John Lanchester - Kapital

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    Inhalt
    In der Pepys Road (London) leben die unterschiedlichsten Leute. Da wäre zum Beispiel der Banker Roger mit seiner Familie, die alle gespannt auf den diesjährigen Bonus des Familienoberhauptes warten. Oder die Rentnerin Petunia, die unter plötzlichen Schwächeanfällen leidet und die Welt wie durch Glas beobachtet. Oder der Ladeninhaber Ahmed Kamal, in dessen Haus immer Trubel herrscht. Oder ein polnischer Handwerker, eine afrikanische Politesse, ein aufstrebender Fußballstar. Sie (und andere) haben wenig gemeinsam, außer dass sie alle in der Pepys Road unterwegs sind. Und dass sie geheimnisvolle Postkarten erhalten, auf denen nur ein einziger Satz zu lesen ist: "Wir wollen was ihr habt".


    Meine Meinung
    Der Aufbau des Buches hat mich wirklich begeistert. Jedes Kapitel erzählt von einer anderen Person, man kehrt immer wieder zu ihnen zurück und irgendwann ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild. Dabei geht es um die unterschiedlichsten Charaktere, von einer illegal arbeitenden Afrikanerin über einen eigenwilligen Künstler bis hin zu einem vermögenden Banker ist wirklich alles dabei. Nicht jeder wohnt direkt in der Pepys Road, aber jeder hat etwas damit zu tun und so ergeben sich die Verbindungen. Sie treffen sich auf der Straße oder haben nur voneinander gehört.


    Ich finde solche Konstellationen klasse ... lose miteinander verknüpfte Geschichten, die jede für sich ein Buch füllen könnte. Man erfährt natürlich nicht alles über die jeweiligen Charaktere, sondern nur, was sich gerade ereignet. Bereits Vergangenes bekommt man über die Gedanken der Personen mit. Aber dennoch weiß man genug über jeden, um sich ein Bild machen zu können.
    Der Autor schafft es zudem, die verschiedenen Charaktere völlig wertfrei darzustellen. Man taucht in die Gedankenwelt der jeweiligen Person ein und erlebt direkt mit, was sie erlebt und was sie denkt. Die Frau des Bankers fühlt sich z.B. völlig überfordert von ihrem Alltag, der daraus besteht, shoppen zu gehen und sich zu schminken. Als Leser schüttelt man den Kopf. Für sie jedoch ist es in diesem Moment wirklich so und der Autor stellt ihre Gedanken und Gefühle ohne Wertung dar.


    Verknüpft werden die einzelnen Personen außerdem noch durch die geheimnisvollen Postkarten. Zunächst tauchen sie nur am Rande auf, aber mit der Zeit werden sie immer aufdringlicher und aggressiver. Dadurch wird die Stimmung automatisch beklemmender und etwa zur gleichen Zeit verändert sich auch das Leben einzelner Charaktere. Ist am Anfang noch alles hoffnungsfroh, so sieht es zwischenzeitlich ziemlich düster aus. Wer am Schluss sein Glück findet, lasse ich jetzt mal offen, aber soviel sei verraten: kaum einer führt sein Leben so weiter wie zu Beginn.


    Bei einer so großen Anzahl an Geschichten findet man natürlich einige interessanter als die anderen. Es werden ja auch so viele Themen angesprochen (z.B. Asylbewerber, übertriebender Reichtum, Umgang mit dem Tod, Terrorismus, ...). Die Geschichte des Fußballstars fand ich z.B. weniger spannend, dafür habe ich andere Geschichten mit dauerhaften Interesse verfolgt. Dadurch ergeben sich zwangsläufig einige Teile, die ich ein bisschen langweilig fand.
    Auch bevor plötzlich alles drunter und drüber geht, ist eine kleine Durststrecke zu bemerken. Die Charaktere sind eingeführt, jetzt könnte es losgehen. Aber erstmal passiert nicht viel. Für meinen Geschmack etwas zu wenig.


    Insgesamt konnte das Buch mich aber immer bei der Stange halten und ich habe es mit Genuss gelesen. Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, in der die verschiedensten Personen miteinander leben, ohne wirklich Notiz voneinander zu nehmen. Jeder hat seine eigene Geschichte, ohne die seines Nachbarn zu kennen. Man mag das jetzt finden, wie man will ... das Buch ist auf jeden Fall einen Blick wert. Oder auch zwei.
    4ratten

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Ich fand die Leseprobe damals sehr spannend und die Rezi macht erst recht Lust aufs Lesen.
    Danke! :winken:

  • Der Titel und das Cover hätten mich nie angesprochen, aber was du jetzt geschrieben hast, hat mich richtig
    neugierig gemacht.
    Danke! :smile:

    🐌

  • :redface: Danke, immer wieder gerne.
    Das Cover sieht auf den ersten Blick wirklich etwas langweilig aus, aber wenn man es länger betrachtet, fallen einem doch einige besondere Details auf. Ich persönlich finde es sehr schön und es passt super zum Inhalt: erst bei genauerer Betrachtung kommen die Feinheiten zum Ausdruck.

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Ich hätte vom Titel her auf einen Wirtschaftsthriller getippt *brrrr* :breitgrins: Das klingt aber gar nicht schlecht. Ich mag es, wenn eine Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt wird (und erst recht, wenn die Erzählstimmen alle glaubwürdig rüberkommen).

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • :breitgrins: Ja, der Titel ist etwas irreführend. Der Originaltitel lautet "Capital", was ja neben "Kapital" auch "Hauptstadt" heißt. Da zeigt sich wieder mal, dass Originaltitel manchmal mehr Tiefgang haben als übersetzte Titel.

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Ich habe die ersten 100 Seiten gelesen und schon ganz viele Figuren kennen gelernt. Mein Lieblingscharakter ist die alte Dame, sie mag ich sehr gerne, hoffentlich verschlechtert sich ihr Zustand nicht! Nun bin ich aber gespannt, was es mit diesen seltsamen Postkarten auf sich hat!

    //Grösser ist doof//

  • Das Buch liest sich schwupp-di-wupp, bin überrascht, wie rasch ich vorankomme. Toll finde ich Lanchesters Gespür für das Feine, das Zwischenmenschliche. Er kann alle Personen so toll beschreiben, sie alle sind einzigartig und haben ihre individuellen Charakterzüge. Das Buch ist wirklich herrlich zu lesen.

    //Grösser ist doof//

  • Interessant: Das Buch fesselt mich, ohne dass ich es merke. Nur dann, wenn ich plötzlich denke "Super, dieses Buch!", merke ich, wie sehr es mir gefällt.

    //Grösser ist doof//


  • :breitgrins: Ja, der Titel ist etwas irreführend. Der Originaltitel lautet "Capital", was ja neben "Kapital" auch "Hauptstadt" heißt. Da zeigt sich wieder mal, dass Originaltitel manchmal mehr Tiefgang haben als übersetzte Titel.


    Nach dem, was ich hier über dieses Buch gelesen habe, hat das mit "Kapital" im Sinn von Geld doch gar nichts zu tun. Man sollte meinen, dass sich die Leute im Verlag mehr Gedanken über einen Titel machen. Schließlich spielt er eine wesentliche Rolle, wenn man spontan entscheidet, ob man ein unbekanntes Buch in die Hand nimmt oder nicht. Vom Titel her wäre ich überhaupt nicht interessiert, inhaltlich aber wiederum sehr.

  • Nach dem, was ich hier über dieses Buch gelesen habe, hat das mit "Kapital" im Sinn von Geld doch gar nichts zu tun. Man sollte meinen, dass sich die Leute im Verlag mehr Gedanken über einen Titel machen. Schließlich spielt er eine wesentliche Rolle, wenn man spontan entscheidet, ob man ein unbekanntes Buch in die Hand nimmt oder nicht. Vom Titel her wäre ich überhaupt nicht interessiert, inhaltlich aber wiederum sehr.


    Naja, teilweise geht es schon um Geld und um die Finanzkrise im allgemeinen. Insgesamt geht es aber mehr um die Gesellschaft, ein anderer Titel wäre bestimmt nicht schlecht gewesen.

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Geld spielt ja auch eine gewichtige Rolle in der Gesellschaft. Ich werde mir irgendwann selbst einen Eindruck von dem Buch verschaffen. Erst kürzlich hatte ich es in der Bücherei in der Hand und habe mal reingelesen. Da waren aber noch zu viele ungelesene Leihbücher Zuhause.

  • Ich bin zwar noch nicht so weit, aber ich finde, das Geld spielt in diesem Buch eine ziemliche Rolle. Vielleicht keine aktive, aber der Lebensstandart nimmt eine zentrale Rolle für die Figuren ein. Zumindest scheint es mir so.

    //Grösser ist doof//

  • Inhalt:


    Die Pepys Road in London scheint wie jede normale Strasse in London zu sein. Die Bewohner gehen ihren Berufen nach, pflegen ihre Hobbys oder ihre Familienstreitigkeiten. Dann jedoch beginnt jemand, den Bewohnern seltsame Postkarten zuzuschicken. Die Botschaft: "Wir wollen, was ihr habt"...


    Meine Meinung:


    John Lanchesters "Kapital" ist kein Buch, das man einfach mal so in der Tasche mit sich rumträgt. Das Buch legt einen ziemlichen Umfang an den Tag und ist dementsprechend schwer. Umso überraschter war ich, als das Buch plötzlich zu Ende war. Hatte ich da gerade 700 Seiten gelesen? So kam es mir gar nicht vor...


    Der Autor hat das Talent, Geschichten zu erzählen. In "Kapital" geht es hauptsächlich um die Figuren und obwohl davon so einige vorkommen, so hat man nicht das Gefühl, sich zu verzetteln. Eher kommt es einem vor, als seien sie Teil eines grossen Bekanntenkreises. Man freut sich, etwas mit ihnen zu unternehmen oder ihren Kummer zu teilen. Dann trifft man sich mit jemand anderem und freut sich ebenso sehr, diese Person wiederzutreffen.


    Während die Figuren also ihren eigenen Geschichten nachhetzen und sie immer wieder diese seltsamen Postkarten erhalten, summt ein stetiger leichter Ton im Hintergrund. Schliesslich heisst das Buch nicht einfach so "Kapital". Denn das Geld spielt hier eine gewisse Rolle. Sie drängt sich nicht auf, aber mehr und mehr merkt man, wie manche davon eingenommen sind, wie das Geld Möglichkeiten schafft oder sie zerstört. Ein Abbild unseres eigenen Alltages.


    Es ist spannend und fesselnd, den Personen zu folgen und zu beobachten, wohin sie das Leben treibt. Manche begenen sich, manche streifen sich nur. Ausserdem fragt man sich immer wieder, was es mit den Botschaften der Karten auf sich hat. "Kapital" ist kein Buch in welchem es donnert und Paukenschläge regnet, es ist eines jener ruhigen Gewässer, die wahnsinnig tief sein können. Seid also darauf gefasst, wenn ihr eure Füsse ins Wasser streckt!


    Fazit:


    Eine wundervolle Geschichte, die mich von Anfang an mitgerissen hat. Ich konnte in die Stimmung und Stimmungen abtauchen und alles andere vergessen. Oft erinnerte mich das Buch an Rowlings "Ein plötzlicher Todesfall", nur etwas weniger dramatisch. Also ich fands toll!


    5ratten

    //Grösser ist doof//

  • Ich ärgere mich gerade, dass ich das Buch neulich nicht mitgenommen habe :wand:. Spätestens jetzt ist mir mehr als klar, dass ich es lesen muss.

  • Eigentlich muss man ja nichts lesen, aber ich bin froh, dass ich mich nach anfänglichem Zögern doch noch dazu entschieden habe, es zu lesen :winken:

    //Grösser ist doof//

  • Schon seit der Buchmesse in Frankfurt im letzten Jahr begegnet mir das Buch regelmäßig, als wolle es zu mir sagen: Nun greif doch endlich zu!


    Ich habe schon viele positive Stimmen darüber gehört, aber was mich bisher regelrecht abgeschreckt hat ist diese Aussage, die ich auch schon ganz oft über das Buch gehört habe:


    Oft erinnerte mich das Buch an Rowlings "Ein plötzlicher Todesfall"


    Denn mit "Ein plötzlicher Todesfall" bin ich ja überhaupt nicht warm geworden :sauer:
    Aber im Moment bin ich stark am Überlegen, ob ich dem Buch nicht doch eine Chance gebe.

  • Was es denn etwas Bestimmtes, das dich nicht mit dem Todesfall warm werden liess? Mich erinnerte es deswegen an Rowling, weil hier eben auch verschiedene Personen in ihrem Alltag und ihrem Leben aufgezeigt werden. Ich muss jedoch zugeben, dass mir "Kapital" etwas besser gefallen hat, da es hier Positives und Negatives gibt, wie im richtigen Leben. Bei Rowling dominierte (zumindest erinnere ich mich so daran) das Negative.

    //Grösser ist doof//


  • Was es denn etwas Bestimmtes, das dich nicht mit dem Todesfall warm werden liess? Mich erinnerte es deswegen an Rowling, weil hier eben auch verschiedene Personen in ihrem Alltag und ihrem Leben aufgezeigt werden. Ich muss jedoch zugeben, dass mir "Kapital" etwas besser gefallen hat, da es hier Positives und Negatives gibt, wie im richtigen Leben. Bei Rowling dominierte (zumindest erinnere ich mich so daran) das Negative.


    Da muss ich mich mal einmischen und Jaris Beitrag unterschreiben.
    Ich hab Kapital Ende letzten Jahrers gelesen und es war eines der besten Bücher des Jahres. Es hat mir unheimlich gut gefallen, das Leben der verschiedenen Personen zu verfolgen, weil jede von ihnen interessant war und selbst der Alltag toll beschrieben wurde.
    A Casual Vacancy habe ich dieses Jahr gelesen und es hat mich von der Art her auch direkt an Kapital erinnert - wobei ich hier etwas gebraucht habe, bis ich ins Buch rein fand, das ging bei Kapital schneller.
    Und auch mir hat Kapital noch besser gefallen als der plötzliche Todesfall.


  • Was es denn etwas Bestimmtes, das dich nicht mit dem Todesfall warm werden liess?


    Erzählstil fand ich bei Rowling super, Einführung der Personen und der Aufbau des Geflechts, das die einzelnen Personen verbindet, ebenfalls genial dargestellt.


    Ich kopier mal, was ich im Rowling-Thread an Kritik abgegeben habe:


    "So interessant am Anfang die Erkundung der Einwohner Pagfords und ihre Verstrickungen waren - nach einer Weile hat mir nicht mehr ausgereicht, immer wieder ein Teilchen des großen und ganzen Pagford-Puzzles vorgelegt zu bekommen.
    Mir hat einfach die echte Spannung gefehlt.


    Unter dem Aspekt Milieustudie / Sozialstudie / Gesellschaftsstudie sicher eine solide und authentische Geschichte, aber der Lesespaß ist bei mir nach anfänglichem Interesse stark abgeflacht."