Monika Helfer - Die Bagage

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    Gebundene Ausgabe: 160 Seiten

    Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; Auflage: 7 (1. Februar 2020)

    Sprache: Deutsch

    ISBN-10: 3446265627

    ISBN-13: 978-3446265622


    Inhaltsangabe:


    Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern am Rand eines Bergdorfes. Sie sind die Abseitigen, die Armen, die Bagage. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Die Zeit, in der Maria und die Kinder allein zurückbleiben und abhängig werden vom Schutz des Bürgermeisters. Die Zeit, in der Georg aus Hannover in die Gegend kommt, der nicht nur hochdeutsch spricht und wunderschön ist, sondern eines Tages auch an die Tür der Bagage klopft. Und es ist die Zeit, in der Maria schwanger wird mit Grete, dem Kind der Familie, mit dem Josef nie ein Wort sprechen wird: der Mutter der Autorin.


    Autoreninfo:


    Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt als Schriftstellerin mit ihrer Familie in Vorarlberg. Sie hat Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht, darunter: Kleine Fürstin (1995), Wenn der Bräutigam kommt (1998), Bestien im Frühling (Deuticke, 1999), Mein Mörder (1999) und zuletzt bei Deuticke Bevor ich schlafen kann (2010), Oskar und Lilli (2011) und Die Bar im Freien (2012). Im Hanser Kinderbuch veröffentlichte sie gemeinsam mit Michael Köhlmeier 2010 Rosie und der Urgroßvater. Für ihre Arbeiten wurde sie unter anderem mit dem Robert-Musil-Stipendium und dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur ausgezeichnet. Mit ihrem letzten Roman Schau mich an, wenn ich mit dir rede (2017) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert.


    Meine Meinung:


    Titel: Die Familie vom Ende der Straße...


    Ehrlich gesagt hat mich der sonderbare Titel auf das Buch aufmerksam gemacht, denn von der Autorin hatte ich bisher noch nichts gelesen.


    In der Geschichte geht es um Maria und Josef, die in den Bergen weit ab vom Schuss leben. Im Haus haben sie weder Strom noch Wasser und dennoch klappt es ganz gut mit den Kindern und allem. Doch dann muss der Vater in den Krieg ziehen, was das Leben der Familie enorm ändert. Wird er den Krieg überleben? Wird sich etwas verändern?


    Das Besondere an dem Buch ist, dass die Autorin als Ich- Erzählerin agiert und uns an ihrer Familiengeschichte teilhaben lässt, in der sie noch nicht lebte und ihre Mutter teils ebenfalls noch nicht auf der Welt war. So etwas hatte ich bis dato noch nicht in den Händen und man bekam beim Lesen direkt Lust selbst Nachforschungen bezüglich der eigenen Familie anzustellen.


    Für meinen Geschmack zeichnet die Autorin die Zeit des ersten Weltkrieges sehr authentisch und es liest sich so als würde man der Freundin der eigenen Großmutter lauschen.


    Ich mochte vor allem wie sehr die Familie auch in Krisenzeiten zusammenhält und sich für den anderen einsetzt. Vor allem sind gerade die Kinder ohne den Vater über sich hinausgewachsen.


    Etwas traurig gemacht hat mich, dass der Tratsch dazu geführt hat, dass Josef seiner Frau misstraut, obwohl er es eigentlich besser hätte wissen müssen. Da sorgte wohl eher der Neid der Bewohner dafür, dass man Maria etwas angedichtet hat, was nie stattgefunden hat und zum tiefen Schnitt in der Familie führte. Ich kann mir nur schwer vorstellen wie sehr es schmerzen muss, wenn der eigene Vater einen komplett ignoriert.


    Ich habe mich beim Lesen sehr wohl gefühlt und hätte die Mitglieder der Bagage gern selbst kennengelernt.


    Fazit: Berührende Familiengeschichte, die mich nicht kalt gelassen hat und die ich gern empfehle. Die ideale Lektüre für Zwischendurch.


    Bewertung: 4ratten

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Witzig, das Buch ist mir erst gestern in "Bücher" begegnet. Schön, jetzt auch hier einen Eindruck zu lesen - das klingt tatsächlich sehr interessant.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Schönheit ist nicht immer ein Vorteil, Schönheit kann auch Neid, Missgunst und Intrigen hervorrufen. Die Bagage lebt im hintersten Tal im Bregenzerwald und dort an der hintersten Stelle abgelegen, arm. Das Dorf ist klein, archaisch von einfachen notdürftig gebildeten Leuten bewohnt. Wie einfach ist es, auf Menschen herumzuhacken, die noch weniger haben?

    Hinterwäldlerisch trifft die Beschreibung.


    Die Geschichte trägt sich zu einer Zeit zu, in der die altbekannte Welt im Begriff ist unterzugehen. Es gibt zwar schon Strom und Fließwasser in manchen Häusern, aber völlig durchgesetzt hat sich diese Modernisierung noch nicht.

    Es gibt noch den alten Kaiser und die Monarchie, aber beide sind ihrem Ende sehr nahe. Es gibt noch den Dorfpfarrer, der meint übermächtig zu sein und bestimmen können wer gut und böse ist, dabei aber die eigene Boshaftigkeit übersieht.


    Maria und Josef (in katholischen Bergregionen wohl häufige Namenskonstellationen bei Ehepaaren) haben vier Kinder, als der Erste Weltkrieg ausbricht und Josef an die italienische Front beordert wird. In seiner Abwesenheit verliebt sich Maria in einen fremden Deutschen, den schönen Georg aus Hannover. Was genau zwischen den beiden vorgefallen war, bleibt offen.


    Maria ist wieder schwanger, im Dorf wird die Frage gestellt wer wohl der Vater sein könnte. Auf die Idee, dass es ihr Mann wäre, der ja auf Fronturlaub zu Hause war kamen sie nicht, wollten sie nicht kommen, weil sonst ja keine Geschichten und Intrigen erfunden werden könnten.


    Josef ignoriert das Kind, der Bürgermeister hat ihm gegenüber behauptet, es sei sein Kind, dass im Krieg eben andere Regeln gelten. Er tut dies aus Verbitterung, weil Maria ihn weggestoßen hat, als er sie belästigte. Der kleine Sohn Lorenz half ihr und verjagte ihn mit einem Gewehr.


    Monika Helfer erzählt in einfacher Sprache, angepasst an die Umgebung der Protagonisten. Sie verwendet wenige Adjektive, erzählt aber in einer wunderbaren Weise. Sie vergleicht ihre Familiengeschichte mit einem Bild von Breughel, auf der bäuerliche Szenen abgebildet sind. Als sie das Bild in Wien im Kunsthistorischen Museum sah, musste sie an die Bagage denken. Breughel hat ihre Familie weit vor deren Existenz bereits gemalt. Ein Bild zeigt nur einen zeitlichen Augenblick, das Buch beschreibt die Begebenheiten wie es dazu gekommen ist und wie es weitergeht.


    Sie bringt auch immer wieder Bezüge zur Gegenwart, spinnt immer wieder ihre persönliche Biographie mit ein, schreibt auch vom Tod ihrer Mutter und ihrer Tochter.


    Was mir gefallen hat, sie erzählt ohne Groll, sie dramatisiert nichts, behandelt auch die Menschen, die ihrer Bagage nicht so gut gesinnt waren mit Respekt.


    Ich freue mich schon auf Band 2 der Trilogie.

  • Ich bin jetzt zu 2/3 durch den Roman durch und muss leider sagen, dass ich damit genau so wenig anfangen kann wie mit der Literatur von Tove Ditlevsen oder Janet Frame - ich kapiere noch nicht richtig, wieso ein Buch wie Eddies Bastard, das in einem ähnlichen Milieu spielt, mir zu 100% gefällt, während mich diese Bücher einfach nur ungeduldig machen und mir wenig zu sagen haben. ?( Ich finde darin einfach keine Beschreibung, keinen einzigen Gedanken und keinen Dialog, die mich wirklich interessieren oder berühren würden.


    Vielleicht bin ich ja einfach ein Literaturbanause.

    4 Mal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Ich bin gespannt, wie es mir gefällt, es liegt ja auch noch auf meinem SUB.


    Den Vergleich mit Ditlevsen finde ich interessant. Deren Bücher reizen mich so gar nicht.

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    Leonard Cohen





  • Ich finde darin einfach keine Beschreibung, keinen einzigen Gedanken und keinen Dialog, die mich wirklich interessieren oder berühren würden.


    Vielleicht bin ich ja einfach ein Literaturbanause.

    Genau das war es was mir an allen drei Büchern der Trilogie so gefallen hat. Sie beschreibt die Situationen nicht, sondern lässt die Personen im Buch handeln, durch ihr Handeln durch ihre Aktionen werden die Begebenheiten im Dorf genau beleuchtet.

    Monika Helfer verwendet kaum Adjektive, sie hat eine karge Sprache, das Leben im Bregenzerwald zu Beginn des 20. JH war ja auch karg. Das Bergbauerntum bedeutete harte Arbeit, wenig Bildung, Ausbeutertum.

    Sie präsentiert auch keine Lehren, stellt keine Thesen auf, sie erzählt einfach. Die reduzierte Sprache ist der Umgebung angepasst.

    Ich kenne die Gegend ein bisschen, vielleicht hab ich daher auch mehr Nähe zu dem Buch gefunden.


    Wenn einem dieser Stil nicht gefällt, oder wenn man das Buch nicht mag ist man doch keine Literaturbanause :))

    Ist einfach nur Geschmacksache.


    Der beste Band der Trilogie ist übrigens der letzte: Löwenherz

    Da ist sie emotional viel tiefer drinnen, da gehts um ihr Leben, nicht das der Vorfahren, das sie auch nur vom Hörensagen kennt.

  • Vielen Dank für Deine Überlegungen, b.a.t. - sie helfen mir bei der Analyse dessen, was mich an einem Buch fesselt - aber auch dabei, dieses konkrete Buch vielleicht etwas mehr einordnen und schätzen zu können.

    Tatsächlich brauche ich bei einem Buch wohl eine bestimmte Art der Reflektion des Erzählten in der erzählenden Person: Entweder als inneren Monolog, als Dialoge oder als ihre (auch emotionale) Sicht der Geschehnisse, das kann auch schon mal eine subjektive Landschaftsbeschreibung sein. Bei allen 3 von mir "geschmähten" Autorinnen war da für mich wohl zu wenig - um das Ganze nicht zu sehr nach weiblichen und männlichen Autoren aufzuspalten, könnte ich noch Frank McCourts "Die Asche meiner Mutter" hinzufügen, bei dem es mir ähnlich ging und das auch frei von jeglichem inneren Monolog ist.

    Die reine Tatsache und Darstellung eines "harten Lebens" reicht mir wohl für ein Buch nicht ganz aus (sowohl Die Überlebenden als auch Eddies Bastard hatten diese "Grundlage" übrigens auch, es ist also nicht der reine Rosaton, den ich vermisse.. ;) ) - Du scheinst so ein Buch aber ähnlich wie ein Bild betrachten zu können - diese Art der Sichtweise kann ich nachvollziehen und verstehe sie.

    3 Mal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Ich habe die Bagage nun auch gelesen. Aufgrund der positiven Stimmen hier und im Klassikerforum war ich sehr gespannt auf den Roman. Und ich wurde nicht enttäuscht. Die Bagage beschreibt das Leben von Maria und Josef, ihren Kindern und das Leben in einem Bergdorf rund um den ersten Weltkrieg.

    Die Ich-Erzählerin ist die Enkelin von Maria und zum Zeitpunkt der Geschichte ist noch nicht mal ihre Mutter geboren.


    Ich fand den Stil sehr gelungen, auch die kurzen Einwürfe vom Leben der Ich-Erzählerin und wie sie das alles später sieht was passiert ist. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht zum Lesen. Das Leben im Dorf wird sehr gut beschrieben und ich kann mir durchaus vorstellen, dass es während dem Ersten Weltkrieg tatsächlich so zugegangen ist.


    Faszinierend fand ich den Zusammenhalt der Familie. Vor allem die Kinder. Einige der Kinder sind im Alter meines ältesten Sohnes (9) und übernehmen voll viel Verantwortung. Da hat sich das Leben in den letzten hundert Jahren wirklich sehr sehr viel verändert.


