Elfriede Jelinek - Die Liebhaberinnen

Es gibt 18 Antworten in diesem Thema, welches 23.585 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von HoldenCaulfield.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Inhalt:


    Die Geschichte spielt in den 60-er Jahren und erzählt parallel das Schicksal der beiden Hauptdarstellerinnen, Brigitte und Paula.
    Brigitte, eine sehr passive junge Frau arbeitet als ungelernte Näherin in einer Miederfabrik und hat als einziges Ziel, durch Heirat und Familiengründung diesem Dasein zu entrinnen. Sie setzt alles daran, den angehenden Geschäftsmann Heinz zu heiraten und findet sich am Ende am Ziel ihrer Träume.


    Anders ergeht es der erst 15-jährigen Paula. Sie will aktiv in ihr Leben eingreifen und beginnt eine Schneiderlehre. Sie setzt allerdings ganz auf Gefühl, glaubt die wahre Liebe in Erich gefunden zu haben und träumt von einer gemeinsamen Zukunft. Erich allerdings ist an Frauen gar nicht interessiert, säuft und steckt sein ganzes Geld in motorisierte Fahrzeuge. Paula – sich an ihren Traum festklammernd – setzt alles aufs Spiel und verliert zu guter Letzt alles.


    Persönliche Eindrücke:


    Das Buch besticht durch den Einsatz der Sprache. Elfriede Jelinek versteht es großartig, mit Worten und Sätzen zu jonglieren, kein Satz entsteht zufällig. Der gesamte Text – übrigens ist (fast) alles kleingeschrieben – verbreitet eine derart düstere und deprimierende Stimmung, dass man sich so richtig in die trostlose Welt der Protagonistinnen hineinversetzt fühlt.
    Schonungslos und erschütternd wird die Gesellschaft dargestellt und vor allem die Rolle der Frau in der Gesellschaft. John Lennon sang im selben Jahr „Woman is the nigger of the world“ – was eigentlich genau die Thematik des Romans trifft.
    Ich erwähnte bereits, dass die Handlung in den 60-er Jahren spielt, aber ich denke, die Thematik ist aktueller denn je.


    Über die Autorin:


    Elfriede Jelinek wurde 1946 in Mürzzuschlag in der Steiermark geboren. Noch während ihrer Schulzeit begann sie, am Wiener Konservatorium. 1964 nahm sie das Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien auf, das sie aber nach einigen Semestern abbrach. In den folgenden Jahren entstanden Jelineks erste Gedichte. Ihr Werk umfasst Romane, Theaterstücke, Hörspiele, Übersetzungen (etwa von Thomas Pynchon) und Drehbücher (z.B. zu "Malina" nach dem Roman von Ingeborg Bachmann). Mit Büchern wie "Die Klavierspielerin" (1983) und "Lust" (1989) erregte Jelinek großes Aufsehen im Feuilleton und zunehmend auch in den Massenmedien, die die umstrittene Autorin vorzugsweise als tabubrechende Radikalfeministin in Szene setzen.
    Bereits 1969 erhielt Elfriede Jelinek zwei österreichische Preise für ihre Lyrik und in den folgenden Jahren weitere zahlreiche Literaturpreise.
    Höhepunkt war sicherlich die Verleihung des Literaturnobelpreises im Jahr 2004.


    Homepage: http://www.elfriedejelinek.com


    5ratten

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

    Einmal editiert, zuletzt von fairy ()

  • Hallo creative,


    ich scheue zwar nach wie vor vor der Jelinek zurück ("Die Klavierspielerin" subbt noch), aber ich wollte Dir herzlichen Dank für diese absolut gelungene Rezension sagen! Toll!


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Hallo creative,


    wenn ich Deine Rezi so lese, dann muss ich mich fragen, ob das die gleiche Elfriede Jelinek ist, die "Die Klavierspielerin" geschrieben hat.
    Das fand ich einfach nur schrecklich und ich habe mir geschworen, künftig einen weiten Bogen um ihre Bücher zu machen. Sollte ich da zu voreilig gewesen sein?


    Wäre interesseant zu wissen, ob Du "Die Klavierspielerin" auch gelesen hast und wie Dein Urteil dazu ausfällt.


    Viele Grüße

    Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene.
    <br />(Carl Hilty)

  • Hallo Skywalkerin!


    Ich habe "Die Klavierspielerin" nicht gelesen, habe es mir aber - jetzt nach der Lektüre der Liebhaberinnen - vorgenommen.


    Ich habe es lange verdrängt, eine Jelinek zu lesen - aber als Österreicherin war es dann doch eine gewisse Bildungslücke. Ich war auf das Schlimmste gefasst - und war dann doch positiv überrascht.


    Jelinkes Stil ist natürlich sehr gewöhnungsbedürftig. Einzelne Sätze werden oft bis zu 3 mal hintereinander wiederholt, alles ist kleingeschrieben. Es ist sicherlich kein Buch, das man so nebenbei liest. Obwohl es nur 150 Seiten hat, brauchte ich doch fast eine ganze Woche, das muss ich schon zugeben.


    Aber, wie gesagt, es hat mich doch sehr beeindruckt. Alltagssituationen werden bis ins kleinste Detail beobachtet und beschrieben, Jelinek besitzt eine ungeheure Beobachtungsgabe.


    Vielleicht kannst du dich überwinden, ich habe es nicht bereut.


    Liebe Grüße!!

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Ich habe die "Klavierspielerin" gelesen und es stimmt auch für dieses Buch: die Jelinek ist eine grandiose Schreiberin, wie sie mit Worten umgeht ist sehr sehr gut, aber ich es ist sehr gewöhnungsbedürftig und man liest auch die Klavierspielerin nicht so nebenher.


    lg aus ö, Frau 32

  • Zitat von "creative"


    Jelinkes Stil ist natürlich sehr gewöhnungsbedürftig. Einzelne Sätze werden oft bis zu 3 mal hintereinander wiederholt, alles ist kleingeschrieben. Es ist sicherlich kein Buch, das man so nebenbei liest. Obwohl es nur 150 Seiten hat, brauchte ich doch fast eine ganze Woche, das muss ich schon zugeben.


    So nebenbei habe ich es auch gar nicht gelesen bzw. das tue ich eigentlich sowieso eher selten. Der Stil an sich hätte mich auch gar nicht so gestört, aber es war wahrscheinlich die Mischung: die Geschichte an sich und der Schreibstil.


    Zitat von "creative"

    Vielleicht kannst du dich überwinden, ich habe es nicht bereut.


    Sagen wir mal so... wenn Du die Klavierspielerin gelesen hast und ich Deine Meinung dazu vielleicht hier irgendwo lese, dann sehen wir weiter. :zwinker:


    Eigentlich wäre das für mich gar kein Thema mehr gewesen, weil ich bis jetzt eigentlich noch keine/n getroffen habe, dem die Bücher von Jelinek etwas sagten oder dem sie gefallen haben. Aber da war ich jetzt doch überrascht und wollte nochmal nachfragen.


    Viele Grüße

    Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene.
    <br />(Carl Hilty)

  • Zitat von "Skywalkerin"

    [Sagen wir mal so... wenn Du die Klavierspielerin gelesen hast und ich Deine Meinung dazu vielleicht hier irgendwo lese, dann sehen wir weiter. :zwinker:


    Dein Wunsch sei mir Befehl!
    :smile:
    ... es kann sich aber noch um Wochen/ Monate handeln, bis es soweit ist. :smile:


    Herzliche Grüße!!

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Zitat von "creative"

    ... es kann sich aber noch um Wochen/ Monate handeln, bis es soweit ist. :smile:


    Das macht rein gaaaaar nichts. Ich bin im Moment um jedes Buch froh, das ich (noch) nicht lesen möchte. :breitgrins:


    Viele Grüße

    Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene.
    <br />(Carl Hilty)

  • Hallo zusammen!


    Danke, creative, für diese Rezension. Von der Jelinek kenne ich im Moment nur Der Tod und das Mädchen I-V, habe mir aber gerade Die Klavierspielerin bestellt, nachdem das Werk so grauslich sein soll ...


    Geboren in Mürzzuschlag... Wundert sich da noch jemand über Inhalt und Stil bei Jelinek?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo,


    also ich wundere mich schon seit dem letzten Jahr, als alle Welt nur von der Jelinek sprach, über die Ablehnung ihr gegenüber und die harschen Verrisse, die es überall hagelte!


    Meine Lektüre ihrer Romane ist zugegebenermaßen schon ca. 10 Jahre her, aber die Bücher sind mir (bis auf eine Ausnahme) als bemerkenswerte und teilweise wirklich großartige Literatur in Erinnerung geblieben.


