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Antonia Michaelis, Der Märchenerzähler
Oetinger 2011, 16,95
Ich hatte zum falschen Buch gegriffen... ich hatte zuerst "Oksa Pollock" angefangen, aber ab Seite 180 ging sie mir auf die Nerven, ab Seite 230 wollte ich sie würgen.
Dabei lag "Der Märchenerzähler" von Antonia Michaelis genau darunter auf dem Stapel. Schon letztes Jahr war "Die geheime Reise der Mariposa" mein Herbst-Favorit unter den Kinderbüchern; diese hier ist aber meines Erachtens noch besser. Dabei kommt es recht unscheinbar daher.
Anna ist 17 und steht kurz vor dem Abitur, als sie sich in Abel verliebt, den die Mitschüler nur beim Nachnamen kennen. Er vertickt Partydrogen an ihrer Schule und fehlt oft im Unterricht. Ist er anwesend, schläft er meistens. Er fällt kaum auf, keiner kümmert sich um ihn. Anna aber beginnt, sich für ihn zu interessieren, ihm zu folgen und findet heraus, dass er in einer Sozialbauwohnung haust und sich allein um seine 6jährige Halbschwester Micha kümmert. Für sie tut er alles, für sie stellt er sein ganzes Leben zurück, obwohl er durchaus Träume für die Zukunft hat.
Die Mutter ist nicht da, "verreist", schon länger.
Anna und Abel beginnen, Zeit miteinander zu verbringen, im Februar am Ostseestrand, Micha immer mit dabei. fast wie eine kleine Familie. Es ist ein harter Winter und die Natur spielt eine wichtige Rolle. Abel erzählt in Etappen ein Märchen, von der kleinen Königin mit dem diamatenen Herzen auf der Flucht über das Meer, verfolgt vom schwarzen Schiff, das immer näher kommt...
Doch dann taucht Michas Vater auf und will das Kind wieder zu sich nehmen. Und das Sozialamt will dringend mit Abels Mutter sprechen. Das Netz zieht sich enger um Micha und Abel, obwohl Abel verzweifelt darum kämpft, seine Normalität aufrecht zu erhalten. Wenig später findet man Michas Vater tot nach einer Kneipenschlägerei und Anna will nicht wahrhaben, was am offensichtlichsten ist...
Die Geschichte ist sehr geschickt aufgebaut worden. Zu Beginn würde man nie glauben, was einen noch alles erwartet. Was sich am Anfang als Liebesgeschichte zwischen zwei ungleichen Abiturienten tarnt, wird zum spannenden Thriller mit unerwarteten Wendungen. Man (jedenfalls ich) bliebt bis zum Ende im Unklaren über Opfer und Täter, Schuld und Unschuld. Eingewoben ist das von Abel über das ganze Buch hinweg erzählte Märchen von der kleinen Königin. Jede wichtige Person, die in Annas und Abels Leben vorkommt, nimmt eine Rolle im Märchen ein, in anderer Gestalt. Im Märchen wird die Flucht wiedergespiegelt, auf der sich Abel und Micha befinden und genauso bedrohlich wie im Leben wird es auch im Märchen...
Alle Charaktere sind glaubhaft und sich selbst treu, richtige Persönlichkeiten, keine Stereotypen. Zu Beginn ist der Erzählton noch heiter, er wird mit Verlauf des Buches ernster, weil auch die Geschehnisse ernster werden. Der Inhalt ist gut aufgebaut, klug durchdacht, immer einleuchtend und trotzdem spannend und stringuent erzählt.
Antonia Michaelis hat einen Jugendroman vorgelegt, der sich messen kann mit den Thrillern für die "Großen". Der Verlag empfiehlt ihn allerdings ab 12, was ich für einen Fehlgriff halte. Nicht von der Textmenge her (gute 440 Seiten), die schafft ein viellesender 12jähriger, aber es gibt harte Szenen, Blut & Sex. Da aber ein Großteil des Buches sich um junge Leute dreht, die kurz vor dem Abi stehen, ist es für Ältere & Erwachsene bestimmt interessanter als für Jugendlich ab 12.
Alles in allem von mir ganz sichere