Gerard Donovan – Ein bitterkalter Nachmittag

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    Inhalt (Klappentext): Ein Nachmittag in einem Dorf irgendwo im winterlichen Europa: Ein Mann gräbt auf einem Feld ein großes Loch, ein anderer wacht über ihn. Der Schnee fällt, Soldaten marschieren vorbei, Lastwagen karren Dorfbewohner an den Waldrand. Während rings umher ein Bürgerkrieg tobt, beginnen die beiden Männer miteinander zu reden. Sie kennen sich, der Bewacher ist der Lehrer, der Mann in der Grube der Bäcker des Dorfes. Sie stehen auf verschiedenen Seiten in diesem nicht näher benannten Konflikt, und sie tasten sich aneinander heran, indem sie über den Menschen, die Zivilisation, die Geschichte des Krieges und über Gewalt reden. Philosophische Dispute, listige Spiegelgefechte, spielerische Anklagen vertreiben die Kälte und verkürzen die Zeit. Und doch muss die Grube gegraben werden, sie dient einem Zweck, der beiden nur allzu klar ist.


    Im Laufe weniger Stunden offenbart sich nicht nur, warum die beiden sich an diesem Ort, in dieser Situation befinden, sondern auch, dass die Geschichte der Menschheit und der Zivilisation untrennbar verbunden ist mit der Geschichte der Gewalt.



    Meine Meinung: Normalerweise zitiere ich ja nicht den Klappentext für die Inhaltsangabe, hier hätte mich allerdings schwer damit getan, etwas eigenes und besseres zu formulieren. Denn dies ist mal einer der seltenen Fälle, wo der Klappentext tatsächlich zum Buch paßt. Allerdings tut er das nur auf dieser oberen Ebene der Inhaltszusammenfassung, die durchaus ein interessantes Buch erwarten ließ.


    Leider war das Ergebnis dann doch eher enttäuschend. Die einzelnen Kapitel sind überwiegend extrem kurz gehalten, so daß sich mancher Gedanke gar nicht recht zu entfalten vermag. Andere sind zwar etwas länger, ordnen sich auch durchaus in den angesprochenen Kontext von Zivilisation und Geschichte des Krieges ein, aber diese „Diskussionen“ zwischen dem Geschichtslehrer und dem Bäcker mit seiner Self-made-Ausbildung kommen in einer äußeren Form zwischen beiden daher, die eher vermuten läßt, beide hätten einen Hieb zu viel über den Schädel bekommen. „Normales“ Verhalten, jedenfalls so normal wie es unter Kriegsbedingungen sein kann, sieht jedenfalls völlig anders aus. In etlichen Szenen, denn das ganze wirkt weniger wie ein Roman aus einem Guß, sondern mehr wie ein Bühnenstück mit ausgesprochen künstlichen Charakteren, muß man sich fragen, ob sie überhaupt einen Zusammenhang mit dem Rest aufweisen.


    Ob Donovan selbst tatsächlich ein Ziel mit diesen ganzen Ausführungen verfolgt hat, dessen bin ich mir auch nach dem Nachwort nicht sicher. Am Ende steht wohl am ehesten die Frage danach, für was man sich in einer solchen Ausgangslage (Krieg, Besatzung etc.) entscheidet: Überleben oder Ideale? Ersteres ist sicher die am häufigsten getroffene Wahl, sonst hätte die Menschheit sich schon ausgerottet, letzteres macht einen zum Märtyrer, aber was hat man davon? Hier hätte es durchaus spannende Ansätze gegeben, die Donovan aber höchstens andeutet. So bleiben vor allem ein paar wirklich gelungene Beschreibungen über winterliche Verhältnisse, die Kälte, den Schnee. Aber das ist dann doch ein bißchen zu wenig.


    2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Ich habe ja die Leserunde mitverfolgt und bin angesichts Eurer verhaltenen Reaktionen im Nachhinein doch recht froh, mich nicht gleich auf das Buch gestürzt zu haben.



    Ob Donovan selbst tatsächlich ein Ziel mit diesen ganzen Ausführungen verfolgt hat, dessen bin ich mir auch nach dem Nachwort nicht sicher.


