Adalbert Stifter - Bergkristall (Der heilige Abend)
(1845)
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Inhalt
Am Heiligen Abend machen sich die Geschwister Konrad und Sanna auf den Weg, um ihre Großeltern im benachbarten Bergdorf zu besuchen. Dazu müssen sie den „Hals“, den Pass, der die beiden Dörfer Gschaid und Milldorf trennt, überqueren. Mit den Taschen voll Weihnachtsgeschenken und Leckereien schickt die Großmutter sie zeitig heim, damit sie noch vor Einbruch der Nacht zu Hause ankommen. Die Kinder geraten jedoch in einen Schneesturm und verirren sich.
Meine Meinung
Als die Kinder sich verirren, wird nur aus ihrer Perspektive erzählt und erst im Nachhinein erfährt man von der Aufregung, die ihr Verschwinden ausgelöst hat. Dadurch bleiben zumindest aus der Erzählung selbst alle rationalen, ‚erwachsenen’ Empfindungen außen vor. Ganz anders ging es mir als Leser:
Es lagen Platten da, die mit Schnee bedeckt waren, an deren Seitenwänden aber das glatte grünliche Eis sichtbar war, es lagen Hügel da, die wie zusammengeschobener Schaum aussahen, an deren Seiten es aber matt nach einwärts flimmerte und glänzte, als wären Balken und Stangen von Edelsteinen durcheinandergeworfen worden, es lagen ferner gerundete Kugeln da, die ganz mit Schnee umhüllt waren, es standen Platten und andere Körper auch schief oder gerade aufwärts, so hoch wie der Kirchturm in Gschaid oder wie Häuser. In einigen waren Höhlen eingefressen, durch die man mit einem Arme durchfahren konnte, mit einem Kopfe, mit einem Körper, mit einem ganzen großen Wagen voll Heu. Alle diese Stücke waren zusammen- oder emporgedrängt und starrten, so daß sie oft Dächer bildeten oder Überhänge, über deren Ränder sich der Schnee herüberlegte und herabgriff wie lange, weiße Tatzen.
Bei dieser Beschreibung ist jedem Erwachsenen sofort klar, dass es ein Gletscher ist, auf den die beiden da gerade zuwandern. Und man muss auch nicht lange nachdenken, um zu begreifen, dass ein Gletscher – zudem mit frischem Neuschnee – nicht nur für Kinder höchst gefährlich ist! Die Kinder hingegen sind in erster Linie fasziniert von dem unbekannten Gelände. Sie irren in Schnee und Eis umher, ohne jemals wirklich panisch zu werden oder Angst zu haben, nicht mehr nach Hause zu finden. Obwohl sich der ältere Bruder der Bedrohung durch die Kälte durchaus bewusst ist, und daher seine Schwester und sich selbst vom Schlafen abhält, begreifen die beiden jedoch nie die ganze Gefahr der Situation. Auch schon früher, als sie sich auf dem Pass im Schneesturm verirren und einfach weiterwandern, fiebert man mit den Kindern mit, obwohl die sich noch nicht einmal darüber im Klaren sind, dass sie sich überhaupt verirrt haben.
Man wird gezwungen, die Handlung mit Kinderaugen zu betrachten, denkt jedoch ununterbrochen über die Gefahren und Risiken nach und ist deshalb viel aufgeregter und unruhiger als die Hauptpersonen. Diese Diskrepanz zwischen Darstellung und Lesegefühl macht für mich das Besondere an der Erzählung aus.
Bergkristall ist eine wirklich wunderbare Weihnachtsgeschichte mit überwältigenden Landschaftsbeschreibungen und einer einzigartigen, geradezu 'heiligen' Atmosphäre. Genau das Richtige für einen kalten, winterlichen Adventsabend!
Liebe Grüße,
mondpilz