Matt Haig - Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben

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    “Leid ist kein Leistungssport”
    In Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben berichtet Matt Haig von seiner Depression und seinen Angstzuständen, wie sie das erste Mal auftraten und ihm das Leben zur Hölle machten, wie sie sein Leben in den letzten Jahren begleiteten und wie er heute mit ihnen lebt. Er erzählt nicht chronologisch, sondern eher episodisch. Vor allem ist er ein großer Freund von Listen, was man auch an den vielen merkt, die sich in diesem Buch finden. Mal zählt er alle seine Symptome auf, “Dinge, für die man mir mehr Mitgefühl entgegenbrachte als bei der Depression”, oder “Was Leute zu Depressiven sagen, was sie in anderen lebensbedrohlichen Situationen nie sagen würden”. Er erzählt, wie ein Gang zum Kiosk um die Ecke zur Leistung des Monats werden kann, und wie ihm seine damalige Freundin und heutige Ehefrau unterstützt hat. Vor allem Berichtet er davon, wie er dachte, dass es nie besser werden würde, und dass es eben doch langsam, ganz langsam besser wurde. Er hat keinen Masterplan, um aus dieser Krankheit rauskommen, und das sagt er auch nicht. Matt Haig macht etwas viel Wichtigeres: Er gesteht jedem sein eigenes Leid mit der Krankheit zu ohne zu belehren, und am Ende gibt er Hoffnung, dass man eine Depression überleben kann.


    “Der Unterschied zwischen Depression und Traurigkeit ist ungefähr so groß wie der zwischen wirklichem Verhungern und leichtem Appetit”
    Allerdings macht Haig auch deutlich, dass eine Depression kein Spaziergang ist. Es ist ein Kampf um das eigene Leben, mal nur um die rudimentärste Lebensqualität, oft genug aber auch um Leben und Tod. Diese Kämpfe werden wöchentlich, täglich, stündlich ausgefochten. Ein stetes Ringen mit einem selbst um jeden Moment.
    Haig zeigt damit klar, dass diese Krankheit gefährlich und nicht mit Traurigkeit zu verwechseln ist. Wie oft hört man Menschen sagen “Ach, ich bin auch manchmal voll depri”, oder “Du musst nicht traurig sein, denk einfach an etwas Schönes, dann läuft es schon wieder!” Die Beispiele sind endlos. Allerdings führt ein Gefühl von Traurigkeit in der Regel eher nicht zu Selbstmord, bei Depressionen gehören Suizidgedanken, Versuche und erfolgreiche Suizide jedoch fast mehrheitlich zum Krankheitsbild.



    Als ich die ersten Rezensionen zu diesem Buch las, dachte ich “Kein Buch kann so gut sein, schon gar nicht zu diesem Thema.” Ich habe mich geirrt. Der Stil ist leicht, direkt und schnörkellos. Die kurzen Kapitel machen das Lesen leicht, was angesichts der Thematik eine Erleichterung ist. Auch die Listen zwischendurch lockern den Text und schaffen vor allem eins, was man bei einem Buch über Depressionen nicht unbedingt erwartet: man lacht. Laut und herzlich.

    “Am Ende braucht man mehr Mut, um zu leben, als um sich umzubringen. – Albert Camus”

    Man fühlt sich bei diesem Buch verstanden und entwickelt für andere Betroffene Verständnis. Man bekommt eine Idee von dem, was an Depression erkrankte Menschen am Tiefpunkt der Krankheit fühlen und warum manche keinen anderen Ausweg als den Tod sehen. Das ist traurig und verstörend, aber wichtig, um diese Krankheit, die nach wie vor belächelt und stigmatisiert wird, besser zu verstehen.


    Ich bin davon überzeugt, dass dieses Buch nicht nur Betroffenen helfen kann und wird. Auch Angehörige, seien es Freunde, Familie, Lehrer, Arbeitskollegen bekommen einen Einblick in diese Krankheit, wie ihn bei weitem nicht alle Betroffenen formulieren können.

    “Depression ist immer kleiner als du, auch wenn sie dir riesig vorkommt.”


    5ratten mit Sternchen


    PS: ich renne im Buchladen so lange hinter euch her, bis ihr das Buch gekauft habt! :lachen:

  • :stillgestanden:
    Aye :winken:
    Hab es jetzt bestellt!

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Das Buch ist der Wahnsinn.
    Hab grad etwa die Hälfte gelesen und alles ist angestrichen voll Bemerkungen und Eselsohren.


    Ich bin soooooo froh es gekauft zu haben!

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • :klatschen: :klatschen: Ganz gross, vielen Dank dafür. :knuddel:



    Ich kann gar keine richtige "Rezension" darüber schreiben.


    Ich denke einfach nur jeder, der psychische Probleme hat sollte es lesen und dann auch immer zu "jaaaaa so ist das" rufen u nd endlich nicht mehr das Gefühl haben allein mit diesen Gedanken und Gefühlen zu sein.


    Und auch jeder der jemand mit Depressionen kennt sollte das Buch lesen, um vielleicht einen genaueren Einblick zu bekommen, um was es da bei seinem Gegenüber geht.


    Und jeder der auf sehr eingängige interessante Art etwas über diese "Volkskrankheit" lernen möchte solltre es auch lesen.


    Man fliegt einfach nur wie im Rausch durch die Seiten. Ich habe es heute meinem Therapeuten empfohlen. Mal sehen, ob er es liest. ;)


    Einfach nur gross!
    :tipp:

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • :winken: ich schließe mich Euch an. Habe das Buch gestern gelesen - morgens angefangen und abends beendet. Es liest sich so flüssig und obwohl ich schnell gelesen habe, hatte ich nicht das Gefühl etwas zu verpassen. Ich finde es so gelungen.


    Heute klang und klingt es noch nach und viel mehr Worte fallen mir gerade nicht ein. Definitiv ein
    :tipp:

    :kaffee: Hold fast to dreams ~ for if dreams die ~ life is a broken winged ~ bird, that cannot fly. (L. Hughes)

  • Ich habe das Hörbuch gehört, das Matt Haig selbst spricht. (Seine Stimme erinnert mich übrigens sehr an Neil Gaiman).


    Grundsätzlich ist dies sicher ein wertvoller und wichtiger Roman, aber ich muss auch zugeben, dass mir nicht alles gefallen hat.


    Die Dinge, die mir gefallen haben:


    Matt Haig berichtet sehr persönlich über seine Erfahrungen während seiner depressiven Episode und Angststörung und das möchte ich einfach mal besonders herausheben, da ich denke, dass die Auseinandersetzung mit der Innen- und Außenwelt von Betroffenen sehr zu einem besseren Verständnis über psychische Störungen beitragen kann. Deswegen würde ich das Buch auch zuallererst Angehörigen empfehlen und erst dann den Betroffenen selbst, letzteren vor allem nach einer depressiven Episode, nicht währenddessen.

    Gleichzeitig räumt Haig auch mit einigen bekannten Klischees und Vorurteilen zum Thema Depression auf und erklärt auf humorvolle Art und Weise, wie diese kein reales Bild dieser Störung widergeben.

    Sein Vergleich, wie es wäre, wenn man mit Menschen mit Viruserkrankungen und Co so reden würde wie mit Menschen mit einer psychischen Störung, hat mich sehr an diesen Comic erinnert, den ich selbst auch ganz gerne als Vergleich hernehme.

    Besonders hat mir gefallen, dass Haig auch ganz explizit das Thema Schuldgefühle aufgreift. Schuldgefühle, dass man eine Depression hat, obwohl man doch scheinbar so viel Gutes und Erfolg in seinem Leben hat. Aber wir reden eben von einer Erkrankung und die hat nichts mit fehlender Wertschätzung oder Dankbarkeit zu tun.


    Was mir nicht so gut gefallen hat:


    Immer dann, wenn Haig von seinem Erfahrungsbericht abschweift und allgemeines zum Thema Depressionen schreibt, sind mir größere und kleinere fachliche Fehler untergekommen. Manche dieser Fehler haben mich auch sehr geärgert, weil sie relativ leicht vermeidbar gewesen wären.

    Zum Beispiel beschreibt Haig, dass er selbst Diazepam genommen hat, was ihm nicht geholfen hat, und gleichzeitig große Angst davor hatte, Prozac zu nehmen, was er dann auch nie getan hat.

    Haig geht dann weiter auf die Serotonin-Hypothese zur Entstehung der Depression ein und welche Probleme diese Hypothese hat. Dies ist ja noch alles korrekt, nur vergleicht er dies immer wieder mit seinen eigenen Erfahrungen mit Diazepam.

    Nun ist das Problem, dass Diazepam gar kein SSRI (selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) ist und auch kein Antidepressivum. Diazepam ist nämlich ein Benzodiazepin und somit ein Tranquilizer, der zum einen völlig anders wirkt als ein Antidepressivum, zum anderen ein hohes Abhängigkeitspotential hat und nicht für eine Dauerbehandlung geeignet ist.

    Im Gegensatz dazu wäre Prozac (Fluoxetin) aber tatsächlich ein Antidepressivum.

    Deswegen sind die Aussagen über die Serotonin-Hypothese nicht falsch, aber gerade bei dem empfindlichen Thema Medikamente ärgere ich mich über solche "Schlampigkeiten" umso mehr.

    Im weiteren Verlauf des Buches tauchen auch noch weitere dieser Fehler auf.


    Außerdem hätte ich mir gewünscht, dass Haig noch ein bisschen deutlicher hinsichtlich der Tatsache wird, dass seine Erlebnisse auch stark von seiner Angststörung geprägt sind. Die beiden Erkrankungen tauchen zwar sehr häufig gemeinsam auf, aber nicht jeder, der depressiv ist, hat auch eine Angststörung und umgekehrt. Besonders in der zweiten Hälfte des Buches fand ich die Angstsymptome sehr überwiegend und jemand, der noch gar keinen Kontakt mit der Materie hatte, könnte verunsichert werden.


    Ein Punkt, dem ich eher neutral gegenüber stehe: Haig bezieht sich oft auf unsere moderne Welt und wie diese seiner Ansicht nach zu dem Anstieg an Depressionen und anderen psychischen Störungen beiträgt. Ich persönlich bin der Meinung, dass hier sicherlich viel Wahres liegt, möchte aber dazu auch noch erwähnen, dass bereits in der Antike Beschreibungen von depressiven Zuständen zu finden sind. Ebenso in der Bibel. Depressionen lassen sich also nicht nur auf unsere moderne Welt zurückführen und begleiten die Menschheit schon ziemlich lange.

    “Grown-ups don't look like grown-ups on the inside either. Outside, they're big and thoughtless and they always know what they're doing. Inside, they look just like they always have. Like they did when they were your age. Truth is, there aren't any grown-ups. Not one, in the whole wide world.” N.G.