Ellen Sandberg - Die Schweigende

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  • Tolle Mischung!



    Ellen Sandberg - Die Schweigende


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    Als ihr Mann Jens kurz vor seinem 79. Geburtstag stirbt, lässt sich Karin völlig gehen. Nach einer langen Ehe, in der Jens stets geholfen hat, die Schatten ihrer Vergangenheit zu besiegen, ist sie nun verzweifelt und fühlt sich einsam. Obwohl Imke, die mittlere der drei Töchter versucht zu helfen, wo sie kann. Imke hat vor Jens Tod, von ihm den Auftrag bekommen, eine Person aus der Vergangenheit ihrer Mutter aufzuspüren. Ihre Nachforschungen führen sie in ein ehemaliges Kinderheim und Imke entdeckt ein dunkles Kapitel in der Vergangenheit der Familie.



    In zwei Zeitebenen wird die Geschichte von Karin erzählt. Einmal in der Gegenwart und dann wieder um 1956, Karins Jugendzeit. Die Kapitel in der Gegenwart erzählen die Geschichte einer Familie, die Abschied nehmen muss von Ehemann, Vater und Grossvater Jens. Hier wird in abwechselnden Kapiteln Karin, Imke und ihre Schwestern Geli und Anne in den Mittelpunkt gerückt. Die drei Schwestern sind grundverschieden, alle drei haben jedoch grosse Probleme mit ihrer Mutter Karin. Denn Karin ist unnahbar, stur und reagiert alles andere als mütterlich. Das war schon in der Kindheit so und ändert sich auch als Wittwe nicht. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass zumindest zwei der Schwestern am liebsten nicht viel mit ihr zu tun haben wollen.


    Mich hat die schroffe Art von Karin erst auch erstaunt und erst nach und nach kommt ans Licht, weshalb sie so ist, wie sie ist. Dabei hat sie mir unheimlich leidgetan und vor allem ihre Tochter Anne, die stets ein privilegiertes Leben hatte und behütet wurde, erscheint sehr oberflächlich und egoistisch im Umgang mit ihrer Mutter. Da sind bei mir doch einige Male die Emotionen hochgekocht. Klar ist es als Leser einfacher diese Gleichgültigkeit nachzuvollziehen, da man ja die Gründe für Karins Schroffheit kennt. Die Töchter ahnen jedoch lange Zeit nichts davon.


    Nun nach dem Tod ihres Mannes, fühlt sich Karin völlig entwurzelt. Umso mehr, weil eine ihrer Töchter darauf besteht, dass sie in ein Heim zieht. Man ahnt oft im Voraus, was in der Vergangenheit geschehen ist und wartet gespannt auf die Kapitel, die Karins Jugendjahre thematisieren. Die mich schockiert haben, da sie sehr verstörend beschrieben sind. Verstörend, weil die Autorin es grandios versteht, eine düstere und unheimliche Atmosphäre einzuweben. Es wurde authentisch ein sehr dunkles Kapitel deutscher Geschichte aufgearbeitet. Das Schicksal von Fürsorgezöglingen in der Nachkriegszeit. Die furchtbarsten Familienschicksale unter dem Deckmantel Sitte, Anstand und Barmherzigkeit. Damit hat Ellen Sandberg es wieder geschafft, mich von der ersten bis zur letzten Seite nicht nur zu fesseln, sondern auch ein authentisches Mahnmal zu setzen.


    Der Schreibstil der Autorin Inge Löhnig, die hier unter dem Pseudonym Ellen Sandberg schreibt, hat mich wieder begeistert!


    Eine tolle und gelungene Mischung aus Familienroman und Geheimnis aus der Vergangenheit ist „ Die Schweigende“, für das ich eine Leseempfehlung aussprechen kann.


    5ratten


    :tipp:

    5 Mal editiert, zuletzt von Igela ()

  • Vergangenheit und Gegenwart gehören zusammen


    Imke, Angelika und Anne sind längst erwachsen und haben ihren Platz im Leben gefunden, als unerwartet der Vater der Familie Remy verstirbt. Zurück bleiben eine verstörte Witwe und ihre Töchter. Karin und ihr Mann waren viele Jahre lang verheiratet und glücklich, aber noch im Sterben nimmt Jens seiner Tochter Imke ein Versprechen ab, dass alles verändern und das Leben ihrer Mutter infrage stellen wird. Diese Tage im Jahre 2019 sind für die Familie Remy nicht einfach.


