Truman Capote - In Cold Blood (Kaltblütig)

Es gibt 31 Antworten in diesem Thema, welches 15.529 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von finsbury.

  • Ich weiß nicht was ich von dem Buch halten soll :rollen:


    Zur Zeit lese ich es im Rahmen des diesjährigen SLW.
    Pünktlich am ersten Januar angefangen, bin ich jetzt gerade mal auf Seite 120.
    Natürlich möchte ich wissen wie es weiter geht, aber irgendwie ist die Spannung schon heraus, denn ich weiß wer die Mörder sind, ich weiß das sie mit Perrys Worten "Nicht ganz Richtig sind".
    Klar die Recherche ist bestimmt auch interessant, aber sie fesselt mich nicht und Capote geht so wahnsinnig ins Detail , dass ich das Buch oft genervt auf die Seite lege.
    Aber wenn ich mir so eure Rezis durch lese, reizt es mich schon wieder noch ein paar Seiten zu lesen.
    Aber wie ihr mich kennt, werde ich dieses Buch natürlich auch beenden


    EDIT:


    Ich habe fertig


    Aber mich konnte das Buch nicht wirklich fesseln.
    Meine Meinung hat sich leider nicht geändert.
    Komischerweise ging es mir aber mit Perry wie einigen hier, ich fand ihn irgendwie sympatisch
    Der Schreibstil gefiel mir mit der Zeit immer besser
    und nachdem ich eure Rezis hier nochmal durchgelesen habe, verstehe ich nun auch,
    warum Capote auf den letzten Seiten oder besser gesagt im letzten Teil "Die Ecke" soviel von andern Mördern schrieb.
    Wenn man sich den Unterschied der einzelnen Täter mal vorstellt.York und Latham fand ich schon ziemlich heftig, morden weil sie die Welt hassen.
    Wie krank muß man sein um das so durch zuziehen???


    Ich gebe dem Buch 3ratten, denn es war gut geschrieben und gut recherchiert, aber es hat mich nicht gefeselt

    :biene:liest :lesen: und hört

    07/60

    2116 /25.525 Seiten


    Einmal editiert, zuletzt von Bine1970 ()

  • Truman Capote – Kaltblütig


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    Inhaltsangabe:


    Tatsachenbericht um den Mord an einer Familie in Kansas/USA im Jahr 1959/1960.


    Der erste Satz:


    „Das Städtchen Holcomb liegt auf der Weizenhochebene von West-Kansas, eine weite einsame Gegend, die selbst für die anderen Kansaner „hinter dem Mond“ liegt.“


    Meine Meinung zum Buch:



    So richtig begeistert war ich aber nicht von "Kaltblütig", es war mir etwas zu langatmig und die Charaktere zu klischeehaft: Die gottesfürchtige, perfekte Familie, die von den bösen Taugenichtsen ermordet wird, die aber eigentlich doch ganz sensibel sind und außerdem eine schlechte Kindheit hatten ...


    Wunderbar zusammengefasst. :daumen:


    Aus einer distanzierten Sicht berichtet der Truman Capote über das Verbrechen an vier Menschen. Ich hatte die meiste Zeit über das Gefühl, eine Reportage zu lesen – und ähnlich hatte es der Autor angeblich auch im Sinn. Er berichtet neutral, die Emotionen überlässt er dem Leser.


    Allerdings ließ mich die Geschichte aufgrund der großen Distanz eher kalt, ich habe sie recht unbeteiligt gelesen, weder mit Abneigung noch mit Vergnügen. Die manchmal allzu große Detailtiefe hat mich auch dazu veranlasst, manche Seiten nur noch zu überfliegen – z. B. fand ich es nun nicht so interessant, auch noch die Kindheitsgeschichte von diversen Mit-Gefängnisinsassen der beiden Mörder zu lesen. Zumal diese die Frage nach dem „Warum“ nicht weiter bringen.


    Denn die Frage nach dem „Warum“ bleibt für mich offen, sofern es überhaupt eine Antwort geben kann, was ich bezweifle. Ich hatte den Eindruck aufgrund dieses Berichtes, dass nicht einmal die Täter diese Frage wirklich beantworten konnten.


    Am interessantesten war, das eigene Verhältnis zur Tat, den Tätern und zur Bestrafung auszuloten. Wie hätte ich als Angehörige oder als Geschworene reagiert? Ich musste an einen Satz einer Bekannten denken: „Ich bin strikt gegen die Todesstrafe. Aber ich verstehe, dass andere Menschen dafür sind.“


    Meine Bewertung: 3ratten


    Viele Grüße von Annabas :winken:

  • Ich weiß gar nicht ob ich soviel zu meinen Eindrücken schreiben kann. Der Anfang hat mir am meisten Probleme bereitet, wie die Clutters alle irgendwelche Vorbereitungen für die Zukunft machten. Der Vater eine Lebensversicherung und die Tochter sucht sich Kleider raus und die Mutter erholt sich von ihrer Krankheit usw. Ich bin nur froh, dass die Familie nicht zu charakteristisch gezeichnet wurde sonst wäre mir das noch Näher gegangen, im Gegensatz zu den zwei Tätern über die man wirklich alles erfährt.
    Diese ganzen Kindheitsgeschichten wurden mir irgendwann zu viel, die haben die Geschichte für mich erst langatmig gemacht, denn ansonsten finde ich diese sachlich, spannende Mischung echt gelungen. Und dass die Beweggründe dann so banal waren hat mich überrascht, überhaupt wie Dick und Perry über die Tat sprechen, wie als würden sie über Toast mit Marmelade reden.


    Dewey war der einzige Charakter im Buch den ich bis zum Schluss voll und ganz verstanden habe. Klar, Perry ist schon ein armer Kerl, aber selbst ohne Ausbildungsmöglichkeiten sollte man zu so einer Tat menschlich nicht in fähig sein.


    Trotz ein paar Schwierigkeiten meine Gedanken zusammen zufassen:


    4ratten

  • Ja, da hast du recht. Ich frage mich wie der Verhandlung verlaufen wäre, wenn es in der heutigen Zeit spielen würde. Zumindestens Perry wäre doch sicherlich für den Zeitpunkt für unzurechnungsfähig gehalten worden. Wahrscheinlich wäre es auch in jedem anderen Staat damals anders verlaufen, wenigstens mehr Untersuchungen wegen seiner Psyche.

  • Inhalt


    Gegen Ende der 50er Jahre werden vier Mitglieder einer Farmersfamilie in Kansas umgebracht. Die Täter, zwei kleinkriminelle Außenseiter des Lebens, fliehen daraufhin erst nach Mexiko und später quer durch die USA - bis zu ihrer Verhaftung.
    Ihnen wird der Prozess gemacht und sie werden zum Tode durch den Strang verurteilt.


    Der Fall ist weitläufig bekannt und ging damals durch alle Medien.
    So wurde auch der Schriftsteller Truman Capote auf dieses Verbrechen aufmerksam und zeigte starkes Interesse an der Tat. Die Brutalität, die scheinbare Gelassenheit der Verurteilten und das fehlende Motiv beschäftigten den Autor besonders und das ist es dann auch, was er in seinem Buch darzustellen versucht.


    Warum wird ein Mensch zum Mörder?


    Dieses „Warum“ drängt sich einem in dem Buch immer wieder auf und man könnte es fast als eine psychologische Profilerstellung der beiden Täter anerkennen.
    Die Handlung beginnt mit der Schilderung des letzten Tages der Clutter-Familie, ihrer sozialen Bindungen und Beliebtheit im Dorf, ihrer Zukunftspläne und Ängste.
    Parallel dazu bekommt man bereits einen Einblick in die Vorbereitung der Tat, indem Capote in seinen Erzählperpektiven immer wieder wechselt, bis sich alles auf diese eine Nacht zuspitzt.


    Allerdings erfährt man weiterhin weder das „Wie“ noch das „Warum“. Die zwei spannendsten Fragen spart sich der Autor geschickt für das letzte Drittel des Buches auf. Vorerst begleitet der Leser wiederum in paralleler Erzählweise die Flucht der Täter als auch die laufenden Ermittlungen in dem Fall.
    Der Focus liegt hierbei jedoch eindeutig auf den zwei Mördern, Dick und Perry. In kleinen Häppchen bekommt man deren Kindheit, soziales Umfeld, kompletten Lebenslauf, emotionales Profil sowie innere Gedankenwelt serviert und entwickelt eine Art Sympathie und Verständnis für die beiden, besonders für den misshandelten, ständig gequält wirkenden Perry.


    Die Rechtfertigung, das „Warum“ dieser Tat schwebt einem dabei immer wieder vor Augen, aber eine auf wissenschaftlicher Grundlage abgefasste Antwort bekommt der Leser erst im Schlussteil des Buches in Form eines psychologischen Gutachtens während der Verhandlung zu lesen.


    Auch das „Wie“ kommt zwischen Dick und Perry nie zur Sprache; so muss man sich bis zu dem ausführlichen Geständnis der beiden nach ihrer Festnahme gedulden und erfährt beinahe Überraschendes.


    Capote hat versucht, zu erklären, aber er macht auf den letzten Seiten seines Buches unmissverständlich klar, dass es wohl viel komplizierter ist, als man es in einem etwa 350 Seiten starkem Buch je zum Ausdruck bringen könnte.
    Während des jahrelangen Wartens im Todestrakt lernen Dick und Perry andere Todeskandidaten kennen, deren Mordfälle ebenfalls kurz geschildert werden. Auch bei ihnen ist absolut kein Motiv zu erkennen. Das Problem ist nicht sichtbar, sondern viel tiefer verwurzelt.



    Truman Capote schreibt in einfachem Stil ohne Schnörkel und Verzierungen. Sachlich, kalt und offen ist seine Erzählstruktur, was zur Folge hat, dass man dieses Buch kaum wieder aus der Hand legen kann, wenn man es einmal angefangen hat.


    Capote hat in diesen Fall sehr viel Zeit investiert, persönlich mit den Zeugen und dem Umfeld der ermordeten Familie gesprochen, er hatte ein „enges“ Verhältnis zu den beiden Tätern, v.a. zu Perry und besuchte sie regelmäßig im Todestrakt. Daher kann man sich in hohem Maße auf die Glaubwürdigkeit dieser Schilderung verlassen und dieser Fakt lässt neben der Sachlichkeit nicht einen Moment an der Authentizität des Erzählten, der Personen und ihrer Handlungsweisen zweifeln.


    Dieses Buch ist sowohl Lesemuffeln als auch Leseratten zu empfehlen.
    5ratten



    Liebe Grüße
    Trevor

  • Die Lektüre ist leider schon ein bisschen länger her, sodass ich mich nicht mehr an jede Kleinigkeit erinnern kann...


    Mit dem Erzählstil hatte ich so meine Probleme. An dieses Gemisch aus Tatsachenrekonstruktion und freiem Schreiben konnte ich mich nicht so ganz gewöhnen. Öfters musste ich Passagen noch einmal lesen, weil ich gedanklich abgeschweift bin und mich nicht auf den Text konzentrieren konnte, da mir der Stil ein bisschen zu konfus war. Ein trockener Tatsachenbericht über das Verbrechen und diverse Interviews hätten mir vielleicht etwas mehr zugesagt.


    Allerdings wurde mein Interesse für den Fall geweckt, sodass ich, bereits während der Lektüre, so manches im Internet recherchiert habe. Vor allem diesen Perry fand ich recht interessant und ja, hatte sogar Mitleid mit ihm.


    Während meiner Recherche bin ich allerdings auch auf so manche Kritik gestoßen, wo gesagt wird, dass so manche Tatsachen von Capote nicht richtig wiedergegeben wurden und er einiges hinzugedichtet hat. Das finde ich richtig schade und ich weiß nicht so ganz ob mir Kaltblütig nun gut gefallen hat oder nicht...


    Doch da es Capote doch geschafft hat mich neugierig zu machen, obwohl ich so manche Probleme beim Lesen hatte, vergebe ich 3ratten.

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys

  • Inzwischen habe ich die Lektüre ein paar Tage sacken lassen und bin immer noch unentschlossen, wie ich dazu stehe. Um mit dem – für mich – einfachsten Teil anzufangen: Mir hat die Form, die Capote hier gewählt hat, gut gefallen. Die Mischung aus literarischem Erzählen, journalistischem Tonfall und nüchterner Aktensprache schien mir durchaus angemessen, um der Komplexität mit der Darstellung von den Opfern über die Tat selbst, die Täter und ihre Flucht, die Ermittlungen, die Gerichtsverhandlung bis zur Zeit im Todestrakt gerecht zu werden. Es ist auch recht auffällig, daß sich Capote selbst jeder Bewertung über die Todesstrafe im allgemeinen und in diesem speziellen Fall enthält, jedenfalls habe ich keine herauslesen können, obwohl ich versucht habe, auf entsprechende Hinweise zu achten.


