Fertig und eine leichte Gegenstimme zu meinen Vor-Rezensentinnen.
Obwohl es über 20 Jahre her ist, kann ich mich noch lebhaft an die sehr intensiven 3 Tage erinnern, innerhalb derer ich "Säulen der Erde" verschlungen habe. Klar, Feiertage und Urlaub helfen dabei, aber das können echt nicht viele AutorInnen, mich so zu fesseln und das, obwohl die Handlung durchaus nicht immer fesselnd war! Aber das Buch hat sich komplett von selbst gelesen und ich hatte viel Spaß damit. Somit bin ich froh, dass ich mich selbst ausgetrickst habe, es doch zu lesen.
Klar, es ist nicht der beste aller Historienschinken, die ich je gelesen habe, aber bei weitem auch nicht der schlechteste und viele der o.a. Kritikpunkte habe ich tatsächlich anders gelesen. ZB fand ich Wilf, den ältesten der drei W-Brüder alles andere als böse, eher ein typischer Vertreter seiner Klasse und seiner Zeit. Ganz im Gegenteil fand ich es erfrischend, dass die Dame unseres zentralen Trios nicht das Opfer einer politischen Ehe wird, sondern tatsächlich aus Liebe heiratet und fand es eher irritierend, dass sie dann so bitter enttäuscht ist, dass ihr Mann zwar ihren Rat sucht, aber irgendwann nicht mehr ihr Bett. Ahem, Ragna, hast Du mal auf einen Kalender geschaut, in welchem Jahrhundert Du lebst?! Das hat mich hier eigentlich am meisten irritiert. Ansonsten hat mir Ragna aber gut gefallen, gerade weil sie anders als Edgar durchaus ihre Härten hat. Also, wenn wir hier schattierte Figuren haben, dann sie und Wilf.
An Edgar fand ich es hübsch gemacht, wie er bald erkennt, dass er ein Ingenieur ist, ohne das Wort zu kennen natürlich und wie er sich manches durch logisches Denken selbst beibringt, untermauert durch sein Wissen als Schiffsbaumeister. Dazu fand ich es nett, wie sich die Geschichte zwischen ihm und Ragna entwickelt, fast hätte ich mir gewünscht, sie wären Freunde geblieben. Außerdem ist Edgar Hunde-Mensch.
Bei Aldred wiederum fand ich es sehr spannend, was er aus Dreng's Ferry macht und wie man miterlebt, wie sich das heruntergekommene Nest langsam entwickelt. Falls es zu schnell und zu idealistisch war, was soll's! Schade finde ich nur, dass der Name, auf den wir gewartet haben, "King's Bridge", am Ende vom dritten Abschnittt zum ersten Mal auftaucht und nicht als allerletztes Wort, das wäre schön gewesen!
Zum Thema Homosexualität, ja, es wäre interessant gewesen, wenn es bei Aldred ein bisschen subtiler gewesen wäre, aber dass die meisten damit relativ gelassen umgehen, passte hier zu den noch sehr laschen Ehe- und Moralgesetzen, dass die Kirche mit Ehe nichts zu tun hat. Keine Ahnung, ob Follett uns hier einen Bären aufbindet, aber vielleicht kam das tatsächlich erst später, dass die Kirche den Leuten bis ins Bett nachschnüffelt? Ich habe keine Ahnung, aber hier im Buch hat es zumindest keinen Widerspruch. Bei den beiden Figuren am Ende wird es eigentlich nur angedeutet und wenn jemand einen Grund hat, mit Männern nie wieder was zu tun haben zu wollen, dann die beiden, von daher hätte ich es ihnen von Herzen gegönnt.
Da "Säulen der Erde" bei mir viel zu lange her ist, habe ich leider keine Ahnung, ob hier irgendwelche Andeutungen gemacht wurden, die erahnen lassen, ob wir hier VorfahrInnen unserer zukünftigen FreundInnen haben, höchstens vielleicht noch der Name Richard, Ragnas Bruder? Allerdings war Alienas Familie doch wohl normannisch, oder?
So, jetzt brauche ich doch einen Spoiler.
Politisch habe ich mich am Ende ein bisschen gewundert. Nur weil der Bischof keine Lust zum Umzug hat verlegt man einfach so mal den Bischofssitz und das lässt sich Shiring einfach so gefallen?
Und warum ist Ragnas jüngster Sohn auf einmal der Erbe, wenn ihre älteren drei vom älteren Bruder stammen? Das gibt später ärgeren Zoff als Schneeballschlachten! Aber gut, vielleicht lösen die zukünftigen Ereignisse das Problem, obwohl wir das Ragna und Edgar natürlich nicht wünschen.
Also, lange Rede überhaupt kein Sinn, ich bereue nichts und habe wieder gelernt, dass Rezensionen eine feine Sache sind, aber letzten Endes kann man sich nur selbst ein Urteil bilden, wenn man denn dazu motiviert ist, unter welchen Umständen auch immer.