Erster Teil - Mittag (Seite 9 - 77)

Es gibt 16 Antworten in diesem Thema, welches 4.486 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Breña.

  • Hallo liebe Mitlesende! :winken:


    Dann will ich mal den Anfang machen.
    Es hat mich erstaunt, wie kurz die einzelnen Kapitel waren. Jedes mit einem Titel versehen. War die Geschichte anfangs vielleicht gar nicht als Buch geplant?


    Ohne Erklärung beginnt der Autor mit seiner Erzählung. Da ist ein Mann, der von zwei Soldaten abgeholt wird um auf einem Feld ein Loch zu graben. Ich musste dabei gleich an ein Massengrab denken. Dass der andere Mann sein Aufseher ist, war mir anfangs nicht klar.


    Inzwischen haben ich beide Personen etwas kennengelernt und kann nicht sagen, ob ich einen von beiden mag. Warum ist der Geschichtslehrer der Aufseher des Bäckers? Warum hat jener seit seiner Kindheit eine Außenseiterposition? Fragen, die hoffentlich noch näher erklärt werden. In meinem Kopf spielt sich die Szene während eines Krieges im ehemaligen Jugoslawien ab. Fragt mich jetzt bloss nicht warum.


    Beide Männer sind auf ihre Art gebildet. Der Lehrer geht in seinem Wissensgebiet regelrecht auf. Seine Art des Unterrichts finde ich sehr interessant. Besser kann man trockenen Geschichtsstoff fast nicht an seine Schüler weitergeben, außer sie müssen die Indianer spielen. :zwinker: Und die Beschreibung des Luftangriffes auf die Stadt fand ich für jüngere Schüler zu hautnah. Weiß übrigens jemand von euch um welche Stadt es sich handeln könnte?
    Der Bäcker hat sich sein Wissen angelesen und durch Beobachtung und Nachahmung vieles erreicht. Aber sympathisch ist er mir nicht. Er ist strebsam und will überleben. Er will leben. Soll der denn auch sterben?


    Die beiden Wagenladungen mit Männern und teilweise Kindern sind sicher die zukünftige Füllung für das Loch, dass der Bäcker gräbt. Er weiß es, der Lehrer weiß es - aber wissen es auch die Männer? Ich fand es ziemlich krass, als der Lehrer zum Bäcker sagte, er solle sich beeilen, denn sonst müssten die Männer warten.


    Will sich der Lehrer durch die Gespräche mit dem Bäcker nur die Zeit vertreiben, oder hat das Ganze noch einen anderen Sinn? Der Bäcker scheint es zu glauben, sonst wäre er mit seinen Antworten nicht so zögerlich.

  • Beide Männer sind auf ihre Art gebildet. Der Lehrer geht in seinem Wissensgebiet regelrecht auf. Seine Art des Unterrichts finde ich sehr interessant. Besser kann man trockenen Geschichtsstoff fast nicht an seine Schüler weitergeben, außer sie müssen die Indianer spielen. :zwinker: Und die Beschreibung des Luftangriffes auf die Stadt fand ich für jüngere Schüler zu hautnah. Weiß übrigens jemand von euch um welche Stadt es sich handeln könnte?


    13. Februar 1945 - Luftangriff auf Dresden...


    Ich bin ganz froh über die kurzen Kapitel - die Kürze brauche ich immer wieder zum eigenen Luftholen. Die Stimmung finde ich schon am Anfang beklemmend. Wenn jemand eine Grube in diesem Kontext ausheben muss, dann ahnt man unweigerlich schon, wofür diese sein wird.


    Auch bin ich überrascht - ich habe habe erwartet, dass eine der beiden Figuren einfach das Böse darstellt und die andere das Gute. Daher habe ich mich erstmal bemüht, mich in die Rolle des Bäckers einzufühlen aber sypathisch ist er mir schon auf den ersten 30 Seiten nicht. Dem Lehrer habe ich den "Schwarzen Peter" zugeschoben aber seine Art, den Krieg zu verurteilen bzw. seine Lehrmethode lässt mich die im zugeteilte Rolle schon wieder überdenken.


