E.T.A. Hoffmann - Nachtstücke

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 12.298 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Friedi.

  • So, nun also mal ein paar einleitendende Worte zu meinem Buch zum Thema "Schatten und Dunkelheit"


    E.T.A. Hoffmann - Nachtstücke

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    Original verfasst "vom Herausgeber der Fantasiestücke in Callots Manier" legte E.T.A. Hoffmann (1776-1822) in seiner Kurzgeschichtensammlung ein Werk ab, welches sich ganz klar mit der Nachtmetaphorik der Romantik auseinander setzt.
    Ursprünglich sind die Nachtstücke in 2 Bänden im Jahre 1816 und 1817 erschienen, und enthalten jeweils 4 Erzählungen, von denen "Der Sandmann" wohl die bekannteste ist.

    Band 1:

    Der Sandmann
    Ignaz Denner
    Die Jesuitenkirche in G.
    Das Sanctus


    Band 2:
    Das öde Haus
    Das Majorat
    Das Gelübde
    Das steinerne Herz


    Die jeweils ersten drei Erzählungen sind sehr dunkle und, man möge fast meinen, "gruselige" Geschichten (Hoffmann wurde nicht umsonst Gespenster-Hoffmann genannt), die beiden letzten Geschichten sind eher Gemütserheiternde Geschichten.


    Der Klappentext:

    Zitat

    1816/17 veröffentlichte E.T.A. Hoffmann einen zweibändigen Zyklus von Erzählungen unter dem bezeichnenden Titel Nachtstücke. Die Aufwertung der Nacht ist innerhalb der Romantik stets polemisch auf die allzu zuversichtliche Lichtmetaphorik der Aufklärung bezogen, andererseits wird bei Hoffmann aber auch die Vertiefung in die Nachtseiten der Psyche durchaus kritisch gesehen.


    Bisher habe ich aus den Nachtstücken auch wirklich nur "Der Sandmann" gelesen, über den ich auch im letzten Semester eine kurze Hausarbeit schreiben musste. Da mir Hoffmanns Erzählungen jedoch allgemein sehr gut gefallen (bspw. "Der goldne Topf" oder "Die Elixiere des Teufels") stelle ich in den nächsten Tagen und Wochen die Erzählungen der Nachtstücke vor :)

  • Da gehts mir so wie Dir. Den Sandmann hab ich inzwischen mehr als einmal gelesen und wir haben in auch in einem Seminar auf die Augen hin analysiert - was recht lustig war. Ich bin gespannt was Du so berichten wirst!

  • ja, irgendwie behandelt den jeder, der was mit Literatur im Studium zu tun hat :D
    Habe damals in der Schule allerdings auch schon eine 20seitige Arbeit über das Doppelgängermotiv geschrieben (interessanterweise waren es in der Uni dann nur 5 Seiten).


    Dadurch, dass ich in diesem Sommersemester eine Vorlesung über die europäische Romantik besucht habe, ist mir der werte Herr Hoffmann wieder thematisch näher gekommen (auch wenn wir da eher auf die Elixiere des Teufels eingegangen sind) ^^
    Büffel selber gerade für die Prüfung am Dienstag, darum kommt mir das Buch gerade sehr gelegen.

  • Die Elixiere des Teufels mag ich persönlich auch sehr. Wobei ich die mal ganz für mich gelesen habe - allerdings als wir den Sandmann mal in der Schule besprochen haben, da wurde ich neugierig *g* Viel Glück für die Prüfung!

  • so, ich habe mir vorgenommen, die 8 Erzählungen einzeln zu Rezensieren, damit das ganze übersichtlich bleibt ;)


    Es folgt nun eine Rezension über die Erzählung Der Sandmann, da die Erzählung in sich sehr komplex ist, mit einer etwas längeren Inhaltsangabe :breitgrins:


    E.T.A. Hoffmann – Der Sandmann
    Der Sandmann ist eine Erzählung, die in die Psyche des Protagonisten eindringt, und dem Leser selbst die Wahl lässt, ob das, was dieser erlebt Traum oder Wirklichkeit ist.


    Alles beginnt mit dem jungen Studenten Nathanael, der seinem alten Freund Lothar einen Brief schreibt. Er berichtet von einem Erlebnis aus seiner Kindheit: Als Nathanael acht Jahre alt war, wurde ihm jeden Abend erzählt, dass wenn er nicht zeitig schlafen gehen würde der Sandmann kommen würde und ihm die Augen auskratzen würde. Gleichzeitig vernahm der Junge jeden Abend laute Schritte auf dem Gang, die zu dem Arbeitszimmer seines Vaters führten. Er beschließt dem ganzen auf den Grund zu gehen und schleicht sich eines Tages, anstatt schlafen zu gehen, in das bereits erwähnte Arbeitszimmer und versteckt sich, nach dem Vernehmen von Schritten und Stimmen in einem Schrank. Daraufhin beobachtet er seinen Vater, wie er mit dem Advokaten Coppelius alchemistische Experimente durchführt. Nathanael wird von Coppelius entdeckt, welcher ihm daraufhin voller Wut droht ihm die Augen auszukratzen. Dadurch, dass Nathanel dieses Handeln vorher immer mit dem „Sandmann“ assoziiert hat, tritt nun Coppelius in seiner Fantasie an Stelle dieser mystischen Figur. Nun, wo Nathanael längst sein Elternhaus verlassen hat, tritt dieses längst verdrängte Erlebnis wieder in sein Gedächtnis, denn er ist tatsächlich auf einen Mann getroffen, der dem Advokaten vom Aussehen her absolut gleicht – den Wetterglashändler Coppola. Dieser merkwürdige Mann, will dem Protagonisten mit seinen Gläsern „Sköne Oke“ (also schöne Augen) verkaufen. Nathanael gerät in einen Verwirrtheitszustand.


    Nicht nur Lothar liest diesen Bericht Nathanael’s sondern auch seine Schwester und Nathanaels Verlobte Clara. Sie macht sich Sorgen um seinen Gemütszustand und überzeugt ihn scheinbar(!) in einem Brief, dass es sich bei Coppola gewiss nicht um den Advokaten handle. Der Student verfasst einen weiteren Brief an Lothar, indem er nicht nur über Claras überraschende Antwort, sondern auch über eine hinreißende Frauengestalt berichtet, welche er stets am Fenster eines nahegelegenen Hauses, dem des Professors Spalanzani, sitzen sieht.


    Folgend trifft der Leser auf einen Umbruch, der von einer reinen Brieferzählung auf eine intradiegetische Erzählweise eines Bekannten Nathanaels, Siegfrieds, wechselt.



    Diese Erzählung, die die erste Geschichte des ersten Bandes der Nachtstücke bildet, ist wahrscheinlich die mit Abstand meist diskutierte Erzählung des Romanciers E.T.A. Hoffmann. Die Frage was Wahn und Wirklichkeit sei, und ob Nathanael denn im Recht liegt, steht offen. Mit diesem Aufbau der Geschichte, und dem sogenannten „Doppelgängermotiv“, von dem vor allem in der schwarzen Romantik Gebrauch gemacht wurde, schafft der Autor die Möglichkeit in zwei voneinander scheinbar unabhängigen Personen eine Identität zu schaffen, von der man nicht weiß, ob es sich nun wirklich um jene zwei Personen, oder um eine Person handelt. Die Auslegung setzt sich sehr mit der Psyche des Protagonisten auseinander, so wie es auch Sigmund Freud um 1900 mit seiner Psychoanalyse bzw. der Traumdeutung getan hat, gleichzeitig bekommt der Leser hier noch eine Erzählung vorgelegt, die sich ganz klar von dem „blumigen“ Werken der Romantik und der Lichtmetaphorik der Aufklärung absetzt und sich ernsthaft mit dem Schauerlichen befasst. Hier trifft der Leser auch erstmals auf perspektivisches Erzählen, in der von einer außenstehenden, intradiegetischen, Person berichtet wird. Gleichzusetzen ist diese Erzählung der schwarzen Romantik bspw. mit dem britischen Vorbild der Gothic Novel, die unter anderem Edgar Allan Poe zum Vorreiter erkoren hat.


    So, wie bereits erwähnt kannte ich diese Erzählung bereits vor dem Beginn des Lesens der Nachtstücke. Sie hat mich schon vor einigen Jahren in ihren Bann gezogen und hat mir dabei geholfen mich in der Schulzeit erstmals ernsthaft mit dem Sinn hinter Literatur zu beschäftigen. Klar, es ist ein Klassiker, und in die muss man sich ja meist zuerst ein wenig einfinden, dennoch lohnt sich die Lektüre dieser kurzen und dennoch komplexen Erzählung in jedem Fall. Hoffmann stellt den Leser vor ein unaufgedecktes Rätsel, was unweigerlich dafür sorgt, dass sich dieser mit der Geschichte beschäftigt und sich vor Augen führt, wie es dem Protagonisten in dieser Situation geht. Es geht nicht nur um ein psychisches Problem Seiten Nathanaels, sondern auch um das niemals verarbeitete Geschehnis in seiner Kindheit. Sprachlich zwar in einem gehobenen Stil ist diese Erzählung auf jeden Fall auch für Laien interessant und lesbar.



    An die, die es bis zum Ende gelesen haben: Respekt! :breitgrins:

  • Hallo Friedi :winken: ,
    ich habe den letzten Absatz zur Handlung verspoilert, damit niemand unabsichtlich erfährt, wie es endet.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • och menno^^ aber okay *akzeptier* davon mal ab, dass es bei Literatur ja nicht um Spannungsaufbau geht


    Ach Friedi ... damit beisst Du hier auf Granit ...


    Hoffmann ist übrigens einer meiner Lieblinge. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • so, zur Erzählung "Ignaz Denner" (Ausgang der Geschichte ist verspoilert)


    Bei der 2. Erzählung des ersten Bandes der Nachtstücke E.T.A. Hoffmanns, Ignaz Denner, geht es um eine Räubergeschichte in der ebenso wie bei Der Sandmann die Doppelgängermotivik auftritt.
    Andres lebt mit seiner Frau Giorgina in einem Wald in der Nähe von Fulda. Sie ist schwanger, und leidet mit Schmerzen unter diesem Umstand. Beinahe durch Zufall taucht in der Nacht, in der Giorginas Leid nicht mehr zu ertragen ist, ein Unbekannter auf – er nennt sich später Ignaz Denner. Er hilft Andres Ehefrau und versorgt sie sowohl mit Medikamenten wie auch mit Gold, welches Andres zuerst nicht annehmen will. Die beiden wissen nicht, wie sie dem Fremden, der sich als Kaufmann ausgibt, danken sollen, also stellt dieser Andres drei Aufgaben: 1. Er solle ihn zwei Mal im Jahr, wenn Denner zwischen Frankfurt und Kassel sowie zwischen Leipzig und Frankfurt reist, für einige Nächte beherbergen. 2. Andres solle auf einige Wertgegenstände aufpassen, die Denner eine zu hohe Last auf seinen Reisen sind. 3. Andres solle den Kaufmann aus dem Wald, welcher voller Gefahren ist, wieder herausführen.
    Nach der Begegnung mit Denner nehmen die Raubüberfälle in der Gegend ab. Nach etwa neun Monaten taucht der Kaufmann wieder auf, mit der Bitte, da er ja keine Kinder hat, das gemeinsame Kind Giorginas und Andres zu sich zu nehmen, die beiden lehnen allerdings ab. Danach lässt Ignaz Denner viele Jahre nichts von sich blicken, jedoch taucht er eines Nachts auf und ruft Andres aus seiner Hütte. Neben dem vermeintlichen Kaufmann treten einige Räuber einer berüchtigten Räuberbande auf – Denner stellt sich als Anführer dieser Gruppe heraus. Da Andres Jahre lang von Denners Besitztum gelebt hat, zwingt dieser ihn an einer seiner Raubzüge teilzunehmen, und zwar ausgerechnet bei seinem „Vorgesetzten“. Zuerst will er sich weigern, dennoch kommt er mit, und rettet dem Bandenführer sogar das Leben. Nachfolgend schwört er sich jedoch, nie wieder von Denners erbeutetem Gold zu leben. Wieder einige Jahre später, Giorgina hat ihren nun zweiten Sohn geboren, erfährt das Paar, dass Giorginas Stiefvater aus Neapel verstorben ist – Anders fährt nach Frankfurt um das Erbe von 2000 Dukaten abzuholen. Als er zurückkehrt findet er eine geschockte Frau vor, denn Ignaz Denner ist zurück zu seiner Frau gekehrt und hat ihren 9 Monate alten Sohn umgebracht und dessen Blut aufgefangen. Zudem wird Andres für einen Mord angeklagt, den er nicht begangen haben kann, da er zur Tatzeit nicht in Fulda war.



    Die Geschichte an sich weist, wenn man sich vorher nicht mit dem Inhalt auseinandergesetzt hat, einige Überraschungen auf. Die Tatsache, dass Andres in die Räuberbande ohne es zu wissen mit hineingezogen wird, und dass Ignaz Denner eigentlich der leibliche Vater Giorginas, der Sohn eines gewissen Dr. Trabacchio, ist, sorgen für mehrere Wendepunkte in der kurzen Erzählung. Gleichzeitig sorgt die Doppelgängermotivik, die sich auch in anderen Erzählungen Hoffmanns findet, für eine besondere literarische Thematik, zudem sorgt sie dafür, dass der Protagonisten dem Räuber vorerst eine zweite Chance gibt, bis dieser sich doch dazu entschließt den neunjährigen Sohn der kleinen Familie genauso wie dessen kleinen Bruder umzubringen.


    Die Geschichte an sich ist jetzt nicht so begeisternd wie bspw. "Der Sandmann", dennoch fühlt man sich beim Lesen in eine kunstmärchenartige Szenerie hineinversetzt, die mich persönlich zB an Ludwig Tiecks "Der blonde Eckbert" erinnert hat. Auf jeden Fall eine schöne Lektüre für einen entspannten Nachmittag ^^

  • Sooo, ich bin jetzt bei der vierten Erzählung angekommen ^^


    Über die "Jesuitenkirche in G." werde ich keine Rezension schreiben ^^
    Was allerdings zu dieser Erzählung noch zu sagen ist, dass hier besonders das frühromantische Motiv der Sakralisierung der Kunst bzw. der Ästhetisierung der Kirche zum Vorschein kommt :)