    Weniger zugesagt haben mir im wesentlichen zwei Dinge. Das erste ist die Familie Clutter. Als Opfer einer solchen Tat haben sie vermutlich ein „Recht“ darauf, gut und nett dargestellt zu werden (ganz dem Motto verpflichtet, daß man über Tote nicht oder nur Gutes reden soll), und eine Verbindung zwischen irgendwelchen Taten ihrerseits mit den Tätern selbst bestanden ja auch nicht. Aber ehrlich gesagt war mir das alles ein bißchen zu perfekt und idyllisch. Natürlich hätte auch z. B. ein etwaiges Verhältnis von Mr Clutter mit einer anderen Frau keinen vierfachen Mord gerechtfertigt, aber irgendwelche Probleme in der Familie oder ein bißchen Klatsch über sie hätten sie doch menschlicher gemacht. Damit hätte ich aber vielleicht noch leben können.


    Der zweite Aspekt, der mir weniger zugesagt hat, war die Darstellung der Täter, und das betrifft sowohl Perry als auch Dick. Bei ersterem ist die, ich nenne es jetzt mal etwas verkürzt so, „Mitleidsschiene“ die Capote hier fährt, ausgeprägter als bei letzterem, obwohl sie auch für Dick, wenn auch mit etwas anderen Vorzeichen, zur Geltung kommt. Tatsächlich stimme ich mit Doris darin überein, daß Perrys schwere Kindheit, die er zweifellos hatte, keine hinreichende Entschuldigung dafür sein kann, einfach in ein Haus einzubrechen und die vier Bewohner niederzumetzeln. Wenn jeder mit einer ähnlichen Biographie so handelte, dann wäre Mord und Totschlag wohl an der Tagesordnung. Bei Dick, der ja sogar als überdurchschnittlich intelligent beschrieben wird, mit dieser Anlage aber auch nicht so recht etwas anfangen kann und zudem unter den Nachwirkungen seines Unfalls leidet, gilt eigentlich das gleiche.


    Interessant fand ich daher vor allem die Überlegungen, ob sie wohl in vollem Maße schuldfähig seien oder nicht. Persönlich vertrete ich den Standpunkt: Ja, denn beiden ist und war immer klar, daß man andere Menschen nicht einfach über den Haufen schießt. Daran ändert sich auch nichts, wenn sie aus irgendwelchen Gründen in jenem genauen Moment des Abdrückens die Kontrolle über sich verloren hatten, was ja in diesem Fall auch nur für Perry zutreffen kann. Rechtfertigt das die Todesstrafe? Da bin ich der Meinung: Nein, unter gar keinen Umständen, und ich bin sehr froh, daß wir sie in Deutschland nicht haben. Nicht umsonst besagt Art. 2 GG: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. (...)“ Sicher, in diesem Fall haben die Täter die Familie Clutter dieses Rechts beraubt, aber darf sich ein Rechtsstaat deshalb auf die gleiche Stufe stellen? Diese Vorstellung verursacht mir zugegebenermaßen Unbehagen. So schwierig das sein mag, aber diese Diskrepanz muß m. E. ausgehalten werden.


