Jean Rhys - Sargassosee/Wide Sargasso Sea

Es gibt 60 Antworten in diesem Thema, welches 2.277 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • b.a.t.

    Vor allem dieses Label "verrückt" wie es in Jane Eyre ja durchscheint. Das wurde gerade im 19. Jahrhundert öfter genutzt um unbequeme Frauen wegzusperren. Die Rechtfertigung sie menschenunwürdig zu behandeln.

    Ich denke schon länger darüber nach, weshalb ich so lange nicht hinterfragt habe, wie Rochester seine Ehefrau Nr. 1 eigentlich behandelt hat und sie lieber auf den Dachboden sperrte, anstatt ihr zu helfen.

    Auch wenn sie bei weitem in dieser Gesellschaftlichen Schicht nicht die einzige und erste ist, die in eine Ehe gezwungen wurde. Männer hatten gerade in England mehr Freiheiten und Möglichkeiten, ihr Leben abseits dieser Ehen zu gestalten (was sie auch eifrig taten, wie auch die Verbreitung von Syphilis belegt...


    Jane und Antoinette hier zu spiegeln finde ich durchaus eine interessante Idee. Antoinette hat aber die Möglichkeiten von Jane auch deshalb nicht, weil ihr die Ausbildung verwehrt bleibt, die Jane erhält.

    Das Kloster in dem sie zeitweise untergebracht ist, erscheint mir auch mehr "Verwahrungsanstalt". Jane ist zwar weniger passiv, bekommt aber auch von Anfang an mehr Rüstzeug auch von außen. Umso mehr, weil nicht nur ihr Stand sondern auch ihre Unscheinbarkeit (das Aussehen spielt ja bei Jane Eyre schon eine wichtige Rolle) geben ihr keine großen Chancen für eine gewinnbringende Ehe - und selbst die Ehe mit Rochester gewinnt sie erst, nach dem er vom Brand gezeichnet "hässlich" ist. Wobei ich das als seine Strafe betrachte, das er Jane belogen hat. (Weniger wie er seine erste Frau behandelt hat).

  • HoldenCaulfield ja unbequeme Frauen wegsperren war ja schon öfter der Fall. Nicht nur in der Literatur sondern auch in der Geschichte. Dir ist das ja auch sicher bewusst ich denk da an Johanna die Wahnsinnige in Spanien oder auch Königin Maria. Es ist ein probates Mittel gewesen.


    Rochester war wahrscheinlich nicht willens sich mit seiner Frau auseinander zu setzen. Nachdem er der Erbe wurde hatte er sie gar nicht mehr nötig. Scheidung wäre zwar möglich gewesen, aber der Schein musste ja gewahrt werden.


    Im Vergleich von Jane und Antoinette ist es so, dass Antoinette nie die Chance bekommen hat sich in England einzuleben. England auch nur irgendwie zu erfahren. Alles was sie kannte war der Blick aus ihrem Zimmer und gelegentliche Ausflüge im Haus von Rochester. Sie hatte nie die Möglichkeit die gesellschaftlichen Normen zu erfahren und sich irgendwie zu integrieren. Jane hatte den Vorteil, dass sie die gleichen gesellschaftlichen Normen wie Rochester von klein auf erfahren hat. Sie weiß wie das System in England funktioniert und in welchem Rahmen sie sich bewegen und in welchem Rahmen sie aufbegehren konnte.


    Die Sprache und auch das Gehabe der herrschenden Gesellschaftsschicht finde ich auch extrem abstoßend. Allerdings ist der Rassismus auch unter den ehemaligen Beherrschten sehr herabwürdigend und negativ. Es wird immer wer gesucht, der noch niedrig-stehender ist und auf den man losgehen kann.


    Nach unten treten ist einfach. Schwieriger wird es sich gegen die Angriffe auf die eigene Schicht zu wehren.


    Was bei den ehemaligen Sklaven abgeht ist die Aufarbeitung ihrer Geschichte, Bildung um bessere Chancen im Leben zu haben. Dafür war die Unabhängigkeit von den Imperialisten noch zu nah.

  • b.a.t.

    Ja, es lässt sich ja in vielen Kolonien beobachten, dass das Wissen der Weißen Kolonialherren zunächst aufgezwängt wird, aber dann die Strukturen übernommen wurden, weil sie überhaupt Aufstreben und Anerkennung bedeuteten. Es ist also nicht verwunderlich, das dann ein Selbstorientalismus (wenn man Said zur Hand nimmt) geschieht, der dafür sorgt, das andere Abgewertet werden können um sich selbst aufzuwerten - mit den Mechanismen, wie man sie von den Kolonialmächten "gelernt" hat.


    Ich denke auch, Rochsester brauchte die Ehe um das Geld zu bekommen. Und dann war ihm egal, wie Antoinette sich weiter fühlte. Sie hat ja schon vor der Ehe gespürt, das sie einen Fehler gemacht hat in das Ganze einzuwilligen. Auch wenn ihr niemand eine Wahl gelassen hat.

    Ich hatte fast den Eindruck, Rochsester überlegt da schon, wie er sie am besten los wird um unbehelligt von ihr Leben zu können. Ich denke er will ihr die Chance gar nicht einräumen, weil er sich dann auch insgesamt näher mit ihr und ihren Wünschen, Träumen, Empfindungen befassen müsste. Aber sie ist im schlichtweg egal.

  • Juva

    Wer hat deine Ausgabe übersetzt?

    Bei mir ist die Übersetzerin Brigitte Walitzek

    Bei meiner Ausgabe auch.


    Ich denke, dass es Jean Rhys tatsächlich darum ging, durch den Bezug zu Jane Eyre Interesse für ihren Roman zu erwecken, um dann eben einen ganz anderen Ansatz von Berthas und Rochesters Geschichte zu zeigen. Für die Themen, die sie in ihrem Roman aufgreift, hätte sie sonst (besonders unter Berücksichtigung des Erscheinungsjahrs 1966) wahrscheinlich nicht unbedingt ein Publikum gefunden. Selbst für uns, die wir heute für Themen wie Postkolonialismus und Unterdrückung von Frauen ganz anders sensibilisiert sind, ist der Roman ja nicht unbedingt leicht zugänglich. Ohne den Bezug zu Jane Eyre wären wahrscheinlich viele LeserInnen nicht unbedingt bereit, sich mit diesem schwierigen Buch zu beschäftigen.

  • Eigentlich finde ich es gut, dass Rochester hier quasi "entromantisiert" wird, denn ich finde, er ist auch Jane gegenüber gemein und bevormundend. Klar ist das zeittypisch, trotzdem eignet er sich damit nicht unbedingt zum romantisch verklärten Helden unglücklicher Umstände.


    Und damit bin ich dann gedanklich direkt wieder beim Vergleich Bronte - Austen, deren männliche Hauptfiguren den Frauen gegenüber einfach etwas fairer sind und diese weniger abwerten, als Rochester es bei Jane tut (wenn auch vielleicht in guter Absicht).

  • Juva

    Stimmt, Austens Männer - zumindest ihre "Helden" begegnen ihren Frauen auf Augenhöhe. Allerdings hängt das zum Teil vielleicht auch damit zusammen, das der gleiche Stand es ihnen auch einfacher macht sie nicht abzuwerten.

    Und man darf auch nicht vergessen, Jane Austen selbst hatte ein ganz anderes Umfeld als die Bronte Schwestern. Das fließt definitiv auch in die Romane ein. Und eigentlich mag ich das düstere und schwermütigere daran auch sehr. Ebenso wie ich andererseits den Humor einer Jane Austen sehr mag und ihr scharfes Auge für die Gesellschaft in der sich ihre Figuren bewegen.


    Es ist definitiv Thematisch ein Buch, das ich ja selbst auch nur zur Hand genommen habe, genau weil ich wissen wollte wie Rhys sich dem Thema anäheren würde und welche Komponente sie dem Stoff hinzufügen würde. Insofern hast Du mit Sicherheit recht^^ Und es ist auch spannend, das gerade Jane Eyre so viel Möglichkeiten dafür bietet.

  • Im Unterschied zu Austens Heldinnen verdient sich Jane Eyre ihren Unterhalt selber und ist quasi unabhängig. Sie ist selbst bestimmter. Jane Austen hat ja noch in einer behüteten Welt gelebt. Ihr ist ja auch nicht bewusst gewesen, was sich im Norden des Landes abspielt in den neuen Fabriken.


    Da fällt mir ein für den Winter - Elizabeth Gaskell? :)

  • Eigentlich finde ich es gut, dass Rochester hier quasi "entromantisiert" wird, denn ich finde, er ist auch Jane gegenüber gemein und bevormundend. Klar ist das zeittypisch, trotzdem eignet er sich damit nicht unbedingt zum romantisch verklärten Helden unglücklicher Umstände.

    Wobei sich am Ende die Machtverhältnisse ja schon drehen. Jane ist am Ende diejenige die für ihn sorgen wird. Er hat seine Macht insofern eingebüßt, das er nun auf sie angewiesen ist. Der Preist den er für seine Freiheit von seiner ersten Frau bezahlt hat, ist höher als man im ersten Moment denkt. Auch wenn es so wirkt, das Jane seine Trophäe sei. Eigentlich ist er auch ihr Gewinn. Nach all dem was sie entbehrt hat, ist sie nun abgesichert. Und sich doch selbst immer treu geblieben.


    Gleichzeitig denke ich, wenn sie mehr Möglichkeiten gehabt hätte, hätte sie ihn verlassen und wäre nicht seine Frau geworden. Egal was durch den Brand passiert ist.


    Ich finde es bezeichnend, das der Roman in großen Teilen aus Rochesters Blick erzählt wird und Antoinette, obwohl es eigentlich vor allem um sie geht, kaum eigene Gedanken beisteuert.

  • Im Unterschied zu Austens Heldinnen verdient sich Jane Eyre ihren Unterhalt selber und ist quasi unabhängig. Sie ist selbst bestimmter. Jane Austen hat ja noch in einer behüteten Welt gelebt. Ihr ist ja auch nicht bewusst gewesen, was sich im Norden des Landes abspielt in den neuen Fabriken.


    Da fällt mir ein für den Winter - Elizabeth Gaskell? :)

    Das kommt dann ja auch noch hinzu. Außerdem bewegen sich die Heldinnen ja auch in einem Adeligen Umfeld. Sie sind letztendlich von einer guten Partie stark abhängig, aber gleichzeitig gibt ihnen das Freiheiten die Jane Eyre angekreidet werden könnten. Eine Lizzy Bennett ist ja auch deshalb so freimütig mit ihrer Meinung, weil sie weiß, das ihre Stellung immer irgendwie abgesichert sein wird (weshalb die Ehe ihrer Schwester Jane umso wichtiger ist...).

  • Stimmt, der erste Teil, den sie erzählt ist sehr kurz im Vergleich zu Rochesters Sicht.

    Das englische Recht, das auch in den Kolonien angewendet wird, wo die Frauen über ihr eigenes Vermögen nicht verfügen dürfen ist auch bezeichnend. Antoinette ist ihm ja voll und ganz ausgeliefert.


    Irgendwann flüchtet sie sich in den Wahnsinn, weil für sie alles aussichtslos scheint. Sie resigniert und spielt as Spielchen auf gewisser Weise mit.


    Zunächst wird sie ja von Christophine unter Drogen gesetzt, da könnten ja auch Folgeerscheinungen oder Entzugserscheinungen auftreten.

  • Ich habe auch überlegt, ob sie nicht eigentlich eine Depression entwickelt hat und durch die Folgen der Drogen, die Mischung den Wahnsinn ausgelöst hat. Ich finde eigentlich nicht, das sie sich darin flüchtet. Es schleicht sich langsam ein und bleibt, auch weil niemand sich kümmern möchte. Rochester profitiert davon das es ihr schlecht geht...

  • Der Roman hat für mich vor allem das Potential mich in eine Leseflaute zu stürzen :ohnmacht:

    Zum Glück ist es so kurz und ich bin nun durch. Aber ich musste mich ehrlicherweise jetzt schon ganz schön zwingen überhaupt noch einmal dazu zu greifen. Ich fand es war zu sperrig und langatmig. Klar, das liegt auch an meiner Lesegewohnheit. Aber wenn ich es nicht endlich vom SUB runter hätte haben wollen, ohne es abzubrechen, damit ich hier mit diskutieren kann (und keinen Joker für die TAMKATZN - Liste brauche :lachen: ) ... Ein paar Seiten mehr und das Ganze wäre ein Abbruch geworden, keine Frage.


    Es war mir an vielen Stellen zu verworren erzählt. Ich bin mir nicht ganz sicher, was das sollte. Der Blickwinkel auf die Ereignisse in Jane Eyre und die Bezüge funktionieren nur, wenn man Jane Eyre auch kennt. Keine Ahnung wie man zu dem Roman steht, wenn man ihn unabhängig ohne Kenntnisse liest. Das wäre durchaus spannend zu erfahren :lachen:


    Wütend hat mich gemacht, wie Rochester mit Antoinette umgeht und sich alles hinbiegt, wie es ihm gerade passt und nützt. Da war nichts von dem Mann, der in Charlottes B. Roman eine düster romantische Aura aufbaut. Und ein schlechtes Gewissen hat er so oder so nie gehabt (weder hier noch in Brontes Roman).


    Übrigens bin ich auch froh, es nicht im Original gelesen zu haben. Ich glaube dann hätte ich gerade mal die erste Seite gelesen :lachen:

  • Ich habe es ja im Original gelesen und mich echt gequält. Sprachlich war das gar kein Genuss für mich.

    Gleichzeitig ... welche Autor:innen sind den die Klassiker des 19. Jahrhunderts? Jap... Weiße. Und zwar solche, aus den Kolonialherrenländern. Insofern ist der Blick aus einer Kolonie auf die Ereignisse schon spannend.

    Absolut, und auch abgesehen von der Kolonialthematik finde ich es ja eh immer spannend, Figuren aus bekannten Geschichten mal aus anderen Blickwinkeln zu erleben. Es ist wirklich schade, dass (für mich) hier durch die total verworrene Erzählweise und schwer verständliche Sprache so viel Potential verschenkt wurde. Die Geschichte von Antoinette und Rochester an sich wäre ja hochinteressant.

    Das Kloster in dem sie zeitweise untergebracht ist, erscheint mir auch mehr "Verwahrungsanstalt".

    Gerade Frauen wurden ja sehr gerne irgendwo weggesperrt, wenn sie lästig, aufsässig oder sonstwie auffällig waren :(

    Da fällt mir ein für den Winter - Elizabeth Gaskell?

    An welches Buch denkst Du? "Cranford" fand ich ziemlich langweilig, aber "North and South" würde mich trotzdem reizen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich dachte and North and South Valentine - da wird nicht nur die pittoreske Landschaft mit schönen, reichen Leuten beschrieben


    Zur Sargasso Sea - ich fand die Sprache gar nicht so schwer zu lesen. Ich habe das Buch auch ohne die Fußnoten gelesen, die im Anhang waren. Was genau fandet ihr verwirrend? Den ständigen Perspektivenwechsel?


    Ich hätte mir noch mehr Ausführungen über das Verhältnis zwischen Sklaven und ehemaligen Sklavenbesitzern gewünscht. Die Andeutungen sind oft vage geblieben und die Folgen für Antoinette waren ja eklatant, vor allem als ihr Haus mit ihrem Bruder abgefackelt wurde.


    Trauma Nummer 1, das durch ein Feuer beendet wurde, andere folgten ja, bis zum Schluss.

  • b.a.t. : bei "North and South" wäre ich dabei - aber lass uns das dann vielleicht lieber in einem separaten Thread planen :)


    Mir hat der Stil nicht zugesagt, ohne dass ich das jetzt ganz konkret an irgendwas festmachen könnte. Ich fand es zudem sehr schwierig, dass so vieles nur angedeutet war und zwischen den Zeilen aus kryptischen Anspielungen und für mich schwer nachvollziehbaren Dialogen herausgefiltert werden musste. Mag sein, dass ich bei dem Buch ausnahmsweise doch lieber auf deutsch hätte lesen sollen.


    Die Endnoten in meiner Penguin-Ausgabe waren an manchen Stellen durchaus hilfreich, was den historischen Hintergrund oder sprachliche Besonderheiten angeht, wobei ich sogar relativ viele für mich persönlich gar nicht gebraucht hätte. Dem Verständnis der Handlung an sich haben sie allerdings nicht geholfen :(

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Zur Sargasso Sea - ich fand die Sprache gar nicht so schwer zu lesen. Ich habe das Buch auch ohne die Fußnoten gelesen, die im Anhang waren. Was genau fandet ihr verwirrend? Den ständigen Perspektivenwechsel?

    Ich habe mir teilweise echt an den Rand geschrieben, wer hier meiner Ansicht nach gerade erzählt - und einmal auch wirklich falsch gelegen. Mit den ungekennzeichneten Perspektivwechseln hatte ich echt Schwierigkeiten, weil die Figuren dafür (zumindest in der Übersetzung) zu wenig Eigenarten in der Sprache haben, die sie unterscheidbar machen.

  • Oh ja, den Perspektivenwechsel, als auf einmal kurze Zeit wieder Antoinette erzählt statt Rochester, hätte ich wahrscheinlich ohne die Endnoten überhaupt nicht kapiert. Das fand ich nicht wirklich gelungen gelöst.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen