<b>Inhalt:</b>
"Gestern sah ich wieder ihr Bild". Mit diesen Worten beginnt der Roman.
Gemeint ist das Gemälde "Gabrielle d'Estrées und eine ihrer Schwestern", das bis zum heutigen Tag die Besucher des Louvres gleichermaßen verwundert und fasziniert. Auf dem Bild zu sehen sind zwei Damen des 16. Jahrhunderts: beide sitzen zusammen in einer Badewanne, beide sind nackt, die eine hält einen Ring in ihrer linken Hand, die zweite umfaßt mit ihren Fingern die rechte Brustwarze der ersten.
Auch der Literaturdozent Andreas Michelis interessiert sich seit langem für dieses Bild. Was wollte der Maler mit dem ausgefallenen Fingerspiel der beiden Badenden aussagen? Und was bedeutet das im Bildhintergrund abgebildete Szenario? Aber weitergehende Informationen sind spärlich und selbst Kunsthistoriker tun sich bis heute mit der Entschlüsselung des Bildes schwer. Das Geheimnis um die beiden Damen scheint unlösbar.
Da kommt ein Zufall dem Dozenten zur Hilfe: ein Freund findet in einem Verlagsarchiv Fragmente eines historischen Romans, der zum Ende des 19. Jahrhunderts von dem Historiker Jonathan Morstadt verfasst wurde. Erzählt wird darin die Geschichte der auf dem Gemälde abgebildeten Gabrielle d'Estrées, einer Mätresse des französischen Königs Heinrich IV. von Navarra, die einen überraschenden und qualvollen Tod starb.
Die Roman-Fragmente nähern sich aus verschiedenen Blickwinkeln dem Leben und Sterben der königlichen Geliebten - und damit letztlich auch der Entstehung des bekannten Louvre-Gemäldes. Können diese neuen Unterlagen das Bilderrätsel lösen?
<b>Meinung:</b>
Als "romanhafte Bildinterpretation" bezeichnet Wolfram Fleischhauer selbst sein Buch. Damit hat er für mich aber nur einen Teil dieses faszinierenden Romans beschrieben.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist natürlich das Bild der beiden Damen im Bad - und was es verbirgt. Aber gleichzeitig zeichnet dieser Roman auch ein wunderbar plastisches, exakt recherchiertes Bild des historischen Hintergrundes. Wer waren die abgebildeten Personen? Und wie haben sie gelebt? Man erfährt vieles über die französischen Religionskriege und das Umfeld des Königs Heinrich von Navarra. Politische Ränke, Machtspiele und Intrigen durchziehen die Seiten. Und daneben gibt es auch interessante Einblicke in das Leben abseits des Prunkes: wie lebten Diener, Bürger und Handwerker?
Spannend wird das Ganze durch die fragmentarische Roman-im-Roman-Konstruktion, durch die die verschiedenen Ereignisse facettenreich aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert werden. Erst nach und nach gelingt es dem Leser, die einzelnen Fäden zusammenzuknüpfen und die Zusammenhänge zu erkennen. Ein echtes Highlight für alle Historik- und Knobelfans.
Das Besondere dieses Buches macht aber die eindringliche, anschauliche und niemals übereilte Sprache aus, durch die ich mich wirklich in eine andere Zeit versetzt fühlen konnte. Dabei sollte man sich aber auf das eher gemäßigte Tempo dieses Buches einlassen können und wollen.
Fazit: Wolfram Fleischhauer vereint in diesem Buch historische Genauigkeit, spannendes Rätselraten und einen wunderbaren, geschliffenen Sprachstil. Anspruchsvolle Unterhaltung für Leser, die Spaß an Sprache, Kunst und Geschichte haben. Allerdings: wer ein Buch mit heldenhaft-liebenswerten Protagonisten und aktionsreichen Handlungssträngen sucht, sollte vielleicht doch besser eine andere Lektüre wählen. Wahrscheinlich wäre dieser Roman dann eine herbe Enttäuschung.
<b>Bewertung:</b>
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