Was ist interessant an "Klassikern"?

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  • @ Mrs. Dalloway:


    Ohne mich auf die Zahl von 24 festlegen zu wollen: von Shakespeare kenne ich genug exzellentes, um zu wissen, dass T.A. das Tabellenende bildet. Die Erwartungen beruhten also auf Erfahrung, nicht auf Ehrfurcht. T.A. wäre, auch wenn er von Marlowe oder sonstwem (womöglich war es Seneca, der die Vorlage lieferte) geschrieben wäre, ein seltsam Ding. Ich kann übrigens auch sonst ganz gut damit umgehen, dass Autoren, die ich sehr schätze, nicht immer auf dem bestmöglichen Niveau schrieben.


    Nein, anmaßend finde ich Deine Bemerkung nicht, sie ist keineswegs fernliegend. Ich meinte aber etwas anderes: ein gelungenes Werk setzt sich durch, auch wenn der Autor daneben eine ganze Menge für die Ablage P (wie Papierkorb) produzierte. Einen Heinrich von Kleist nimmt man wegen des Zerbrochenen Krugs wahr, wegen des Prinzen von Homburg und wegen des Käthchens, nicht wegen der Familie Schroffenstein und auch nicht wegen der Hermansschlacht.

  • @Gronauer:


    Soweit ich weiß, zählt Harold Bloom Titus Andronicus übrigens zu den 24 Meisterwerken (im Gegensatz zu Richard III). Ein Glück, dass Geschmäcker verschieden sind. :winken:

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • Zitat

    Was ist interessant an "Klassikern"?


    Die Frage ist schon falsch gestellt. Denn nicht jeder "Klassiker" ist gleich interessant. Ein Klassiker ist dann interessant, wenn er meinem Lesegeschmack / meinen aktuellen Interessen entspricht [und das ist sicher nicht davon abhängig ob irgendwann mal irgendjemand gesagt hat: "Das musst du lesen!", und es seit dem (fast) jeder macht (aufgrund echter Freude / aufgrund von Zwang (Schule / Studium ...) / oder aufgrund von Aufschneiderei (kaufen und aus Prestigegründen ins Regal stellen)].


    Wer Klassiker liest, weil sie "den Klassikern" zugeordnet werden, macht in meinen Augen bei seiner Buchauswahl entscheidende Fehler ;).


  • Wer Klassiker liest, weil sie "den Klassikern" zugeordnet werden, macht in meinen Augen bei seiner Buchauswahl entscheidende Fehler ;).


    Eben nicht. Das Gegenteil ist der Fall, es sind in vielen Fällen herausragende Bücher. Wer sich durch die Klassikereinordnung abschrecken lässt, weil diese Bücher nicht zuletzt durch den Schulunterricht von vielen als langweilig eingestuft werden, der kennt die enorme Vielfalt der Klassiker nicht. Natürlich spricht nichts dagegen auch moderne Literatur zu lesen. Leider kann man sich bei Auswahl nicht immer auf das Feuilleton verlassen. Da wird viel gelobt, tatsächlich ist vieles lesbar, aber nur weniges davon ist wirklich Weltklasse.


    Gruß, Thomas

  • Ich denke, dass ein Mindestmaß an Interesse für das behandelte Thema vorhanden sein muss, um in die Lektüre eintauchen zu können / sich mit ihr auseinander setzen zu können. Meiner Meinung nach scheitern so viele an der Lektüre von "Klassikern", weil sie kein Interesse für das behandelte Thema haben und nicht weil sie nicht über einen ausreichenden Intellekt verfügen (was wohl aber an und an der Fall sein mag, will ich gar nicht abstreiten). Wenn man aber auf Gedeih und Verderb Klassiker liest, weil es eben Klassiker sind, kann man nur scheitern (das trifft auf viele zu, nicht auf alle; besonders auf jene, die anfänglichen Zugang zu "Klassikern" suchen). Die Auswahl ist schließlich groß genug, man muss ganz sicher nicht jeden Klassiker auch mögen (ich kann die mögliche Leistung eines Autors eventuell anerkennen, dass er über viele Jahre hinweg zahlreiche Leser begeistert haben mag und dass sein Werk großartiges bewirkt haben mag, aber es muss mir deshalb trotzdem nicht gefallen). Wenn sich Klassiker finden, die dem eigenen Geschmack / Interesse entsprechen, ist eine ideale Voraussetzung geschaffen. So war das gemeint ;).