    Was mich nach den Berichten und den Interviews, die ich im Zuge der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung des Erstlingswerkes von Gerard Donovan gelesen habe, etwas verunsichert und vom Kauf abgehalten hat, war das, was offenbar auch Euch gestört hat: die planlose und konfuse Handlung (wenn man sie denn so nennen kann). Donovan hat ja in dem Interview, das ich neulich schon mal verlinkt habe (-> klick), selbst gesagt, dass er das Buch einfach drauflosgeschrieben habe, ohne sich vorher Gedanken darüber gemacht zu haben, in welche Richtung es sich entwickeln solle ("Es gab kein Handlungsgerüst, keinen vorgegebenen Weg, kein Thema").


    Ohne eine genaue Vorstellung über den Aufbau, die Personen und die Handlung eines Buches einfach loszulegen, mag bei versierten Schriftstellern gutgehen, geht aber meistens schief und ist in meinen Augen auch der häufigste Grund, warum so viele Neulinge scheitern, die gerne "mal was schreiben" wollen, ohne jedoch genau zu wissen, was.


    Im Rahmen der Leserunde zu Weißer Schrecken im Leserunden-Forum wurde das auch gerade kürzlich vom Autor Thomas Finn auf den Punkt gebracht:


    Zitat


    Vor dem Schreiben sorge ich dafür, dass sich das, was ich zu Papier bringen will, quasi wie ein Film vor meinem geistigen Auge abspielt. Ich habe also die groben Eckstationen der Handlung im Kopf, ebenso die Ziele, die ich mit meinen Figuren ansteuern will und lege dann los. (...) Am wichtigsten ist es aber zu wissen, worauf alles hinführen soll. Der größte Anfängerfehler, den neue Kollegen machen, besteht darin, nicht zu wissen, wie das Ende der Geschichte aussieht, die aber trotzdem schon mal mit dem Schreiben loslegen.


    (s. hier: klick)


    Vielleicht hätte sich der (damalige) Neuling Gerard Donovan einfach an diesen Grundsatz halten sollen... :zwinker:

  • Ich denke inzwischen auch, daß es einen Grund hatte, warum dieses Buch nicht nach seinem Erscheinen schon ins Deutsche übersetzt wurde, sondern jetzt nach der, wohl doch recht guten, Aufnahme von Winter in Maine einfach nachgelegt werden mußte. Der Name zieht jetzt eben, das muß ausgenutzt werden.


    Dieser Hinweis aus dem Interview findet sich übrigens hier auch im Nachwort, das Donovan allerdings auch erst dieses Jahr im Sommer geschrieben hat.


  • Ich denke inzwischen auch, daß es einen Grund hatte, warum dieses Buch nicht nach seinem Erscheinen schon ins Deutsche übersetzt wurde, sondern jetzt nach der, wohl doch recht guten, Aufnahme von Winter in Maine einfach nachgelegt werden mußte. Der Name zieht jetzt eben, das muß ausgenutzt werden.


    Tja, das ist in solchen Fällen ja üblich, dass nach einem Erfolg die früheren, weniger erfolgreichen Bücher nachgereicht werden. Ich hoffe aber, das verleidet Dir nicht das Interesse an Winter in Maine, denn das fand ich wirklich ganz großartig. :smile: Und vorm Schreiben hat sich Donovan bestimmt einen Plan über das Buch gemacht. :zwinker:

  • Noch sind zwar nicht alle Teilnehmer der Leserunde fertig, aber abgesehen von den konkreten Beiträgen lässt sich auch so erahnen, dass wir in etwa Aldawens Meinung über das Buch teilen. Sprachlich kommt es an die Qualität von "Winter in Maine" heran, aber sonst würde ich es nie Donovan zuordnen. Mich würde interesseren, mit welcher Begründung das Buch auf der Longlist des Man-Booker-Preises gelandet ist.