    Karin ist eine lebenslustige junge Frau und wächst im Nachkriegsdeutschland auf. Sie träumt im Jahre 1956 davon, Ärztin zu werden. Sie liebt Musik von Elvis Presley und spart für eine Jeans. Sie wähnt sich einer glücklichen Zukunft gegenüber, als ein einziger Tag alles verändert und nicht nur Folgen für die junge Frau hat, sondern auch für die Menschen, die sie liebt.


    Mit „Die Schweigende“ liegt der neue Roman von Ellen Sandberg vor mir. Ein Roman, auf den ich mich schon gefreut habe und am Ende auch nicht enttäuscht wurde. Die Autorin versteht es geschickt ihre Leser gefangen zu nehmen. Auf den ersten Seiten war mir dieser Roman allerdings zu sehr Familienroman. Die Familie Remy hat ein wichtiges Familienmitglied verloren und muss nun mit ihrer Trauer kämpfen. Jeder der Frauen macht das auf ihre eigene Weise und so werden die einzelnen Charaktere vorgestellt. Schnell stellt sich heraus, dass die Schwestern nicht nur Liebe für einander empfinden. Dann beginnt Imke damit das einmal gegebene Versprechen des Vaters zu erfüllen und in der Vergangenheit der Familie zu forschen. Ab diesem Punkt fängt die Geschichte, an interessant zu werden.


    Dann beginnt auch schon ein weiterer Handlungsstrang, der im Jahre 1956 einsetzt und das Leben von Karin, der Mutter von Imke, Angelika und Anne, erzählt. Auch hier geht es eher beschaulich zu. Das Leben eines Teenagers hat ja nun nicht so viel an spannendes zu bieten. Aber nur bis zu dem Tag, als sich alles veränderte.


    In Rückblenden erfährt man so nach und nach, was in diesen Tagen in den 50er-Jahren geschehen ist. Ab diesem Zeitpunkt ist diese Geschichte sicher keine beschauliche Familiengeschichte mehr. Eher im Gegenteil. Das, was Karin erlebt hat, hat ihr Leben bis ins hohe Alter geprägt und sie zu dem gemacht, wie ihre Töchter sie ihr ganzes Leben lang kannten. Die Autorin hat es gut verstanden, die Gefühle und Gedanken dieser Familie in Szene zu setzen. Sie schildert ausführlich von längs vergangenen Ereignissen, aber auch von einem Skandal, der erst viele Jahre später ans Licht der Öffentlichkeit kam. Auch wenn es keine leichte Kost gewesen ist und das Leben von Karin alles andere als schön zu bezeichnen war, hat es mich gut unterhalten und nachhaltig berührt.


    Ich fand es vor allem interessant zu lesen, wie nur ein Familienmitglied eine ganze Familie zusammengehalten hat. Sein Verlust hat hier die Mädchen völlig aus der Bahn geworfen und ihr eigenes Leben eine neue Richtung gegeben. Während Imke es irgendwie geschafft hat, sich mit der Vergangenheit der Mutter auseinanderzusetzen und gleichzeitig nicht völlig aus der Bahn geriet, hatten es ihre Schwestern schon schwerer. Mir hat gefallen, wie die Mädchen beschrieben wurden, wie sie ihre Kämpfe ausgetragen haben, um am Ende einen Weg für sich zu finden.


    Fazit:


    Auch wenn „Die Schweigende“ ein fiktiver Roman über das Leben einer jungen Frau ist, könnte es durchaus irgendwo eine Geschichte gegeben haben, die dieser sehr nahekommt. Ellen Sandberg versteht es, ihre Geschichten lebendig und echt zu erzählen. Auch wenn ich zu Beginn kleine Probleme mit der Handlung hatte, spätestens nach der hundertsten Seite hatte sich das gelegt und ich konnte nicht mehr aufhalten zu lesen. Dieser Roman erzählt eine Geschichte, die unter die Haut geht und dabei sicher nichts für schwache Nerven ist. Auch wenn es sich hier nicht um einen blutrünstigen Thriller handelt, geht die Geschichte unter die Haut und lässt einen nicht kalt.


    4ratten

  • Eine Familiengeschichte, die mich sehr berührt hat


    Mit diesem Buch erzählt Ellen Sandberg eine Familiengeschichte, deren Grund für ihre Probleme in der Nachkriegszeit liegt.


