Eine bemerkenswerte Randnotiz vorweg: dieses Buch befindet sich in manchem SuB, eigentlich sollte inzwischen jemand eine Rezension verfasst haben. Oder geht es den Lesern wie mir - bis vor kurzer Zeit?
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Es gibt Bücher, zu denen man erwartungsvoll greift, und es gibt solche, zu denen man sich aufrafft. Das Buch der Unruhe gehört zu diesen, und der Vorgang des Aufraffens dauerte in meinem Fall etwa drei Jahre, so lange druckste ich um den Einstieg herum.
Etwas später bemerkte ich, dass es mit dem Aufraffen zum Einstieg nicht getan ist. Hier gilt es, sich immer wieder aufzuraffen. Tatsächlich hatte ich bei diesem Buch Schwierigkeiten, mir nach etwa 80 mühsamen Seiten vorzustellen, dass ich auch irgendwann einmal wenigstens die knapp 450 Seiten des Kerntextes – also ohne Appendices – bewältigt haben würde. Mission accomplished, was also bleibt?
Das Buch der Unruhe ist eine Herausforderung an die Duldsamkeit des Lesers, keine Frage. Die haarspalterische und quälende Selbstbespiegelung des Bernardo Soares, der hier in immer neuen Facetten seine Seelenlandschaft ausbreitet und analysiert, hält kaum Lichtblicke bereit. Schlüsselbegriffe, die immer wieder auftauchen, sind der Überdruss, der Schmerz, die Übelkeit, der Ekel. Es ist das Psychogramm einer implodierten Seele, durch eigenen Entschluss abgeschnürt von dem Gang der Außenwelt, abgesehen nur von der mechanisch verrichteten Arbeit als Hilfsbuchhalter und passiv erlebten Wahrnehmungen – wobei der Vorgang des Wahrnehmens aber sofort durch die Mühle der Reflexion und Zergliederung gedreht wird, bis zur völligen Relativierung. Kein weltanschauliches System, kein Glaube, kein gesellschaftliches Ordnungsprinzip kommt hier heil davon. Und am allerwenigsten der Erzähler seiner Befindlichkeiten selbst.
Es fordert physische Mühe, diese Seelenlandschaften in ihrer ganzen Trostlosigkeit zu durchschreiten. Aber immer wieder erheben sich hier eben auch frappierende und überscharfe Einsichten und Bilder, die den Leser verzaubern können und die man nur rechtzeitig wahrnehmen muss, ehe sie sich in der Atmosphäre der völligen Hoffnungslosigkeit, die hier herrscht, wieder auflösen.
Das Buch der Unruhe ist, das soll nicht verschwiegen werden, auch insofern eine Herausforderung an den Leser und Rezensenten, als die Konsequenz, mit der hier vor der Folie einer bis an den Rand des Solipsismus getriebenen Subjektivität dekonstruiert wird, schier über Leichen geht. Es ist starker Tobak, wenn Hilfsbereitschaft, Güte, Mildtätigkeit prinzipiell verworfen werden, da sie unter ästhetischen Gesichtspunkten abzulehnen seien. Müsste man die Ausführungen des Titelhelden mit einer authentischen Haltung des Autors identifizieren, wäre das Buch abscheulich. Erträglich ist es, das allerdings auf beträchtlichem Niveau, nur als distanzierte und vom Autor selbst abgelöste Beschreibung einer Geisteshaltung.