    Gelesen habe ich "Lust", "Die Klavierspielerin" und "wir sind lockvögel baby".


    Letzteres ist schon eine rechte Quälerei, so eine Art Pop-Art-Literatur mit John, Paul, George und Ringo als Protagonisten. Es liest sich, als hätte Frau Jelinek nicht nur Marlboros geraucht, als sie es schrieb... :breitgrins:


    Die anderen beiden fand ich hervorragend in Sprache und Umsetzung. Natürlich ist das keine leichte Kost zum Nebenherlesen in der Straßenbahn.


    Es schockiert, es provoziert, es nervt auch teilweise. Aber es macht nachdenklich über Zustände, die so auch wirklich herrschen. "Lust" z.B. thematisiert die Gewalt gegenüber Frauen, die Abstumpfung, auch die Gewalt gegen sich selbst.
    Alles ist düster in diesen Büchern, die Figuren drehen sich in Gewaltkarussels im Kreise und enden meist nicht gut.


    Wahrscheinlich ist es das, was die meisten von der Lektüre abhält, die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit, in der Jelinek ihre Personen beläßt.


    Trotzdem finde ich, dass ihre Bücher von großer Sprachgewalt und -beherrschung sind, und allein deshalb sollte man zumindestens mal hineinschnuppern. Es lohnt sich, und man kann vielleicht immer noch sagen: "Ich hasse ihre Bücher, aber schreiben kann sie..." :zwinker:



    Liebe Grüße
    Convallaria

  • Hi Convalleria!


    Danke für Deinen schönen Beitrag. Es geht mir ja oft ähnlich. Von der Jellinek habe ich bisher allerdings nur Der Tod und das Mädchen I-V gelesen (na ja, vor Jahren vielleicht mal mehr - es gab eine Zeit, da las ich sehr viel zeitgenössische Österreicher, habe aber viele(s) vergessen ... ), aber wirklich schlimm fand ich sie nicht. Im Gegenteil: Ihre Sprache scheint mir etwas vom Feinsten in der deutschsprachigen Gegenwart zu sein.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Auf der HP der Autorin habe ich die Rede anlässlich der Verleihung des Heinrich-Böll-Preises im Jahr 1986 gefunden, die ich euch nicht vorenthalten möchte:


    In den Waldheimen und auf den Haidern
    Heinrich-Böll-Preis-Rede


    Ich komme aus einem Land, von dem Sie sich sicher ein Bild gemacht haben, denn es ist bildschön, wie es so daliegt inmitten seiner eigenen Landschaft, die ihm ganz gehört. Sicher haben Sie schon Bilder davon gesehen.


    Das Land ist klein aber mein, und seine Künstler dürfen in ihm wohnen, falls man sie läßt. Denn in Österreich wird kritischen Künstlern die Emigration nicht nur empfohlen, sie werden auch tatsächlich vertrieben, da sind wir gründlich. Ich erwähne nur Rühm, Wiener, Brus, die in den sechziger Jahren das Land verlassen haben. Ich erwähne nicht Jura Soyfer, der im KZ ermordet worden ist, denn das ist zu lang vergangen und daher zu lang schon vergessen und, vor allem, vergeben, denn uns verzeiht man einfach alles.


    Und dem Thomas Bernhard hat der zuständige Minister (nicht der Gesundheitsminister) empfohlen, aus sich einen „Fall" für die Wissenschaft zu machen. Er hat nicht die Literaturwissenschaft gemeint. Gegenstände für die Hirnforschung sollen wir Künstler also werden, weil wir zuvielen schönen Dingen, die in Österreich passieren, entgegenstehen. Was hätte Heinrich Böll darüber geschrieben?


    So haben Polizisten den Peter Handke aus der Salzburger Telefonzelle gezerrt. So ist Achternbuschs Film „das Gespenst" verboten worden. Heinrich Böll hätte gewiß etwas dazu gesagt.