    Nun freue ich mich auf den nächsten Band: Vati


    5ratten

  • Ich bin jetzt zu 2/3 durch den Roman durch und muss leider sagen, dass ich damit genau so wenig anfangen kann wie mit der Literatur von Tove Ditlevsen oder Janet Frame - ich kapiere noch nicht richtig, wieso ein Buch wie Eddies Bastard, das in einem ähnlichen Milieu spielt, mir zu 100% gefällt, während mich diese Bücher einfach nur ungeduldig machen und mir wenig zu sagen haben. ?( Ich finde darin einfach keine Beschreibung, keinen einzigen Gedanken und keinen Dialog, die mich wirklich interessieren oder berühren würden.

    So ... jetzt muß ich Tove Ditlevsen dann doch mal noch lesen. Band 1 subbt bei mir schon ewig auf dem ebook und ich konnte mich bisher nicht so recht aufraffen, aber jetzt bin ich neugierig. Wie ich vorhing schon bei "Vati" geschrieben habe, mag ich die Bücher von Monika Helfer bisher sehr, mit "Die Asche meiner Mutter" gings mir aber genauso wie Dir. Ich habs inzwischen schon 2 x begonnen und es nie bis zum Ende geschafft und frag mich auch immer obs nun an mir oder am Buch liegt :breitgrins: , aber ich glaub es ist einfacher, manchmal passen Buch und Leser einfach nicht zusammen :lachen: (manchmal auch Buch und Lebensphase) . Das ist dann halt so und Gott-sei-Dank gibts ja noch so viele andere Bücher. 8)

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



  • Maria und Josef Moosbrugger leben am äußersten, oberen Rand des Bergdorfes, gemeinhin kennt man die Familie als "die Bagage". Abgeleitet ist der Spitzname davon, dass frühere Generationen als Lastenträger arbeiteten, aber ein bisschen Abwertung schwingt hier und da schon auch mit. Die bildschöne Maria wird genauso argwöhnisch beäugt wie Josef, der mit dem Bürgermeister "Geschäftchen" macht, auch die Kinder haben wenig Anschluss.


    Als Josef 1914 zum Kriegsdienst eingezogen wird, soll der Bürgermeister ein Auge auf die Familie haben, nimmt das aber an gewissen Stellen ein wenig zu wörtlich. Als man Maria allmählich ihre fünfte Schwangerschaft anzusehen beginnt, mehren sich die Gerüchte, dass Josef wohl nicht der Vater des Kindes ist - etwas, das Josef der kleinen Margarethe, die schließlich zur Welt kommt, lebenslang übelnehmen wird.


    Auf nur knapp 160 Seiten zeichnet Monika Helfer ein vielschichtiges Porträt der Familie Moosbrugger, teils erzählt mit der Stimme der Enkelin von Maria und Josef, die wiederum von ihrer mittlerweile betagten Tante kurz vor deren Tod Familiengeheimnisse erfährt, die die Tante bis dahin stets gehütet hat. Die Sprache ist knapp und klar, reduziert und sehr deutlich österreichisch angehaucht, was gleichzeitig charmant und rauh wirkt und perfekt zu der Geschichte und ihren Figuren passt, Menschen, die mit dem Mut der Verzweiflung handeln und sich am Ende doch oft ins Unvermeidliche ergeben müssen.


    Und auch wenn ein Großteil dessen, was geschieht, trostlos und traurig und düster ist, hat mich das Buch auf eine ganz besondere Weise gefesselt und berührt. Der Erzählton ist oft eher sachlich und fast schon etwas distanziert, aber umso mehr Wirkung hat das, was geschildert wird oder auch zwischen den Zeilen anklingt.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe gerade noch Eure Diskussionen zum Buch nachgelesen. Interessant, wie unterschiedlich wir das Buch empfinden.


    Mir hat es ja gut gefallen und ich mochte auch "Die Asche meiner Mutter" sehr gerne. Ich glaube, ich mag gerade diese ungefilterte, "unreflektierte" Art des Erzählens, weil sie so direkt und so nahe an den Figuren und ihrer Art zu denken ist.


    Ich mochte übrigens auch gerne die Blicke in die Zukunft der Kinder, wenn die Erzählerin ihre Onkel und Tanten beschreibt und man so erfährt, was später aus ihnen geworden ist.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen