und mit Sehnsucht den nächsten Band erwartet.


    Ein "Werther" wird komischerweise immer aktuell sein... immer und immer wieder, denn es gibt immer unglücklich Verliebte oder in weiterer Folge Operngeher, denn selbst da gibt es den "Werther".
    Goethe hat nicht den Zeitgeist getroffen, sondern die Zeit überlistet.
    Und dies haben soviele vor und nach ihm ebenfalls gemacht. Ja, mag sein, ist für mich ein "Ulysses" unlesbar, weil scheußlich langweilig, so ist es doch ein Meisterwerk und fasziniert heute noch und ich empfinde ihn als wichtig oder so viele andere noch dazu.
    Und diese neuen "Klassiker" vom "Bi(s)"bis zum "Potter" sind Modeerscheinungen. Aber, irgendwie schick, nicht?


    Lg cori

  • @cori
    Die Formulierung mit der Zeitüberlistung, ich glaube das trifft es am besten. Ich denke gerade das macht einen Klassiker wirklich aus. Das er immer wieder aufs neue seine Gültigkeit beweist und in der jeweiligen Zeit immer wieder neu bewertet und interpretiert werden kann, gleichzeitig kann man ihn aber trotzdem in Kontext zu seiner eigenen Zeit ansehen. - Und sich auch einfach mal unterhalten lassen. Um bei Goethe zu bleiben, ich finde es faszinierend das man Faust auf verschiedenen Ebenen lesen kann. Einmal einfach zur Unterhaltung und man versteht trotzdem um was es geht und einmal eben eher auf einer germanistischen Ebene in der man tiefer geht und deutet.