Das Nachwort war der Grund, warum ich das vorbestellte Hörbuch abbestellt hatte und doch zum eBook gegriffen habe, bei den Hörbüchern wird leider immer das Nachwort unterschlagen.
Bemerkenswerterweise wird es jetzt erstmalig bei Hafenschwester 2 mitgelesen. Bei Band 1 noch nicht. Aber Sabine Kaack ist einfach eine geniale Sprecherin - allein, wie die den verwundeten Paul spricht - da kriegte ich selbst als Autorin Gänsehaut, weil man so mitleidet.
Der Textausschnitt von 1933 lässt aber auch nichts gutes erahnen. Ich hatte nach den bisherigen Andeutungen ja die Befürchtung, dass sich Rudi womöglich zu den Nazis hingezogen fühlt, aber das scheint eher nicht der Fall zu sein. Die SA behielt ihre Bedeutung bis 1934, bevor es zum Röhm-Putsch kommt, ich hoffe nur, dass Rudi nicht solange in der Gewalt der SA verbleiben muss.
Okay, dann gibt es noch einen Appetizer - diesmal über den 26-jährigen Fredi, der Kommissar bei der Mordkommission geworden ist.
Fredi hatte sofort, nachdem seine Mutter aufgelegt hatte, Werner Rohrbeck angerufen. Der gutgelaunte Tonfall, mit dem Werner erfreut auf seinen Anruf reagiert hatte, verschwand jedoch recht schnell, als Fredi nach seinem Bruder fragte.
„Hast du Zeit, zu mir in den zweiten Stock zu kommen?“, fragte Werner. „Das ist etwas, das wir lieber persönlich besprechen sollten.“
„Ich bin gleich da.“
Im zweiten Stock befanden sich zahlreiche Büros der Geheimen Staatspolizei, kurz Gestapo, die kurz nach der Machtergreifung aus der politischen Polizei hervorgegangen war. Mochte die Mordkommission auch die angesehenste und in Fredis Augen die interessanteste Abteilung der Polizei sein, so bildete sich bereits jetzt ab, dass die Gestapo die mächtigste war. Und Werner hatte seinen Aufstieg unaufhaltsam gebahnt. Bereits jetzt gab es nur noch drei Beamte, die im Revier über ihm standen. Davon zeugte auch Werners Büro. Während Fredi Kommissar Plättners Büro vor zwei Wochen nahezu unverändert übernommen hatte – schlicht und zweckmäßig ohne überflüssigen Zierrat, lediglich mit einem Stadtplan an der Wand und zahlreichen Aktenschränken, hatte Werner sein Büro vollständig nach seinem Geschmack gestaltet und selbst bei der Wahl der Möbel nicht sparen müssen. So hatte er einen ganz neuen massiven Schreibtisch, einen ledernen Chefsessel und ebenso neue, abschließbare Büroschränke. An der Wand hingen ein Hitlerporträt und daneben ein Wandteppich, den seine Frau Hannelore gewirkt hatte. Hannelore hatte wirklich Talent, das musste man ihr lassen, auch wenn das Motiv recht kitschig wirkte – der germanische Held Siegfried mit Helm und Schild, wobei der Schild mit einem Hakenkreuz verziert war.
„Nimm Platz“, sagte Werner. Dann griff er zum Telefon: „Fräulein Fink, hätten Sie die Liebenswürdigkeit, Kommissar Studt und mir jeweils eine Tasse Kaffee zu bringen? Ja, mit Milch und ohne Zucker.“
Noch bevor die Sekretärin mit dem Kaffee kam, lehnte Werner sich in seinem Chefsessel zurück. „Dein Bruder Rudolf ist wirklich das schwarze Schaf in der Familie, nicht wahr?“, fragte er.
„Nichtsdestotrotz ist er mein Bruder und ich möchte wissen, warum die SA ihn geholt hat, wo er jetzt ist und was man ihm vorwirft.“
Bevor Werner antworten konnte, klopfte es an der Tür und die Sekretärin kam mit dem Kaffee.
Werner bedankte sich, dann nahm er erst mal einen Schluck, während Fredi seine Tasse stehen ließ und seinen Kollegen stattdessen erwartungsvoll ansah.
„Dein Bruder hat sich nicht nur bei eurer Familie in die Nesseln gesetzt“, sagte er schließlich. „Wir haben mittlerweile eine umfassende Akte über ihn.“
„Eine Akte?“ Fredi zog die Brauen hoch. „Warum hast du mir das nie gesagt?“
„Weil es nun mal die Geheime Staatspolizei ist.“
„Wenn es dir schon egal ist, dass Rudi mein Bruder ist, solltest du zumindest bedenken, dass er der Onkel des Patenkindes deiner Frau ist.“
„Ich habe nicht gesagt, dass es mir egal ist“, sagte Werner. „Mir ist die Sache auch sehr unangenehm, aber dein Bruder hat sich einflussreiche Feinde gemacht. Hinzu kommt, dass er mit einer Halbjüdin verheiratet ist.“
„Das stimmt nicht, seine Frau ist evangelisch, so wie ihre beiden Eltern.“
„Ihr Vater ist der jüdische Bauunternehmer Jakob Stein. Ein Parasit, der vortäuschte, zum Christentum zu konvertieren, um eine arische Frau zu heiraten und noch mehr Geschäfte zu machen. So etwas ist doppelt verwerflich. Er hat die Arglosigkeit einer unbescholtenen Arierin ausgenutzt, damit sie ihr Blut verunreinigt. Und diese verunreinigte Frucht hat dein Bruder auch noch geheiratet. Sei doch ehrlich, Alfred, all den Ärger, den deine Schwester gerade hat, verdankt sie doch der Jüdin. Die hat deinen Bruder davon abgehalten, seinen Pflichten der Familie gegenüber nachzukommen, weil sie ihn überredete, ihrem Vater überteuert das Auto abzukaufen. So sind sie, die Juden. Sie treiben einen Keil in die beste deutsche Familie. Wobei die sozialdemokratischen Ansichten deiner Eltern es dem Judenpack ja besonders leicht gemacht haben, ihren ältesten Sohn zu verführen.“
Fredi lagen einige heftige Worte auf der Zunge, aber er schluckte sie runter. Sich jetzt mit Werner zu streiten, wäre das Verkehrteste, was er tun konnte.
„Das erklärt mir aber noch nicht, was man Rudi vorwirft“, sagte er stattdessen. „Gibt es einen Schutzhaftbefehl? Und wenn ja, wer hat ihn beantragt und ausgestellt?“
„Nun, Rudi hat als Anwalt die falschen Leute verteidigt“, sagte Werner. „Asoziale, Kommunisten, Juden … und er stellt sich gegen die Obrigkeit. Besonders übel ist dann sein letztes Schreiben an die Universität aufgefallen, als er Widerspruch gegen die Studienplatzabsage eurer Schwester einlegte.“
„Ausgerechnet das? Dabei war das seine beste Tat in den letzten drei Jahren. Immerhin hatte sie schon einen Studienplatz, den sie wegen ihm absagen musste.“
„Oder besser gesagt, wegen seiner halbjüdischen Frau, die so einen zersetzenden Einfluss auf ihn hat, nicht wahr?“, stichelte Werner.
„Das spielt dabei keine Rolle. Rudi wollte Ella zu ihrem Recht verhelfen. Sie kann schließlich nichts dafür, sie hat im Gegensatz zu Rudi immer unsere Familie an erste Stelle gesetzt und sie hat es nicht verdient, ihren Lebenstraum begraben zu müssen.“
„Weißt du, wer als Justiziar der Universität fungiert und Widersprüche prüft?“, fragte Werner.
„Nein, aber ich nehme an, du wirst es mir gleich sagen.“
„Professor Anton Zellmer. Ein verdientes Parteimitglied der ersten Stunde und zugleich jemand, dem dein Bruder einst sehr übel mitgespielt hat.“