    Wenn ich das alles jetzt in eine Bewertung mittle, dann lande ich bei


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Gore Vidal mochte den Truman Capote nicht leiden. Fragte man ihn, weshalb, erklärte er lakonisch: ein Lügner sei das gewesen. Dies ist, scheint mir, kein gutes Kriterium, will man über einen Dichter urteilen. Auf "Kaltblütig" (und Capote überhaupt) bin ich vor Jahren aufmerksam geworden, als ich den Film "Capote" mit dem grandiosen Philip Seymour Hoffman gesehen hatte, welcher just die Entstehungsgeschichte dieses Buches erzählt. Ja, Capote hat manchmal gelogen und manipuliert. Wenn wir dem Film glauben schenken, hat er sich zuletzt sogar den Tod des Perry und des Dick gewünscht, um endlich sein Buch abschliessen und sich etwas anderem zuwenden zu können. Er war schon vorher auf dem besten Wege, ein schwerer Alkoholiker zu werden, hinterher ging es nur noch bergab und Capote hat kein Manuskript mehr vollendet. Über die Qualität von "Kaltblütig" ist mit all dem freilich noch nichts gesagt.
    Der Autor nimmt sich viel Zeit, beschreibt (zugegebenermassen, wie oben von jemandem vermerkt, vielleicht etwas zu bieder) das Dorf, die Familie, die Menschen, man bemerkt sowohl die ebenso in- wie extensive Recherche, als auch die bewusste literarische Stilisierung. Die beiden Täter durchleuchtet Capote noch ausführlicher, ihre ganze Lebensgeschichte wird mit bemerkenswerter Einfühlung nachgezeichnet und selbst eine "Nebenfigur", wie der zum Tode verurteilte, offenbar emotionslose Dicke, bei dem man heute wahrscheinlich eine neuronale Störung feststellen würde, wird mit einem umfangreichen Abschnitt bedacht. Das ganze Buch ist ein Plädoyer für das genaue Hinschauen, für das Verstehenwollen, welches nicht mit Entschuldigen einhergehen muss, darf. Capote verleiht all jenem eine Stimme, das die Richter und Henker nicht interessiert hat, Familie und Freunde der Opfer auch nicht zu interessieren brauchte. Ich las "Kaltblütig", als in Norwegen gerade der Breivik-Prozess stattfand und das Verfahren gegen den Perry und den Dick, mit seiner bewussten Ignoranz für alle psychologischen Aspekte, die die Zurechnungsfähigkeit der Verbrecher in Frage stellen könnten, erschien mir beinahe wie das nicht weniger schädliche Gegenstück zur grotesken Komödie, welche die beiden vermeintlichen Experten, nach deren Vorstellungen die halbe Menschheit unzurechnungsfähig wäre, bei Gericht vorgeführt zu haben sich nicht schämten.


    "Kaltblütig" mag nicht die letzte Wahrheit über alles, was zu diesem brutalen Verbrechen gesagt werden kann, enthalten, es ist aber durchaus ein ernsthafter Versuch, zu verstehen, und, vor allem, schlicht grosse Literatur.
    5ratten

    Tell all of my friends, I don&#039;t have too many: just some rain-coated lovers&#039; puny brothers. Dallow, Spicer, Pinkie, Cubitt - rush to danger, wind up nowhere.<br />Patric Doonan - raised to wait. I&#039;m tired again, I&#039;ve tried again...<br />and now my heart is full. Now my heart is full and I just can&#039;t explain, so I won&#039;t even try to.<br />(Morrissey)

    Einmal editiert, zuletzt von Rydal ()

  • Ich las "Kaltblütig", als in Norwegen gerade der Breivik-Prozess stattfand und das Verfahren gegen den Perry und den Dick, mit seiner bewussten Ignoranz für alle psychologischen Aspekte, die die Zurechnungsfähigkeit der Verbrecher in Frage stellen könnten, erschien mir beinahe wie das nicht weniger schädliche Gegenstück zur grotesken Komödie, welche die beiden vermeintlichen Experten, nach deren Vorstellungen die halbe Menschheit unzurechnungsfähig wäre, bei Gericht vorgeführt zu haben sich nicht schämten.


    Das ist ein interessanter Vergleich :winken:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Wie auch bei meiner Lektüre von "Krabat" versuche ich mich auch bei der von "Kaltblütig" häppchenweise an Eindrucks-Schilderungen. Es ist ja doch ein recht dickes Buch mit 533 Seiten und dazu sehr ausführlich geschrieben, sodass ich es nicht ganz so schnell durchkriege. Aber es macht irre Spaß, das zu lesen, auch wenn sich manche Passagen ziehen.