  • Bist du der Lehrer oder der Bäcker? - Die Kunst des Überlebens


    Schauplatz ist ein Feld an einem unbenannten Ort in einem unbenannten Jahr. Es herrscht ein unbenannter Krieg. Es ist ein bitterkalter Nachmittag im November. Es schneit. Handelnde Personen sind ein unbenannter Bäcker und ein unbenannter Geschichtslehrer. Der Bäcker muss eine Grube in dem gefrorenen Boden ausheben, der Lehrer beaufsichtigt ihn dabei. Die Atmosphäre ist angespannt. Beiden ist klar, wofür die Grube dienen soll. Im Laufe des Nachmittags werden immer wieder Gruppen von Menschen mit Lastwagen zu diesem Feld gebracht. Sie werden von Soldaten bewacht. Die Beziehung zwischen dem Bäcker und dem Lehrer ist frostig, dann wieder hat man den Eindruck, sie kommen sich näher durch ihre Gespräche. Sie ergehen sich in philosophischen Betrachtungen, ziehen Philosophen aus allen Epochen heran. Es geht um Kriege, Schlachten, Liebe, Verrat, Gut und Böse, Dschingis Khan, Hitler und noch viele mehr. Lehrer und Bäcker führen eine Schlacht der Worte gegeneinander. Jeder vertritt vehement seine Ansichten über diesen Krieg. Das Wortgefecht gipfelt in einer skurrilen Gerichtsverhandlung, die die beiden spielen. Dabei stellt der Bäcker den Angeklagten und den Richter dar, der Lehrer den Staatsanwalt und die Zeugen. Der Bäcker ist des Verrats angeklagt, er fühlt sich jedoch nicht schuldig. Nach seiner Auffassung blieb ihm keine andere Wahl.


    Gerard Donovan hat eine unglaubliche Atmosphäre geschaffen. Beim Lesen spürte ich förmlich die klirrende Kälte auf dem Feld und die Anspannung des Bäckers und des Lehrers. Es war mir nicht möglich, mich loszureißen. Obwohl zuerst nicht viel passiert – der Bäcker gräbt halt ein Loch – ist das Buch sehr spannend. In intensiven Beschreibungen wird die Geschichte rasant voran getrieben. Am Ende ist dem Leser klar, wie Lehrer und Bäcker in ihre jeweilige Lage geraten sind. Es bleibt nun jedem einzelnen überlassen, für sich zu entscheiden, ob er eher wie der Lehrer oder wie der Bäcker handeln will. Wobei die Entscheidung, die wir jetzt treffen würden, unter Druck wieder ganz anders aussehen kann.


    „Ein bitterkalter Nachmittag“ ist der Debütroman von Gerard Donovan, der bei uns mit seinem Roman „Winter in Maine“ bekannt geworden ist. Meines Erachtens zu Recht stand das Buch auf der Longlist des Man Booker Prize.


    4ratten

  • Hallo!


    Mitten im klirrenden Winter stehen zwei Männer auf einem Feld. Einer gräbt ein Loch, der andere bewacht ihn. Man weiß nicht, wo und wann die Geschichte spielt. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, es würde irgendwo in Osteuropa kurz nach dem zweiten Weltkrieg sein. Anfangs hatte ich Mitleid mit dem Bäcker, denn es kam mir so vor, als ob er sein eigenes Grab graben würde. Zuerst erzählt er nur wenig über sich und viel über den Lehrer, der ihn bewacht. Die Rollen scheinen klar verteilt: der Lehrer ist der Böse, der Bäcker der Gute. Aber dann erzählt der Bäcker immer mehr aus seinem Leben und auf einmal wirkt er nicht mehr so sympathisch. Nach und nach wächst in mir der Gedanke, dass er sein Schicksal wenigstens ein bisschen verdient hat und mein Mitleid schrumpft. Dagegen wird mir der Lehrer sympathischer, wenn mir das Gefühl auch nicht ganz recht ist denn er ist ja schließlich der Böse.


    Die Geschichte der beiden Männer hat mich fasziniert, ihr Diskussionen nicht immer. Wie sich der Bäcker seinen Platz im Dorf erkämpft hat (anders kann ich das nicht ausdrücken) hat schon etwas, auch wenn er es auf eine Art gemacht hat die etwas Beängstigendes hatte. Der Lehrer dagegen gibt wenig von sich preis, ich erfahre mehr über ihn aus den Erzählungen des Bäckers. Eigentlich mochte ich keinen der beiden, später habe ich aber gemerkt dass gerade mein Bild des Lehrers stark von außen beeinflußt wurde.


    Ein bitterkalter Nachmittag hat mich nach dem Lesen noch lange beschäftigt, was eigentlich ein gutes Zeichen ist. Leider haben mich die Erläuterungen über Krieg und Kriegsführung gelangweilt, deshalb bekommt das Buch
    3ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.