    Eigentlich ist die Familie Remy eine Bilderbuchfamilie. Vater Jens, der vor ein paar Jahren verstorben ist, Mutter Karin, die ihr Leben lang den Kindern und auch ihrem Mann gegenüber keine Gefühle zeigen und auch nicht annehmen kann, und die erwachsenen Töchter Imke, Angelika „Geli“ und Nesthäkchen Anne. Aber wie so oft trügt der Schein und in der Familie sieht es ganz anders aus. Karin hat nie über ihre Vergangenheit gesprochen, wollte immer nur nach vorne sehen, was sich bis in die heutige Zeit negativ auswirkt.


    Mich persönlich hat das Buch sehr mitgenommen, da auch ich mit einer Mutter aufgewachsen bin, die sich mit Nähe zulassen sehr schwer getan hat.


    Auch Karin tut sich mit Liebe geben und Nähe zulassen sehr schwer. Aber sie spricht auch nicht darüber, will alles im Verborgenen belassen. Also versucht Imke, die ihrem Vater versprochen hat, sich um ihre Mutter zu kümmern, das Rätsel im Leben ihrer Mutter zu lösen und stößt so auf Ungeheuerlichkeiten, die nur schwer zu verarbeiten und unfassbar sind. Alles hat irgendetwas mit Karins Bruder Peter zu tun, von dem die drei Mädchen gar nicht wussten, dass es ihn überhaupt gibt. Imke soll ihn nun finden.


    Während Imke eine sehr empathische und zugewandte Frau ist, hätte ich die keine Schwester Anne immer wieder schütteln können. Ihre Einstellung zu vielem ist für mich einfach unfassbar und rücksichtslos ihren Schwestern und der Mutter gegenüber.


    Ich habe mit gelitten, mit getrauert, war teils fassungslos und aufgewühlt, wenn ich gelesen habe, wie die Geschwister miteinander umgehen. Ich habe mich mit Imke über jeden kleinen Erfolg bei der Suche nach Peter gefreut, um anschließend wieder den Kopf zu schütteln, weil es einfach unbegreiflich ist, was Karin und ihrem Bruder kurz nach den Kriegsjahren zugestoßen ist.


    Die Geschichte, die auf zwei Zeitebenen erzählt wird, ist so dicht, so konfliktbelastet, so emotional, dass ich immer wieder Tränen in den Augen hatte. Sie hat mich sehr berührt, aber auch wütend gemacht. Ich bin selbst immer wieder erstaunt, wie Ellen Sandberg es schafft, mich und meine Gefühle so an meine Grenzen zu bringen.

    Durch den eingängigen, sehr lebhaften und bildreichen Schreibstil kann ich mir Karin, die drei Mädels und auch die vielen anderen Protagonisten sehr gut vorstellen. Sie wirken alle sehr authentisch, auch in ihrem Denken und Handeln. Mein Kopfkino hatte hier mal wieder sehr viel zu tun. Ich habe es dauerhaft eingeschaltet gelassen, auch wenn ich immer wieder Szenen vor Augen hatte, die mir sehr unter die Haut gegangen sind.


    Ellen Sandberg hat sich eines sehr traurigen Kapitels über Kindererziehung und Missbrauch in kirchlichen Heimen angenommen, was es leider zu der damaligen Zeit nicht nur hier in Deutschland gegeben hat. Für mich ist dieses Buch eines der Lesehighlights in diesem Jahr.

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Wenn ein kleiner Fehler dein Leben zerstört...


    Seitdem mich "Die Vergessenen" so begeistern konnte, habe ich jeden Roman der Autorin gelesen und so wollte ich mir auch diesen nicht entgehen lassen.


    In der Geschichte geht es um Karin, die gerade erst ihren Mann verloren hat und seitdem im Leben nicht mehr zurechtkommt. Immer wieder plagen sie Albträume. Als dann noch eine ihrer Töchter anfängt in ihrer Vergangenheit zu graben, gerät Karins Leben völlig aus den Fugen. Wird die Vergangenheit sie einholen?


    Gut gefallen hat mir wieder, dass die Handlung auf zwei Zeitebenen spielt, denn mal wandeln wir gemeinsam mit Karin in den 50ern und mal sind wir in der Gegenwart. Die Kapitel drehen sich um die vier Frauen: Karin als Mutter und ihren drei Töchtern Geli, Imke und Anne.


