Jasper Fforde - Shades of Grey
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Wie groß war die Vorfreude auf Ffordes neues Machwerk, ein Jahr vor dem Erscheinen der Taschenbuchausgabe habe ich sie vorbestellt, und endlich hielt ich sie vor wenigen Wochen in Händen. Rein äußerlich ist das Buch toll, es gefällt mir richtig gut, und ich finde, es sollte auch einmal festgehalten werden, dass ich Schriftart und -typ klasse finde.
Dann der große Moment: Das Buch wird aufgeschlagen, die ersten Zeilen gelesen. Und wie von Fforde nicht anders zu erwarten, findet sich der Leser in einer skurrilen Welt wieder. In diesem Fall landet man in einer utopischen Gesellschaft, die von den dämlichen und sinnfreien Regeln von Munsell bestimmt ist, und in der alles davon abhängt, wie gut die eigene Farbwahrnehmung ist.
Denn die Menschen sind eingeteilt in Gruppen, je nach ihrer Farbperzeption: Die Roten, die Gelben, die Blauen, die Purpurnen, die Grünen, die Grauen. Die Zugehörigkeit zu diesen Gruppen bestimmt alles, welche Tätigkeiten man ausübt (die Grauen sind die Arbeitstiere, die unter der absoluten Vollbeschäftigung zu leiden haben), wen man heiraten darf, wie das Leben abläuft.
Der Protagonist Eddie Russett (in welche Gruppe jemand fällt, kann man am Nachnamen ablesen, in diesem Fall "Rotbraun") wird, weil er das Schlangestehen revolutionieren wollte, zur Strafe in die Äußeren Bezirke geschickt. Dabei wäre seine Werbung um die höherrangige Oxblood Tochter gerade am laufen. Die äußeren Bezirke sind (bis zu einem gewissen Grad) wild und weniger regelkonform, und Eddie's Weltbild wird hier ein um's andere Mal erschüttert, vor allem von Jane Grey, in deren hübsche Nase er sich von der ersten Begegnung an verguckt.
Jasper Fforde hat, so möge man meinen, seine Spielwiese gut gewählt. Die Absurditäten, die ich bei Thursday Next so liebe, kommen nicht zu kurz: So dürfen keine Löffel mehr hergestellt werden (was diese zu einem extrem kostbaren Gut macht), die Heiratspolitik des "Rebellen" Tommy genial und der Apocryphe, mit dem sich Eddie und sein Vater ein Haus teilen, ist in beinahe jeder Szene urkomisch (der Mann ist, so scheint es, verrückt, wird dadurch zum Apocryph und muss von der Gesellschaft ignoriert werden, obwohl er sich frei durch sie bewegen kann). Eddies Vater ist Arzt und geheilt werden die Menschen, indem man ihnen gewisse Farben zeigt.
Und dann kommt der große Schock, den zu realisieren bei mir einige Zeit und einige Seiten lang gedauert hat: Trotz all dieser tollen Voraussetzungen und trotz Ffordes Gabe sich an Bizarritäten immer wieder zu übertreffen, habe ich mich an vielen Stellen gelangweilt. Schon bei der Thursday Next Reihe hat mir der vierte Band lange nicht mehr so gut gefallen wie der erste. Die Nursery Crimes Reihe fand ich wirklich nett, aber eben auch nicht mehr den ganz großen Wurf, und hier stehe ich nun und bin nicht mehr begeistert von Fforde, sondern nur mehr mild amüsiert.
Möglicherweise braucht die Einführung der komplexen Welt einfach zu viel Zeit und Aufmerksamkeit und die Geschichte selbst tritt in den Hintergrund (Eddie verliert seinen Glauben an die perfekte Welt und muss ein paar kleinere Widrigkeiten überwinden). Möglicherweise kann man die skurrilen Ideen nicht mehr so genießen, weil das Setting die relativ lahme Hauptperson Eddie Russett einfach erschlägt.
Man möge mich nicht falsch verstehen, das Buch ist nett, solide Handarbeit, aber von Begeisterung bin ich weit entfernt und damit habe ich bei Fforde einfach nicht gerechnet. Obwohl alles passt, und Fforde seinen wirksamen Mitteln treu bleibt, einen Scheiterhaufen errichtet für die fade und öde Witzlosigkeit mancher Romane, springt der Funke nicht über und das Konstrukt bleibt erhalten. Die richtigen Teile haben sich zu einem verzerrten Ganzen aufgetürmt, das einfach nicht zum Brennen zu bringen ist. Vereinzelte kleine Flämmchen können nicht retten, was ein Flächenbrand sein möchte.
Trotzdem habe ich Hoffnung: Dass nämlich der nächste Teil es schafft, die Kurve zu kriegen und geniale Einzelheiten mit einem fantastischen Ganzen in Einklang zu bringen.