  • Ich denke, dass ein Mindestmaß an Interesse für das behandelte Thema vorhanden sein muss,


    Ich würde alternativ formulieren: Es muss ein Mindestmaß an Interesse für Literatur vorhanden sein. Literatur als Kunstgegenstand, den man unabhängig vom Inhalt zu genießen versucht. Bei Literatur muss man sich auf eine möglicherweise unbekannte Sprache, einen ungewohnten Stil einlassen, um die Schönheit von Literatur zu entdecken. Man muss auch die damit verbundene Anstrengung zumindest in Kauf nehmen oder gar mögen. Hat man aber erst einmal ein wenig Erfahrung mit Klassikern, dann fällt der nächste schon leichter. Zugegeben: Nicht jeder Leser muss dem hier aufgestellten Paradigma folgen. Das kann natürlich jeder für sich entscheiden. Im Artikel von xenophanes wird das auch thematisiert: "Klassiker zu lesen und zu verstehen, ist eine Fähigkeit wie viele andere, die man zumindest einige Jahre lang trainieren muss."


    Gruß, Thomas

  • An Lektüre kann man ganz unterschiedliche Erwartungen formulieren. Ich möchte das mal mit einem Vergleich illustrieren: Wären wir hier ein Forum, in dem Gesellschaftsspiele aller Art besprochen werden, dann liegen die Partyspiele etwa so weit weg von Schach wie der gemeine Bestseller vom Klassiker. Das Partyspiel ist auf gute, kurzweilige Unterhaltung ausgerichtet, die Regeln müssen schnell erlernbar sein, ein wenig Taktik soll vielleicht auch dabei sein. Schach hingegen erfordert jahrelange Übung, um die Schönheit des Spiels zu entdecken. Es eignet sich überhaupt nicht für die Party und ist ein Spiel mit Strategie und Taktik ohne jegliche Glückskomponente. Beide Spielarten sind überhaupt nicht vergleichbar, woraus man mehr Befriedigung zieht, muss jeder für sich entscheiden. Aus gleicher Motivation heraus ist eine Diskussion Klassiker vs. Bestseller, wie wir sie in der Vergangenheit schon geführt haben, gar nicht sinnvoll. Die Frage, was das Schachspiel aber interessant macht, kann man genauso untersuchen wie die Frage, was den Reiz des Lesens von Klassikern ausmacht. Einige Antworten dazu sind oben formuliert.


    Gruß, Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Aus gleicher Motivation heraus ist eine Diskussion Klassiker vs. Bestseller, wie wir sie in der Vergangenheit schon geführt haben, gar nicht sinnvoll. Die Frage, was das Schachspiel aber interessant macht, kann man genauso untersuchen wie die Frage, was den Reiz des Lesens von Klassikern ausmacht.


    Zwei wirklich schöne und für mich sehr wichtige Sätze, Thomas. Ich glaube, wenn wir das alle so beherzigen, kommt es auch nie zu so dermaßen emotional geführten Diskussionen, wie sie hier manchmal schon geführt wurden. Beides darf nebeneinander existieren und wenn das jeder respektiert, haben wir eine sehr gute Grundlage.

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Ich denke daß kommt darauf an warum man überhaupt liest. Ich kann auch Bücher lesen deren Thema mich vorher gar nicht gereizt hat, wenn der Schreibstil toll ist, andererseits kann ich über Sprache die mir nicht ganz so zusagt relativ gut hinwegsehen, wenn das Thema spannend ist und dabei ist mir ziemlich egal, ob es sich um einen klassiker oder simple Unterhaltungsliteratur handelt.
    Abgesehen davon empfinde ich die Klassiker, die ich gelesen habe eigentlich auch als Unterhaltungsliteratur, nur daß ich dabei vielleicht noch etwas über die Zeit lerne in der sie geschrieben wurden.

