Dave Eggers - Der Circle

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  • Dave Eggers - Der Circle


    Verlag: Kiepenheuer & Witsch
    Erstausgabe (D): 2014
    Seiten: 560
    Ausgabe: Gebundene Ausgabe
    Originaltitel: The Ci: 2013


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    Klappentext:


    Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim »Circle«, einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien, der die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt hat, indem er alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann. Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz – so ein Ziel der »drei Weisen«, die den Konzern leiten – wird es keinen Schmutz mehr geben im Internet und auch keine Kriminalität. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, wo Sterneköche kostenlose Mahlzeiten für die Mitarbeiter kreieren, wo internationale Popstars Gratis-Konzerte geben und fast jeden Abend coole Partys gefeiert werden. Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterin und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles … Mit seinem neuen Roman »Der Circle« hat Dave Eggers ein packendes Buch über eine bestürzend nahe Zukunft geschrieben, einen Thriller, der uns ganz neu über die Bedeutung von Privatsphäre, Demokratie und Öffentlichkeit nachdenken und den Wunsch aufkommen lässt, die Welt und das Netz mögen uns bitte manchmal vergessen.


    [hr]


    Meine Meinung:


    Dave Eggers ist Gründer von McSweeney's, einem unabhängigen Verlag in San Francisco, der nicht nur Bücher veröffentlicht, sondern auch Zeitschriften und Magazine. Darunter "The Believer" und "Voice of Witness", die es sich zum Ziel gemacht haben, Zeitzeugen über Gefährdungen der Menschenrechte weltweit berichten zu lassen. Eggers hat ebenfalls "826 Valencia" gegründet, ein gemeinnütziges Schreib- und Förderzentrum für Jugendliche. Mit Preisen wurde der Autor inzwischen überschüttet.


    Die ZEIT bezeichnet "Der Circle" als "zornig" und "das '1984' fürs Internetzeitalter, während der Tagesspiegel das Buch als "Roman für analoge Anachronisten und Internet-Hasser" tituliert. Die FAZ ist begeistert, netzpolitik.org das Gegenteil. Was also ist dran an diesem Buch? Vermutlich kann ich dafür auch keine Antwort liefern, denn ich bin hin- und hergerissen.


    Die 24-jährige Mae Holland kann ihr Glück kaum fassen. Ihrer Freundin Annie verdankt sie eine Stelle in dem renommiertesten Internetunternehmen der Welt: Dem "Circle". Keine mit Jute verkleidete Arbeitsbox mehr, sondern Yoga- und Meditation im Unternehmensgarten. Abendliche Teamevents und mit den Kollegen feiern. Es ist offensichtlich, dass der Circle neben einer großen Marktmacht auch noch ein anderes Ziel hat: Hier sollen sich unsere Mitarbeiter wohl fühlen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird ein hohes Maß von zwischenmenschlichen Komponenten eingebracht. Die Menschen teilen ihr Leben miteinander, indem sie alle über Soziale Netzwerke an ihren Leben teilhaben lassen.


    Wie wäre die Welt, wenn es im Internet eine Klarnamenpflicht gäbe? Trolle hätten es dann schwer, der Umgang würde freundlicher, die Menschen glücklicher und zufriedener. Was, wenn man immer damit rechnen muss, dass eine Kamera das eigene Tun aufzeichnet? Würde man sich da nicht für sein Publikum "besser" verhalten? Sich zurückhalten? Wären dann vielleicht sogar Verbrechen seltener? Was, wenn man jederzeit über einen Chip erkennen könnte, wo sich ein Mensch gerade befindet? Eine Entführung wäre völlig sinnlos.


    Mae Holland lebt in einer phantastischen Welt. Der Circle hat die Vision, die Welt besser zu machen. Google, Facebook, Youtube, Twitter - all' diese Unternehmen sind nun unter einem Dach vereint. Man verwaltet nur noch einen Account für alles. Mae ist völlig überzeugt von dem Konzept, doch dann trifft sie auf einen geheimnisvollen Mann, der nicht ganz so transparent ist, wie es die Firmenphilosophie vorlebt. Was hat er zu verbergen?


    Ich hatte es schon erwähnt: Ich bin einerseits hingerissen von diesem Buch. Die Tendenzen, die sich hier abzeichnen, sind bereits jetzt schon zu erkennen und Dave Eggers versteht es, ein stimmungsvolles und besorgniserregendes Bild zu vermitteln. Ich hatte das Glück, vor einiger Zeit einen Vortrag von Daniel Domscheit-Berg zu hören. Der deutsche Informatiker, ist ehemaliger Sprecher der Enthüllungsplattform WikiLeaks und Gründer von OpenLeaks. Anhand von drei sehr eindrucksvollen Beispielen konnte er mich schnell davon überzeugen, dass es gar nicht so gut wäre, wenn alle Daten über jeden Menschen so transparent wären. Am erschütterndsten fand ich dabei seine Herleitung zum Dritten Reich: Mithilfe einer Volkszählung und umfangreichen Erfassung der Bevölkerungsdaten konnten Juden überhaupt erst identifiziert werden. Damals dachte noch niemand daran, dass die gesammelten Daten gegen eine ganze Menschengruppe verwendet werden könnte.


    Heutzutage teilen wir fast alles mit völlig Fremden: Urlaubsbilder, Bilder unserer Kinder, Gefühle wie Wut, Trauer oder Schmerz. Wir laden Nacktbilder in die Cloud hoch und wundern uns, dass diese in Umlauf geraten. Wir facebooken und twittern, wir sind süchtig nach Likes und machen uns immer transparenter und transparenter. Sobald man auf eine Nachricht länger als 30 Minuten nicht antwortet, machen sich "Freunde" Sorgen um einen. Es gibt viele, die davor warnen. Viele Menschen, denen Datenschutz und Diskretion wichtig ist. Und viele, die fragen: Warum? Ich habe doch nichts zu verbergen. Ich bin schließlich kein Verbrecher.


    Eggers bedient sich einiger Klischees und er mag es, Verschwörungstheorien mit seiner Geschichte zu verknüpfen (die Regierung betreffend). Leider zieht sich seine Geschichte manchmal wie Kaugummi, aber je mehr ich davon las, umso bedrückender wurde die Stimmung. Mae Holland ist euphorisch. Sie ist begeistert und begeisternd. Fast will man sich mitreißen lassen, doch dann wird man von einem anderen Gefühl überwältigt und man will sie nur noch wach rütteln. "Der Circle" wäre keine Dystopie, würde er ein positives Bild der Social-Network-Entwicklungen zeichnen.


    Hut ab, David Eggers, ein Buch, das mich nachdenklich machte über meine Social-Media-Aktivitäten. Vielleicht sollte doch nicht alles mit allen geteilt werden. Aber vielleicht sieht man manchmal die Welt auch einfach nur zu schwarz.


    4ratten & :marypipeshalbeprivatmaus:

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

    Einmal editiert, zuletzt von nimue ()

  • Toll! Danke, nimue! :winken:
    Ich war schon gespannt auf die erste Meinung hier. Das Buch wurde ja ziemlich gehypt und schlug schon vor der Veröffentlichung Wellen.

  • Was dieses Buch kaputtmacht, ist die Hauptfigur. Mir ist in Büchern bisher selten so eine Unsympathin begegnet. Eine Figur, die alles glaubt, was man ihr so erzählt, ohne je den eigenen Kopf einzuschalten. Sie lässt sich derart becirceln, dass sie nicht merkt, wie ihre Familie und ihre Freunde dem großen Kreis zum Opfer fallen. Sie ist nicht in der Lage, die eigenen Zweifel zu identifizieren und bekämpft diese mit noch mehr vom Circle, fast wie jemand, dem von Schokolade übel wird, aber statt die Finger von dem Süßzeug zu lassen, immer noch mehr in sich reinstopft.


    Die Handlung: Ja, beim Lesen bereitete sie mir etwas Unbehagen. Sind wir auf dem Weg in die schöne neue Circle-Welt? Keine Ahnung. Schon möglich.
    Stellenweise wird die Geschichte etwas überspitzt dargestellt und der Autor spart nicht mit Holzhammer-Metaphern (der Hai, also bitte!)


    Fazit: Lieber Glenn Greenwald lesen.


    2ratten


    ***
    Aeria

  • Ich habe das Buch gleich nach Erscheinen der deutschen Ausgabe gelesen, und ich war sehr enttäuscht davon.
    Nach den vielen Lobliedern (z.B. "das wichtigste Buch des Bücherherbstes" FAZ) hatte ich einen Roman mit mehr Tiefgang erwartet, und auch mit ausgereiften Protagonisten. Das Thema hat durchaus Potenzial, ausgeschöpft wurde es aber meiner Meinung nach nicht ansatzweise.


    Wie Aeria sehe auch ich den größten Schwachpunkt in der Hauptperson.
    Mae denkt und handelt ungefähr so selbstbestimmt wie ein Lemming, sie nimmt alles, was ihr innerhalb des Circle aufgetragen wird, ohne zu hinterfragen hin und führt es aus. Außerdem verfügt über unnatürlich wenig Empathie (Eltern, ehemaliger Freund).
    Auf mich wirkte Mae als Person vollständig unglaubwürdig. Sie zweifelt nicht, sie reflektiert nicht, sie ist einfach nur linear und eindimensional dargestellt.


    Ich hätte erwartet, daß aufgezeigt wird, wie es dazu kommt, daß sich ein Mensch oder auch die Mehrheit der Menschen im Netz gläsern machen und ihr Innerstes für jeden zugänglich machen. Das hat der Autor nicht geschafft, er hat es sogar meiner Meinung nach nicht einmal versucht.
    In der Geschichte werden die Menschen gläsern, weil der Circle es vorschreibt bzw. die Möglichkeit dazu gibt und mehr oder weniger sanften Druck ausübt.
    Mae folgt den Vorgaben wie ein Lämmchen der Herde.
    Wo wird hinterfragt, wo werden Vor- und Nachteile abgewogen, wo herrschen Zweifel? Und was bringt letztendlich den Anstoß, sich doch gläsern zu machen?
    Das alles fehlt mir in der Geschichte.
    Mae macht keine Entwicklung durch, sie steht der Idee des gläsernen Menschen schon von Beginn an positiv gegenüber.


    Die wenigen Antagonisten, die angeführt werden, setzen dieser positiven Darstellung nach meinem Empfinden auch nichts entgegen, weil die Geschehnisse um sie nach meinem Empfinden sehr übertrieben dargestellt sind.

    Zwei Extremfälle. Ein realitätsnäheres Aufzeigen der Gefahren und eine umfassendere Darlegung der Einstellung und der Argumente der Menschen, die sich dieses digitalen Wahnsinns nicht fügen möchten, wäre überzeugender gewesen.


    Abgesehen von der Hauptperson hatte ich noch mehr Kritikpunkte:
    die anderen flachen Figuren, eine Sprache ohne Tiefe, es wird ein Klischee nach dem anderen bedient....


    Manche Geschehnisse werden auch gut dargestellt, aber die kann man an einer Hand abzählen. Zum Beispiel wie Maes Eltern und ihr ehemaliger Freund genervt sind, als sie beim Essen permanent ihr Handy bedient.


    Insgesamt sehe ich nicht, daß der Roman die wichtige und aufklärerische Rolle einnimmt, die ihm durch die Presse zugeschrieben wird.
    Ich habe für das Buch nichts bezahlt. Hätte ich den hohen Preis für HC oder eBook gezahlt, hätte ich mich dieses mal unheimlich geärgert.
    Sonst hake ich das unter "Pech gehabt" ab, aber in diesem Fall wäre ich mir ein bisschen veralbert vorgekommen.


    Von mir leider nur 1ratten


    Gutes, aktuelles und brisantes Thema, leider mies umgesetzt.





    Heutzutage teilen wir fast alles mit völlig Fremden: Urlaubsbilder, Bilder unserer Kinder, Gefühle wie Wut, Trauer oder Schmerz. Wir laden Nacktbilder in die Cloud [...] Wir facebooken und twittern, wir sind süchtig nach Likes und machen uns immer transparenter und transparenter. Sobald man auf eine Nachricht länger als 30 Minuten nicht antwortet, machen sich "Freunde" Sorgen um einen.


    Machen "wir" das?
    Ich nicht, nicht eine einzige der genannten Aktivitäten.
    (Und ungelogen ALLE meiner engsten Freunde auch nicht)
    Weil ich keinen Sinn darin sehe.


    Deshalb hätte ich mir eine schlüssige Argumentationskette oder zumindest eine halbwegs glaubwürdige Wandlung der Hauptperson gewünscht, die mir aufzeigt, welchen Mehrwert mir solche Aktivitäten bringen.

  • Ich finde eure Meinungen dazu sehr interessant. Vor allem, was Mae betrifft. Ich fand sie auch unmöglich. Aber warum sollte ich sie auch mögen? Das lag gar nicht in der Absicht des Autors. Wäre sie reflektierender gewesen, dann hätte das Buch gar nicht diesen Verlauf nehmen können. Und gerade der hat mir so gut gefallen, denn



    Soll heißen: Mae musste diese Charakterzüge vorweisen, sonst hätte das ganze Buch meiner Meinung nach in dieser Form nicht funktioniert. Und da ich solche Menschen durchaus kenne, halte ich sie auch für recht authentisch.



    Wo wird hinterfragt, wo werden Vor- und Nachteile abgewogen, wo herrschen Zweifel? Und was bringt letztendlich den Anstoß, sich doch gläsern zu machen?
    Das alles fehlt mir in der Geschichte.


    Das ist es, was ich mochte: Der Autor überlässt es dem Leser, zu denken. Schlußfolgerungen zu ziehen, denn die Tendenzen sind doch jetzt bereits in vollem Gange. Internetsperren gibt es (Stichwort Kinderpornografie). Es gibt Überlegung zu mehr Überwachung, Kameras (Streetview) usw. Wir sind doch bereits auf dem Weg dahin - und wo sind die Zweifler? Sooooo wahnsinnig laut hört man die auch nicht, oder?





    Machen "wir" das?
    Ich nicht, nicht eine einzige der genannten Aktivitäten.
    (Und ungelogen ALLE meiner engsten Freunde auch nicht)
    Weil ich keinen Sinn darin sehe.


    Bist du auf Facebook? Falls ja, dann weißt du sicher, dass die meisten das tun. Ich arbeite in einem IT-Unternehmen. Die Cloud eines DER zentralen IT-Themen. In ein paar Jahren wird man kaum Alternativen mehr haben ;)
    Es gibt übrigens auch Menschen ohne Fernseher. Und ohne Smartphone. Aber trotzdem ist das in Zukunft die Ausnahme.



    Deshalb hätte ich mir eine schlüssige Argumentationskette oder zumindest eine halbwegs glaubwürdige Wandlung der Hauptperson gewünscht, die mir aufzeigt, welchen Mehrwert mir solche Aktivitäten bringen.


    Für mich war das schlüssig - hmmm.. aber vielleicht, weil ich ITlerin bin und mich sehr viel in sozialen Netzwerken bewege. Das Thema ist mir somit bekannt und generell lässt sich sagen: Das, was da beschrieben wird, ist höchstens noch zu 40% Dystopie.

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Danke für eure doch sehr unterschiedlichen Meinungen :winken:


    bisher kann ich nimue mehr folgen da ich auch viel auf fb, Twitter und so weiter unterwegs bin. Privatsphäre Fehlanzeige könnte man da sagen.


    Muss das Buch wohl selbst lesen :breitgrins:

  • Zum NSA-Überwachungs-Skandal hört man auch schon längst nichts mehr. Ich war neulich auf dem Barcamp in Stuttgart. Da wurde das Thema sogar von den ITlern ins Humorvolle gezogen im Sinne von "Die können sowieso alles mitlesen." Es gibt so gut wie keine Privatsphäre und die Protagonisten (die fand ich auch alle nicht so toll und tiefschürfend) sind da eher Beiwerk. Denn es geht in dem Buch um etwas ganz anderes. Heute hatte ich eine Mail mit folgendem Werbetext für das Buch "Sie kennen dich" von Markus Morgenroth in der Mailbox:


    Zitat

    Die Anzahl der Menschen, die mit unzähligen Geräten, wie Smartphones, Fitness-Armbänder, Kameras oder Smart Watches sich selbst vermessen und auf diese Weise sensible persönliche Daten erfassen, wächst rasant. Rund um die Uhr messen die Geräte eine enorme Anzahl von Parametern, unter anderem den Blutdruck, die Herzfrequenz, das Stresslevel, den Kalorienverbrauch, den Sauerstofflevel des Blutes, die Art und Dauer von sportlichen Aktivitäten, die Schlafdauer und ‑qualität, ja sogar wann, wie lange und wie oft wir Sex haben. Der Handel mit diesen Daten ist bereits ein riesiges Geschäft und wird in Zukunft stark zunehmen, denn mit den kürzlich von Apple vorgestellten Produkten ist der Trend der Selbstvermessung endgültig im Massenmarkt angekommen.


    Der Datenanalyst Markus Morgenroth warnt: „Dies ist eine äußerst beunruhigende Entwicklung, da den meisten Verbrauchern nicht bewusst ist, welche negativen Auswirkungen und Konsequenzen die Auswertung dieser sensiblen Daten, oft auch noch Jahre später, für den Einzelnen haben kann.“ Diese Daten enthalten oft brisante Informationen, die man nur in Ausnahmefällen freiwillig mit anderen Unternehmen teilen sollte.


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    Das alles ist keine neue Entwicklung.

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Ich bin mit dem Buch noch nicht durch, daher kann ich mich nicht abschließend äußern. Klar, hier schreibt kein Thomas Mann oder Franz Kafka. Das Buch ist ein flott geschriebener Roman zu einem aktuellen Thema. Die ganz harsche Kritik an der Charakterzeichnung kann ich aber nicht nachvollziehen. Dass Mae sich so verhält, wie sie es tut, kommt mir insgesamt ganz schlüssig vor.


    Erstens: sie ist jung und hat beruflich wenig Erfahrung.


    Zweitens: mit der Stelle beim Circle bietet sich ihr eine Riesenchance, die sie unbedingt nutzen will.


    Drittens: Die Arbeitswelt in den USA läuft nunmal gänzlich anders als in Deutschland. In vielen Situationen, in denen in Deutschland ein Arbeitnehmer seine Meinung sagt und widerspricht, wird in den größeren amerikanischen Firmen der Mund gehalten. Diese kulturellen Unterschiede sollte man beachten.


    Viertens: Für die meisten der technischen Innovationen, die Mae nutzt oder an denen sie beteiligt ist, werden sehr klare positive Gründe genannt. Es ist nachvollziehbar, warum Mae diese Dinge zunächst einmal nicht hinterfragt, sondern einfach akzeptiert und als 'gute Idee' empfindet.


    Der Roman schildert m. E. recht gut, wie sich Kommunikationsverhalten ändert. Mercer sagt ja mal zu Mae, sie rede mit ihm nur noch auf eine Weise, als wären ständig andere Menschen dabei. Und wer heute mal in einer Gruppe jüngerer Leute unterwegs war, der weiß: da sind ja auch immer andere dabei, weil irgendjemand ständig sein Smartphone in der Hand hat und außerhalb der Gruppe kommuniziert.


    Und besonders heftig finde ich, wie die Möglichkeit der Kommunikation unmerklich zu einer Pflicht zur Kommunikation wird. Wie es im Roman so schön heißt: Alles was gewusst werden kann, muss gewusst werden. Dahin sind wir längst unterwegs. Und jeder, der das Internet nutzt und ggf. sogar noch ein Smartphone, wirkt längst daran mit.

    Einmal editiert, zuletzt von Tomke ()


  • Das ist es, was ich mochte: Der Autor überlässt es dem Leser, zu denken. Schlußfolgerungen zu ziehen, denn die Tendenzen sind doch jetzt bereits in vollem Gange. Internetsperren gibt es (Stichwort Kinderpornografie). Es gibt Überlegung zu mehr Überwachung, Kameras (Streetview) usw. Wir sind doch bereits auf dem Weg dahin - und wo sind die Zweifler? Sooooo wahnsinnig laut hört man die auch nicht, oder?


    Das sehe ich ähnlich. Es greift ja eine interessante Dynamik. Man wehrt sich nicht, weil man denkt, man habe 'nichts zu verbergen'. Denkt man diese Linie weiter, dann hat der, der sich wehrt, "wohl etwas zu verbergen". Also wächst der soziale Druck auf das Teilen von Information, auf Partizipation. Jeder, der nicht auf FB ist, merkt schnell, dass er/sie von bestimmten Informationsflüssen abgeschnitten ist. Ohne eMail-Adresse oder Online-Banking samt Kreditkarte geht es schon gar nicht mehr. Analoges Leben ist fast nicht mehr möglich, und die Digitatlisierung fordert ihren eigenen Tribut: Daten sind da, und sie müssen auch ausgewertet werden. In einer Gesellschaft wie der unseren wird alles, was (technisch) machbar ist, auch irgendwann getan.


  • Das sehe ich ähnlich. Es greift ja eine interessante Dynamik. Man wehrt sich nicht, weil man denkt, man habe 'nichts zu verbergen'. Denkt man diese Linie weiter, dann hat der, der sich wehrt, "wohl etwas zu verbergen". Also wächst der soziale Druck auf das Teilen von Information, auf Partizipation.


    Genau. "Der Circle" ist eigentlich ein Spiegel unserer aktuellen Gesellschaft mit den Schlussfolgerungen des Autors. Wir sind davon nicht so weit entfernt. Dieses "Ich habe nichts zu verbergen" hört und liest man doch sehr oft. Obwohl.. in der letzten Zeit nicht mehr. Aber man las es, als das Thema aktuell war. Inzwischen ist das Thema zwar immer noch aktuell, aber es ist uninteressant geworden.


    Hier ein schöner Artikel dazu: Warum „Ich habe nichts zu verbergen“ Schwachsinn ist


    Als ich auf dem Barcamp war, hatte ich immer wieder das Gefühl mitten drin in Dave Eggers' Roman zu sein. Das war teilweise sehr spooky :entsetzt: Jeder hat geliked, geteilt, es gab eine Twitter-Timeline an der Wand (mit den aktuellsten Tweets zum Barcamp - Live-Eindrücke der Teilnehmer). Man wurde fotografiert und zitiert und geteilt. Jeder, der nicht dabei war, konnte trotzdem dabei sein. Jeder, der dabei war, weiß letzten Endes nicht, wo ein Bild von ihm überall gelandet ist.

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

    Einmal editiert, zuletzt von nimue ()


  • Klar, hier schreibt kein Thomas Mann oder Franz Kafka.


    Dave Eggers kann durchaus anders, das hat er schon bewiesen. Dass "Der Circle" in relativ simpler Sprache verfasst ist, wurde auch schon anderswo thematisiert, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass Eggers mit seinem Buch vielleicht gar nicht unbedingt nur das intellektuelle Feuilleton-Publikum erreichen, sondern insbesondere auch von denjenigen Leuten gelesen werden will, die er beschreibt. :zwinker:

  • Habe das Buch gerade ausgelesen. Ein gutes Buch, ein wichtiges Buch, das zeigt, worauf wir möglicherweise zusteuern.


    Das Interessante an ihm ist das, was ihm vielerorts vorgeworfen wird, nämlich die eindimensionale Struktur und die simple Sprache. In meinen Augen werden hier nämlich auf großartige Weise Form und Inhalt in Übereinstimmung gebracht. Das Buch ist vollständig aus der Sicht der Protagonistin, Mae Holland, geschrieben, der Leser begleitet nur sie, es gibt keine Nebenhandlungen und -stränge, und man erfährt ausschließlich ihre Gedanken; die Handlung und die anderen Personen werden nur aus ihrer Sicht geschildert. Und Mae ist nun mal eine eindimensionale und naive Figur, sicherlich überspitzt dargestellt, aber das ist im Sinne der Geschichte auch erforderlich. Sie wird als gutgläubige und begeisterungsfähige Frau geschildert, die in dem, was sie für ihre Firma erledigt, nur das vermeintlich Gute sieht (vollkommene Transparenz zum Wohle aller!) und dies zu keinem Zeitpunkt in Frage stellt. Mit emsiger Euphorie und großem persönlichem Einsatz schuftet Mae für die Firma, entblößt sich in deren Auftrag vor aller Welt, lässt sich auf Schritt und Tritt beobachten und hat keine Geheimnisse mehr, ohne dass ihr auch nur der leiseste Zweifel oder Gedanke an die möglichen negativen Folgen in den Sinn kommt. Solch ein Charakter mag überspitzt erscheinen, aber ich bin mir sicher, dass es da draußen hunderte von Maes gibt, die die neuen digitalen Möglichkeiten begeistert begrüßen, da brauche ich mir nur all die Selftracker, Selfieknipser und sonstigen Selbstdarsteller anzusehen, denen gar nicht bewusst ist, dass sie nur die willigen Schafe sind, die den großen Datensammlern ihre Daten haufenweise und freiwillig in den Rachen werfen.


    Mit ihrer zwanghaft-freiwilligen Transparenz ist Mae keineswegs alleine, selbst Politiker machen in zunehmender Zahl mit, und allmählich wird der Irrsinn und der Größenwahn ersichtlich, der hinter all dem steckt, wofür der "Circle" steht: Kein Mensch auf der Welt soll mehr Geheimnisse vor den anderen haben.


    Und das Erschreckendste ist: Wenn ich mir unsere schöne neue Welt da draußen so ansehe, sind wir von der Vision, die Dave Eggers schildert, gar nicht mehr so weit entfernt. Schon heute machen sich zig Leute im wahrsten Sinne des Wortes öffentlich nackig, werden Personen gegen ihren Willen öffentlich zur Schau gestellt (z.B. in den USA: öffentlich zugängliche Strafregister), werden der öffentliche Raum und die Menschen gescannt und gefilmt (Google Streetview, Google Glass und andere Videokameras), ohne dass man weiß, wo diese Bilder und Daten landen, und selbst der Konsum von Musik (iTunes), Büchern (Amazon) und Filmen (Netflix) wird genauestens registriert und protokolliert.


    Und auch heute schon wird es den Leuten immer schwerer macht, sich dem ganzen Social-Media-Gedöns, der ständigen Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Öffentlichkeit zu entziehen. Diejenigen, die schon dabei sind, können sich nicht oder nur schwerlich zurückziehen ("Alle meine Freunde/Kunden/Verwandten sind dabei und würden mich vermissen" bzw. "Ich würde mich ausgeschlossen fühlen"), und diejenigen, die sich verweigern, machen sich verdächtig ("Warum partizipiert der nicht und teilt sein Leben nicht mit uns? Hat der was zu verbergen?").


    Ich für meinen Teil werde nach diesem Buch jedenfalls noch sensibler für derartige Entwicklungen sein. Und jeder, der die großen Datenhaie füttert, der Google-Dienste benutzt, bei Facebook oder Twitter aktiv ist oder auch nur sein Smartphone benutzt, muss sich im Klaren darüber sein, dass er zu dieser Entwicklung beiträgt. Vielleicht ja sogar ganz bewusst und freiwillig.


    5ratten

  • Danke für Deine Meinung! Genau so sehe ich das auch :klatschen:


    Zu Google Glass: ich erwähnte ja schon das Barcamp in Stuttgart. Da war auch ein Teilnehmer mit einer Google Glass-Brille und es gab auch einen Vortrag dazu. Wäre für mich durchaus interessant gewesen, aber ich hatte keine Lust darauf, dabei ständig gefilmt und wer-weiß-wohin übertragen zu werden. Andere waren so fasziniert, dass die die Brille selbst ausprobiert haben.


    Und wegen der Erreichbarkeit: Erhält man eine Nachricht via Whatsapp oder Facebook wird dem Sender angezeigt, dass und wann man die Nachricht gelesen hat. Wehe, man antwortet nicht in einer bestimmten Zeit :breitgrins:


    Auf dem Barcamp wurden auch Tools für E-Mail-Programme vorgestellt. Überwachungsprogramme (völlig legal übrigens), die dem Sender genau das zeigen: Wann der Empfänger die Mail gelesen hat. Also kann der sich nie wieder rausreden mit: Habe ich gar nicht erhalten oder habe ich noch nicht gelesen.

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

    Einmal editiert, zuletzt von nimue ()

  • Auch interessant in diesem Zusammenhang: Social Freezing.


    Zitat

    Apple und Facebook bezahlen ihren jungen weiblichen Mitarbeiterinnen das so genannte Social Freezing, d.h. das Einfrieren der Eizellen. Die Idee dahinter ist, dass die Frauen das Kinderkriegen fürs fortgeschrittenere Altzer aufsparen und in jungen Jahren ungehindert Karriere machen


    Social Freezing für Social Media

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.


  • Als ich das letzte Woche gelesen habe, musste ich auch sofort an den "Circle" denken. Eggers hat das schon ganz richtig vorausgesehen: Derartige Entwicklungen werden zunehmen. Die Firmen machen Angebote, die zunächst ganz angenehm und arbeitnehmerfreundlich aussehen, aber hintenrum eine immer stärkere Bindung der Beschäftigten an die Firma aufbauen. Denn angesichts des praktisch nicht existenten Krankenversicherungsschutzes in den USA und der Kosten, die üblicherweise mit solchen Maßnahmen wie dem Einfrieren von Eizellen verbunden sind, mag das Angebot von Apple und Facebook auf den ersten Blick verlockend erscheinen. Aber es wird damit ein latenter Druck aufgebaut, dieses Angebot auch anzunehmen. Natürlich wird niemand dazu gezwungen, es ist alles freiwillig. Aber wer weiß denn, welchem sozialen Druck diejenigen Frauen mal ausgesetzt sein werden, die dieses Angebot ausschlagen? Oder welche Nachteile sie davon haben werden? Um es überspitzt zu formulieren: Was soll die Firma denn mit Frauen anfangen, bei denen man jederzeit damit rechnen muss, dass sie schwanger werden und ausfallen...?


    Harald Martenstein hat im Tagesspiegel dazu einen seiner klugen Kommentare abgegeben:
    Social Freezing - Apple und Facebook machen Frauen zu Leibeigenen