    Der Bäcker hat sich sein Wissen angelesen und durch Beobachtung und Nachahmung vieles erreicht. Aber sympathisch ist er mir nicht. Er ist strebsam und will überleben. Er will leben. Soll der denn auch sterben?


    Klar will er überleben und er weiss, er kann das nur, wenn er dem anderen zu Diensten ist. Das Interessante an der Sache ist aber sein anfängliches Herantasten, wie weit er sich auflehnen kann und wo er sich lieber seinen Teil denkt. Der Bäcker befindet sich auf der Gratwanderung zwischen Eigennutz und Aufopferung.
    Seine bereits in der Kindheit eingenommene Außenseiterrolle wird ihm beim Überleben sicherlich eher von Vorteil sein, denn dann geht ihm das Schicksal seiner Mitgefangenen eher weniger nah als wenn er in Freundschaft mit ihnen verbandelt wäre. So kann er sich ganz auf seine eigene Rettung konzentrieren.


    Die Rolle des Lehrers ist mir bisher aber noch etwas schleierhaft - einerseits scheint er die Grausamkeit des Krieges zu verachten, auf der anderen Seite treibt er den Aushub der Grube voran, die ja wohl nicht für Küchenabfälle gedacht ist.


  • 13. Februar 1945 - Luftangriff auf Dresden...


    Danke.




    Auch bin ich überrascht - ich habe habe erwartet, dass eine der beiden Figuren einfach das Böse darstellt und die andere das Gute.


    Das würde die Geschichte ja zu einfach machen. Wie viele Böse gibt es wirklich in einem Krieg? Die meisten versuchen einfach nur am Leben zu bleiben. Es ist nur die Frage, wie weit der einzelne geht um dies zu erreichen.




    Der Bäcker befindet sich auf der Gratwanderung zwischen Eigennutz und Aufopferung.


    Also Aufopferung wäre ein Wort gewesen, das mir in Bezug auf den Bäcker eher nicht eingefallen wäre.
    Um aus der Liste seiner Erkenntniss zu zitieren:

    Zitat

    Jeder Mensch handelt immer und jederzeit in seinem eigenen Interesse.


    Die Fertigstellung der Grube verzögert er ja nicht um den Menschen, die da warten, mehr Zeit oder Möglichkeiten zu verschaffen, sondern um Zeit für sich herauszuschinden. Er befürchtet, dass er letztendlich auch zu den Opfern gehören wird.


  • Es hat mich erstaunt, wie kurz die einzelnen Kapitel waren. Jedes mit einem Titel versehen. War die Geschichte anfangs vielleicht gar nicht als Buch geplant?


    Gute Frage. Ich finde sie manchmal fast ein bißchen zu kurz. Gerade, wenn ich mich mit einem Gedanken angefreundet habe, ist's schon wieder vorbei.



    In meinem Kopf spielt sich die Szene während eines Krieges im ehemaligen Jugoslawien ab. Fragt mich jetzt bloss nicht warum.


    Doch :breitgrins: Zum einen wurde irgendwo vom hohen Norden gesprochen, zum anderen lassen die Sonnenauf- und -untergangszeiten gar nichts anderes zu als irgendetwas Richtung Polarkreis. Allerdings wüßte ich dann nicht, welcher Krieg gemeint sein könnte, außer einem zukünftigen ...


    Tja, der Bäcker und der Lehrer. Ich weiß nicht recht, was ich von den Methoden des Lehrers halten soll. Sicher haben sie einen eigenen Reiz im Vergleich zum Jahreszahlenpauken, aber trotzdem habe ich dabei ein komisches Gefühl. Daß er den Krieg einerseits im Unterricht so ablehnt, andererseits sich jetzt aber für so einen Job hergibt, spricht nicht für viel Rückgrat. Im Punkt des Überleben-Wollens dürften sich der Lehrer und der Bäcker daher treffen, auch wenn für letzteren die Chancen kleiner sein dürften. Überhaupt frage ich mich: Wenn das Loch, wie man nach dieser Wagenladung Menschen schließen kann, als Massengrab herhalten soll, wäre es dann nicht naheliegend den Bäcker mit hinein zu befördern? Dann könnte er es immerhin nicht mehr ausplaudern. Allerdings wird die Geschichte in der Vergangenheitsform vom Bäcker erzählt. Ich habe zwar schon mal ein Buch gelesen, wo der Ich-Erzähler das Ende nicht überlebte und wohl aus dem Jenseits berichtete, aber besonders gelungen fand ich diese Konstruktion nicht, daher hoffe ich nicht auf eine Wiederholung.