    Dieses Mal hat sich Frau Sandberg aber ungemein seltsame Protagonisten einfallen lassen, bei denen ich ungemein Schwierigkeiten hatte sie zu mögen und auch zu verstehen.


    Mutter Karin mit ihrer harschen und kalten Art möchte man regelrecht schütteln. Erst im Verlauf der Handlung wird klar warum sie so ist wie sie ist. Ihre Geschichte hat mich tief berührt, denn so eine Behandlung hat wirklich niemand verdient.


    Von den Töchtern war mir natürlich Imke die Liebste, da sie sich um alle kümmert und beinahe selbstlos handelt, um das Familienleben wieder zu kitten. Die anderen beiden, allen voran Anne sind nur an sich interessiert und schrecken auch vor Intrigen nicht zurück, um an ihre Ziele zu kommen. Ganz besonders schlimm empfand ich Anne, die scheinbar so voller Selbstzweifel ist, dass sie jedem in ihrer Umgebung das Leben schwer macht. Ich kann nicht begreifen wie man nicht mal der eigenen Familie etwas gönnt.


    Gelungen ist mal wieder, dass die Spannung von Seite zu Seite steigt und erst ganz am Ende klar ist, was denn nun wirklich passiert ist. Ich mochte, dass man als Leser fleißig miträtseln kann.


    Fazit: Spannende Unterhaltung mit einem krassen Thema über das ich bis dato noch nichts wusste. Klare Leseempfehlung!


    Bewertung: 4ratten

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Broschiert: 518 Seiten

    Verlag: Penguin Verlag (26. Oktober 2020)

    ISBN-13: 978-3328104858

    Preis: 16,00 €

    auch als E-Book und als Hörbuch erhältlich


    Bedrückende Familiengeschichte


    Inhalt:

    Alles scheint gut zu laufen bei Familie Remy, bis Vater Jens stirbt und seiner Tochter Imke das Versprechen abnimmt, nach einem Peter zu suchen. Imke steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe, an der schon ihre Eltern zeitlebens gescheitert sind. Ihre Recherchen führen sie etwa sechzig Jahre in die Vergangenheit und decken ein lang gehütetes Geheimnis ihrer Familie auf.


    Meine Meinung:

    Ellen Sandberg ist das Pseudonym von Inge Löhnig, deren Krimi-Reihen um Kommissar Dühnfort und Gina Angelucci ich sehr gerne lese. Auch für Familiengeschichten und Spannungsromane kann ich mich begeistern. So griff ich zu dem vorliegenden Roman in der Hoffnung, genauso gut unterhalten zu werden, wie mit Löhnigs Krimis, hatte anfangs jedoch ein wenig Probleme damit.


    Mir war zum einen die Sprache etwas zu einfach und die Erzählung zu ausschweifend. Die Charaktere fand ich ein bisschen platt und klischeehaft. Hier hätte man durchaus mehr draus machen können. Die Geschichte brauchte so etwas zu lang, bis sie mich fesseln konnte. Doch das wurde von Seite zu Seite besser. Schließlich konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen und war vollkommen gefangen von der dramatischen Story.


    Mir gefiel der Aufbau der Handlung sehr gut. Es gibt vier Perspektiven in der Gegenwart: die der Mutter Karin und die der drei Töchter Geli, Imke und Anne. Dazu kommt Karins Handlungsstrang in der Vergangenheit, der nach und nach Schreckliches offenbart. Das ist zwar schlimm zu lesen, dadurch, dass der Schrecken aber immer wieder von der „netteren“ Gegenwartserzählung unterbrochen wird, hat man als Leser*in immer wieder Gelegenheit das Gelesene psychisch zu verarbeiten und sich davon zu erholen.


    Im Großen und Ganzen ist „Die Schweigende“ ein wirklich lesenswerter Roman, aber wahrlich keine leichte Kost.


    ACHTUNG TRIGGERWARNUNG (bei Bedarf bitte rückwärts lesen):

    GNULDNAHSSIMSEDNIK HCUARBSSIMSEDNIK DIZIUS


    ★★★★☆

  • Manche Erinnerungen hinterlassen Narben auf der Seele


    München, 1956


    Die 16jährige Karin tut das, was alle Jugendliche in diesem Alter tun – sie trifft sich mit Freunden, geht am Baggersee schwimmen, entwickelt ihren eigenen Kleidungs- und Schminkstil und ist deswegen ein Dorn im Auge der tugendhaften Nachbarinnen. Jegliche Ermahnungen ihrer alleinerziehenden Mutter, sie möge die beiden Damen doch bitte nicht provozieren, prallen wirkungslos an Karin ab. Sie möchte ihren Spaß haben und ihr Leben genießen. Irgendwie findet sie immer einen Weg, die Verbote ihrer Mutter zu umgehen. Wenn sie auf ihren 11jährigen Bruder Pelle aufpassen soll, besticht sie diesen mit einem Comic-Heft oder anderem, damit er die Klappe hält und sie nicht verrät. Als ihre Mutter für 2 Tage auf einer Weiterbildung ist, lässt Karin einen Freund bei sich übernachten, weil er Angst vor den Prügeln seines Vaters hat. Die beiden Nachbarinnen haben natürlich gesehen, wie Mani am Morgen das Haus verlassen hat und erstatten Anzeige gegen Karins Mutter. Ihr wird zur Last gelegt, sie habe gegen den Paragraphen 180 des Strafgesetzbuches verstoßen und sich der Kuppelei* strafbar gemacht.


    Dann geht alles sehr schnell: Das Jugendamt wird eingeschaltet, Karins Mutter wird das Sorgerecht für ihre beiden Kinder Karin und Pelle entzogen, die Beiden werden einem vom Gericht bestimmten Vormund unterstellt und im Erziehungsheim Sankt Marien, einer kirchlichen Einrichtung, untergebracht.


    München, 2019


    Jens Remy stirbt mit knapp 69 Jahren im Krankenhaus an einem Herzinfarkt. Zufällig ist gerade seine Tochter Imke bei ihm und seine vorletzten Worte gelten seiner Frau Karin. Imke soll ihr sagen, wie sehr er sie geliebt habe und dass sie das große Glück in seinem Leben war. Seine letzten Worte sind an Imke direkt gerichtet: „Such nach Peter“, dann verstirbt er.


    Von den 3 Töchtern Geli, Imke und Anne hat Imke den besten Draht zu ihrer Mutter und da Karin seit dem Tod ihres Mannes zu verwahrlosen droht, geht Imke ihr ein wenig mehr als üblich zur Hand. Auf Peter angesprochen und den letzten Willen ihres Vaters, ihn zu suchen bzw. zu finden, reagiert Karin so, wie sie in all den Jahren zuvor reagiert hat, wenn eine ihrer Töchter sie auf ihre eigene Vergangenheit angesprochen hat: Sie verweigert standhaft die Auskunft und lebt nach dem Motto: „Keinen Blick zurück“.


    Geli, Imke und Anne fragen sich seit Jahren, warum ihre Mutter so gefühlsarm ist. Sie war noch nie in der Lage, ihre Kinder in den Arm zu nehmen und ihnen mütterliche Wärme und Geborgenheit zu vermitteln. Außerdem hat sie verschiedene Eigenarten, die ihre Kinder nicht verstehen, so kann sie z. B. keine geschlossenen Türen ertragen. Wäre Jens nicht so ein liebevoller Vater gewesen, die 3 Mädels wären in einer emotional kalten Welt aufgewachsen. Warum Jens sie über alles geliebt hat, hat Karin auch nie wirklich verstanden.


    Die Suche nach Peter ist nicht einfach, es gibt aus der damaligen Zeit keine Unterlagen mehr und wenn doch, dann könnte nur Karin die Einsichtnahme in die Akten beantragen, was sie aber vehement verweigert. Imke findet trotzdem einen Weg diese Papiere einsehen zu dürfen und während sie nach Peter sucht, findet sie eigentlich ihre Mutter.


    Neben dem, dass Imke all die schrecklichen Dinge über die Zeit im Erziehungsheim Sankt Marien ans Tageslicht bringt, droht gleichzeitig ihre Familie auseinanderzufallen, denn seit dem Tod des Vaters werden die Schwestern zu Rivalinnen.


    Karin wird seit dem Tod ihres Mannes wieder von Albträumen geplagt ….. findet sie irgendwann doch noch ihren Frieden oder zerbricht sie an der Tatsache, dass Imke die dunklen Seiten ihres Lebens nach oben kehrt?


    Ich liebe die Bücher von Ellen Sandberg. Auch in „Die Schweigende“ verarbeitet sie wieder einen Teil der dunklen deutschen Vergangenheit, perfekt verwoben in eine fiktive Geschichte.


    Die Charaktere sind so lebensecht beschrieben und die Geschichte so dicht, dass man das Gefühl hat, selbst mittendrin im Geschehen zu sein. Die Beschreibung der Vorkommnisse, die Beschreibung der Schauplätze… man hat das Gefühl alles aus einer versteckten Perspektive zu beobachten – und, was für mich das Wichtigste an einer solchen Geschichte ist - man kann es fast am eigenen Leibe mitfühlen.


    Die Geschichte wird auf 2 Zeitebenen erzählt. Auf der einen Seite ist die Geschichte der jungen Karin, die 1956 beginnt, und ihr Leben in einem kirchlichen Erziehungsheim schildert, auf der anderen Seite ist es die Geschichte der Karin, die im Jetzt und Hier des Jahres 2019 lebt, verwoben mit der Geschichte ihrer 3 Töchter Geli, Imke und Anne, die nach dem Tod ihres Vaters ihren Zusammenhalt verlieren. Abwechselnd erzählen die einzelnen Charaktere aus ihrer Sicht.


    Eigentlich mag ich von den 3 Schwestern nur Imke wirklich, denn Geli und Anne sind sehr egoistisch und was sie sich gegenseitig und ihrer Mutter antun, das ist echt nicht ohne.


    Wie so oft mag ich es lieber, über die Vergangenheit zu lesen – es ist unfassbar, welche Gräueltaten damals im Namen Gottes an Schutzbefohlenen begangen wurden. Auch wenn die Geschichte im großen und ganzen Fiktion ist, bin ich sicher, dass es damals genau so zugegangen ist – nicht nur in diesem kirchlichen Kinderheim, sondern in allen Einrichtungen, in denen Menschen, egal welchen Alters, zu anderen Menschen in einem Abhängigkeitsverhältnis standen.


    Manches im Verhalten der 4 Frauen ist vielleicht ein wenig überzogen geschildert, aber für mich macht genau das die Geschichte zu dem, was sie ist.


    Das Buch umfasst 544 Seiten, der Schreibstil der Autorin lässt mich an den Seiten kleben, so dass ich am Neujahrstag knapp die Hälfte des Buches zusammenhängend gelesen habe.


    * Anmerkung:

    Unter Kuppelei verstand man die Förderung und Tolerierung außerehelichen Geschlechtsverkehrs, was seit 1872 unter Strafe steht. Der Paragraph ist noch heute gültig, wurde jedoch angepasst.


    5ratten

    Viele Grüße Babsi

  • Puh, harter Tobak.

    Nachdem ich das letzte Buch von Ellen Sandberg irgendwie weniger spannend fand, hat sie mich hier wieder absolut abgeholt.

    Eine grausame Geschichte auf der Vergangenheits-Zeitebene, die sich erst nach und nach entrollt. Die allerschlimmsten Details werden nur angedeutet, aber das reicht völlig.

    Aber auch die Gegenwartshandlung hat mir diesmal sehr gut gefallen, sowohl die Mutter Karin als auch ihre drei Töchter sind sperrige, aber spannende Charaktere, die man nicht unbedingt mag, die aber bei mir als Leserin definitiv Emotionen hervorgerufen haben!

    5ratten

    LG, Dani


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  • Man weiß gar nicht, was man sagen soll.


    Die Schilderungen der Umstände in dem kirchlichen Erziehungsheim sind wirklich absolut erschütternd. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie diese armen Kinder sich gefühlt haben mochten.


    Noch schwerer fällt mir vorzustellen, wie man sich denn so verhalten kann, wie es die Nonnen und männlichen "Erzieher" denn getan haben. Wie kann man so unmenschlich, so grausam sein...und das gegenüber Lebewesen, die oberste Schutzbedürftigkeit hatten.

    Die vorgespielte Frömmigkeit der Kirche widert mich wieder einmal nur an. Da hat man zum einen nichts Besseres zu tun als die ganze Nacht durch die Schlafsäle zu schleichen, um zu schauen, dass die Hände auch züchtig über der Decke liegen und andererseits....tja, das sollte wohl jeder Interessierte selbst lesen.


    Mich hat dieses Buch in viele Emotionen gebracht. Ich war wütend, traurig, erschüttert, angewidert, insgesamt sehr berührt.


    Ein wahnsinnig spannendes und interessantes Buch, das ich überhaupt nicht mehr aus den Händen legen konnte.


    5ratten :tipp:

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