Daniela Dröscher - Lügen über meine Mutter

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 295 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von ysa.

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    Ihr ganzes Leben lang bestimmte das Gewicht der Mutter das Leben der kleinen Familie. Denn die Mutter war dick, so dick, dass ein normales Leben mit ihr nicht möglich war. In ihrem kleinen Heimatort war sie das Gesprächsthema und der Grund, warum die Familie immer außen vor war.


    Zitat

    Meine Mutter passt in keinen Sarg. Sie ist zu dick, sagt sie.

    So beginnt das Buch und hat in mir ein Bild von einer Frau entstehen lassen, deren Gewicht sie in ihrem Alltag so sehr einschränkt, dass sie nicht mehr am Leben teilnehmen kann. Aber beim Lesen wurde mir schnell klar, dass ihre Geschichte durch die Augen ihrer Tochter erzählt wurde. Im Lauf der Handlung wurde das Mädchen älter und auch immer kritischer.


    Immer mehr bekam ich beim Lesen den Eindruck, dass mein Bild vom Anfang nichts mit der Frau zu tun hatte, über die ich gelesen habe. Vieles den Erinnerungen war das, was der Vater über seine Frau sagte. Die Geschichte spielt zu großen Teilen in den 1980er Jahren einem kleinen Ort im Hunsrück, in der der Vater eine größere Rolle spielen wollte. Dass ihm das nicht gelang, schob er auf das Übergewicht der Mutter, das ihm den sozialen Aufstieg verwehrte.


    Aus dem, was seine Tochter erzählte, war aber immer deutlicher zu sehen, dass er selbst der Grund war. Ein Angeber, der über seine Verhältnisse leben wollte und nicht die nötigen Fähigkeiten für eine höhere Position hatte. Dagegen war seine Frau intelligent und schaffte es bei ihrer Arbeit, sich in kleinen Schritten nach oben zu arbeiten. Das konnte er nicht zulassen und so machte er sie klein. Beruflich legte er ihr Steine in den Weg. Privat wurde ihr Gewicht immer mehr zum Thema. Er reduzierte sie auf die Zahl auf der Waage und das tägliche Wiegen wurde zur täglichen Demütigung und jeden Tag hat er es geschafft, sie ein bisschen kleiner zu machen.


    Manchmal habe ich mich gefragt, warum sie diese Demütigung zugelassen hat. Denn ich habe zwischen den Zeilen immer wieder eine starke Frau gesehen. Aber diese Frau hat auch nie eine Chance bekommen, zu zeigen, wer sie wirklich ist. Das muss auch die Tochter erkennen, als sie sich als Erwachsene mit der Geschichte ihrer Mutter auseinandersetzt und sie quasi neu schreibt.


    Das Buch hat mich betroffen gemacht. Daniela Dröscher hat eindringlich gezeigt, wie man einen Menschen mit Worten kaputt machen kann. Keine Bestätigung zu bekommen ist schon schlimm. Aber wenn man dazu noch ständig eingeflüstert bekommt, man wäre nichts wert, wie muss das dann sein? Und was macht es mit der Tochter, die mit so einer Dynamik aufgewachsen ist?

    4ratten


    Liebe Grüße

    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Hab dieses Buch soeben abgebrochen.

    Ja, wahrscheinlich würde es mich wie Kirsten gleichfalls "betroffen" machen, zu lesen, wie einer den anderen in einer Partnerschaft so niedermacht - ich glaub, das muss ich aber gerade nicht "haben". Die kindliche Erzählperspektive sagt mir außerdem nicht zu - ich komme wahrscheinlich auch deshalb nicht so richtig hinein in die Geschichte.

    (Vielleicht) schade - wenn noch jemand eine Meinung hat, werde ich sie mit Interesse lesen, aber im Moment habe ich andere Bücher, auf die ich tatsächlich mehr Lust habe.

  • Kirsten

    Ich hab dieses Buch schon vor einigen Monaten gelesen und ich hab es noch immer in Erinnerung...


    Daniela Dröscher erzählt in diesem Roman die Geschichte der Beziehung ihrer Eltern. Der Vater kritisiert seine Frau ständig wegen ihres Gewichts, macht ihr Übergewicht sogar für sein eigenes berufliches Scheitern verantwortlich, er schämt sich für sie. Psychischer Terror wird zum Alltag. Natürlich färbt diese ständige Konfliktsituation auch auf die kleine Tochter ab. Keine wirklich schöne und sorgenfreie Kindheit.

    Wie belastend diese Situation für die Autorin war, zeigt sich auch darin, dass sie diesen Roman als Versuch einer Rekonstruktion bezeichnete, als den Versuch, im sicheren Abstand der Jahre, die Geschehnisse vielleicht anders sehen, eventuell besser verstehen zu können.

    Für mich als Leserin war diese Geschichte emotional extrem fordernd. Die realistische Beschreibung der täglichen Demütigungen, die zahllosen seelischen Verletzungen, die die Frau so klaglos hinnahm, der psychische Terror, dem sie sich nicht widersetzte und ein Macho, der zeitweise so verloren wirkt, dass er schon fast Mitleid erwecken könnte. Aber nur fast. Eine toxische Beziehung, die so real beschrieben wird, dass es kaum ertragbar ist.

    Fazit: Ein unglaublich gut geschriebener Roman, der unter die Haut geht, schockiert, zornig und traurig zugleich macht und ganz sicher nicht so einfach vergessen werden kann.

    Lesenswerte 4ratten

    Vernunft, Vernunft...

  • Danke für Deinen Bericht ysa .

    Vielleicht werde ich das Buch später mal lesen - gerade habe ich Vieles aus Deiner Beschreibung wohl schon vorausgeahnt und gemerkt, dass es bei mir nicht die richtige Zeit dafür ist.

  • Alice

    Jedes Buch hat wirklich seine Zeit! Und "gegen den Willen lesen" bringt gar nix! Also wünsche ich Dir viel Vergnügen mit anderen Büchern :love:

    Vernunft, Vernunft...