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”


  • Zwei wirklich schöne und für mich sehr wichtige Sätze, Thomas. Ich glaube, wenn wir das alle so beherzigen, kommt es auch nie zu so dermaßen emotional geführten Diskussionen, wie sie hier manchmal schon geführt wurden. Beides darf nebeneinander existieren und wenn das jeder respektiert, haben wir eine sehr gute Grundlage.


    Diskussionen kann man gar nicht anders führen als mit emotionaler Beteiligung, mithin mache erst dies ihren Reiz aus, dächte ich.


    Unterhaltungsliteratur und Klassiker existieren ja ganz notwendig nebeneinander; sie dürfen nicht nur, sie müssen sogar. Die fast schon übertriebene Rücksicht, die hier jederzeit so hochgehalten wird, gilt ja nie der schlechten Literatur, sondern den Lesern derselben. Das ist also eine gemeine Zwickmühle, denn jenes Laissez-faire solcher Höflichkeiten verbietet einem die Freundlichkeit aufrichtiger und wohlgemeinter Kritik. Für viele ist offenbar die Kategorie "schlecht" bereits ein Angriff auf ihre Person. Und das Wort "schlecht" muss nicht einmal fallen, denn es reicht der Umkehrschluss in manchen Köpfen: "Wenn jene Klassiker zum Besten der Literatur gezählt werden (pah!), sind dann etwa meine Bücher schlechter?" Insgeheim kennt man die Antwort, aber man ist besser beraten zu schweigen, so als säße man vor einem ungenießbaren Eintopf und es früge der Koch.



    Ich denke daß kommt darauf an warum man überhaupt liest. Ich kann auch Bücher lesen deren Thema mich vorher gar nicht gereizt hat, wenn der Schreibstil toll ist, andererseits kann ich über Sprache die mir nicht ganz so zusagt relativ gut hinwegsehen, wenn das Thema spannend ist und dabei ist mir ziemlich egal, ob es sich um einen klassiker oder simple Unterhaltungsliteratur handelt.


    Auf die Gefahr hin mit unerwünschten Buchweisheiten um mich zu werfen; ich finde, Schopenhauer schrieb Erhellendes zu diesem Thema. Hier ein kleiner Auszug: "Ein Buch kann nie mehr sein als der Abdruck der Gedanken des Verfassers. Der Wert dieser Gedanken liegt entweder im Stoff, also in dem, worüber er gedacht hat; oder in der Form, d. h. der Bearbeitung des Stoffs, also in dem, was er gedacht hat. Das Eigentümliche des Worüber liegt gänzlich im Objekt, beim Was hingegen liegt das Eigentümliche beim Subjekt. Die Gegenstände können solche sein, welche allen Menschen zugänglich und bekannt sind: aber die Form des Auffassung, das Was des Denkens, erteilt hier den Wert und liegt im Subjekt. Ist daher ein Buch von dieser Seite vortrefflich und ohne Gleichen, so ist es sein Verfasser auch. Hieraus folgt, dass das Verdienst eines lesenswerten Schriftstellers umso größer ist, je weniger es dem Stoff verdankt, mithin sogar, je bekannter und abgenutzter dieser ist."

  • Unterhaltungsliteratur und Klassiker existieren ja ganz notwendig nebeneinander; sie dürfen nicht nur, sie müssen sogar. Die fast schon übertriebene Rücksicht, die hier jederzeit so hochgehalten wird, gilt ja nie der schlechten Literatur, sondern den Lesern derselben. Das ist also eine gemeine Zwickmühle, denn jenes Laissez-faire solcher Höflichkeiten verbietet einem die Freundlichkeit aufrichtiger und wohlgemeinter Kritik. Für viele ist offenbar die Kategorie "schlecht" bereits ein Angriff auf ihre Person. Und das Wort "schlecht" muss nicht einmal fallen, denn es reicht der Umkehrschluss in manchen Köpfen: "Wenn jene Klassiker zum Besten der Literatur gezählt werden (pah!), sind dann etwa meine Bücher schlechter?" Insgeheim kennt man die Antwort, aber man ist besser beraten zu schweigen, so als säße man vor einem ungenießbaren Eintopf und es früge der Koch.


    Glaube mir: Ich kenne die Mitglieder ein bisschen besser als Du, weil ich hier seit über 10 Jahren täglich mitschreibe und Dein "Urteil" ist so nicht korrekt. Dagegen könnte ich behaupten, dass die Vehemenz, mit der die "Klassikerleser" (gibt es "den" Klassikerleser überhaupt?) einem hier teilweise schon begegnet sind, of von großem missionarischem Eifer begleitet war - und jede Form von missionarischem Eifer lässt mir schon von vornherein den Kamm schwillen.


    Erst dachte ich mir: Es ist bedauerlich, dass Du Rücksichtnahme übertrieben finden kannst, aber das ist nicht das Problem des Forums. Dann ist mir aber aufgefallen, dass Du geschrieben hast "fast übertrieben" - und dann ist es ja eigentlich genau so, wie es meinem Wunsch für meine Foren entspricht, denn mir sind die Mitglieder, die Menschen, weitaus wichtiger, als die Literatur. Das ist meine Art, ein Forum zu führen und damit muss jeder klarkommen, der sich hier anmeldet. Streitdebatten gibt es - jedenfalls in meinem Leben - schon ohne Internet zu Genüge. :winken:

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

    Einmal editiert, zuletzt von nimue ()


  • Beide Spielarten sind überhaupt nicht vergleichbar, woraus man mehr Befriedigung zieht, muss jeder für sich entscheiden. Aus gleicher Motivation heraus ist eine Diskussion Klassiker vs. Bestseller, wie wir sie in der Vergangenheit schon geführt haben, gar nicht sinnvoll.


    Das hast du schön gesagt, so empfinde ich es auch. Mir gingen übrigens auch derartige Vergleiche durch den Kopf, allerdings dachte ich eher an Kunst (Gemälde / Skulpturen...) (wo die Meinungen ja ebensoweit auseinandergehen) oder an Musik (wo es sich ebenso verhält).


    In Fragen des Geschmacks kann es auch nie einen gemeinsamen Nenner geben, da die Ansprüche an Literatur sehr unterschiedlich sind. Dieses Forum bringt sehr viele Leser mit ganz individuellen Vorlieben und Ansprüchen unter einen Hut, weswegen ich uA so gerne hier bin.


  • Auf die Gefahr hin mit unerwünschten Buchweisheiten um mich zu werfen; ich finde, Schopenhauer schrieb Erhellendes zu diesem Thema. Hier ein kleiner Auszug: "Ein Buch kann nie mehr sein als der Abdruck der Gedanken des Verfassers. Der Wert dieser Gedanken liegt entweder im Stoff, also in dem, worüber er gedacht hat; oder in der Form, d. h. der Bearbeitung des Stoffs, also in dem, was er gedacht hat. Das Eigentümliche des Worüber liegt gänzlich im Objekt, beim Was hingegen liegt das Eigentümliche beim Subjekt. Die Gegenstände können solche sein, welche allen Menschen zugänglich und bekannt sind: aber die Form des Auffassung, das Was des Denkens, erteilt hier den Wert und liegt im Subjekt. Ist daher ein Buch von dieser Seite vortrefflich und ohne Gleichen, so ist es sein Verfasser auch. Hieraus folgt, dass das Verdienst eines lesenswerten Schriftstellers umso größer ist, je weniger es dem Stoff verdankt, mithin sogar, je bekannter und abgenutzter dieser ist."


    Roland Barthes bekommt jetzt posthum noch einen Herzinfarkt. :zwinker:


    Ich muss dem guten Schopenhauer vollkommen widersprechen leider. Ein Buch kann natürlich mehr sein als der Abdruck der Gedanken des Verfassers, weil ein Buch immer auch auf die Gedanken des Rezipienten, also des Lesers trifft. Gerade bei Klassikern, wo so viele Jahre zwischen Produktion und Rezeption liegen, bin ich davon überzeugt, dass heute jemand in einem Buch ganz andere Dinge lesen kann, als damals vor zB 200 Jahren intendiert. Aber es muss auch gar nicht so lange her sein, jeder Mensch hat andere Bilder im Kopf, fasst Worte anders auf, sieht andere "Muster" in einem Buch - ich fände man gibt dem Autor an zu vielen Dingen Schuld, wenn man behauptet, dass das alles von ihm konzipiert wäre und der Leser es dann einfach nur "richtig" lesen muss.


    Mein Lieblingsbuch ist zB Thomas Manns Zauberberg und ich merke immer wieder im Gespräch mit anderen Leuten, dass die das Ding ganz anders gelesen haben als ich - vielleicht sogar näher an Thomas Manns Intention. Aber ich hab das Buch zu einer bestimmten Zeit in meinem Leben gelesen, mit einer bestimmten Musik als "Soundtrack" und ich werde es immer auch mit diesen Dingen geistig verknüpfen - es steht also gar nicht alleine als Buch da. Andere Leute haben keine Ahnung von diesen Erlebnissen, haben womöglich ganz andere Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Buch (zB Pflichtlektüre - ein besonders negatives Erlebnis :zwinker:) und da kann sich schon gar nicht die selbe Einstellung und die selbe Lesart damit verbinden.

    A way a lone a last a loved a long the // riverrun, past Eve and Adam's, from swerve of shore to bend of bay...


  • Roland Barthes bekommt jetzt posthum noch einen Herzinfarkt. :zwinker:


    Und Foucault auch. :breitgrins:


    Ich musste genau an dasselbe denken, als ich das Schopenhauerzitat gelesen habe.

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)


  • Roland Barthes bekommt jetzt posthum noch einen Herzinfarkt. :zwinker:


    Ich muss dem guten Schopenhauer vollkommen widersprechen leider. Ein Buch kann natürlich mehr sein als der Abdruck der Gedanken des Verfassers, weil ein Buch immer auch auf die Gedanken des Rezipienten, also des Lesers trifft. Gerade bei Klassikern, wo so viele Jahre zwischen Produktion und Rezeption liegen, bin ich davon überzeugt, dass heute jemand in einem Buch ganz andere Dinge lesen kann, als damals vor zB 200 Jahren intendiert. Aber es muss auch gar nicht so lange her sein, jeder Mensch hat andere Bilder im Kopf, fasst Worte anders auf, sieht andere "Muster" in einem Buch - ich fände man gibt dem Autor an zu vielen Dingen Schuld, wenn man behauptet, dass das alles von ihm konzipiert wäre und der Leser es dann einfach nur "richtig" lesen muss.


    Mein Lieblingsbuch ist zB Thomas Manns Zauberberg und ich merke immer wieder im Gespräch mit anderen Leuten, dass die das Ding ganz anders gelesen haben als ich - vielleicht sogar näher an Thomas Manns Intention. Aber ich hab das Buch zu einer bestimmten Zeit in meinem Leben gelesen, mit einer bestimmten Musik als "Soundtrack" und ich werde es immer auch mit diesen Dingen geistig verknüpfen - es steht also gar nicht alleine als Buch da. Andere Leute haben keine Ahnung von diesen Erlebnissen, haben womöglich ganz andere Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Buch (zB Pflichtlektüre - ein besonders negatives Erlebnis :zwinker:) und da kann sich schon gar nicht die selbe Einstellung und die selbe Lesart damit verbinden.


    Ein guter Einwand zwar und völlig berechtigt, aber ich muss hier Schopenhauer doch in Schutz nehmen: Geschrieben stehen diese Sätze in Parerga und Paralipomena unter der Überschrift Schriftstellerei und Stil. Er beleuchtet also zunächst nur die Seite der Literaturschaffenden. Dass es beim Vorgang des Lesens nicht allein die Sache des Autors sein kann, sondern mindestens so sehr die Sache des Rezipienten, das liegt auf der Hand. (Lichtenberg: "Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel heraus gucken.") Im Gespräch über Bücher ist es auch nie ein Problem, dass dies nicht bedacht werden würde, ganz im Gegenteil: es wird zu oft bedacht. Es gibt eine falsche Rücksicht heutzutage, dergestalt, dass man schon gar nicht mehr der Meinung sein kann, dieser Autor oder jenes Buch sei mittelmäßig, schlecht, grauenvoll. Im Grunde gibt es ja heute keine schlechte Literatur mehr, sondern bloß spezielle Literatur für jeden Geschmack. Wem ein Buch nicht gefällt, der nenne es nicht schlecht, sondern 'ihm nicht gemäß'. Es git zu viele bescheidene Konsumenten, glaube ich.

  • Ehrlich? Hm... Ja, vielleicht. Ich persönlich bin da ja nicht so, mir ist durchaus bewusst, dass ich Bücher gerne gelesen habe (und auch in Zukunft gerne lesen werde), die einfach schlecht sind :breitgrins:. Also nicht nur "nicht dem Bildungsbürgertum gemäß" (das ist mir sowieso egal), sondern auch tatsächlich nicht gerade toll geschrieben, mit relativ flachen Charakteren, zu geradlinigen Strukturen, etc. Ich seh das dann eher so wie Fast Food für den Geist, es ist zu fettig oder zu süß, nachher ist einem schlecht, macht aber Spaß. Für mich war die Twilight-Saga so ein Fall - ich halte Stephenie Meyer für ne ziemlich schlechte Autorin und erzähl das auch allen, die das wissen wollen :zwinker:, aber sie hat wohl einen Nerv der Zeit getroffen und so absurd und holprig das alles manchmal ist, hab ich es dann doch mit Interesse alles fertig gelesen. Es war klebrig, aber lustig. :smile: Mit Dan Brown ist es zT das gleiche, obwohl ich da den Da-Vinci-Code irgendwie besser als seine anderen Sachen fand.


    Solche Sachen hab ich aber hauptsächlich bei englischsprachiger Literatur, bei deutschen Werken (oder v.a. Übersetzungen) kann ich zT einfach nicht weiterlesen, wenn es zu schlecht geschrieben ist, dann rollts mir dann die Zehennägel auf* - ist wohl ein Muttersprachenproblem oder vielleicht auch mit der Tatsache verbunden, dass man komplizierte Dinge auf Englisch manchmal simpel ausdrücken kann und das trotzdem gut klingt.


    *Übrigens zT relativ unabhängig von Höhenkamm-Literatur-Snobismus. War letzens in einer Buchhandlung und hab in vom Inhalt her interessant klingende Bücher hineingeblättert, oh was für ein Graus! Theoretisch schöne, spannende Kriminalgeschichten, die zB in Wien im Fin de Siècle spielen und brrrr... (aus renommierten Verlagshäusern übrigens). Dagegen waren die Julia-Groschenheftchen aus den 70ern, die mein Bruder mal auf einer Bad Taste Party gewonnen hat, direkt sprachlich äußerst harmonische und wohlgeratene Werke.

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  • Genevieve


    Kann mich Deinem ersten Absatz vorbehaltlos anschließen :zwinker:
    Ich nehme mir übrigens einfach das Recht heraus Bücher als schlecht zu bezeichnen, wenn ich sie schlecht finde und das gilt auch für Klassiker :zunge: Was nicht heißen soll daß schlechte Bücher nicht auch Spaß machen können oder daß die Leser derselben zu blöd sind bessere Literatur zu verstehen oder eben auch zu mögen :zwinker:

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”


  • War letzens in einer Buchhandlung und hab in vom Inhalt her interessant klingende Bücher hineingeblättert, oh was für ein Graus! Theoretisch schöne, spannende Kriminalgeschichten, die zB in Wien im Fin de Siècle spielen und brrrr...


    Wir wollen Titel hören! :breitgrins:

  • *g* Wenn ich die noch wüsste! Leider sofort wieder verdrängt...

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