    Gerade lese ich fairys Beitrag und erschrecke mich etwas - gestern noch fragte ich mich, was die beiden Mörder zu ihrer Tat bewogen hat (weil das ja so ganz klar nicht wird, zumindest nicht bis Seite 163, auf der ich mich gerade befinde) und was es ihnen denn jetzt "gebracht hat"... Ich dachte, da wär noch was anderes.
    40$. Auch wenn sie was anderes vor hatten, mehr wollten.
    Aber dass es darauf hinaus läuft, passt ja zu dem, wie Capote das schildert. Unfassbar. Ich meine damit jetzt natürlich nicht den kleinen Betrag, ein solches Verbrechen wird durch nichts gerechtfertigt, ich meine das Paradoxe daran, das irgendwie von Beginn an die Geschichte bestimmt.


    Capotes Werk ist eine Mischung aus Rekonstruktion, Indiziensammlung, Interview und reportagenhaften Erzählstil.


    - Ich für meinen Teil habe so was noch nie gelesen. Darin begründet sich auch die Wirkung, die ich meine. Zum Beispiel - und das finde ich besonders gelungen - bekommt man als Leser detailgenau und chronologisch die Ermittlungen und auch die Reaktionen der Freunde, Bekannten und Nachbarn mit, gleichzeitig lässt Capote uns auch daran teilhaben, was in genau diesen Momenten die Mörder tun und das hat gar nicht mit der Tat zu tun, zumindest nicht direkt, sie unterhalten sich über dies und das, ihnen geht das eine oder andere durch den Kopf. Dabei verkörpert vor allem Perry, wie im Thread oft erwähnt, eigentlich einen Sympathieträger. Doch man weiß ja, der ist ein Mörder! Die gerade vier Menschen brutal hingerichtet haben, verspeisen im nächsten Moment leichten Gemüts ein Mittagessen oder schlafen sich erstmal gründlich aus....


    [...] vor allem zu Anfang erfährt der Leser viel über die Opfer und ihre letzten Stunden. Über das angesehene Ehepaar Herbert und Bonnie Clutter, den 15-jährigen Kenyon Clutter und die 16-jährige Nancy Clutter, die einen festen Freund hat, mit ihrer Freundin Susan Pläne für die Zukunft schmiedet, der Nachbarstochter beim Kuchenbacken hilft und ihr Lieblingskleid für den nächsten Tag rauslegt, obwohl wir genau wissen, dass sie es nie tragen wird.


    - Mir war die Familie, wie andere User bereits schrieben, auch zu perfekt. Eigentlich mag ich so was gar nicht; also dieses "Und die Tochter ist ja so bildhübsch und so intelligent und beliebt und dazu auch noch gar nicht eingebildet" und "der Sohn kann dieses und jenes ja so toll, repariert alles selber, hat die besten Noten, etc." und dann noch der Vater. .... Zuerst störte es mich sehr, dann habe ich mich daran gewöhnt. Wären sie nicht so perfekt gewesen, hätte ich es besser gefunden, für die Geschichte einfach, aber durch die genauen Schilderungen hatte ich dann doch so sehr das Gefühl, irgendwie bei ihnen gewesen zu sein und fand auch hier und da Macken und schwelende Konflikte, dass ich mich doch mit ihnen identifiziert habe irgendwie.



    Da ist der grausame und brutale Mord an vier hilflosen, unschuldigen Menschen, da ist der schüchterne Perry mit seiner Gitarre.


    Das trifft es sehr gut! Zusätzlich würde ich hinsichtlich Perrys Charakter noch ergänzen, dass man fortwährend versucht, ihn für sich fassbar zu machen. Sicher ist er schüchtern, aber z. B. seine Träume von dem Tauchen nach Schätzen etc. und seine vielen Fantasien sowie die Freundschaft zu diesem Willie-Jay, dass er irgendwie immer auf mehr hofft, verstanden zu werden, und gleichzeitig, was Dick an einer Stelle über ihn sagt bzgl. seiner Kaltblütigkeit, dass er, Dick, ihn braucht, um das durchzuziehen und auf diesen Charakterzug von Perry baut und ihm deshalb vorspielt, auch von Schätzesuchereien zu träumen, das macht ihn irgendwie ... erschreckend real, weil unfassbar.



    Da sind blutbespritzte Wände und da ist jemand, der nach der Urteilsverkündung in seiner Zelle weint. Da sind aufgebrachte und geschockte Bewohner einer Kleinstadt und da ist ein Gericht voller voreingenommener Richter und Geschworener, die allesamt die Opfer persönlich kennen, so dass man sich fragt, ob sich das „kaltblütig“ auf die Mörder oder auf die Verhänger der Todesstrafe bezieht.