    Ich habe während des Lesens gar nicht darüber nachgedacht, ob mir der Bäcker sympathisch ist. Sympathie ist vielleicht das falsche Wort, aber er tut mir ein bißchen leid. Solch eine Außenseiterrolle als Kind und Jugendlicher innezuhaben ist eine extreme Belastung, ich kann ihm da manches nachfühlen. Etwas merkwürdig fand ich aber seine Lernen-durch-Nachahmen-Methode selbst für so simple Dinge wie Händeschütteln und Lächeln. Man sollte doch meinen, daß es dafür in dem Alter, in dem er damit begonnen hat, keine Notwendigkeit mehr gäbe.


    Zumindest finde ich beide Personen in ihrem Kontrast interessant, wenn auch stark in der Distanz, was durch das Fehlen von Namen unterstrichen wird. Aber die weiteren Diskussionen zwischen den beiden versprechen spannend zu werden.

  • Hallo zusammen,


    mir gefällt das Buch auf Anhieb, obwohl das Thema natürlich heftig ist und das Ganze von Beginn an auf mich beklemmend wirkt. Die kurzen Abschnitte haben mich auch etwas verwundert, vor allem, weil die Geschichte ja doch nahtlos weitergeht... Aber der Stil ist gut, sowohl die Sätze als auch die Bilder, die durch sie entstehen:


    Ich habe immer geglaubt, dass ein gutgekleideter Mensch auch gebildet ist. Das kann man in jedem Kleidergeschäft, in jeder Bibliothek sehen. Man wählt und trägt seine Kleidung auf dieselbe kluge Weise, mit der man sich ein Buch aussucht und die darin erhaltenen Wörter liest. Ein glattgebügeltes Baumwollhemd sollte den Blick auf eine gute Tweedhose lenken, so wie ein kunstvoll gebauter Satz in einen zweiten Gedanken mündet, während er noch den ersten zu Ende führt. (Seite 18)


    Die Übersetzung scheint mir ziemlich gut zu sein! Deshalb habe ich auch mal nach Thomas Gunkel geschaut und festgestellt, dass er bereits namhafte Schriftsteller wie Paul Auster, John Cheever, William Trevor, Stewart O'Nan, und so weiter übersetzt hat. Interessant, dass ein relativer Neuling wie Gerard Donovan dabei ist.


    Der Bäcker gräbt also eine Grube, die vermutlich als Massengrab dienen soll. Soll er selbst mit dort hinein? Die Andeutung, dass er relativ weit mit oben auf der Liste der Männer, die nach den Soldaten in die Stadt kamen, deutet ja irgendwie in diese Richtung, oder? Was dies wohl für eine Liste ist? Und wo dieser Krieg wohl herrscht? Mein erstes Gefühl ging Richtung Balkan, warum kann ich gar nicht sagen... Aber der Bäcker erwähnt ja die lange Dunkelheit im hohen Norden. Also ein fiktiver Krieg in Skandinavien? Hm. Mal schauen, ob es weitere Hinweise auf die Region oder das Land gibt.


    Was mich auch interessiert, ist, warum der Bäcker den Mann, der ihn bewacht, kennt. Er identifiziert ihn als den Geschichtslehrer, der auch seinen Bruder unterrichtet hat. Ist es also ein Bürgerkrieg oder ist der Geschichtslehrer ein Kollaborateur? Für letzteres wundert mich aber seine Stellung auch bei den Soldaten.


    So, jetzt werde ich mal weiterlesen.


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hallo zusammen,


    welcher Krieg es sein könnte, hat mich auch beschäftigt, wobei mich die Erwähnung des Nordens eher an die baltischen Staaten oder Russland denken ließ.


    Dem Bäcker wird klar sein, dass die Wahrscheinlichkeit, selbst in der Grube zu landen, sehr hoch ist. Nicht zuletzt deshalb versucht er, Zeit zu schinden, indem er mit dem Lehrer raucht und redet. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass er davonkommen wird, wie sonst ließe sich erklären, dass er die Rolle des Erzählers übernimmt? Eine Ende wie von Aldawen beschrieben wäre alles andere als zufriedenstellend. Dafür habe ich Befürchtungen, was den Lehrer anbelangt. Für jemanden, der mit einer Massenexekution beauftragt ist, hat er zu wenig Biss. Soll er nur eine unliebsame Arbeit übernehmen, um später selbst in einer Grube zu landen, weil er nicht wirklich hinter seiner Aufgabe steht? Oder er hat aus Schulzeiten über den Bruder des Bäckers noch eine Rechnung mit der Familie offen und hat sich deshalb für diesen Job freiwillig gemeldet.





    Die Übersetzung scheint mir ziemlich gut zu sein! Deshalb habe ich auch mal nach Thomas Gunkel geschaut [...] Interessant, dass ein relativer Neuling wie Gerard Donovan dabei ist.


    Gunkel hat aus Winter in Maine einen sprachlich Leckerbissen gemacht. Da hat der Verlag wohl erkannt, dass er einen Autor mit Potenzial in seinen Reihen hat, der durch den passenden Übersetzer erst richtig zur Geltung kommt.


    Grüße
    Doris

  • Gunkel hat aus Winter in Maine einen sprachlich Leckerbissen gemacht. Da hat der Verlag wohl erkannt, dass er einen Autor mit Potenzial in seinen Reihen hat, der durch den passenden Übersetzer erst richtig zur Geltung kommt.


    Dadurch wird mir mal wieder bewusst, dass ich mir Winter in Maine unbedingt noch zulegen muss! :smile:

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hallo zusammen,


    bisher gefällt mir das Buch gut, obwohl ich nach diesem ersten Abschnitt noch arg im Dunkeln tappe. Wo und wann befinden wir uns? Zuerst habe ich auf einen Nebenschauplatz im zweiten Weltkrieg getippt, aber als der Lehrer von der Bombadierung Dresdens sprach (was ich übrigens sehr eindringlich finde) war's das damit auch. Dass wir uns im hohen Norden befinden wird deutlich gesagt, aus dem Bauch heraus eher auf russischem Gebiet als in Skandinavien. Oder doch ganz wo anders, etwa in Kanada? Die zeitliche Einordnung fällt mir noch viel schwerer, denn die Schilderungen des Alltags haben für mich etwas altertümliches. Zumindest deckt es sich für mich nicht mit der Rückschau auf den zweiten Weltkrieg. Hinzu kommt, dass in der eigentlich gut gestellten Grenzstadt die Kunden des Bäckers auf's Geld achten müssen, viele Anwohner backen ihr Brot aus Kostengründen selbst. (Wahrscheinlich sind die konkreten Umstände absolut unwichtig und mehr als die genannten Eckpunkte spielen keine Rolle, ich zerbreche mir also völlig umsonst den Kopf.)


    Ebenso wenig greifbar sind die beiden bisherigen Protagonisten, der Bäcker und der Lehrer. Welche Rollen spielen sie? Der Bäcker scheint aufgrund seiner Herkunft eine Sonderstellung einzunehmen - dachte ich zuerst, denn sein Bruder scheint sich normal in die Gesellschaft zu integrieren. Wurde er als Kind wirklich ausgegrenzt, oder hat er seine Isolation selbst gewählt, weil er sich anders fühlte, und wurde daher gehänselt? Warum stand er "weit oben auf der Liste" der Besatzer? Seinen Schilderungen zufolge hat er sich zwar in die Gemeinschaft eingefügt, aber mehr auch nicht. Gilt er als Stadtbäcker bereits als wichtige Persönlichkeit?


    Die Aufgabe des Lehrers will nicht so recht zu seiner Person passen. Die Konstellation erscheint sowieso gespiegelt zu der, die man aus anderen Romanen kennt - pazifistischer Intellektueller und angepasster Emporkömmling haben diesmal ihre Stellungen getauscht.


    Ich muss mir den Tag über weiterhin Gedanken machen, nun muss ich erst mal los ...


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Wenn ich mich auch hier einmischen darf... :breitgrins:



    Es hat mich erstaunt, wie kurz die einzelnen Kapitel waren. Jedes mit einem Titel versehen. War die Geschichte anfangs vielleicht gar nicht als Buch geplant?


    Gerard Donovan hat zur Entstehung dieses Buches gesagt:


    Zitat

    Ich war der Meinung, dass ich am Beginn einer Short Story stand, und schrieb jeden Tag ein bisschen weiter, bis ich plötzlich feststellte, dass es schon sechzig Seiten waren. Mir kam der Gedanke, dass ich möglicherweise an einem Roman schrieb. Aber ich hatte noch nie einen Roman geschrieben.
    Ich hatte keinen Plan, auch nach sechzig Seiten nicht. Es gab kein Handlungsgerüst, keinen vorgegebenen Weg, kein Thema, also folgte ich einfach der Geschichte, und die Geschichte sagte mir, ich dürfe das Feld nicht verlassen, das Feld sei eine Bühne mit nur zwei Personen, und sie hätten nur ein paar Stunden Zeit, um die Handlungen auszuführen, die mir noch ein Rätsel waren.


    Das ausführliche Interview gibt's auf der Verlagsseite:
    http://www.randomhouse.de/weba…/webarticle.jsp?aid=17924


    So. Und nun bin ich auch schon wieder weg. Viel Spaß noch. :winken:


  • Die zeitliche Einordnung fällt mir noch viel schwerer, denn die Schilderungen des Alltags haben für mich etwas altertümliches. Zumindest deckt es sich für mich nicht mit der Rückschau auf den zweiten Weltkrieg. Hinzu kommt, dass in der eigentlich gut gestellten Grenzstadt die Kunden des Bäckers auf's Geld achten müssen, viele Anwohner backen ihr Brot aus Kostengründen selbst. (Wahrscheinlich sind die konkreten Umstände absolut unwichtig und mehr als die genannten Eckpunkte spielen keine Rolle, ich zerbreche mir also völlig umsonst den Kopf.)


    Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass es nicht nur um einen fiktiven Krieg, sondern auch um ein fiktives Land. Zumindest aber spielt es keine Rolle, weil uns der Roman andere Dinge zeigen soll... Trotzdem geht es mir wie Dir, Breña, ich zerbreche mir auch darüber den Kopf. :smile:


    Zitat

    Ebenso wenig greifbar sind die beiden bisherigen Protagonisten, der Bäcker und der Lehrer. Welche Rollen spielen sie? Der Bäcker scheint aufgrund seiner Herkunft eine Sonderstellung einzunehmen - dachte ich zuerst, denn sein Bruder scheint sich normal in die Gesellschaft zu integrieren. Wurde er als Kind wirklich ausgegrenzt, oder hat er seine Isolation selbst gewählt, weil er sich anders fühlte, und wurde daher gehänselt?


    Irgendwie erscheint es mir schon so, dass der Bäcker diese Isolation selbst gewählt hat. Erzählt er nicht auch, dass er lieber gelesen hat als mit den anderen Jungs Fußball zu spielen? Sein Bruder allerdings bekommt Bildung und integriert sich 'automatisch'... Ob die Eltern auch dazu beigetragen haben? Vielleicht musste einer der Söhne eben handwerklich arbeiten (Bäcker werden) und einer genoss gute Bildung. Früher war das ja nun nicht unüblich - wobei wir wieder bei dem Thema wären, dass manches an der Geschichte antiquiert wirkt.


    Zitat

    Die Konstellation erscheint sowieso gespiegelt zu der, die man aus anderen Romanen kennt - pazifistischer Intellektueller und angepasster Emporkömmling haben diesmal ihre Stellungen getauscht.


