Blanca Busquets - Die Woll-Lust der Maria Dolors

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    Inhalt
    Schweigend sitzt Dolors in der Wohnung ihrer Tochter Leonor und strickt. Dabei möchte sie gar nicht schweigen, aber ein Schlaganfall hat ihr die Sprechfähigkeit genommen. Aber einen Vorteil hat ihre erzwungene Passivität: alle denken, Dolors kann so wenig hören wie sie sprechen kann. So bekommt die alte Dame einiges mit, was vielleicht besser verborgen geblieben wäre. Doch auch Dolors hat ihre dunklen Seiten, die sie nach und nach mit dem Leser teilt.


    Meine Meinung
    Ich stehe dem Buch etwas zwiegespalten gegenüber. Auf der einen Seite ist es natürlich aufregend, in einer scheinbar normalen Familie Mäuschen zu spielen, auf der anderen Seite haben mich manche Ansichten von Dolors etwas entsetzt.


    Doch kommen wir zunächst zu den guten Seiten des Buches. Die Familie von Leonor (bestehend aus ihr selbst, ihrem Ehemann Jofre und den Kindern Marti und Sandra) nimmt die nach einem Schlaganfall stumme Großmutter Dolors auf. Aus deren Sicht werden die Vorgänge in der Fmilie erzählt, immer wieder unterbrochen durch ihre Erinnerungen an die Vergangenheit. Jedes Familienmitglied hat seine Geheimnisse, die man nach und nach erfährt. Man bekommt immer nur kleine Häppchen vorgeworfen, so dass man als Leser geradezu gezwungen wird, "noch ein bisschen weiter" zu lesen, wenn man mehr erfahren möchte.


    Bei den Geheimnissen handelt es sich durchaus nicht (nur) um Lappalien, sondern größtenteils um ziemlich heftige Probleme. Ohne jetzt zuviel verraten zu wollen, kann ich wohl sagen, dass manche Geheimnisse sich im verbrecherischen Sektor bewegen und es sich nicht nur um "Gentleman-Delikte" handelt.
    Hinzu kommt noch, dass in der Familie alle ein ziemlich gestörtes Verhältnis zueinander haben. Vater Jofre hält sich für unfehlbar und unterdrückt seine Frau Leonor, die sich das gefallen lässt. Sie lebt nach dem Motto: "Was ich nicht wissen will, existiert auch nicht" und geht allen Problemen aus dem Weg. Dass sie damit ihre Kinder, besonders die sensible Sandra, verletzt, bemerkt sie nicht.
    Ich persönlich hatte ein eher lustiges Buch über die vielen kleinen Geheimnisse einer normalen Familie erwartet. Es geht aber um wirklich ernste Dinge, die teilweise nicht mehr zum Lachen sind. An sich gefällt mir das ganz gut, aber einige Bemerkungen oder Handlungen von Dolors fand ich extrem unangemessen und kaltherzig.
    Achtung, echter Spoiler!

    Hinzu kommt noch, dass sie eigentlich alle Menschen, die nicht so sind wie sie, für dumm und anstrengend hält, allen voran ihre Tochter Leonor (okay, sie ist auch ziemlich verkorkst, aber vielleicht liegt das an der Erziehung?). An einigen Stellen konnte ich mich über Dolors` Verhalten einfach nur aufregen, ansonsten kam ich aber ganz gut mit ihr zurecht.


    Insgesamt würde ich trotzdem 3ratten vergeben, denn die Handlung an sich hat mir sehr gut gefallen, gerade weil sie ernster war als erwartet. Schön fand ich auch die Verknüpfung zwischen Gegenwart und Vergangenheit sowie das tolle Ende (damit meine ich den letzten Satz).

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

    Einmal editiert, zuletzt von mondy ()

  • Blanca Busquets – Die Woll-Lust der Maria Dolors


    Inhalt:


    Maria Dolors ist 85 Jahre alt und lebt seit einem Schlaganfall bei ihrer Tochter Leonor und deren Familie. Wegen des Schlaganfalls kann sie nicht mehr sprechen, doch arbeiten sowohl ihr scharfer Verstand als auch ihr Gehör nach wie vor ausgezeichnet. Leider will das der Großteil ihrer Verwandten nicht einsehen, so dass sie meist behandelt wird, als sei sie nicht nur stumm, sondern auch taub und nicht mehr bei klarem Verstand. Doch dies ist ihr mittlerweile ganz recht, denn so bekommt sie sehr viel von dem mit, was in der Familie vor sich geht, da ihre Lieben es nicht als notwendig erachten, ihre Geheimnisse vor der alten Dame zu verbergen.