    Darauf bin ich ja noch gespannt.



    Man versucht, Perry zu verstehen und Erklärungen für sein schreckliches Handeln zu finden, doch das letztes Stück fehlt, das letzte Bisschen, dass einen überzeugt und einen verstehen lässt fehlt und die Zerrissenheit schmerzt, wie sie wohl auch Truman Capote geschmerzt haben muss, der schon fast wie ein Verrückter jeden einzelnen befragte, der auch nur im entferntesten irgendetwas über die Familie und den Fall wusste.
    Aber die hilfloseste Erklärung liefert wohl Perry Smith selbst: „I think there must be something wrong with us. To do what we did. Deep down, I never thought I could do it. Anything like that.”


    Ihn zu verstehen, versuch ich erst gar nicht, aber ja: Erklärungen zu finden. Ich bin ja noch nicht so weit, aber ich kann mir schon vorstellen, wenn es so weitergeht, dass sich da ein Bild dieses Menschen aufbauen wird, das immer mehr in die Richtung wie bisher geht: Einerseits das Sympathische, Nachvollziehbare, fast schon in der Art, dass man ihn irgendwie trösten will, dann die andere Seite, der Kontrast, der sich einem komplett verschließt, so unverhältnismäßig, man will es sich eigentlich gar nicht vorstellen.
    Und ja, es schmerzt schon irgendwie, wenn man das liest. Dass man nicht dahinter kommt, es sich nicht erklären kann, vielleicht weil man es sich gar nicht verstehen will. Gerade dass Capote aber, ohne zu urteilen (wie auch?) hinter allem, was irgendwie Erklärungen liefern könnte, her ist, dass er sich da so rein hängt, macht das Buch besonders.
    In dem, was Perry da sagt, zeigt sich auch allgemein ganz gut seine Authentizität. Er ist nicht das typische Schlitzohr, das man sich unter so einem Menschen vorstellt, er jagt hoffnungslosen Träumen hinterher, liest gerne und viel, korrigiert anderer Grammatik, sucht Freunde, die es ehrlich mit ihm meinen, singt .... das passt halt nicht zusammen.


    [...] das „Wie“ noch das „Warum“. Die zwei spannendsten Fragen spart sich der Autor geschickt für das letzte Drittel des Buches auf. [..]


    Während des jahrelangen Wartens im Todestrakt lernen Dick und Perry andere Todeskandidaten kennen, deren Mordfälle ebenfalls kurz geschildert werden. Auch bei ihnen ist absolut kein Motiv zu erkennen. Das Problem ist nicht sichtbar, sondern viel tiefer verwurzelt.


    Bin gespannt, da mehr Einblicke zu erhalten... und hoffe, dass das mit den schlimmen Kindheiten meinen bisherigen Fünf-Ratten-Eindruck nicht zerstört. Keine Gründe zu liefern ist manchmal besser, gerade weil manche Taten nicht erklärbar sind.




    [...] Das ganze Buch ist ein Plädoyer für das genaue Hinschauen, für das Verstehenwollen, welches nicht mit Entschuldigen einhergehen muss, darf. [...]


    Es unter den Aspekten zu lesen, macht es wirklich interessant, das denke ich auch. Darin besteht m. E. die Qualität des Buches.

    Einmal editiert, zuletzt von Elsie ()

  • Vor einiger Zeit sah ich den Spielfilm, auf den auch weiter unten angespielt wird, in dem die Phase im Leben Capotes, in der er sich mit dem Fall, der in "Kaltblütig" dargestellt wird, auseinandersetzte, im Mittelpunkt steht . Ich habe diesen Film nach der Hälfte abgebrochen, weil ich, gerade wegen der hohen Schauspielkunst Hoffmanns, Capotes Art nicht mehr ertragen konnte, aber gleichzeitig war ich auf das Buch neugierig geworden.
    Und ich bin nicht enttäuscht worden! Da sieht man mal wieder, dass man einen Autor nicht liebenswert finden muss, um sein Werk zu schätzen.


    Ein sehr gelungener Bericht, der hier schon mehrfach prima portraitiert wurde, so dass ich mir eine Inhaltsübersicht erspare.


    Was mir bereits am Anfang sehr gefiel, ist die breite und ruhige Art, in der die Landschaft und die Menschen dieses amerikanischen Kernlandes, der Präriestaaten, dargestellt werden. Einige Menschen werden relativ vorteilhaft geschildert, was meiner Meinung auch damit zu tun hat, dass dieses Buch ja nur wenige Jahre nach der Tat erschien und wegen des dokumentarischen Charakters die am Geschehen Beteiligten beim Namen nennt, so dass Capote mit Leumundsklagen hätte rechnen müssen, wenn er allzusehr auf negative Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen der nicht schuldigen Beteiligten angespielt hätte. Er hätte bestimmt auch Ärger bekommen, wenn er die Clutter-Familie in ein schlechtes Licht gestellt hätte. Aber für diese Vorbedingungen sind ihm doch recht gute Portraits - mit einigen einfachen Andeutungen gelungen, so zum Beispiel vom Ermittler Dewey.
    Aldawen und andere schreiben, die Clutter-Familie sei zu idealtypisch dargestellt. Aber gerade Mrs. Clutters Schicksal verleiht der ganzen Familie einen düsteren Schatten und wirft auch auf diese - zumindest scheinbar - fromme Gesellschaft von Agrarstädtchen und -dörfern der fünfziger und sechziger Jahre ein erhellendes Licht: Wer den Anforderungen nicht genügt, nicht mitmachen kann bei diesem Leben für Familie und Gemeinde, in dem der eigene geschäftliche Erfolg auch über die Wertschätzung eines Menschen entscheidet, der fällt raus: Wenn er in einer gesicherten Umgebung wie Mrs. Clutter ist, dann wird er nervenkrank und zieht sich zurück.
    Andere reagieren anders und verkümmern moralisch in einer Gesellschaft, die Werte setzt, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen, die Minderheiten, wie Afroamerikaner und Ureinwohner sowie "Mischlinge" ausgrenzt, Frauen einen dekorativen und innerfamiliären Rang, aber nicht viel mehr zugesteht.


    So geschieht es mit Dick und "Andy", dem Mörder an der eigenen Familie, der am Ende noch vorgestellt wird, aber auch mit dem einen der beiden zum Tode verurteilten Soldaten. Obwohl sie in scheinbar intakten Familien aufwachsen, hatten sie anscheinend nicht die Möglichkeit, sich aktiv mit den Werten und Vorschriften auseinanderzusetzen, so dass ein Anstoß genügt, um dieses Gerüst zu Fall zu bringen, ohne dass dem dahinter befindlichen Nichts etwas entgegenzusetzen wäre.


    Hinzu kommen natürlich noch pathologische Züge, die all den portraitierten Tätern eigen sind.
    Capote bleibt nicht ganz neutral, eindeutig ist Perry in seinem besonderen Focus, der ihn wohl auch näher an sich herangelassen hat als Dick, der als wandelnde Großsprechanlage wohl gar nicht in der Lage war, Nähe im Sinne von tieferen Einblicken möglich zu machen.
    Und so ist auch Perry der eigentliche Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Schon wegen seiner verhunzten Figur, seiner gemischten Abstammung und der familiären Vorgeschichte benachteiligt, kommen seine Träume hinzu, um ihn interessant zu machen. Entweder als Einmann-Entertainer oder als Schatzsucher will er eine große Karriere machen, träumt von einem großen Vogel, der ihn mitnimmt und übt an seinen Opfern, bevor er sie "kaltblütig" tötet, Gesten von verständnisvollem Mitleid aus, indem er Nancy vor der Vergewaltigung durch Dick bewahrt oder Mr. Clutter auf die Matrazenunterlage legt: So ein Mensch ist natürlich für einen Romancier, aber auch dokumentarischen Schriftsteller von hohem Interesse. Perry zu verstehen ist meiner Ansicht nicht das Ziel des Autors, aber ihn als Menschen mit all seinen Facetten wahrzunehmen schon.


    Besonders bewundere ich an dem Text, dass er neutral bleibt und dennoch so anrührend schreibt, dass die Landschaften und Menschen plastisch vor einem entstehen.
    Natürlich hat das Buch seine Längen, aber es ist von einer hohen erzählerischen Dichte.
    Für mich ein Highlight in der amerikanischen Literatur!

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()