    In den Waldheimen und auf den Haidern dieses schönen Landes brennen die kleinen Lichter und geben einen schönen Schein ab, und der schönste Schein sind wir. Wir sind nichts, wir sind nur was wir scheinen: Land der Musik und der weißen Pferde. Tiere sehen dich an, sie sind weiß wie unsere Westen, und die Kärntneranzüge zahlreicher Bewohner und deren befreundeter Politiker sind braun und haben große Westentaschen, in die man viel hineinstecken kann. So sieht man sie in der Nacht nicht allzu deutlich, diese mit dem Geld befreundeten Politiker und deren Bewohner (das Wahlvolk, das Volk ihrer Wahl, das die Politiker in ihren Herzen herumtragen), wenn sie wieder einmal slowenische Ortstafeln demolieren gehen. Vielen von ihnen würden, nach eigener Aussage, gern noch einmal nach Stalingrad gehen, wenn sie nicht die ganze Zeit damit beschäftigt wären, die Kommunisten im eigenen Land zu bekämpfen.


    Heinrich Böll hätte hier sehr viel gesagt, aber man hätte es ihm erst erlaubt, nachdem er den Nobelpreis bekommen hat. So wie sich kaum jemand ernsthaft bemüht hat, einen Elias Canetti nach Österreich zurückzuholen, denn Juden haben wir zwar so gut wie keine mehr, aber immer noch zuviele. Und ab und zu nehmen sich „ehrlose Gesellen vom jüdischen Weltkongress" (Originalzitat aus einer Rede des General Sekretärs der großen österreichischen Volkspartei) ihrer an, obwohl wir doch gar nichts tun außer fremde Betten für den Fremdenverkehr beziehen und daher auch niemals etwas getan haben.


    Wir wollten doch nur ein bißchen in deutschen Betten liegen, wer hätte uns das nicht gönnen wollen? Aber wir sind es nicht gewesen, und daher hat man uns - im Jahre 1955 selbstverständlich oder wann dachten Sie denn?- auch ordnungsgemäß befreit! Wir sind überhaupt die Unschuldigsten und sind es daher auch immer gewesen. Jetzt ist einLiteraturstipendium nach Canetti benannt, Hauptsache, er selbst bleibt fort. Dann führen wir ihn sogar im Burgtheater auf, vorausgesetzt seine Stücke sind nicht zu lang. Grüß Gott.


    Wir müssen uns nur im richtigen Moment klein machen, damit man uns nicht sieht, wie wir grade unsere Weine pantschen; wir müssen uns nur im richtigen Moment noch kleiner machen, damit man uns nicht sieht und auch unsere Vergangenheit nicht, wenn wir Bundespräsident, also das Höchste was es gibt, werden wollen. Und wir müssen uns im richtigen Moment auch groß zu machen verstehen, damit wir in die Weltpresse hineinkommen, und zwar selbstverständlich positiv, denn wir leben ja wirklich in einem schönen Land, man kann es sich anschauen gehen, wann immer man will!


    Auch ich gehe jetzt dorthin zurück, vorher bedanke ich mich aber noch sehr herzlich für meinen Preis und gedenke liebevoll und traurig dessen, nach dem er benannt ist. Ich wollte, ich könnte ihn - Heinrich Böll - mitnehmen, er hätte bei uns viel zu tun.



    Rede gehalten am 2.12.1986 in Köln. Erschienen in der "ZEIT" 50 (1986); auch in: Alms, Barbara (Hrsg.), Blauer Streusand, Frankfurt am Main 1987, S. 42-44[i]

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Hi creative!


    Auch Dir nochmals danke für diesen Text! Die Jelinek wird mir zusehends sympathischer ... :smile:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Gut, dass dieses Buch nur 150 Seiten hat, denn viel länger hätte ich nicht durchgehalten - auch wenn die Gründe ganz andere waren als bei der Klavierspielerin! Deren Lektüre ist bei mir ja auch noch recht frisch, weshalb sich die eine oder andere Gegenüberstellung aufdrängt.


    Sprachlich ist Die Liebhaberinnen (©1975) weniger kunstvoll gehalten als die Klavierspielerin (©1982). Damit meine ich nicht weniger gelungen, sondern es gibt einfach nicht so eine Fülle an Wortspielen, Sprachexperimenten und ausgefallenen Sätzen. Hier wirkt alles schlichter. Das mag einerseits damit zu tun haben, dass dieses Buch einige Jahre früher entstand, andererseits spiegelt es vielleicht auch die unterschiedlichen Welten wider.
    Was in beiden Werken klar hervortritt, sind gewisse musikalische Grundmuster. Zum Beispiel wird manchmal der letzte Satz eines Absatzes zweimal untereinander geschrieben, als ob er die Pointe wäre - wie beim Gstanzlsingen.


    Die beiden Bücher finden nicht nur geographisch, sondern auch vom Milieu her in völlig verschiedenen Bereichen statt. Während die Klavierspielerin in der bürgerlichen Schicht der Großstadt Wien angesiedelt ist und andere Gesellschaftsschichten auch nur aus jener Perspektive streift, passieren die Ereignisse in den Liebhaberinnen zwei ungelernten Fabriksnäherinnen irgendwo in der Provinz - sofern man hier von "Ereignissen" sprechen kann, denn eigentlich wirkt das Buch mehr wie eine Dokumentation des alltäglichen Wahnsinns dort.


    Es tut richtig weh, wie erbarmungslos treffsicher Elfriede Jelinek das mentale Hamsterrad beschreibt, in dem die beiden Protagonistinnen Brigitte und Paula treten. Ziele: auserwählten Mann mit Kind festnageln, heiraten, Haus bauen, noch mehr Kinder in die Welt setzen. Ein paar Unterschiede finden sich zwar in ihren Motivationen, was im Endeffekt aber egal ist. Man möchte beide packen und schütteln und AUFWACHEN! schreien. Die festzementierten dörflichen Strukturen lassen den beiden Frauen keine Wahl, was ihren Lebensweg betrifft. Paula tanzt mit ihren Zukunftsplänen am Anfang noch (in sehr bescheidenem Maße) ein bisschen aus der Reihe, Brigitte übernimmt gleich direkt unhinterfragt die von der Öffentlichkeit ("die öffentlichkeit ist die dorfgemeinschaft") vorgegebenen Prioritäten. Die Männerfiguren sind Kotzbrocken, mehr gibt es zu ihnen nicht zu sagen.



    Ich erwähnte bereits, dass die Handlung in den 60-er Jahren spielt, aber ich denke, die Thematik ist aktueller denn je.


    Eigentlich wollte ich dir hier widersprechen. Eigentlich wollte ich sagen, dass die Problematik meiner Meinung nach im Aussterben begriffen ist - dass ich zwar selber noch diese Frauen kenne, die sich und einander in erster Linie über Kochkünste, Sauberkeit und den Beruf von "Ihrem" (--> Gatten) definieren, aber dass das doch nur mehr Fossilien sind und sich die nächsten Generationen schon fast (und hoffentlich bald ganz) vollständig von diesem Gefüge emanzipiert haben, auch auf dem Land.


    Eigentlich wollte ich also widersprechen, aber jetzt traue ich mich nicht mehr so recht.
    Ich vermute, das Vorbild für die Fabrik in den Liebhaberinnen war das Triumph-Werk im steirischen Hartberg, das ja jetzt zu einer Schaumrollenfabrik umgerüstet werden soll. Originalzitat des neuen Besitzers von September 2010 (jawoll):


    Frauen können bekanntlich kochen, sagt Helmut Ulreich, und mit dem richtigen Willen seien für sie auch Schwarzwälderkirschtorten, Kardinalschnitten und Teegebäck üblicherweise kein Problem, auch wenn sie beruflich über Jahre ausschließlich Unterwäsche genäht hätten.
    (Quelle: derstandard.at)


    Wenn es in Kleinbuchstaben gedruckt wäre, könnte es direkt aus dem Buch stammen, also sage ich lieber nichts mehr bezüglich Aktualität.


    Vielleicht können die Liebhaberinnen auch ein besserer (softerer) Jelinek-Einstieg für jene potenziellen Leser sein, die von der Härte in der Klavierspielerin noch zu sehr abgeschreckt werden.

    [color=darkblue]&quot;Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of b


  • Gut, dass dieses Buch nur 150 Seiten hat, denn viel länger hätte ich nicht durchgehalten - auch wenn die Gründe ganz andere waren als bei der Klavierspielerin! Deren Lektüre ist bei mir ja auch noch recht frisch, weshalb sich die eine oder andere Gegenüberstellung aufdrängt.


    (...)


    Vielleicht können die Liebhaberinnen auch ein besserer (softerer) Jelinek-Einstieg für jene potenziellen Leser sein, die von der Härte in der Klavierspielerin noch zu sehr abgeschreckt werden.