    Dolors hat einen Plan: sie möchte ihre 16-jährigen Enkelin Sandra mit einem wunderschönen, selbstgestrickten Pullover überraschen. Dieser Plan und die unbändige Lust auf das Stricken, die sie daraufhin befällt, geben Dolors einen neuen Sinn im Leben und ein neues Ziel. Während sie mit der Herstellung des hübschen Kleidungsstückes beschäftigt ist, erfährt sie ganz nebenbei zahlreiche Geheimnisse, die ihre Familienmitglieder voreinander hegen und lässt zudem ihr eigenes, ereignisreiches Leben nochmals Revue passieren…


    Meine Eindrücke:


    Maria Dolors habe ich mit ihrer direkten, resoluten Art sofort in mein Herz geschlossen. Deshalb hat es mir großen Spaß gemacht, nach und nach den Geheimnissen und Ereignissen in ihrem Leben auf den Grund zu gehen. Und sie blickt wahrlich auf ein bewegtes und aufregendes Leben zurück, denn sie hat jede Minute davon voll ausgekostet. Dabei hat sie sich allerdings nicht immer gesellschaftskonform verhalten und insbesondere die starren gesellschaftlichen Benimmregeln für die Angehörigen der Oberschicht in ihrer Zeit hat sie nicht immer befolgt…


    Für ihre Zeit ist Dolors eine bewundernswert selbstbewusste Frau, die stets genau weiß, was sie will und was nicht. Sie hat eine große Vorliebe für Bücher, für die Philosophie und alles Geisteswissenschaftliche, weshalb ich einfach nicht umhin konnte, sie sympathisch zu finden. Und das, obwohl sie alles andere als ein Engel ist. So behandelt sie ihre Pflegekraft Fuensanta beispielsweise nicht gerade mit Samthandschuhen, so dass die Bedienstete sehr unter ihr zu leiden hat. Auch gibt es in ihrem Leben ein Geheimnis, das ich so keinesfalls erwartet hätte und das mich folglich auch ziemlich erschüttert hat. Allerdings muss ich auch anmerken, dass ich diese Tat von Maria Dolors niemals erwartet hätte und somit auch etwas unglaubwürdig fand.


    Interessant ist auch ihr Verhältnis zu ihren Töchtern Teresa und Leonor, wobei sie erstere eindeutig bevorzugt, da sie genau wie ihre Mutter ein sehr unabhängiger, starker Charakter ist. Leonor dagegen ist sehr devot gegenüber ihrem Ehemann Jofre, den sie richtiggehend vergöttert. Dolors ist entsetzt über die Naivität und Ignoranz ihrer jüngeren Tochter und wird nicht müde, sich in Gedanken darüber zu beschweren. Leonor geht allen Problemen – und davon gibt es in dieser Familie mehr als genug – am liebsten aus dem Weg und betrachtet die Welt zumeist durch eine rosarote Brille. Auch die Probleme ihrer Kinder spielt sie lieber herunter, als sich ihnen zu stellen. Trotz dieser Eigenschaften hätte ich mir von Dolors aber gewünscht, dass sie ihrer jüngeren Tochter etwas mehr Mutterliebe entgegenbringt.


    Ihren Schwiegersohn Jofre kann Dolors nicht ausstehen, denn sie wird das Gefühl nicht los, dass er ihre Tochter nur ausnutzt und sie zudem noch schlecht behandelt. Und Jofres Geheimnis, dem sie auf die Spur kommt, trägt nicht gerade dazu bei, Sympathien für ihn bei seiner Schwiegermutter zu wecken.


    Sorgen bereitet ihr ihre hochsensible Enkelin Sandra, die nur sehr schwer mit ihrer Pubertät und dem Erwachsenwerden zurechtkommt und unter den familiären Verhältnissen sehr zu leiden scheint. Ihr Liebling in der Familie ist ihr Enkel Martí, der sie als einziges als vollwertiges Familienmitglied behandelt und ihr als Informatikstudent sogar den Umgang mit dem Computer nahebringen möchte, was ihm allerdings nicht so ganz gelingt. Allerdings hat auch er ein Geheimnis, das ihm Probleme mit seinem Vater einbringen könnte.


    Das Buch punktet mit seinen sorgfältig und mit Liebe zum Detail ausgearbeiteten Charakteren, wobei ich mich doch ein wenig daran gestört habe, dass einige von ihnen ein wenig zu stereotyp für meinen Geschmack geraten sind. So ist Jofre zum Beispiel durch und durch ein Ekel – hier hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin auch ihm ein paar positive Eigenschaften zugesteht, um ihn noch ein wenig vielschichtiger zu gestalten. Dolors ist dagegen gut gelungen, sie ist eine sehr starke Persönlichkeit mit zahlreichen guten Seiten, doch weist sie auch ein paar eindeutige Schattenseiten auf. So ist sie beispielsweise recht intolerant gegenüber anderen Denk- und Lebensweisen, mit denen sie sich nicht identifizieren kann.


    Der Schreibstil ist recht einfach gehalten und lässt sich somit leicht und flüssig lesen.
    Es fiel mir schwer, das Buch zwischendurch aus der Hand zu legen, da ich stets gespannt darauf war, immer mehr Geheimnisse und Enthüllungen über die Familie offenbart zu bekommen. Die Geschehnisse in der Gegenwart und die Erinnerungen an frühere Ereignisse gehen in Dolors Gedankenwelt fließend ineinander über, oftmals erinnert sie sich aufgrund einer gegenwärtigen Begebenheit an Episoden aus ihrem früheren Leben. Dies fand ich sehr gelungen, da hier oftmals auch Verbindungen zwischen früher und heute aufgegriffen werden. Das Buch ist – bis auf den Epilog – aus der Sicht von Dolors geschrieben, was einen umfassenden Einblick in ihre Gedankenwelt ermöglicht.


    Ein Wermutstropfen ist die fast schon unrealistische Fülle an Problemen, mit denen diese scheinbar ganz normale Familie zu kämpfen hat. Insbesondere zum Schluss hin erschienen mir hier manche Sachen ein wenig zu dick aufgetragen und ich konnte das eine oder andere Mal nur noch den Kopf schütteln.


    Dennoch halte ich das Buch für lesenswert, da die Perspektive der stummen Großmutter recht außergewöhnlich und interessant ist, zumal das Buch sehr kurzweilig ist und sich zügig und flüssig lesen lässt.


    3ratten

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen

  • Nach einem Schlaganfall kann die 85-jährige Maria Dolors nicht mehr sprechen. Sie wohnt bei der Familie ihrer jüngeren Tochter, wo sich ihr so manches Geheimnis offenbart, da keiner sich die Mühe macht, etwas vor ihr zu verbergen. Man ist ja der Meinung, dass sie sowieso nichts mehr mitbekommt. Doch geistig ist Dolors noch relativ fit und hören kann sie auch noch sehr gut. So macht sie sich ihre eigenen Gedanken zu den Geschehnissen um sie herum. Da ist ihre Enkelin Sandra, die ihren Freund Jaume mit nach Hause bringt und in ihrem Zimmer Sex mit ihm hat. Das gefällt der Oma, denn früher war es bei ihr doch genau so. Sie hat eine erstaunlich unkomplizierte Einstellung zur Sexualität. Auch die Homosexualität ihrer älteren Tochter bereitet ihr keine Probleme. Lediglich, dass der Schwiegersohn anscheinend eine Geliebte hat, findet sie gar nicht gut, aber den kann sie sowieso nicht leiden.


    Den Titel kann man durchaus zweideutig sehen. Zwar strickt Dolors einen Pulli für Sandra, doch hat die Geschichte auch viel mit Sexualität zu tun. Und so wie der Pulli langsam Formen annimmt, entwickelt sich auch die Geschichte weiter. Dolors ist eine sehr sympathische Figur. Sie erinnert mich sehr an meine eigenen Großeltern. Wo die Eltern sich Sorgen machen oder schimpfen, können Großeltern alles viel gelassener sehen. Dabei hat die abgeklärte Dolors einen wesentlich besseren Überblick, was sich in der Familie tut, als all die anderen Personen, die doch sehr auf sich selbst fixiert sind. Blanca Busquets gewährt dem Leser Einblick in Dolors‘ Gedanken, denn aus deren Sicht ist das Buch geschrieben, und zwar in der 3. Person. Dolors blickt immer wieder in die Vergangenheit zurück, sodass nach und nach ihre eigene Geschichte offen gelegt wird. Dabei springt sie nahtlos zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, ohne spezielle Absätze oder Überleitungen. Doch ist das kein Problem, man erkennt beim Lesen sofort, wo man sich gerade befindet. Auf diese Weise werden die Leben der drei Generationen eng miteinander verstrickt. Busquets erzählt, wie die Gesellschaft sich im Laufe der Zeit verändert hat (nicht immer zum Guten), doch manche Dinge ändern sich nie.


    Bei den Vorkommnissen übertreibt die Autorin für meinen Geschmack ein wenig. Da sind plötzlich alle homosexuell, magersüchtig oder betrügen den Gatten / die Gattin. Doch Dolors eigenes Geheimnis hat mich doch sehr überrascht. Da es ganz schön turbulent zugeht, ist das Buch sehr unterhaltsam, dabei aber auch tiefgründig und lebensklug.


    4ratten