    Das trifft es ziemlich gut, finde ich. Wobei ich den Bäcker gar nicht so unintellektuel empfinde - aber eben nicht so gebildet (im herkömmlichen Sinne) wie der Geschichtslehrer.






    Wenn ich mich auch hier einmischen darf... :breitgrins:


    Sehr gerne! Vor allem mit solch informativen Zitaten... :smile: Hast Du das Buch denn schon gelesen?



    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea


  • Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass es nicht nur um einen fiktiven Krieg, sondern auch um ein fiktives Land. Zumindest aber spielt es keine Rolle, weil uns der Roman andere Dinge zeigen soll... Trotzdem geht es mir wie Dir, Breña, ich zerbreche mir auch darüber den Kopf. :smile:

    ´


    Genau so empfinde ich es auch. Aber wir neigen halt dazu in der Geschichte zu wühlen und einen zutreffenden Zeitpunkt zu suchen.



    Vielleicht musste einer der Söhne eben handwerklich arbeiten (Bäcker werden) und einer genoss gute Bildung. Früher war das ja nun nicht unüblich - wobei wir wieder bei dem Thema wären, dass manches an der Geschichte antiquiert wirkt.


    Ich erinnere mich, dass der alte Bäcker unseren Bäcker darauf ansprach, dass er eigentlich schon etwas alt für eine Lehre sei. Da frage ich mich, was hat er davor gemacht?



    Wenn ich mich auch hier einmischen darf... :breitgrins:



    Gerard Donovan hat zur Entstehung dieses Buches gesagt:


    Danke für die Info und den Link!


  • Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass es nicht nur um einen fiktiven Krieg, sondern auch um ein fiktives Land.


    Das denke ich inzwischen auch, aber man kann's irgendwie doch nicht lassen, eine Einordnung vornehmen zu wollen :breitgrins:



    Irgendwie erscheint es mir schon so, dass der Bäcker diese Isolation selbst gewählt hat. Erzählt er nicht auch, dass er lieber gelesen hat als mit den anderen Jungs Fußball zu spielen?


    Das mit dem „selbst gewählt“ ist so eine Sache. Es mag sein, daß die Augrenzung, die er empfunden hat, eingebildet war und er sich somit auf Grund falscher Voraussetzungen zurückgezogen hat. Nur sind auch eingebildete Ausgrenzungen für den Betroffenen genauso real wie tatsächliche, daher spielt es letztlich in diesem Fall für den Bäcker keine Rolle. Und irgendwann verfestigt sich das Ganze so, daß er nicht mehr aus der Rolle heraus kann. Nach außen wirkt er dadurch ein wenig wunderlich, aber da er niemandem etwas tut, läßt man ihn eben.

  • Ich kann mich nach diesem ersten Teil noch nicht wirklich mit diesem Buch anfreunden. Ich weiß garnicht, wie ich es ausdrücken soll - irgendwie habe ich jetzt schon eine ziemliche Aversion gegen beide Protagonisten.


    Ich denke auch das Außenseiterdasein des Bäckers ist eine selbst gewählte Rolle. Er kommt mir ein wenig "alienmässig" vor - zumal er selbst zugibt, sich einfachste menschlche Regungen und Handlungen durch "extreme" Nachahmungs bzw. Lernprozesse antrainieren musste. Dabei geht er in dieser Rolle perfekt auf und beherrscht sie - ist also perfekt angepasst, unauffällig.
    Das mag für seine jetztige Situation vielleicht sogar "überlebenswichtig" sein, er hat gelernt sich anzupassen.


    Neben dem fiktiven Kriegsschauplatz werden die realen geschichtlichen Szenarien erwähnt. Aber auf was läuft das Ganze am Ende hinaus? Der Lehrer kennt die Schreckensszenarien der Vergangenheit und nimmt nun selbst an einem Teil - welche Rolle spielt er? Ich werd aus ihm noch nicht schlau...