    Danke für den ausführlichen Beitrag, Bluebell. :winken: Da ich mich als Thomas-Bernhard-Anhänger auch irgendwann mal mit der Jelinek beschäftigen möchte, sammle ich schon mal Stimmungsbilder zu ihren Büchern. Es ist erstaunlich, wie sehr Elfriede Jelinek polarisiert und welch' unterschiedliche Meinungen ihre Bücher hervorrufen. Da hilft wohl nur selber lesen. :smile:



    Auf der HP der Autorin habe ich die Rede anlässlich der Verleihung des Heinrich-Böll-Preises im Jahr 1986 gefunden, die ich euch nicht vorenthalten möchte:
    (...)


    Österreich muss wahrlich ein seltsames Land sein... :breitgrins:


  • Da ich mich als Thomas-Bernhard-Anhänger auch irgendwann mal mit der Jelinek beschäftigen möchte, sammle ich schon mal Stimmungsbilder zu ihren Büchern.


    Ja, bei mir war das sogar recht intuitiv (wenn auch umgekehrt): mir war zuerst nach der einen, dann bald nach dem anderen, und dann ist mir eigentlich erst rational der Zusammenhang klar geworden.

    Zitat


    Es ist erstaunlich, wie sehr Elfriede Jelinek polarisiert und welch' unterschiedliche Meinungen ihre Bücher hervorrufen. Da hilft wohl nur selber lesen. :smile:


    :daumen:
    Wobei ich die Entscheidung, womit beginnen, bei so "Schwierigen" gar nicht einfach finde. Oder vielleicht mache ich es mir auch unnötig kompliziert. Aber man will sich ja nicht unnötig den Einstieg verderben, indem man das Pferd von hinten aufzäumt und mit etwas loslegt, das einen als Neuling eigentlich noch überfordert ... oder indem man etwas Langweiliges erwischt ...


    Zitat

    Österreich muss wahrlich ein seltsames Land sein... :breitgrins:


    Ähm ... ja. :elch:

    [color=darkblue]&quot;Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of b

  • Huhu ihr Lieben!


    Für die Uni quäle ich mich gerade durch dieses zum Glück sehr dünne Buch. Ich glaube, ich bin einfach nicht für die Jelinek gemacht. Hier schreibt ihr von der Wortgewalt und von den cleveren Spielen mit der Sprache... für mich liest sich das einfach hässlich.


    Interessant finde ich die Themen, um die es geht. Ich bin noch nicht sehr weit, aber es wird ja schon auf den ersten Seiten klar, dass Brigitte sich als zukunftslos sieht, es sei denn sie findet einen guten Mann. Für Paula gilt mehr oder weniger dasselbe, außer dass sie selbst ihr Schicksal in die Hand nimmt und "etwas lernen" will, "nämlich Schneiderin".


    Dieses "Schneiderin lernen" oder "Koch lernen" ist zwar sehr österreichsich, aber meines Erachtens nach nicht unbedingt ein Beispiel für schöne Sprache. Mich stört auch, dass sie so mit dem Holzhammer daherkommt. Jelinek probiert sich erst gar nicht an Subtilität, es wird sofort von Anfang an gejammert, dass Frauen es ja so schlecht haben und alle Männer böse sind. Alkoholiker, die von vorne bis hinten bedient werden wollen und die ihre Frauen trotzdem verprügeln. Ein gutes Beispiel eines Mannes kriegen wir (vorerst) gar nicht zu sehen. :rollen:
    Ich hatte diese Einstellung ja erwartet, aber mich nerven diese ständigen Wiederholungen sehr.


    Gut finde ich, dass die Autorin es irgendwie geschafft hat, dass ich mir die Charaktere als Personen aus den 60er-Jahren vorstellen kann. Das Klischee Mann finden, heiraten, Kinder kriegen, Hausfrau werden - was auch ständig Wiederholt wird - kommt jedenfalls sehr gut rüber. Das soll heißen, sie beschreibt es gut, nicht dass ich es für das ultimative Glück auf Erden halte.
    Mal sehen, ob ich die restlichen 100 Seiten noch durchhalte.


    Vielleicht bin ich auch einfach zu blöd um dieses Buch so zu verstehen wie es gemeint ist.

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

  • Wendy
    Jelinek hat ja eine sehr "breite" Themenvielfalt... ich hab von ihr eine Fortsetzung von Nora von Ibsen gelesen und im Grunde passt Deine Beschreibung darauf genauso...
    Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften. 1977 Ich finde es schade das der Feminismus stehengeblieben ist und sich nicht mit den Veränderungen der Gesellschaft mit verändert hat...