Obwohl schon einige hier dieses Buch gelesen haben, gibt es anscheinend noch keinen Thread dazu. Sollte ich ihn doch übersehen haben, dann bitte meine Rezi dort anhängen.
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Erschienen 1859; von mir gelesen in der Übersetzung von Walter Widmer.
Es war nicht einfach, eine Rezension über dieses Buch zu schreiben, und ich kann nur genauer darauf eingehen, indem ich einiges von der Handlung verrate. Wer sich also beim Lesen noch überraschen lassen möchte, sollte hier vorsichtig sein.
Der Inhalt
Zu Beginn wird die Handlung aus der Sicht eines Ich-Erzählers beschrieben, was sich aber nach wenigen Seiten einfach verliert. Man lernt Charles Bovary als Schüler kennen und verfolgt seinen Lebensweg und sein wenig spektakuläres Dasein, das sich kaum ändert, als er Emma heiratet. Die junge Frau führt das Leben vieler halbwegs begüterter Gattinnen zur damaligen Zeit: Keine Aufgaben oder Anforderungen bestimmen ihren Alltag, sondern nur der Haushalt. Selbst ein Kind kann sie nicht aus dieser Lethargie reißen, es wird abgeschoben zu einer Amme. Irgendwann beginnt sie, sich aus reiner Langeweile und Vernachlässigung für andere Männer zu interessieren. Nach der ersten Affäre folgt bald darauf eine zweite, die Madame Bovary aber trotzdem nicht zufrieden stellt. Schließlich entwickelt sie als Kompensierungsmittel eine Kaufsucht, was letztlich im Desaster endet. Obwohl Charles seine Frau wirklich liebt, ist er außerstande zu erkennen, in welche Misere seine Ehe steuert.
Mein Eindruck
Flaubert schreibt zwar in einem relativ unpersönlichen und fast distanzierten Stil, aber als Frau drängte sich mir irgendwann die Frage auf, ob er tatsächlich so neutral war. Spätestens, als er beschrieb, wie sich Madame Bovary mit einer List die Möglichkeit schuf, ihren zweiten Liebhaber regelmäßig zu sehen, sah ich den erhobenen Zeigefinger vor mir. Der Eindruck vom „schwachen Geschlecht“ wird noch unterstrichen, als ein gewitzter Händler Emma überredet, sich eine Handlungsvollmacht ihres Mannes ausstellen zu lassen, um finanziell unabhängig zu sein. Charles hingegen ist nur mit seinem Beruf beschäftigt und seiner Frau so ergeben, dass er auch die kleinsten Anzeichen übersieht, die jeden anderen Mann misstrauisch gemacht hätten. Die Konsequenz, die Emma letzten Endes zieht, hatte ich nicht erwartet, aber ich kann sie nur ähnlich negativ deuten, wie mir die Einstellung Flauberts gegenüber der Titelfigur erscheint. Obwohl Emma die Böse ist, kann ich für sie mehr Verständnis aufbringen als für Charles.
Der Roman ist leicht zu lesen, sowohl vom Stil her als auch von der Handlung. Teilweise werden Begebenheiten minutiös oder Örtlichkeiten ausführlich geschildert, wobei sich der Autor trotzdem nicht in Banalitäten verliert, und andererseits nimmt das Tempo wieder an Fahrt auf, indem Geschehnisse in wenigen Zeilen abgehandelt werden, was mir weniger gut gefiel. Dass der Roman nicht mit einem happy end aufwartet, macht ihn sehr realistisch. Trotzdem konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich um den Vorläufer einer Lovestory der heutigen Zeit handelt. Auch die allgemeine Ansicht, dass Flaubert wertungsfrei schreiben, kann ich nicht ganz teilen. Was hätte wohl eine Frau aus dieser Geschichte gemacht?