Tanith Lee - White as Snow

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 1.880 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Wendy.

  • Hallo ihr Lieben!


    Mein zweites Monatsrunden-Buch (und SLW-Buch zum Thema zweite Chance) steht in starkem Kontrast zum ersten. Beides sind Neuerzählungen von Märchen, aber während Sun and Moon, Ice and Snow schön kindgerecht war und eher nett vor sich hin erzählt wurde, geht es in Tanith Lees Version von Schneewittchen sehr brutal zu. :entsetzt:


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    Inhalt:
    In einem mittelalterlichen Europa wächst die junge adelige Arpazia in einem isolierten Schloss auf, nur um vom Eroberer, dem General-König Draco gefangen genommen zu werden. Das einzige, was ihr von ihrem früheren Leben bleibt, ist ein mysteriöser Glasspiegel mit magischen Kräften. Sie fühlt keine Verbindung zu ihrer Tochter, Coira. Stattdessen wird Klytemno, ein Jäger, ihr Geliebter. Klytemno verkörpert das Heidentum, während Draco sich christlichen Werten zuwendet. Arpazia soll ihre schwarzhaarige, schneeweiße Tochter in den Wald schicken - als Opfer für die alten Götter...


    Erste Eindrücke:
    Begonnen hatte ich das Buch schon einmal, allerdings bin ich nicht sehr weit gekommen, weil mir Arpazia irgendwie fremd und unsympathisch war. Das ist auch beim zweiten Versuch nicht anders, allerdings hat mich die Geschichte schnell gefangen genommen.
    Sie beginnt mit der Eroberung von Arpazias Schloss und ihrer Gefangenschaft. Kaum hat sie Draco gefangen, wird das 14-jährige Mädchen brutal von ihm vergewaltigt! :entsetzt: Als er bemerkt, dass sie schwanger ist, sucht er Vergebung in der Kirche und - nach seiner Beichte - heiratet das Mädchen. Nun ist Arpazia Königin, lebt aber wie in einem Bann. Sie spricht kaum, lässt über sich ergehen, was sein muss und schwebt wie auf Wolken durch ihr Leben. Als ihre Tochter Coira zur Welt kommt, stößt sie das Kind sofort ab.


    Ich finde spannend, dass die Geschichte mit der bösen Mutter beginnt. Arpazia, so unsympathisch sie mir auch sein mag, hat guten Grund so zu sein wie sie ist. Sie hat viel Gewalt durchlebt und war praktisch die ganze Zeit über hilflos - ein Baby, das aus einer Vergewaltigung gezeugt wird zu lieben, ist sicher nicht einfach. Was bisher noch etwas fehlt, ist die Eitelkeit, die in Schneewittchen ja eine treibende Macht ist.
    Interessant ist auch die Mischung aus pseudo-griechischen Göttern und Christentum. Demetra wird immer wieder erwähnt (ebenso wie Persephone, die in dieser Version auch Coira heißt), aber das Volk wird immer mehr zum Christentum gezwungen und die alten Götter und Traditionen langsam aber sicher zurückgelassen. Ich bin gespannt, wie diese Elemente sich auf die Schneewittchen-Geschichte auswirken.

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

  • Das erinnert mich ein klein wenig an die Ausganssituation in Snow White and the Huntsman (jaja, nicht grade ein Geniestreich der Kinokunst *g*), dort ist das Handeln der Stiefmutter auch nachvollziehbar und es wird auch in Kritik gestellt wie Männer mit ihren "Eroberungen" umgehen. Auch wenn es dann in eine ganz andere Richtung weitergeht.

  • Das war der einzige Aspekt an dem Film, der mir gefallen hat. Dass die Königin Angst vor dem Altern hat, weil sie ohne Schönheit ihre Macht verliert - das ist eine heftige Aussage, die dem echten Leben entspricht und gerade deshalb so gruselig ist.


    Im Buch ist es natürlich etwas ganz anderes. Eine Vergewaltigung und daraus entstandene Schwangerschaft ist unvorstellbar für mich, daher kann ich Arpazia auch nicht "böse" sein, dass sie ihr Kind so gleichgültig behandelt. Coira hingegen ist völlig entzückt von ihrer Mutter und findet, sie ist die schönste Frau der Welt - so schön wie eine Göttin. Das 7-jährige Kind will in der Nähe der Mutter sein, von ihr liebgehabt werden, aber die zwei werden wohl nie zueinander finden. Zumindest nicht, wenn die Geschichte dem Märchen halbwegs folgt. :traurig:

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

  • Wendy
    Das kann ich gut verstehen. Interessanter Kontrast der hier aufgemacht wird. Man kann ja beide Seiten verstehen.
    Ich bin gespannt in wie weit der Roman sich dem Märchen annähert und ob er z.B. doch noch den Bogen zur Schönheit des Mädchens einschlägt. Bzw. in wie weit die Mutter ihre Tochter irgendwann töten möchte.

  • Christentum und Heidentum stoßen tatsächlich aneinander. Einerseits leben die beiden nebeneinander her - der König geht brav zur Messe und so folgt natürlich auch die Königin Arpazia - aber an manchen Nächten schleicht sie sich auch in den Wald, wo nackt getanzt wird, wo man Tieropfer bringt, wo der König Orion sie verührt. Zum ersten Mal in ihrem Leben kann Arpazia Sex genießen. Doch dann werden die Dinge kompliziert...


    Coira ist inzwischen zu einer jungen Frau herangewachsen, die Königin hat eine gewisse Besessenheit von ihrer eigenen Schönheit entwickelt und es steht dem traditionellen Märchen nicht mehr viel im Wege. Der Bechdel-Test ist übrigens schon mehr als bestanden. Ständig unterhalten sich Frauen über Dinge. Über das Meer, über Religion, über Schwangerschaften, über Pflanzen... es kommen generell sehr wenige Männer in der Geschichte vor, jetzt wo ich's mir so überlege. Abgesehen vom König, von Arpazias Vater am Anfang, und vom Wald-König Orion fällt mir keiner mit Namen ein.
    Ich verziehe mich jetzt eine Weile in mein Parallelbuch, aber heute im Bett geht's weiter mit Schneewittchen. :breitgrins:

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

  • Hallo liebe Märchenfreunde!


    Schneewittchen ist ein Märchen, das jeder kennt. Die böse Stiefmutter ist eifersüchtig auf die Schönheit der Tochter und sie gibt dem Jäger den Auftrag, das Mädchen zu töten und ihr Herz (wahlweise auch ihre Leber) als Beweis zurück zu bringen. Das Grimm'sche Original, selbst die kindgerechteren Versionen, spart schon nicht an grauenvollen Dingen, die Menschen einander antun. Aber Tanith Lee, eine Autorin von der ich bisher noch nichts gelesen hatte, geht noch ein paar Schritte weiter.


    Meine Meinung:


    White as Snow erzählt das Märchen Schneewittchen relativ geradlinig, mischt aber griechische Mythologie und Feminismus in die Geschichte. Sie beginnt mit der 14-jährigen Arpazia, die vom Eroberer Draco gefangen genommen und vergewaltigt wird. Aus dieser schrecklichen Tat entsteht Candacis, genannt Coira, das Schneewittchen dieser Geschichte. Arpazia durchlebt im gesamten Roman eine Art Trance. Sie ist völlig traumatisiert von den schlimmen Erlebnissen ihrer Kindheit (und um ehrlich zu sein, ihres Erwachsenenlebens) und obwohl sie Königin wird, findet sie am Leben nur eine einzige Freude - den heidnischen Waldkönig Klymeno, oder Orion, mit dem sie eine Affäre beginnt.
    Coira wächst inzwischen ungeliebt unter Dienerinnen auf und wirkt ebenso weltfremd und gefühlskalt wie ihre Mutter. Beide Frauen sind faszinierende Figuren, wenn auch nicht sympathisch. Dadurch dass sie so kalt, so scheinbar gefühllos sind, konnte ich mich nicht wirklich mit ihnen anfreunden. Ich habe sie eher wie Ausstellungsstücke im Museum beobachtet, statt mich in ihre Haut zu versetzen. Das war vermutlich beabsichtigt und auch gut so. So viel Gewalt, Abneigung und Hass wie die beiden mitmachen, möchte ich wirklich nicht erleben! Insgesamt haben wir es hier mit einem sehr deprimierenden, düsteren Buch zu tun. Es gibt bis zum Ende kaum Lichtblicke.


    Interessant waren für mich eher andere Aspekte. Das Zusammenspiel von Arpazia und Coira - alt und jung, hässlich und schön, Verstoßende und Verstoßene - und die Art, wie die Märchenelemente eingebaut wurden. Die sieben Zwerge gibt es auch in dieser Geschichte, aber sie sind erstens nicht alle männlich und zweitens ganz und gar nicht alle begeistert von Coira. Griechische Mythologie schleicht sich gegen Ende des Romans immer mehr in die Handlung, als Coira den "König der Hölle" trifft, einen Mann namens Hadz. Sie selbst bezeichnet er als Persephah - eine dünn verkleidete Persephone. Generell haben extrem viele Charaktere mehr als einen Namen. Je nachdem, welche Rolle sie spielen, mit wem sie es zu tun haben, werden sie anders genannt. Candacis/Coira/Persephah ist nur ein Beispiel. Arpazia nennt sich einmal Lilca, Klymeno/Orion ist ein weiteres Beispiel. Die Zwerge tragen alle "Künstlernamen", von Stormy erfahren wir den tatsächlichen Namen (der auch aus der griechischen Mythologie stammt und sehr gut zu ihm passt :zwinker:)


    Mir fällt es schwer zu sagen, ob mir das Buch gefallen hat. Der erste Impuls sagt: Ja! Es war ausgezeichnet geschrieben, besteht den Bechdel-Test immer und immer wieder und legt generell Wert auf weibliche Figuren. Andererseits wird man hier mit so vielen Vergewaltigungen konfrontiert, so viel psychischer Gewalt und - am Ende - körperlicher Brutalität, dass ich sagen muss: Nein, gefallen hat mir das nicht. Es ist ein Buch, das einem ein unwohles Gefühl im Magen bereitet, im selben Moment aber begeistert, weil es so geschickt bekannte Elemente mit neuen Ideen verwebt. Das Märchen ist die Basis, aber darüber hinaus beschäftigt sich White as Snow mit anderen Themen, die den Gebrüdern Grimm wohl egal waren. Die Rolle von Frauen, besonders von Frauen, die im Alter ihre Schönheit einbüßen, das Gleichgewicht zwischen dem alten und neuen Glauben - in diesem Fall die alten Götter und das Christentum, die (fehlende) Liebe zwischen Mutter und Tochter. Es wird einem als Leser nicht gesagt, was man zu denken oder fühlen hat. Man wird einfach mit Charakteren konfrontiert, die schreckliches mitgemacht haben und deren Persönlichkeit ein Produkt ihrer Vergangenheit ist.
    Ich konnte Arpazia einfach nicht böse sein, dass sie Coira abstößt, obwohl das Kind furchtbar darunter gelitten hat.


    Ebenso interessant ist die Rolle des Spiegels. Ob er wirklich magisch ist oder Arpazia nur den Verstand verliert, wird nicht aufgeklärt. Doch Spiegel im weiteren Sinne spielen auch eine Rolle. Arpazia sieht Coira und ist der Meinung, sie sehe sich selbst in ihrer Jugend. Ebenso denkt Coira, dass Hadz das männliche Spiegelbild ihrer selbst ist. Das Buch steckt voller Symbole und Hinweise, die zum Nachdenken anregen. Ganz häufig werden natürlich weißer Schnee, rotes Blut und schwarze Bäume erwähnt. :breitgrins:


    Nach ein paar Hundert Seiten Düsternis und Traurigkeit war es schön, ein zumindest teilweise hoffnungsvolles Ende zu lesen. Die Märchen-Reihe verfolge ich bestimmt weiter, ob ich dieses Buch noch einmal lese, bezweifle ich aber. Dafür war mir die Stimmung zu hoffnungslos und die beiden Hauptcharaktere zu fern. Es ist ohne Zweifel ein gutes Buch, nur eben kein besonders fröhliches, das man gerne nochmal liest.


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Liebe Grüße,
    Wendy

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog