Thomas Hardy - Der Bürgermeister von Casterbridge

Es gibt 15 Antworten in diesem Thema, welches 4.684 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    Inhalt
    Aus einer betrunkenen Laune heraus verkauft der Erntearbeiter David Henschard seine Frau und die kleine Tochter an den Seemann Newson. Als er am nächsten Tag wieder nüchtern ist bereut er seine Tat und schwört, die nächsten 21 Jahre keinen Alkohol mehr zu trinken.
    Zwanzig Jahre später machen sich seine Frau und seine Tochter auf die Suche nach ihm. Sie hatten kein schlechtes Leben bei Newson, doch jetzt gilt er als verschollen auf See. Elisabeth erinnert sich an ihrem Mann und will ihn wiedersehen, denn in den letzten Jahren war sie nicht wirklich glücklich. Sie gehen zurück an den Ort des Handels und erfahren dort dass David nach Casterbridge weitergezogen ist. Dort angekommen stellen sie zu ihrem Erstaunen fest, dass der ehemalige Trinker sein Leben vollkommen verändert hat. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und der Bürgermeister von Casterbridge geworden.


    Meine Meinung
    Wer hat sich noch nicht die Frage gestellt, wie sein Leben verlaufen wäre wenn.... ? Elisabeth lässt sich von ihrem Mann, mit dem sie unglücklich und in Armut gelebt hat, willig verkaufen weil ihr das Leben mit dem Seemann besser erscheint. Das ist es auch zunächst, aber dann sehnt sie sich doch nach ihrem Mann zurück. Sie findet einen erfolgreichen Geschäftsmann und Bürgermeister. Doch wäre das Leben der beiden wirklich so verlaufen, wenn sie zusammen geblieben wären?
    Elisabeth und ihre Tochter nehmen das Leben an der Seite des Ehemannes und Vaters wieder auf. Doch sie müssen erkennen, dass der Reichtum nicht glücklich macht. David hat seine Persönlichkeit nicht wirklich geändert, sondern nur seine Lebensumstände. Bald führen seine Persönlichkeit und auch seine Vergangenheit zu Intrigen, (Keine Vorschläge) und schließlich zum Zusammenbruch der schönen Fassade. So hat der Verkauf seiner Frau nur kurz Glück gebracht, letztendlich bleibt er, was er immer war: ein armer Mann, der sich selbst im Weg steht und den man nur bemitleiden kann.
    4ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Danke für die Rezi, Kirsten. David hört sich nicht gerade an nach einem "Mann von Charakter", wie der Untertitel lautet. Kennst du andere Werke von Hardy und kannst Vergleiche zu diesem Buch ziehen?


    Grüße
    Doris

  • Hallo!


    Oh doch, der Mann hat Charakter. Leider nicht denjenigen, den der Untertitel vermuten läßt. Vergleiche zu anderen Büchern kann ich dagegen leider keine ziehen :sauer:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Nun ja, Charakter bedeutet nicht immer guter Charakter, auch wenn es im Allgemeinen eher positiv belegt ist, und Hardys unbequeme Charaktere wirken bei mir ohnehin nachhaltiger als die braven. Der Untertitel wurde, wie es aussieht, nur bei der deutschen Ausgabe verwendet; vielleicht um das Buch ansprechender erscheinen zu lassen, sonst klingt es doch ein wenig brav.

  • Thomas Hardy ~ Der Bürgermeister von Casterbridge


    Leben und Tod eines Mannes von Charakter



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    Seiten:427
    Verlag: Insel Verlag
    Erscheinungsjahr: 1886


    [hr]



    Der ärmliche Heubinder Michael Henchard verkauft im Zustand der Trunkenheit und Übermut seine Frau und Tochter auf einem Jahrmarkt, weil er ihrer überdrüssig geworden ist. Schon am nächsten Morgen bereut er seine Dummheit, doch seine Frau ist mit ihrem "Käufer", einem Seemann namens Newson, längst über alle Berge. Von diesem Tag an schwört er, 21 Jahre lang keinen Tropfen Alkohol anzurühren. Viele Jahre gehen ins Land, Henchard lässt sich in der Kleinstadt Casterbridge nieder und erarbeitet sich durch Fleiß und Zielstrebigkeit eine beachtliche Position, schließlich bringt er es bis zum Bürgermeister. Nach fast zwanzig Jahren erscheint seine Frau (ihr Mann Newson gilt als verschollen) mit ihrer Tochter, die er einst so schlecht behandelte, und bittet ihn, sie wieder aufzunehmen, da sie mittel- und heimatlos sind. Henchard, an dem seine alte Schuld immernoch nagt, willigt ein, macht aber zur Bedingung, dass weder ihre Tochter Elizabeth-Jane noch die Bürger von Casterbridge ihre gemeinsame Vergangenheit erfahren. Seine Versuche, das Geschehene wieder gut zu machen, enden jedoch in einem dramatischen Schicksal.


    Schon zu Beginn vermag es Hardy, den Leser durch seine detaillierte und einfühlsame Beschreibung der Menschen und ihrer Umgebung in den Bann zu ziehen. Mit wenigen Pinselstrichen malt er ein Bild des frühviktorianischen Englands, in dem die Industrialisierung noch in den Kinderschuhen steckt. Doch bedeutender und faszinierender ist Hardys Fähigkeit, seine Protagonisten zu "psychologisieren". Sprache, Gang, Kleidung und Gesichtsausdruck der Menschen lassen indirekt auf ihren Charakter schließen, das Innere wird sichtbar nach außen gekehrt. Dieser Sinn für Optik und Ästhetik ist sicherlich nicht zuletzt der Arbeit Hardys als Architekt geschuldet. Der Farb- und Lichtsymbolik kommt in diesem Roman ebenfalls eine wichtige Rolle zu. Henchards Charakter ist von wechselhaftem Temperament, er ist widersprüchlich, ungestüm, und eigentlich sehr ungebildet und unkultiviert. Dennoch ist er kein schlechter Mensch, wie die Anfangsszene vermuten lässt. Er erdrückt seine Mitmenschen mit seinen unbeholfen wirkenden Freundschaftsbekundungen, sieht aber nicht, was diese Menschen wirklich wollen und brauchen. Sein Mangel an Menschenkenntnis und Urteilsvermögen verleitet ihn zu Handlungen, die für den außenstehenden Leser nicht nachzuvollziehen sind und die ihn in Situationen bringen, die seinem Ruf ernsthaft schaden. Durch eine Verkettung von Begebenheiten beginnt sein langsamer gesellschaftlicher Abstieg. Es ist das Schicksal eines einfachen Mannes, der sich mühevoll hocharbeitet, es zu Wohlstand bringt, im Innern aber doch der gleiche einfach gestrickte und von Fehlern behaftete Mensch geblieben ist, und dem fortdauerndes Glück nicht gegönnt zu sein scheint.


    Zum Untertitel: Er bedeutet nicht das, was er suggeriert, oder was man als Leser mit dem Begriff "Mann von Charakter" verbinden mag. Aber er ist passend. Denn "Charakter ist Schicksal", wie Tochter Elizabeth-Jane aus Novalis zitiert. Im Nachwort wird Hardys Ansicht erläutert, dass man als Mensch nie vollkommen frei handeln kann, sondern dass unsere Persönlichkeit und Veranlagung uns dazu drängen, so zu handeln, wie es unserem Wesen entspricht. Und genau das ist bei Henchard der Fall - er kann einfach nicht aus seiner Haut heraus. Sein Charakter ist konsequent, und genau diese Konsequenz führt ihn in sein düsteres Schicksal.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Hallo!


    Zum Untertitel: Er bedeutet nicht das, was er suggeriert, oder was man als Leser mit dem Begriff "Mann von Charakter" verbinden mag.


    Diese Verbindung habe ich auch zuerst gemacht, weil Charakter für mich etwas Positives bedeutet. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass Hardy den Begriff absolut wertfrei verwendet.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Michael Henchard verdient seinen mageren Lohn als wandernder Heubinder. Eines Tages ist er mit Frau und Kind unterwegs auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber, als die kleine Familie auf einen Jahrmarkt stößt. Aus einer betrunkenen Laune heraus bietet Henchard seine Frau und seine kleine Tochter einem durchreisenden Seemann zum Kauf an. Der schlägt ein, und Susan Henchard ergibt sich ihrem Schicksal und folgt ihm nach Amerika.


    Fast zwanzig Jahre später kehren Susan und ihre Tochter Elizabeth-Jane nach Dorset zurück. Henchard hat einen rasanten Aufstieg hingelegt und ist nicht nur erfolgreicher Geschäftsmann im Getreidehandel, sondern hat es bis zum Bürgermeister der Stadt Casterbridge geschafft. Er ist ein angesehener, respektierter Mann geworden und heilfroh, dass niemand etwas von jener unseligen Transaktion im Schankzelt weiß. Doch mit der Rückkehr der beiden Frauen beginnt eine Kette von Ereignissen, die für Henchard nichts Gutes bedeutet.


    Thomas Hardy versteht es meisterhaft, Landschaften und Menschen auf eine eindrucksvolle Weise zu porträtieren. Er wertet nicht, kommentiert nur selten und lässt ganz oft einfach die Worte und Taten seiner Protagonisten für sich sprechen. Michael Henchards Abstieg scheint aufgrund seiner Charaktereigenschaften vorprogrammiert, und mit einer gewissen traurigen Faszination lässt uns Hardy dabei zusehen, wie er sich immer mehr ins Aus manövriert. Er erzählt fast durchgängig von Fehlentscheidungen, Unbedachtheit und auch Grausamkeit, schlachtet dabei aber das Leid seiner Charaktere nicht aus, sondern schildert einfach nur.


    Henchard ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte, doch auch die Perspektiven anderer wichtiger Figuren rücken immer wieder in den Mittelpunkt. Alles ist in diesem Buch irgendwie miteinander verzahnt wie ein kompliziertes Räderwerk; wenn sich ein Rädchen dreht, löst es auch Bewegungen der anderen aus - oft genug in eine gänzlich überraschende Richtung.


    Ein Gute-Laune-Buch ist der "Bürgermeister" nicht gerade, aber Hardy stellt erneut unter Beweis, dass er ein guter Menschenkenner ist und entwirft oft widersprüchliche, nicht immer sympathische, aber doch irgendwie faszinierende Figuren und schlägt dabei auch durchaus gesellschaftskritische Töne an.


    Meine englische Penguin-Ausgabe enthält noch ein recht informatives Nachwort, das sich unter anderem mit dem potentiell irreführenden Untertitel "Ein Mann von Charakter" beschäftigt und eine schöne Abrundung der Lektüre war.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Thomas Hardy versteht es meisterhaft, Landschaften und Menschen auf eine eindrucksvolle Weise zu porträtieren. Er wertet nicht, kommentiert nur selten und lässt ganz oft einfach die Worte und Taten seiner Protagonisten für sich sprechen.


    Das stimmt. Darüber haben wir uns weiter oben auch schon unterhalten, da ging es um die Bezeichnung "ein Mann von Charakter" im Titel.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Eine gut zutreffende Rezi, Valentine. Ich weiß noch nicht, ob ich eine schreibe werde, denn Klassiker mag ich nur höchst ungern rezensieren. Meine Bewertung würde auch zwischen 4 und 5 Ratten ausfallen. Thomas Hardy ist für mich Autor, der mir rundherum gefällt, da sind gute Bewertungen fast schon programmiert.


    Gerade fiel mir auf, dass die Namen in Kirstens Buch ganz anders sind als in unseren Büchern. Ich habe gerade nachgesehen - bei uns wurden die Namen des Originals übernommen. Warum ändert man sowas nur?


  • Gerade fiel mir auf, dass die Namen in Kirstens Buch ganz anders sind als in unseren Büchern. Ich habe gerade nachgesehen - bei uns wurden die Namen des Originals übernommen. Warum ändert man sowas nur?


    Das verstehe ich auch nicht. Michael und Susan sind ja weiß Gott nicht so ungewöhnliche Namen, als dass man sie zwangseindeutschen müsste! Und warum auf einmal die Mutter und nicht die Tochter Elisabeth heißt, erschließt sich mir schon gleich gar nicht.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Das ist eine gute Frage, Tina :gruebel: Ich würde mal sagen, vergleichbar gut, aber anders :breitgrins: (Gibt das jetzt einen Sinn? :elch: )

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Das verstehe ich auch nicht. Michael und Susan sind ja weiß Gott nicht so ungewöhnliche Namen, als dass man sie zwangseindeutschen müsste! Und warum auf einmal die Mutter und nicht die Tochter Elisabeth heißt, erschließt sich mir schon gleich gar nicht.


    Das ist mir jetzt zwar nicht aufgefallen, aber in einem anderen Buch auch schon einmal begegnet. Keine Ahnung, warum das so gemacht wird. Manchmal muss man nicht alles verstehen :rollen:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.


  • Valentine:


    Gefällt dir dieses Buch besser, als "Jude the Obskure"?


    Ich bin zwar nicht Valentine, aber ich habe auch beide Bücher gelesen, und würde sagen, dass der "Bürgermeister" vielschichtiger ist. Bei Jude geht es vor allem um die Beziehung zu seiner Frau, aber bei Michael Henchard steht noch viel mehr auf dem Spiel.


  • Das ist eine gute Frage, Tina :gruebel: Ich würde mal sagen, vergleichbar gut, aber anders :breitgrins: (Gibt das jetzt einen Sinn? :elch: )


    Nein, nicht wirklich :breitgrins:, aber es ist OK. Doris Antwort hat mir da mehr geholfen. Ihr habt mir jetzt einfach nur wieder die Nase lang gemacht und ich habe ein plötzliches Verlangen Hardy zu lesen.


    Ihr seid Schuld!!!

  • Es gibt Schlimmeres, woran man schuld sein könnte :breitgrins:


    Ich bin gespannt auf Deine Meinung, falls Du den Bürgermeister lesen solltest.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen