Gabriele Tergit - Effingers

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  • Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube so ein Grätenhalter ist so eine Vorrichtung wie eine Art Steckkamm. Der wird am oberen und unteren Ende befestigt und links und rechts der Wirbelsäule eingesteckt wird, damit das Fleisch leichter abgeschabt werden kann.

    Das würde zu dem einen Satz passen, den ich inzwischen bei einem Hersteller von Grillzubehör fand: "Der Grätenhalter aus Edelstahl hält den Fisch an Ort und Stelle." Lesen bildet eben doch. :breitgrins:


    Ich habe mittlerweile die ersten 30 Kapitel hinter mich gebracht (die ja allmählich dann doch etwas länger werden..) und bin ganz froh, dass ich Euch als Lesebegleitung habe. Als zeitgeschichtliches Dokument wird der Roman ja immer interessanter, aber mit Stil und der möglichen "emotionalen Eintauchtiefe" tu ich mich ab und zu doch etwas schwer..

    Mal sehen, was das Ingenieurswesen noch so bringen wird - da zeichnet sich ja gerade Einiges ab.

  • Ich bin jetzt schon etwas weitergekommen, zu Kapitel 36, warte aber mit meinen inhaltlichen Kommentaren noch, weil ich ja nichts verraten will.


    Aber ich habe auch ein neues Wort gelernt. "Tattersall" - diesen Ausdruck kannte ich bis jetzt noch nicht. In südlichen Gefilden dürfte der nie so gebräuchlich gewesen sein. Bei uns hieß das einfach Stallungen.


    Alice ich kann dich schon verstehen, dass du noch nicht so richtig warm geworden bist mit dem Setting im Roman. Ich habe zuvor ein Buch gelesen, bei dem es um die Familie des Lincoln Mörders John Wilkes Booth ging. Da war ich irgendwie mitten drin im Amerika vor und während des Sezessionskrieges. Das fehlt mir hier auch etwas, obwohl ich das Buch bis jetzt dennoch gerne lese.


    Immer aber im Hinblick darauf, dass ich ein völlig unspreußischer Mensch bin. Die Ideale der dt. Kaiserzeit stehen meinen sehr fern. Onkel Waldemar ist ein kleiner Lichtblick. Der hat Weitblick, interessiert sich für Kunst, kauft Monets, Manets und Pissaros. Diese Gelegenheit hätt ich auch gern :)


    Ich habe jetzt über ein Viertel des Buches gelesen, aber eigentlich sind die Effingers bis jetzt nur Randfiguren. Es geht bis jetzt mehr um die Goldschmidts und Oppners, auch wenn die natürlich mit den Effingers liiert sind.


    Wer weiß was sich noch ändert.

  • In der nächsten Generation sind die Effingers automatisch mehr am Ruder.
    Ja, die emotionale Tiefe ... . Ich habe die überhaupt nicht vermisst, sondern es gerade toll gefunden, dass der Stil so nüchtern ist. So werden die verschiedenen gesellschaftlichen und ökonomischen Phänomene ungefähr gleichberechtigt beleuchtet, wir erfahren von technologischen Entwicklungen, dem Militarismus Wilhelms und den kulturellen Ausprägungen jeweils durch unterschiedliche Familien- oder spätere Familienmitglieder. Aber der Roman ist wirklich ein Gesellschafts- und Zeitroman, die Analyse der Personen steht der Analyse der Zustände nach, das kann man schon so sagen.

  • der Roman ist wirklich ein Gesellschafts- und Zeitroman, die Analyse der Personen steht der Analyse der Zustände nach.

    Das trifft es für mich, ja. Und so sollte man das Buch wohl auch lesen. Und genau darum bin ich aber auch froh über Eure Begleitung - das Ding ist halt doch ziemlich dick, und jedes Begleitbuch dehnt es natürlich zusätzlich :breitgrins: .


    Onkel Waldemar ist ein kleiner Lichtblick.

    Ja, als solchen habe ich ihn auch empfunden. Der Unterschied zu vielen der anderen Figuren zeigt sich allein schon im Text der wörtlichen Rede.

    Ich versuche, die Stärken von Tergits Stil durchaus zu würdigen - z.B. das, was ich vorne mal impressionistisch genannt hatte, oder das "markige" mancher männlicher Aussprüche.. ^^ (Der Unterschied zum Stil zu Pascal Mercier - der ist dann jetzt durch - war halt schon ziemlich krass.. war keine wirklich passende Kombination.. :S )

  • Pascal Mercier hab ich auch gerne gelesen, aber nicht den Klavierstimmer, der liegt hier noch ungelesen. Irgendwann (das sag ich bei so vielen Büchern, ..)


    Ein Satz von Onkel Waldemar hat mich amüsiert: "Ein bauchloses Geschlecht wächst heran. Ich sehe nichts Gutes kommen, wenn die Bäuche untergehen." (S.232)


    Daraufhin hab ich mir gleich ein Stück Schoki gegönnt :)

  • Ah, jetzt:

    Und Waldemar ".. hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen."

    Das musste ja ein Zitat sein. Faust - aha. Kopfkino.. ^^ (Aber wieso hab ich Insekten vor Augen..??)

  • Ich bin nun auch bis Kapitel 36 gekommen... Sofiechen ist nun unter der Haube.

    Ich fand es wieder beeindruckend wie man hier die Gesellschaft im Zeitenwandel darstellt, wie man Normen und Werte durchsetzte und wie sich die Kinder dann doch fügen, bei aller Romantik bleiben sie doch meist dem Stand treu...


    Ich persönlich vermisse die Nähe zu den Personen nicht, ich mag das Gesamtbild der Zeit....


    Es klingen ja durchaus kritische Töne an, zu Wilhelm II, hat man dass damals so eingeschätzt? Hat man in den 1890er schon mit einem großen Krieg gerechnet?

    Auch interessant, dass sich bei den Bankiers kaum jüdische Traditionen zeigen, in Kragsheim scheint das ja noch anders und doch gibt es eine Scheidung.

  • Ich bin bei Kapitel 54 angelangt. Ja die nächste Generation übernimmt schön langsam.


    Ich habe mir vorher Gedanken gemacht, welche der Personen mir sympathisch ist. So wirklich fündig bin ich nicht geworden.


    Nun ja, dass Wilhelm II Militarist war und seine Macht dadurch zum Ausdruck bringen wollte, war den Leuten damals sicher bewusst, zumindest denen, die mitdachten und nicht auf die Propaganda reinfielen.


    Um seine Minderwertigkeitskomplexe aufgrund seiner Armlähmung zu übertünchen hat er in übersteigertem Militarismus ausgelebt. Seine Frau hat ihn ja noch darin befeuert.


    Am unsympathischsten ist mir Annette. Ihr Scheinleben ist nur anstrengend und nur um seiner selbst Willen wichtig.


    Paul ist zwar wirtschaftlich fortschrittlich, aber im Leben an sich rückorientiert. Er träumt immer nur vom Leben in Kragsheim und vergönnt der Familie und auch sich selber kaum mehr als das Lebensnotwendige.


    In der nächsten Generation wiederholen sich Wesenszüge aus der vorherigen. Langsam aber sicher steuern wir auch dem 1. Weltkrieg entgegen und müssen auch von so manch Altem Abschied nehmen.


    Ich schaue immer wieder auf die Stammtafel, wer dann zu wem gehört und wie lange wer lebt. Auffallend ist, dass einige im Jahr 1942 sterben, das lässt nur Trauriges erahnen.

  • Ich bin noch nicht weitergekommen heute. Die Kids haben Zeit gebraucht und wir haben gemeinsam das milde Herbstwetter genossen.


    Ich werd jetzt noch ein bisschen weiterlesen.


    Annette finde ich auch ganz anstrengend, aber irgendwie auch Selma, die immer nur zu sticken scheint...

    Im Moment finde ich Paul nicht unsympathisch, ein Workaholic, wirtschaftlich-fortschrittlich und ja irgendwie an Klara interessiert... lt. Stammbaum wird das ja was werden.


    Den Stammbaum hab ich mir auch angeschaut, und ja da werden wir wohl noch einige harte Seiten vor uns haben, irgendwie ist, wenn man weiß was kommt, die Frage der Wäsche für die Aussteuer und die Auflistung der Menüs wie Vorgeplänkel und Irreführung... Stephen King (den ich heute nicht mehr lese, zu gruselig) nur schrecklich real.

  • Selma ist für mich gar keine richtige Figur, sondern nur eine Randnotiz, die wird auch in der Familie von niemanden ernst genommen.


    Keiner, der irgendetwas besprechen will geht zu ihr. Da wird das ehemalige Kindermädchen bevorzugt.

  • Ja, der Stammbaum verrät schon so Einiges, wie Du richtig sagst b.a.t. . Zum Beispiel, dass Pauls kleiner Sohn, der bei mir gerade geboren wird, nur 18 Jahre alt werden wird..

    Paul ist mir bisher schon recht sympathisch - ich weiß ja allerdings nicht, wie sich seine Züge noch zuspitzen werden?! Immerhin ist er so ziemlich der Einzige, der Wert darauf legt, das, wovon er lebt, selber zu erarbeiten, statt das wie sein Bruder Karl Anderen zu überlassen oder sich arrogant auf einem ererbten Vermögen auszuruhen.

    Waldemar ist wohl tatsächlich derjenige mit dem weitesten geistigen Horizont - auch der "schöne" Stammvater Emmanuel Oppner hat zwischendurch aber ab und zu so seine hellen Momente der Einsicht :breitgrins: .

    Annette nervt, ja. (Passt aber gut zu Karl.) Vor allem, weil sie auf Andere herabblickt, ohne selbst iwas geleistet zu haben.

    Klärchen ist sehr brav und ihre Mutter Selma bleibt (leider) etwas blass.

    Sofie könnte davon profitieren, wenn man irgendwas von ihr verlangen würde.

  • Bei Emmanuel ist es so, alle, die er sympathisch findet von Haus aus, oder alles was er für gut findet endet in einer Katastrophe. Der hat Talent dafür.


    Interessant wird auch die Inzucht, aber soweit bin ich noch nicht. Habe ich nur aus dem Stammbaum herausgelesen.


    Kusinenhochzeiten waren ja damals noch en vogue. Aber die waren ja doppelt vercousint. Das engt den Genpool schon extrem ein.

    Einmal editiert, zuletzt von b.a.t. ()

  • Bei Emmanuel ist es so, alle, die er sympathisch finden von Haus aus, oder alles was er für gut findet endet in einer Katastrophe. Der hat Talent dafür.

    Mir hat gefallen, dass er gemerkt hat, dass es nicht ok war, "bekannten" Leuten auf Hörensagen Geld in den Rachen zu werfen, nachdem er den durchaus soliden, aber keine sehr hohe Rendite versprechenden Kredit bei Paul abgelehnt hat. Und dass er die Kunden, die bei seiner Fehlinvestition hereingefallen sind, entschädigt.

    Ein zwiespältiger Charakter, aber nicht völlig unreflektiert oder unmoralisch.


    Jaaa, der Genpool.. :D

  • Ich bin jetzt bis Kapitel 44 gekommen. Klärchen und Paul haben endlich zueinander gefunden und haben auch schon eine Tochter.... Die Jahrhundertwende ist vollzogen und Sophiechen ist geschieden.


    Interessant zu lesen, der Börsenkrach und wie es sich auf die Gefüge auswirkt.

    Emmanuel, ja manchmal hat er helle Momente aber er dreht sich auch viel um sich selbst... Ich nehme ihn mit wahr, verbinde aber nichts engeres mit ihm.


    Ich finde Paul immernoch authentisch, er hat Klärchen gesagt wie er lebt und was ihm wichtig ist, ein bisschen wusste sie auf was sie sich einlässt. Er rückt in den Mittelpunkt finde ich, es bleibt spannend wie es weitergeht und was der 1. Weltkrieg anrichtet...

  • Da geht sie, die "alte Zeit":


    " Wenn man alt ist, .. hat man ja wohl überhaupt das Gefühl, das Letzte von irgend etwas zu sein." (Kapitel 49)


    " .. als ich den schienen- und pferdelosen Wagen bauen wollte, da dachte ich, wie wunderbar das wäre, wenn die Kreaturen nicht mehr so schrecklich schwer arbeiten müssten. Ich dachte daran, wie die Bauern die Holzstämme haben selber sägen müssen, um ihr Haus zu bauen, oder wie schwer ein Hufschmied gearbeitet hat. Aber jetzt arbeiten die Mens hen, die die Motoren herstellen, um die Arbeit zu erleichtern, genau so schwer und haben keinen Gang mehr ins Freie." (Kapitel 51)

  • Gestern Nacht, bzw. heute früh hab ich es bis Kapitel 60 geschafft.


    Das ist noch nicht mal die Hälfte. Für mich beginnt es sich in die Länge zu ziehen. Das merke ich immer daran, wenn ich beginne herumzurechnen wie viele Seiten noch, wie viel Prozent schon gelesen.


    Zum Glück geht es in der zweiten Hälfte meist schneller.


    Ich finde die Beschreibungen des Berlins zum Fin-de-Siècle zwar ganz nett und auch gut gemacht, aber bis jetzt gibt es nichts, was ich nicht in irgendeiner Form schon gelesen hätte. Vom jüdischen Berlin bekomme ich bis jetzt nicht viel mit, weil die Familie ja ziemlich religionsbefreit ist. Traditionelle Werte werden ja nur in Kragsheim gelebt. Selbst Paul, der ja auch konservativer ist, ist nur pseudoreligiös.


    Für diese Zeit ist es ja typisch, dass sich viele Juden assimiliert haben. Viele sind auch zum Christentum übergetreten.


    Emmanuels Beerdigung ist ein gutes Beispiel dafür. Der Rabbi kannte ihn ja nicht persönlich, hat irgendwas über den Verstorbenen gesprochen. Floskelhafte Rhetorik. Waldemar hat daraufhin das Wort ergriffen und auch die Nicht-Gläubigkeit von ihm herausgehoben.

  • Genau das - dass nämlich die jüdische Religion für viele "Juden" keine große Rolle mehr spielt - wird dann eventuell viel.. Kontrast? Erschrecken? Kontrapunkt? bei den Geschehnissen im "3.Reich" bieten - und darum sogar wichtig sein..

    ?!