Wolfgang Herrndorf - Tschick

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  • Das Buch beginnt mit Szenen, die kurz vor dem Ende der Handlung des Buches spielen und ich war die ganze Zeit während des Lesens gespannt, wie es dazu gekommen ist.


    Der Weg bis zu dieser Szene ist die Geschichte der Freundschaft zweier Jungs, die beide uncoole Außenseiter sind, jeder aus ganz anderen Gründen. Sie stehen an der Grenze zwischen Kindheit und Erwachsenwerden und machen sich mit dem geklauten Lada auf den Weg in die Walachei. Was für eine verrückte Story, gespickt mit Situationskomik, schrägen Begegnungen und immer wieder nachdenklichen Momenten, voller Wahrheit.


    Da sie aus der Sicht von Maik erzählt wird, erfährt man ziemlich genau, was in ihm vorgeht, was er fühlt und denkt. Oft schildert der Autor das in genau den Worten, wie sie ein Jugendlicher wählen würde.


    Fazit: Ein Buch wie ein heißer Sommertag in den Ferien, an dem alles möglich zu sein scheint und man seine Probleme hinter sich lassen kann.


    4ratten


    LG, Aurian

    Einmal editiert, zuletzt von Aurian ()

  • Maik gehört zu den Unauffälligen in seiner Klasse, zu denen, die man nie so bewusst wahrnimmt - er hat nicht mal einen Spitznamen und auch keine richtigen Freunde. Somit ist er nicht gerade böse, als die Sommerferien anfangen, höchstens vielleicht wegen Tatjana, in die er total verknallt ist, die ihn aber kaum wahrzunehmen scheint. Seine Mutter entschwindet über die Ferien mal wieder auf die Schönheitsfarm (sprich, in den x-ten Alkoholentzug), sein Vater verreist alleine (sprich, mit seiner hübschen jungen Assistentin), und Maik darf/soll aufs Haus aufpassen, eine schicke Villa mit Pool und allem Drum und Dran.


    Als er eines Sommertages in stolzer Hausbesitzerpose den Rasen sprengt, taucht plötzlich Tschick auf, der Typ, der kurz vor den Ferien neu in seine Klasse gekommen ist, ein Russe mit einem unaussprechlichen Namen (weshalb ihn alle nur schlicht "Tschick" nennen), komischen Klamotten und einer Neigung, angesäuselt zum Unterricht zu erscheinen. Was man hier noch wissen sollte: er ist nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad da, sondern mit einem geklauten, äh, geliehenen uralten Lada. Und er schlägt Maik vor, mit dieser Klapperkiste in die Walachei zu fahren und dort seine Verwandtschaft zu besuchen.


    Nachdem endlich klar ist, dass es die Walachei nicht nur als Synonym für den AdW, sondern auch wirklich irgendwo in Rumänien gibt, ziehen die beiden los, so ungefähr in Richtung Osten, und natürlich haben sie sich innerhalb weniger Kilometer gnadenlos verfranst ... und beschließen, die Dinge von da an einfach mal auf sich zukommen zu lassen.


    Was für eine irrwitzige Räuberpistole! Der gesunde Menschenverstand des erwachsenen Lesers will die Hände überm Kopf zusammenschlagen angesichts der kriminellen Energie, die Tschick an den Tag legt, der verletzten Aufsichtspflicht sämtlicher Eltern und der totalen Naivität der beiden Nachwuchstouristen, lehnt sich dann aber doch mit einem nachsichtigen Grinsen zurück und lässt dem abenteuerlustigen Leser-Ich den Vortritt, das sich natürlich bestens unterhält und köstlich amüsiert. Ausreißergeschichten habe ich schon als Kind geliebt, obwohl (oder gerade weil?) ich mich das selber nie getraut hätte, und bin hier voll auf meine Kosten gekommen. (Spätestens bei der Erwähnung eines Pappkartons namens Karl-Heinz hatte Wolfgang Herrndorf mein Herz erobert.)


    Auch Maiks Perspektive hat mir sehr gut gefallen. Herrndorf findet genau den richtigen Ton für seinen vierzehnjährigen Erzähler, ohne dass es pseudojugendlich oder anbiedernd wirkt - mal rotzig, mal nachdenklich, mal lustig, mal rüpelhaft. Maiks Sicht der Dinge mochte ich sehr, und eine Passage hat mir so gut gefallen, dass ich sie einfach zitieren muss:


    Zitat

    Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte es auch: Der Mensch ist schlecht. Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war.


    Das ist für mich die Botschaft dieses Buches (wenn man denn unbedingt eine finden will). Das, und die Erkenntnis, dass sich ein Blick hinter die Fassade ganz häufig lohnt, wie Maik und Tschick bei vielen Begegnungen auf ihrer Reise feststellen.


    Schön, wenn sich ein einigermaßen "gehyptes" Buch als des Hypes würdig erweist!


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Ich habe "Tschick" auch schon vor einer ganzen Weile gelesen. Was mir nach dem Lesen als erstes in den Sinn kam: Das ist eigentlich gar kein Buch für Jugendliche, sondern ein Buch für Erwachsene, die sich gerne an ihre Jugend erinnern. Oder an eine Jugend, wie sie sie in der Rückschau vielleicht gerne gehabt hätten, denn wer von uns hat schon als Jugendlicher mit einem Kumpel ein Auto geklaut und ist damit durch die Weltgeschichte gegondelt? :zwinker: Insofern kann ich auch die genervten Reaktionen von Schülern nachvollziehen, die das Buch im Unterricht lesen (ja, es ist bereits Schullektüre!), es aber doof und unrealistisch finden. Und irgendwo habe ich gelesen (ich glaube, in seinem Tagebuchblog "Arbeit und Struktur"), dass Herrndorf seinerseits ziemlich genervt war von all' den Schüleranfragen nach Zusammenfassungen und Interpretationen zu seinem Buch ... :rollen: :breitgrins:


    Mir hat das Buch auch gut gefallen. 4ratten


    Übrigens: Weil ihm die Figur der Isa so am Herzen lag, hat Herrndorf ihre Geschichte in seinen letzten Lebensmonaten noch etwas weitergesponnen, wollte eine eigene Erzählung daraus machen, konnte sie jedoch aufgrund seiner fortgeschrittenen Krankheit und schließlich seines Todes nicht zum Abschluss bringen. Seine Aufzeichnungen aus dem Nachlass wurden jetzt von Freunden (u.a. Marcus Gärtner und Kathrin Passig) gesichtet und als Romanfragment herausgegeben:


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  • Oder an eine Jugend, wie sie sie in der Rückschau vielleicht gerne gehabt hätten, denn wer von uns hat schon als Jugendlicher mit einem Kumpel ein Auto geklaut und ist damit durch die Weltgeschichte gegondelt? :zwinker:


    Du nicht? :breitgrins:


    Zitat

    Insofern kann ich auch die genervten Reaktionen von Schülern nachvollziehen, die das Buch im Unterricht lesen (ja, es ist bereits Schullektüre!), es aber doof und unrealistisch finden.


    Schullektüre findet man ja eh fast immer doof :autsch: Wenn man unter "Zwang" lesen muss, meckert man viel leichter dran rum und sucht förmlich Kritikpunkte. Ich kann mir auch den Typ Deutschlehrer vorstellen, der das Buch im Unterricht lesen lässt. Jung, dynamisch und oh so cool :breitgrins:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Schullektüre findet man ja eh fast immer doof :autsch: Wenn man unter "Zwang" lesen muss, meckert man viel leichter dran rum und sucht förmlich Kritikpunkte. Ich kann mir auch den Typ Deutschlehrer vorstellen, der das Buch im Unterricht lesen lässt. Jung, dynamisch und oh so cool :breitgrins:


    Man will sich als Jugendlicher doch nicht von einem Lehrer darüber aufklären lassen, was ein tolles und spannendes Jugendbuch ist. Außerdem brauchen sich Lehrer keinen Illusionen hinzugeben: In den Augen der Schüler sind sie alle steinalt und Lichtjahre von der eigenen Lebenswelt entfernt. Was weiß so ein Lehrer schon von Jugendlichen? Und überhaupt: War der überhaupt mal Jugendlicher? Der ist doch bestimmt schon als Erwachsener zur Welt gekommen ... :zwinker:


  • Man will sich als Jugendlicher doch nicht von einem Lehrer darüber aufklären lassen, was ein tolles und spannendes Jugendbuch ist. Außerdem brauchen sich Lehrer keinen Illusionen hinzugeben: In den Augen der Schüler sind sie alle steinalt und Lichtjahre von der eigenen Lebenswelt entfernt. Was weiß so ein Lehrer schon von Jugendlichen? Und überhaupt: War der überhaupt mal Jugendlicher? Der ist doch bestimmt schon als Erwachsener zur Welt gekommen ... :zwinker:


    Ja eben! :breitgrins:


    Hat eigentlich Dein Junior das Buch gelesen?

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    Leonard Cohen






  • Hat eigentlich Dein Junior das Buch gelesen?


    Nein, leider nicht. Mit den Empfehlungen der Eltern ist es wie mit Empfehlungen der Lehrer. :zwinker: Außerdem ist er nicht so die große Leseratte. Obwohl - Harry Potter hat er sogar schon mehrfach gelesen. :smile:

  • Meine Tochter musste das Buch jetzt für die Schule lesen. Sie ist in der zehnten Klasse.

    Und weil die Lehrerin nicht nachgedacht hat, oder einfach nur gemein ist, hat sie die Frageblätter zum Buch erst nach der Lektüre verteilt, als Weihnachtsferienarbeit.

    Als Aufgabe soll man, unter anderem, mehrere Zitate zu einem vorgestellten Sprichwort heraussuchen. Also das Buch gleich nochmal lesen? Hier geht es um Teenies, ich kann froh sein, dass meine Tochter das Buch überhaupt gelesen hat.

    Als zweite Aufgabe sollen sie eine Art Reisetagebuch aus Maiks Sicht in der Ichform schreiben. Mit allen Orten an denen Maik und Tschick gewesen sind, natürlich in der richtigen Reihenfolge.

    Ich musste ihr also helfen und hab das Buch dann auch nochmal gelesen und ganz vergessen, wie fantastisch dieses Buch doch ist.


    Ich liebe alles an dieser Geschichte:

    Die Reise die Maik und Tschick unternehmen, den Blödsinn den sie dabei anstellen. Die Menschen die sie kennenlernen und die Erkenntnisse die sie dabei gewinnen.

    Ich liebe diese lockere, jugendliche Sprache, die aber nie zu aufgesetzt klingt.

    Maiks Beschreibungen von Land und Leute, die immer treffsicher und mega bildhaft sind, aber auch oft nicht sehr schmeichelhaft.

    Ich liebe den Humor, die Dialoge und auch die ernsthaften Stellen. Maiks lockeren unaufgeregten Plauderton, in den er seine Geschichte erzählt. Das war eine gute Idee das Buch nochmal zu lesen.

    Selten freue ich mich so über die Hausaufgaben meiner Kinder. :herz:

    Lesen ist die schönste Brücke zu meinen Wunschträumen.