  • Ich denke auch das Außenseiterdasein des Bäckers ist eine selbst gewählte Rolle. Er kommt mir ein wenig "alienmässig" vor - zumal er selbst zugibt, sich einfachste menschlche Regungen und Handlungen durch "extreme" Nachahmungs bzw. Lernprozesse antrainieren musste. Dabei geht er in dieser Rolle perfekt auf und beherrscht sie - ist also perfekt angepasst, unauffällig.
    Das mag für seine jetztige Situation vielleicht sogar "überlebenswichtig" sein, er hat gelernt sich anzupassen.


    Mir kam dabei in den Sinn, dass er es so exakt einstudiert, als solle er die Rolle eines anderen übernehmen. Man kennt das ja von Krimi, in denen die Doppelgänger tagelang vor dem Spiegel üben, bis sie perfekt sind. :zwinker:



    Der Lehrer kennt die Schreckensszenarien der Vergangenheit und nimmt nun selbst an einem Teil - welche Rolle spielt er? Ich werd aus ihm noch nicht schlau...


    Manchmal denke ich, er fühlt sich als Beobachter. Wie ein Kriegsberichterstatter, der klar auf einer Seite steht.

  • Endlich konnte ich mir auch eure Kommentare durchlesen.
    Inzwischen bin ich auch der Überzeugung, dass wann und wo irrelevant sind, es kommt alleine auf das was und wie an.



    Ich habe während des Lesens gar nicht darüber nachgedacht, ob mir der Bäcker sympathisch ist. Sympathie ist vielleicht das falsche Wort, aber er tut mir ein bißchen leid. Solch eine Außenseiterrolle als Kind und Jugendlicher innezuhaben ist eine extreme Belastung, ich kann ihm da manches nachfühlen. Etwas merkwürdig fand ich aber seine Lernen-durch-Nachahmen-Methode selbst für so simple Dinge wie Händeschütteln und Lächeln. Man sollte doch meinen, daß es dafür in dem Alter, in dem er damit begonnen hat, keine Notwendigkeit mehr gäbe.


    Interessant, auch ich habe gar nicht darüber nachgedacht, ob einer der beiden mir sympathisch ist. Ich bin eher erstaunt ihren Ausführungen gefolgt und war verwirrt von der Kindheit und Jugend des Bäckers. Ich hoffe, dass wir darüber mehr erfahren werden, denn seine Isolation und die doch eher seltsame Integration beschäftigen mich noch. Ich glaube auch, dass darin Antworten für die bestehende Konstellation zu finden sind. Und dass dabei auch eine Erklärung der ominösen Liste rumkommen könnte.



    Die Andeutung, dass er relativ weit mit oben auf der Liste der Männer, die nach den Soldaten in die Stadt kamen, deutet ja irgendwie in diese Richtung, oder? Was dies wohl für eine Liste ist?


    Mein erster Gedanke war, dass die Besatzer bestimmt eine Liste über die wichtigsten Mitglieder der Stadt führen und eine über die möglichen Unruhestifter. Allerdings passt der Bäcker mit dem Hintergrund, den wir momentan von ihm kennen, auf keine von beiden. Was werden wir noch erfahren über ihn?



    Was mich auch interessiert, ist, warum der Bäcker den Mann, der ihn bewacht, kennt. Er identifiziert ihn als den Geschichtslehrer, der auch seinen Bruder unterrichtet hat. Ist es also ein Bürgerkrieg oder ist der Geschichtslehrer ein Kollaborateur? Für letzteres wundert mich aber seine Stellung auch bei den Soldaten.


    Die Stadt macht keinen wirklich großen Eindruck auf mich, immerhin bezeichnet sich der Bäcker als "der Stadtbäcker". Daher verwundert es mich auch nicht, dass er den Geschichtslehrer seines Bruders trifft, wieviele Lehrer gibt es wohl insgesamt vor Ort? Bestimmt nicht viele. Interessanter finde ich die Frage, weshalb der Lehrer in die Position des Aufsehers gelandet ist. Doris' Gedanken dazu finde ich gut:



    Soll er nur eine unliebsame Arbeit übernehmen, um später selbst in einer Grube zu landen, weil er nicht wirklich hinter seiner Aufgabe steht?


    So, bei nächster Gelegenheit widme ich mich wieder dem Buch, ich bin schon gespannt.


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges