Theodor Storm - Der Schimmelreiter

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    Theodor Storm, Der Schimmelreiter (1888)



    Ein Reisender begegnet in einer stürmischen Nacht einem unheimlichen Reiter. Als er in einem nahe gelegenen Wirtshaus das Ende des Unwetters abwarten will, erfährt er von einem Einheimischen die Geschichte des Reiters. Es ist die Geschichte von Hauke Haien, einem einfachen Knecht, der mit Hilfe seiner überragenden Fähigkeiten zum Deichgraf der Gemeinde wurde und als solcher gegen Aberglauben und Missgunst der Menschen, aber auch gegen die Gewalt des Meeres ankämpfen musste.


    Theodor Storms Novelle erscheint auf den ersten Blick unspektakulär. Wir erfahren die Geschichte eines Mannes, der sich durch Fleiß und Können auszeichnet, welche ihm die verdiente Stellung, zugleich auch die unverdiente Missgunst von Einzelnen einbringt. Die Geschehnisse werden uns auf sachliche und nüchterne Weise mitgeteilt, und doch habe ich während des Lesens immer eine bedrückende Schwere gefühlt, die selbst in Augenblicken der gelesenen Freude und Fröhlichkeit nicht gewichen ist. Die gesamte Erzählung wirkt beklemmend, insbesondere durch das (vorhersehbare) Schicksal Hauke Haiens, an welchem die Erzählung, selbst in Haukes glücklichen Momenten, keinen Zweifel aufkommen lässt. Unterstützt (vielleicht auch hervorgerufen) wird diese tiefe Empfindung durch die Naturbeschreibungen. Auch hier wird sachlich beschrieben, auch hier verbirgt sich hinter den nüchternen Schilderungen des Meeres und des Wetters eine unausweichliche und bedrückende Dramatik.


    Der Schimmelreiter ist die beeindruckende Geschichte eines einsamen Visionärs, der mit seinen neuen Ideen und fortschrittlichen Taten gegen den volkstümlichen Aberglauben der Menschen ankämpfen musste, nur um am Ende selbst Teil dieses Aberglaubens zu werden, als Schimmelreiter.

    4ratten & :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Der Schimmelreiter ist ein Werk, das ich immer wieder einmal lese, bevorzugt, wenn ich im Spätherbst oder Winter an der Küste bin, der Wind an den Fensterläden rappelt und der Nebel merkwürdige Gebilde produziert und Gegenständen ein völlig neues Wesen verpaßt. Das ist genau die richtige Atmosphäre, um den Reiter selbst zu sehen, auch wenn man sich anderer Stelle als dem Handlungsort der Novelle befindet :zwinker:


    Ich kann gut nachvollziehen, was Du mit dem bedrückenden Gefühl meinst, mir geht das eigentlich auch immer so. Aber noch viel mehr ärgere ich mich über diese Ignoranten, die Haukes Ideen nicht nachvollziehen wollen, obwohl er es ihnen so genau zeigt. Allerdings stellt er sich mehr als einmal auch nicht besonders geschickt an, und bringt die Menschen damit gegen sich auf. Psychologie ist jedenfalls nicht seine starke Seite. Sehr interessant fand ich übrigens auch einen Vortrag, über den Schimmelreiter, der vor der Humboldt-Gesellschaft gehalten wurde: klick! Ich teile nicht unbedingt alle Ansätze darin, vor allem jene zum Mutter-Sohn-Verhältnis und zum Sohnessubstitut, aber das muß ich ja auch nicht. Für einen meiner immerwährenden Favoriten muß ich natürlich die Höchstwertung vergeben:


    5ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen


  • Der Schimmelreiter ist ein Werk, das ich immer wieder einmal lese, bevorzugt, wenn ich im Spätherbst oder Winter an der Küste bin, der Wind an den Fensterläden rappelt und der Nebel merkwürdige Gebilde produziert und Gegenständen ein völlig neues Wesen verpaßt. Das ist genau die richtige Atmosphäre, um den Reiter selbst zu sehen, auch wenn man sich anderer Stelle als dem Handlungsort der Novelle befindet :zwinker:


    In dieser Atmosphäre möchte ich das Buch auch einmal lesen. Schon während der Lektüre wollte ich am liebsten sofort an die Küste fahren und mir auf einem Deich stehend die Wellen ansehen. Ich konnte das Meer quasi riechen und wurde von einer richtigen Sehnsucht danach gepackt. ... So eine Schimmelreiter-Sightseeing-Tour dürfte natürlich auch nicht fehlen. :zwinker:



    Aber noch viel mehr ärgere ich mich über diese Ignoranten, die Haukes Ideen nicht nachvollziehen wollen, obwohl er es ihnen so genau zeigt. Allerdings stellt er sich mehr als einmal auch nicht besonders geschickt an, und bringt die Menschen damit gegen sich auf. Psychologie ist jedenfalls nicht seine starke Seite.


    Gerade diese Ignoranz und das Unverständnis auf beiden Seiten war es gerade, welche die Novelle für mich so bedrückend machten. Zwei Standpunkte, jeder glaubt sich im Recht und kann die andere Seite nicht verstehen - und das Unheil nimmt seinen unabwendbaren Lauf. Und dadurch, dass der Leser von der ersten Seite an das Gefühl hat, diese Geschichte kann nicht gut ausgehen, wird es noch um so tragischer und das beklemmende Gefühl verstärkt.


    Danke auch für den Link. Ich werde mich bei Gelegenheit durch den Vortrag wühlen.


    Liebe Grüße :winken:
    bimo

  • Hallo,


    ich habe den Schimmelreiter bei meinem 1wöchigen Urlaub an der Nordsee in Holland gelesen und es hat mir im passenden Ambiente gut gefallen.


    Hauke Haien, ein Aussenseiter, wird zum fortschrittlichen und modernen Deichgrafen. Durch Beobachtung und Lesen kommt er zum Schluss das die Deichkonstruktionen seiner Zeit nicht sicher sind und versucht das, nachdem er sein Amt inne hat zu verbessern. Doch stößt er dabei auf Mißgunst und Widerstand, denn er mangels, wie würde man heute so schön sagen, sozialer Kompetenz nicht brechen kann. Am Ende kommt es zur Katastrophe.


    Das Buch ist in einer düsteren, grauen Stimmung geschrieben und passt eigentlich besser zum Herbst und Winter als zum Spätsommer, trotzdem konnte man sich in das Leben und die Zeit hineinversetzen. Die Figuren waren lebendig beschrieben und wurden von der Handlung getragen.
    Der Konflikt zwischen Aberglaube und Rationalität wird sehr deutlich, während viele Leute bei den nächtlichen Schatten an Geister und Dämonen denken, erkennt Hauke, dass es sich lediglich um Vögel "auf der Jagd" handelt. Das Bild hat mir sehr gut gefallen!
    Eine schöne kleine Novelle, die man immer mal wieder lesen kann, bei einem Kaminfeuer z.B.


    Viele Grüße
    schokotimmi

  • Eigentlich kann ich mich den vorangegangenen Stimmen nur anschließen. Auch mir hat "Der Schimmelreiter" sehr gut gefallen. Das lag vor allen Dingen an der düsteren Atmosphäre, die Storm zu schaffen vermag. Der Aberglaube der Menschen sitzt tief und das meist stürmische Wetter trägt dazu bei, dass an allen Ecken und Enden unheimliche Wesen gesehen werden. Eigentlich kann ich ganz gut nachvollziehen, dass die meisten Menschen an so einem Ort Gespenster sehen, wo gar keine da sind. Dass manche Leute diese Geistergeschichten ausnutzen, um anderen zu schaden, ist dann nur noch ein kleiner Schritt.


    Hauke Haien steht diesem ganzen Aberglauben sehr kritisch gegenüber. Er lebt in der Realität und duldet in seiner Gegenwart keine Schauergeschichten. Man erlebt seinen Aufstieg von seiner Jugend als Sohn eines kleinen Grundbesitzers bis hin zum eigenständigen Deichgrafen mit. Er nutzt seine Klugheit und sein selbsterlerntes Wissen über Deiche, um dem alten Deichgrafen zur Hand zu gehen, bis er schließlich selbst zum Deichgraf ernannt wird. Bei seiner ganzen Logik bleibt aber leider sein Einfühlungsvermögen auf der Strecke. Und gegen den Aberglauben kommt man mit reiner Logik nun mal nicht an.


    Storm zeigt hier zwei Extreme auf, die sich einander nicht annähern können und dadurch zum Scheitern verurteilt sind. Mit diesem Werk ist Storm heute noch höchst aktuell, denn das Aufeinandertreffen von alter, traditioneller Meinung und neuer, moderner Meinung kann man immer wieder beobachten.


    Wie gesagt, hat die Novelle mir sehr gut gefallen, auch weil Storm einige mystische Elemente, wie Wienkes Vorahnungen, offen lässt und nicht rational erklärt. Dadurch bleibt für den Leser einiges offen, was er sich entweder selbst erklären kann oder auch nicht. Jeder nach seiner Fasson.
    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

    Einmal editiert, zuletzt von mondy ()


  • Gerade diese Ignoranz und das Unverständnis auf beiden Seiten war es gerade, welche die Novelle für mich so bedrückend machten. Zwei Standpunkte, jeder glaubt sich im Recht und kann die andere Seite nicht verstehen - und das Unheil nimmt seinen unabwendbaren Lauf. Und dadurch, dass der Leser von der ersten Seite an das Gefühl hat, diese Geschichte kann nicht gut ausgehen, wird es noch um so tragischer und das beklemmende Gefühl verstärkt.


    Genau dieses Gefühl beschreibt die Geschichte treffend.
    Man wartet nahezu darauf, dass etwas schief geht und Hauke dafür verantwortlich gemacht werden kann. Leider musste es genau so kommen, wenn zwei so unterschiedliche Lager mit unterschiedlichen Ansichten aufeinander treffen. Besonders beklemmend fand ich die Szene,

    Ein solcher Aberglaube kann durchaus gefährlich werden.
    Bezeichnend finde ich auch, dass Hauke aus einfacheren Verhältnissen stammt und ihm deswegen immer wieder Steine in den Weg gelegt werden. Umso mutiger, dass Elke ihm beisteht und ihm zu einer höheren Position verhelfen kann.


    Ich muss gestehen, das Buch nun erst gelesen zu haben, obwohl man mir schon sehr viel davon erzählt hat und sehr viele in meinem Freundeskreis das Buch in der Schule gelesen haben. :redface:
    Da meine Familie aus Nordfriesland kommt (die Eider liegt direkt vor der Haustür) konnte ich mir die Gegend sehr genau vorstellen und hatte immer Bilder im Kopf, wenn Hauke am Deich unterwegs war.


    5ratten


  • Da meine Familie aus Nordfriesland kommt (die Eider liegt direkt vor der Haustür) konnte ich mir die Gegend sehr genau vorstellen und hatte immer Bilder im Kopf, wenn Hauke am Deich unterwegs war.


    Vielleicht begegnet er dir eines Tages? :angst:

    //Grösser ist doof//

  • Dieses Buch mussten wir in der Schule lesen-in der 8. Klasse, glaube ich.
    Mir hat diese Novelle im Gegensatz zu den meisten anderen Mitschülern richtig gut gefallen.

  • Wenn es dazu kommt, werde ich euch davon berichten. :breitgrins:


    Frag ihn am besten nach ein paar Autogrammen - ich glaube, die würden hier gut ankommen :breitgrins:


    @Aurelia: Schön, dass er dir auch gefallen hat :winken:

    //Grösser ist doof//

  • Es ist zwar schon gefühlte Ewigkeiten her, seit ich den Schimmelreiter gelesen habe, aber er ist mir in sehr gutr Erinnerung geblieben. Eigentlich komisch, dass ich nichts dazu geschrieben habe :rollen:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Es gibt so viele Bücher, die wir lesen... :lachen: Vielleicht kannst du jetzt ja noch etwas dazu schreiben?

    //Grösser ist doof//

  • Jari: Leider nicht viel mehr, als ich oben schon geschrieben habe :sauer: Die Szenen am Deich sind mir am stärksten in Erinnerung. Ich habe den Schimmelreiter als Reclamheft bei einer Wanderung mitgenommen. Die letzte große Wanderung alleine war 2006.. in der Zeit kann man schon mal was vergessen :zwinker:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Stimmt, 2006 ist schon eine Weile her :breitgrins: Und auch ich kann mich nicht an alle Inhalte erinnern, die in meinem Regal stehen :zwinker:

    //Grösser ist doof//

  • Ein wunderbar atmosphärisches Werk von Theodor Storm, nach dessen Lektüre man am Liebsten seine Koffer packen und nach Norddeutschland reisen will und das trotz oder vielleicht auch wegen der gruseligen und mysteriösen Passagen des Buches.
    Bemerkenswert finde ich die verschachtelte Erzählweise, die mich besonders zu Beginn etwas irritiert hat. Zunächst gibt ein Ich-Erzähler einen Einstieg in die Novelle und erläutert, dass er die folgende Geschichte in seiner Kindheit von seiner Urgroßmutter (identifizierbar als Storms eigener Urgroßmutter Elsabe Feddersen) vorgelesen bekommen hat. Zu dieser Ausgangslage kehrt Storm erstaunlicherweise am Ende der Novelle nicht mehr zurück.
    Anschließend erzählt ein weiterer Ich-Erzähler von seiner Begegnung mit dem Schimmelreiter auf dem Deich und seiner Einkehr in ein Wirtshaus, wo ihm die eigentliche Kerngeschichte über Hauke zugetragen wird.
    In meinen Augen ein seltsam umständlicher Beginn der Geschichte, der wohl in erster Linie dazu dient, dem Ganzen zusätzlich Authentizität zu verleihen. Aber danach geht es ja glücklicherweise so richtig los.
    Storm versteht es, den Leser mitzunehmen in eine ganz eigene Welt, angesiedelt irgendwo zwischen gesellschaftskritischer Heimat- und faszinierender Schauergeschichte.
    Der Autor verwendet dabei eine Sprache, die den Leser mit jedem Buchstaben dazu führt, dass er das Rauschen der Wellen im Ohr hören kann. Begriffe, die mir besonders in Erinnerungen geblieben sind, sind etwa: Marsch, Geest, Fenne, Koog und Pesel.
    Zuweilen hatte ich den Eindruck, dass Storm mehr Begriffe für das Meer und sein Umland kennt, als die Inuit für Schnee :breitgrins:.
    Außerdem kreiert Storm einige erstaunliche Charaktere, die dem Leser dauerhaft im Gedächtnis bleiben. Als ein Beispiel fällt mir etwa die Witwe Trin Jans mit ihrem Angorakater ein.
    Eine klassiche Novelle, die auch die Freunde des gepflegten Gruselns anspricht.
    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Hauke Haien ist ein Vogelmörder und Katzenkiller. Ab dem Moment ist klar, dass es ein böses Ende nehmen wird. Erstaunlich, dass Hauke mir trotz dieser fiesen Tierattacken später noch sympathisch wurde.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Seine Schuld lag im Töten des Katers. Die Vögel wurden gegessen und ihr Erlegen war kein sinnloser, aggressiven Akt. Der Kater war dagegen sein Freund, dem Hauke immer etwas von seiner Beute abgegeben hat - bis auf das eine Mal, als er nur einen Vogel gefangen hatte, den er nicht teilen wollte. Er hat sein Temperament verloren und den Kater in einer Zornestat getötet und dann auch noch, als er zur Rede gestellt wurde, keine Reue gezeigt.


    Diese Tat konnte er nie wieder gutmachen - weder indem er versuchte, den Hund beim Deichbau zu retten, noch indem er das Pferd aufpäppelte oder der alten Trine Jansen einen schönen Ruhesitz gewährte.